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Zu Kritiken meines Ungarn-Buches

Zu Kritiken meines Ungarn-Buches

I. Was ist geschehen?

Gar machtvoll dröhnte am Donnerstag, dem 22. Februar, das „Sturmgeschütz der deutschen Demokratie“. Anscheinend erlegte Sabine Rennefanz in ihrer Kolumne im „SPIEGEL“ einen üblen „Orbán-Versteher“ und „Influencer der neuen Rechten“ (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/werner-j-patzelt-der-orban-versteher-a-e964c785-38cc-4055-b0a6-7f68e056fd8a; Zugriff bei allen Links am 25- Februar 2024). Waidmanns Dank!

Doch wie waidgerecht übte die Trägerin des „Deutschen Reporterpreises“ von 2012 ihr Handwerk aus? Immerhin wissen wir seit dem Auffliegen von Claas Relotius, dass Preise von und für Journalisten nicht gerade nach Kriterien des Nobelkomitees vergeben werden. Machen wir uns also ans Werk von „Faktencheckern“. Das heißt: Wir gehen die Aussagen unserer preisgekrönten Journalistin darauf durch, ob oder inwieweit sie mit den Tatsachen übereinstimmen. Denn in einer Kolumne wird man zwar Zugespitztes, doch nicht auch noch sachlich Falsches erwarten sollen.

Wer im Übrigen eine zwar kritische, doch sachlich weitgehend zutreffende Rezension meines Ungarn-Buches lesen will, wird hier fündig: Franz Sz. Horvath, Verloren im Dreieck zwischen Verstehen, Verständnis und Einverständnis? Werner Patzelt möchte „Ungarn verstehen“, in: Literaturkritik.de, Februar2024 (leicht greifbar unter https://literaturkritik.de/patzelt-ungarn-verstehen-verloren-im-dreieck-zwischen-verstehen-verstaendnis-und-einverstaendnis,30237.html).

II. Zur Kritik an meinem 2023 erschienenen Buch über Ungarns Geschichte, Staat und Politik

Kern der Kritik der Kolumnistin ist mein im letzten Sommer erschienenes Buch „Ungarn verstehen. Geschichte, Staat, Politik“ (München: Langen Müller). Größerer Zusammenhang jener Kritik ist aber meine – leicht überschaubare – Rolle im öffentlichen politischen Diskurs. 

Für Frau Rennefanz liest sich mein Ungarn-Buch „wie ein Auftragswerk“. Gewiss kann man das „Hohe Lied“ im Alten Testament auch wie Pornographie lesen. Gibt es aber gute Gründe, solch Sinnwidriges zu tun? Beim Lesen meines Ungarn-Buchs anscheinend schon, zumindest für Frau Rennefanz. Denn der Verfasser – so einer der Erzählstränge in der Kolumne – gibt im Vorwort ja selbst zu, dass er dieses Buch während seiner neun Monate als Senior Fellow am anscheinend gar üblen Budapester „Mathias Corvinus Collegium“ geschrieben hat (zum MCC und zur tendenziösen Berichterstattung darüber siehe https://wjpatzelt.de/2023/01/05/die-zeit-ueber-das-ungarische-mcc/). Auch gesteht er, dass ihm vom dortigen Deutsch-Ungarischen Institut sogar zugearbeitet wurde. 

Doch „dass er dort inzwischen selbst als Forschungsdirektor tätig ist, verschweigt der Autor“. Diese Aussage gibt einen ersten Hinweis auf die Qualität der Rennefanz’schen Reporterleistung. Die fragliche Information findet sich nämlich in der Kurzbiographie des Verfassers, neben einem Foto von mir, genau auf der Rückseite jenes Buches, über das sich die Kolumnistin so meinungsstark äußert. Also war das Vermisste gar nicht schwer aufzufinden, sobald man das Buch wirklich in der Hand hatte. Doch weshalb sollte man eine ins Konzept passende Pointe durch allzu viel Recherchieren kaputtmachen!

Dieses Muster – unzureichende Kenntnis bei großer Deutungslust – zieht sich durch den ganzen Text. Man möchte gar denken, die Anklagevertreterin habe durchaus nicht in mein Buch geblickt, sondern einfach nachformuliert, was sich in einer oberflächlichen, kaum minder übelwollenden Rezension fand, die Niklas Zimmermann am 12. Februar unter dem Titel „Verständnis für Orbán“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlichte (https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/ein-buch-mit-regierungsfreundlicher-pr-19514628.html).

Angelpunkt der Vorwürfe im SPIEGEL ist nämlich, ganz wie im FAZ-Artikel, die folgende vermeintliche Tatsache: „Patzelt wirbt für Verständnis, für Vertrauen in die Regierung Orbán“. Doch wie verträgt sich mit einer – so die FAZ –  „regierungsfreundlichen PR“ das zwanzigseitige Kapitel „Orbán-Land!“ auf S. 405-425? Dort finden sich unter den nachstehenden Überschriften die schärfsten deutschsprachigen Kritiken des heutigen Ungarn wiedergegeben. Weder Rennefanz noch Zimmermann konnten denn auch, als sie ihr vernichtendes Urteil über Ungarn zu einem über mich machten, den von mir berichteten Kritiken etwas hinzufügen: 

  • „Der Abstieg vom Musterland zum abschreckenden Beispiel“ (S. 406)
  • „Der Aufbau autoritärer Herrschaft“ (S. 410)
  • „Die ideologische Rechtfertigung des neuen Systems“ (S. 416, dargestellt natürlich aus der Perspektive und mit den Worten der Orbán-Kritiker)
  • „Herrschaftsmittel des ungarischen Autoritarismus“ (S. 418)

Klingt so wohl jene „sanfte Kritik“, die Frau Rennefanz in meinem Buch vorgefunden zu haben glaubt? Und somit lauten nun meine Anschlussfragen: Haben heutige Journalisten wohl ein Sprachniveau, auf dem ihnen „scharf“ und „sanft“ gleichbedeutend zu sein scheinen? Hat die rezensierende Dame jene immerhin zwanzig Seiten womöglich gar nicht gesehen, geschweige denn gelesen? Und wenn letzteres: Woher nimmt sie dann eigentlich die Arroganz, sich herablassend-werturteilend über Dinge zu äußern, von denen sie doch wissen wird, dass sie diese gar nicht kennt? Vielleicht hat sie wirklich nur von ihrem FAZ-Kollegen abgeschrieben. Doch passte dies dann zu den beim SPIEGEL anzusetzenden journalistischen Qualitätsstandards?

Ebenso wenig wie ihr FAZ-Kollege Zimmermann war auch Frau Rennefanz anscheinend in der Lage, den zentralen Grundsatz politischer Bildungsarbeit – genannt „Beutelsbacher Konsens“ – zu begreifen, den man gerade bei einem für ein breites Publikum bestimmten Sachbuch zu befolgen hat, wenn man redlich bleiben will. Also konnten beide auch nicht erkennen, dass ich mich wirklich an den „Beutelsbacher Konsens“ hielt. Dabei hatte ich diesen Grundsatz gleich zu Beginn des – alle sachlichen und ideologischen Kontroversen systematisch darlegenden – Kapitels über „Orbán-Land“ ausdrücklich zur Kenntnis gegeben, nämlich auf S. 403 samt Fußnotenverweis auf eine verlässliche Zitierstelle. Ignorant kann da eigentlich nur bleiben, wer sich ans Kritisieren macht, bevor er – oder sie – in meinem Buch ausreichend herumgelesen hat. Denn Folgendes ist dessen präzis angesagtes Präsentationsprinzip im Kapitel über „Orbán-Land“:

„Was in Politik und Wissenschaft umstritten ist, muss eben auch in dieser Kontroversität dargestellt werden – und zwar ohne die politischen Ansichten oder Deutungsvorlieben des Darstellenden dem Leser aufzudrängen. Vielmehr gilt es, Lesende und Mitdenkende in die Lage zu versetzen, sich selbst ein Urteil zu bilden. Darum werden im Folgenden zunächst einmal jene Narrative nebeneinandergestellt, die – mit unterschiedlichen Graden an Schärfe – einerseits von Fidesz-Kritikern und andernteils aus dem Inneren der Fidesz-Regierung verbreitet werden. Anschließend werden acht Deutungsschlüssel angeboten, mit denen sich diese Narrative aufeinander beziehen und in größere Zusammenhänge stellen lassen“ (S. 403f).

Für jemanden, der die deutsche Sprache beherrscht, könnte nun das folgende Darstellungsprinzip des Kapitels über „Orbán-Land“ klar sein, wie es sich obendrein im Inhaltsverzeichnis spiegelt: Erst wird die Kritik an der Fidesz-Regierung so deutlich wie möglich wiedergegeben; dann wird die Selbstsicht des seit 2010 regierenden Fidesz und seines Chefs vorgestellt; und anschließend werden dem Leser acht Hilfestellungen dafür geboten, aus den unvermeidlichen Widersprüchen zwischen den Kritikern und den Verfechtern der Fidesz-Politik – falls gewollt – eigene Schlüsse zu ziehen.

Als ersten von acht Deutungsschlüsseln empfahl ich den Vergleich der zuvor dargestellten Narrative von Fidesz-Kritikern und Fidesz-Anhängern hinsichtlich der folgenden Frage:

„Was wird eigentlich von keiner Seite bestritten? Geht man dem nach, so zeigt sich rasch: Vielfach besteht sogar Einigkeit darüber, was unternommen wurde oder der Fall ist! Der Streit geht einfach darum, zu welchem Gesamtbild beiderseits akzeptierte Tatsachenaussagen zu verbinden wären, und welche Bewertung dieses Gesamtbildes dann angemessen sei“ (S. 456f) – nämlich eher die der Orbán-Gegner oder die der Orbán-Anhänger. 

Anhand solcher Vergleiche zu möglichst fairen Schlüssen zu kommen, ist jene Aufgabe, die ein Verkehrsrichter routinemäßig löst, wenn ihm Streitparteien oder Zeugen unterschiedliche Versionen des Ablaufs, oder der wahrgenommenen Ursachen, desselben Verkehrsunfalls unterbreiten. Doch sowohl der FAZ-Rezensent als auch die Preisreporterin vom SPIEGEL versagten bei der Bewältigung dieser Aufgabe. Beide gaben nämlich schlicht als meine Meinung aus, was ich – dem Kontroversitätsprinzip politischer Bildungsarbeit folgend – als Antwort auf die zuvor präsentierte Kritik über die Positionen der ungarischen Fidesz-Regierung zu berichten hatte.

Bei beiden Rezensenten liest sich ihr Einstieg in gegenstandslose Kritik beispielsweise so: „Absurd wird’s [in der FAZ steht „schlicht hanebüchen“], wenn es um Korruption geht. Ungarn gilt als das korrupteste Land der EU, die EU-Kommission fror Zahlungen ein, weil Subventionen mutmaßlich in die Taschen Fidesz-naher Unternehmen fließen“. All das stelle ich selbstverständlich tatsachengetreu dar, und zwar nicht nur im Kapitel über die Kritik an der Orbán-Regierung (S. 421-425), sondern systematisch auch schon im Kapitel über die ungarische Europapolitik (S. 386-395, zur Korruption v.a. S. 389-392). Anschließend berichte ich ebenso tatsachengetreu, was Regierungsvertreter zu alledem zu sagen pflegen, etwa: es gehe „darum, sich von ausländischen Finanziers unabhängig zu machen und sich ein Fidesz-freundliches Netzwerk aufzubauen“.

Doch während die beiden Rezensenten es zu Recht für sachangemessen halten, die Sichtweise der Orbán-Kritiker darzustellen, wollen sie es anscheinend nicht ertragen, dass auch die Sichtweise der kritisierten Regierung dem Leser mitgeteilt wird – und zwar zu keinem anderen Zweck als dem, dass der Leser selbst die konkurrierenden Aussagen abwägen und sich ein eigenes Urteil bilden kann. Was bei einem Prozess dem Richter von den Streitparteien – einander meist widersprechend – vorgetragen wird, schrumpft allerdings im praktizierten Begreifen von Frau Rennefanz auf den folgenden Satz: „Auch diese Missstände stellt der Autor so dar, als seien sie eine Frage der Sichtweise“. Und an anderer Stelle formuliert sie diese Einschätzung gar so: Patzelt „benutzt den Kniff, so zu tun, als sei alles eine Frage der Perspektive, was in Ungarn passiert, und stellt zwei Seiten dar, als seien sie völlig gleichberechtigt. Die einen sagen so, die anderen sagen so“.

Ganz offensichtlich missversteht die Kolumnistin hier nicht nur das – im Buch vorab so klar beschriebene – Darstellungsprinzip, welches einer Grundregel politischer Bildungsarbeit verpflichtet ist. Sondern sie legt ihrer Aussage auch noch eine Annahme dahingehend zugrunde, dass Orbán-Kritiker die Tatsachen zutreffend beschreiben, Orbán-Anhänger die Tatsachen aber gewiss bemänteln; und deshalb müsse ein wahrheitsgetreues Buch über Ungarn sich gar nicht damit aufhalten, etwas anderes mitzuteilen als das, was die Orbán-Kritiker zu sagen haben. Im Grunde dürften Gegenäußerungen, um der Wahrheitsliebe willen, auch gar nicht so mitgeteilt werden, als könnten auch sie stimmen. Der Gedanke, dass ein Richter die Ausführungen sämtlicher Streitparteien hinterfragen könne, ja dass dies sogar seine Pflicht wäre, scheint derlei Prozessbeobachtern gar nicht erst zu kommen.

Im Grunde wünschen wohl beide Rezensenten, dass ich selbst die Richterrolle übernommen hätte. Dann könnte ich entweder als „sachkundiger Orbán-Kritiker“ herhalten oder als „rechtsoffener Wirklichkeitsverdreher“ präsentiert werden. Dass ich mich beidem entziehe, weil ich mein eigenes Urteil niemandem aufdrängen will, der sich einfach nur für Ungarn interessiert, missfällt vor dem Hintergrund solcher Verwertungszwecke gar sehr. Zimmermann nennt meine Haltung eine „kalkulierte Ambivalenz, also die scheinbar neutrale Gegenüberstellung von Interpretationen“. Auf die Idee, mein tatsächliches – und ganz und gar nicht ambivalentes – „Kalkül“ zur Kenntnis und dann auch ernstzunehmen, wollte er freilich nicht kommen. Dabei steht doch auf S. 467 klipp und klar:

„Natürlich braucht für eine … Einschätzung [Ungarns] niemand ein Urteil des Verfassers. Dessen Absicht ging ohnehin nie weiter, als einem eigenständigen Urteil des Lesers zuzuarbeiten“, 

gefolgt auf S. 471 von folgendem Satz:

„Sein erstes Ziel hätte dieses Buch erreicht, wenn sich sein Leser fortan ein Gefühl dafür zuschreiben könnte, was an der medialen Berichterstattung über Ungarn wohl stimmen mag – und was eher nicht. Noch besser wäre es, wenn er nun auch solche Gründe für sein Urteil über die Medienberichterstattung zu Ungarn vorbringen könnte, die in Debatten wirklich belastbar sind, also zu ihrer Verteidigung keine rhetorischen Tricks brauchen.“

Doch die beide Rezensenten greifen bei ihrem Bericht über mein Ungarn-Buch nicht nur zu mancherlei Darstellungstricks. Sie bringen vielmehr auch Falschaussagen. Und wer sich nicht zweckvoll naiv stellen mag, der kann obendrein bemerken, dass sogar richtig Berichtetes in die Irre zu führen vermag, wenn es ohne seinen Kontext mitgeteilt wird.

So verhält es sich aber gleich zu Beginn der Bemerkungen von Frau Rennefanz zu meinem Ungarn-Buch. Sie schreibt dort, ich arbeitete mich im ersten Kapitel „an den ‚naiven Ungarnbildern‘ der deutschen Medien ab“. Ähnlich hält es Zimmermann in der FAZ. Tatsächlich aber geht es im ersten Unterkapitel des – die vermutlichen Erwartungshaltungen des Lesers reflektierenden – Kapitels über das deutsche Ungarnbild um jene „naiven Ungarnbilder“ (S. 15-18), die von den Sissi- und Piroschka-Filmen über Urlaubserinnerungen und die euphorischen Eindrücke vom Fall des Eisernen Vorhangs bis hin zum Ungemach über Wahlsiege des Fidesz reichen. Das alles mündet in die gewiss nicht unzutreffende Bemerkung, dass die deutschen Ungarnbilder je nach politischem Lager, auch je nach Zugehörigkeit zu eher „einfachen Leuten“ oder zur Journalisten- und Akademikerschaft, sehr unterschiedlich ausfallen. Eben deshalb solle man sich ans „Nachvollziehen jener Diskurse machen“, in denen derlei Ungarnbilder „herausgearbeitet und verfestigt werden“.

Im zweiten Unterkapitel werden dann tatsächlich die „diskursiv erzeugten Ungarnbilder“ mitsamt ihrer kontextualisierenden Verfertigung dargestellt (S. 19-28), was im dritten Unterkapitel um „mediale Akzente im deutschen Ungarnbild“ (S. 29-37) ergänzt wird. Im vierten Unterkapitel folgen dann „demoskopisch fassbare Ungarnbilder“ (S. 38-44), im fünften Unterkapitel noch „einige kulturelle Klischees“ (S. 45-50). Ob den zwei Rezensenten wohl der Begriff der „Dekonstruktion“ etwas sagt?

Die Aussagen über „mediale Akzente“, ihrerseits auch von durchaus verzeichnender Art, stützten sich natürlich auf empirische Untersuchungen, welche auf S. 51 im Literaturverzeichnis auch genannt werden. Davon scheinen die beiden Rezensenten freilich nichts zu wissen, obwohl sie durch ihren Darstellungs- und Kritikgestus gründliche Kenntnisse meines Buches zu besitzen vorgeben. Anders lässt sich nämlich schwer erklären, warum die SPIEGEL-Kolumnistin behauptet, ich würde „konkrete Beispiele“ kaum nennen, obwohl doch die S. 32-37 voll davon sind, oder weshalb der FAZ-Rezensent moniert: „Beispiele führt Patzelt auch nicht für seine Aussagen auf, dass deutsche Medien entweder aus Kenntnisfreiheit oder wegen ihrer angeblichen Linkslastigkeit kein gutes Haar an Orbáns Regierung ließen. Wer das behauptet, sollte die Fehlleistungen wenigstens benennen können“. Erstens benenne ich sie, und zweitens sind sie in den im Literaturverzeichnis erwähnten Studien im Einzelnen dokumentiert. Hat denn der gute Mann wirklich noch nie davon gehört, dass sich weiterführende, detaillierte Beispiele in der zu genau diesem Zweck nachgewiesenen Literatur finden können?

In belustigender Weise stellt die preisgekrönte Journalistin auch noch in Frage, es gäbe in Deutschland wirklich eine „überwiegend links-grün eingestellte Journalistenschaft“. Ob die gute Frau denn noch nie empirische Studien zur politischen Meinungsverteilung unter deutschen Journalisten gelesen hat? Schon einfaches Googeln hülfe da … Oder „schließt sie messerscharf, es kann nicht sein, was nicht sein darf“ – wie einst Palmström in Christian Morgensterns schönen Versen über eine „unmögliche Tatsache“ aus dem Jahr 1909?

Von der Machart her ebenso handwerklich schlecht und inhaltlich tendenziös wie das bislang Berichtete ist das, was die SPIEGEL-Rezensentin über meine Darstellung des ungarischen Mediensystems sagen zu müssen glaubt. Ich beschreibe Ungarns Mediensystem und seine Veränderungen seit 2010 sehr detailliert auf S. 254-262, desgleichen summarisch auf S. 418f als „Herrschaftsmittel des ungarischen Autoritarismus“. Und natürlich schildere ich, wie in diesem Buch üblich, nicht nur das Geschehene, sondern sowohl die Kritik an Viktor Orbáns Medienpolitik als auch – auf S. 430f und 438 – deren Rechtfertigung durch den Fidesz. Nur so kann nämlich der Leser um die Sichtweisen beider Seiten wissen und sich dann sein eigenes Urteil bilden. Um überdies die Umstrittenheit sogar schon der Befundlage vor Augen zu führen, schreibe auf S. 255 auch noch ausdrücklich: 

„Die Ergebnisse der aus diesen Gründen vollzogenen Änderungen in Ungarns Medienlandschaft werden je nach politischem Lager sehr unterschiedlich beurteilt. Allseits unbestritten ist nur, dass sich die Marktanteile und Reichweiten der Fidesz- und somit regierungsfreundlichen Medien seit 2010 sehr stark vergrößert haben. In den Augen von Fidesz-Anhängern wurde dadurch einfach »mediale Waffengleichheit« hergestellt, freilich mit der in Ungarn »üblichen Dominanz« der Regierung in den öffentlichen Medien. Hingegen wurde nach Wahrnehmung der nunmehrigen Opposition die Medienfreiheit beseitigt sowie ein System staatlicher Indoktrination aufgebaut. Journalisten oder Wissenschaftler, die bei diesem Streit nicht Partei ergreifen wollen, sondern einfach zu klären versuchen, was wohl wirklich der Fall ist, scheint es in Ungarn nur selten zu geben. Selbst das, was sich im Folgenden nach bestem Vermögen sowie mit Anspruch auf Übereinstimmung mit den Tatsachen zusammengestellt findet, wird wohl umstritten sein“.

Und was macht nun unsere Kolumnistin? Sie schreibt mir als eigene Ansicht die von mir als Verfasser berichtete Wahrnehmung von Fidesz-Anhängern zu, nunmehr sei „mediale Waffengleichheit“ hergestellt. Ist es wohl ein Ausdruck eher von unprofessioneller Arbeit oder eher von Lust am Lügen, wenn da jemandem Worte in den Mund gelegt werden, die ganz klar nicht die seinen sind, die aber von Lesern, welche über den Gesamtzusammenhang im Unklaren gelassen werden, klar als Meinung des Autors wahrgenommen werden dürften?

Anschließend beschreibt jene Dame übrigens so gut wie alle Kritikpunkte an der ungarischen Medienpolitik, die auch ich berichte – und hängt dann noch den Satz an: „Davon liest man bei Werner J. Patzelt aber wenig“. Vermutlich hat einfach sie selbst zu wenig in meinem Buch gelesen! Und sogar dort, wo Rennefanz Zahlen aus einer Studie von „Reporter ohne Grenzen“ zur Lage der ungarischen Pressefreiheit nennt, verschweigt sie trotz einstigem Reporterpreis, dass ich – dabei den scharfen Orbán-Kritiker Paul Lendvai zitierend – genau dasselbe meinerseits auf S. 418 jenes Buches getan habe. Zeugt solches Verhalten von journalistischer Unfähigkeit, etwa beim Aufklären eines Sachverhalts, den man berichten und bewerten will? Dann müsste sich die SPIEGEL-Redaktion um die Einhaltung ihrer Qualitätsstandards kümmern. Oder obsiegt hier die Lust am parteiischen Schwindeln, um freundlicherweise nicht gleich vom Lügen zu reden? Derlei wäre presserechtlich zu verhandeln.

III. Zur Kritik an meiner Person und öffentlichen Rolle

Ebenso zwischen Unwissen und Anbräunen changierend verhält es sich mit Rennefanzens insinuierenden – oder ohnehin sachlich falschen – Aussagen zu meiner Person und zu meiner publizistischen Tätigkeit. Das alles sei knapp in acht Punkten abgehandelt.

(1) In einem unlängst gesendeten Interview mit Welt TV zur der AKP-nahestehenden, neuen deutsch-türkischen Partei DAVA machte ich auf Folgendes aufmerksam: Derzeit geäußerte politischen Sorgen ob dieser Partei hingen auch damit zusammen, dass es in den letzten Jahren zu einer starken Vergrößerung des deutschen Staatsvolkes durch Zuwanderung samt Einbürgerung oder Erwerb der Staatsbürgerschaft kraft Geburt in Deutschland gekommen sei, womit in vielen Fällen aber keine Integration der Neubürger in die Selbstverständlichkeiten der länger schon im Lande lebenden Bevölkerung einherging. Diese längst bekannte und in integrationspolitischen Diskursen vielfach erörterte Tatsache deutet die Verfasserin nun raunend dahingehend aus, meine Rede von der „staatsvolksmäßigen“ Ergänzung unserer Bevölkerung, nämlich aufgrund von erforderlicher Fachkräftezuwanderung oder gutwillig praktizierter Willkommenskultur, klänge nach „Umvolkungstheorien“. Haben wir nun aber – oder haben wir wohl eher nicht – rund ein Viertel deutscher Staatsbürger mit „migrantischem Hintergrund“, desgleichen das Verlangen nach einer eigenen Partei türkischer Deutscher, und obendrein, bei derzeitigen Anti-Israel-Aktionen doch unübersehbar, eine nennenswerte Anzahl eingebürgerter Deutscher, die aus dem – gottlob erreichten – anti-antisemitischen Konsens unserer Gesellschaft ausbrechen? Auf der Faktenebene lässt sich da schwer anderes behaupten, als dass das so der Fall ist – und in diesem Zusammenhang kann man den böswilligen Anbräunungsversuch von Frau Rennefanz nur unter Verzicht auf sinnverstehendes Lesen übersehen.

(2) Natürlich kommt eine so agierende Journalistin auch nicht ohne die anklagende Argumentationsfigur von der „Kontaktschuld“ aus. Das nimmt hier die folgende Form an: Patzelt arbeitet für das MCC (in Brüssel); im vergangenen Jahr sprach am MCC (in Budapest) der „rechte Moderator Tucker Carlson, der jüngst als Propagandist Putins für Schlagzeilen sorgte“; und also ist wohl klar, in welchen Kreisen Patzelt zu verkehren pflegt. Wirklich?

(3) Im Übrigen wurde, so Rennefanz, dieser Patzelt am MCC Brüssel Forschungsdirektor, „nachdem die TU Dresden seinen Antrag auf eine Seniorprofessur abgelehnt hatte“. Das klingt nun so, als sei diesem Kerl von einer seriösen Institution irgendwann das Handwerk gelegt worden, woraufhin – um nicht aufs jetzige Bürgergeld angewiesen zu sein – er sich bei einer unseriösen Institution verdingt habe. 

Tatsächlich hatte ein erster SPIEGEL-Artikel zum Ende meiner Dienstzeit genau diesen Ton angeschlagen: Endlich wurde Patzelt gefeuert! Solche Berichterstattung war damals meinen Kritikern sehr erwünscht, weil sie einen Sieg über mich zu feiern begehrten. Doch das so – bzw. in solcher Absicht – Berichtete war schlicht falsch, weshalb sich einige Zeit später der SPIEGEL berichtigen musste (siehe https://www.spiegel.de/politik/deutschland/dresden-steht-er-der-afd-zu-nahe-tu-trennt-sich-von-werner-patzelt-a-1248908.html?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph). In Wirklichkeit war es nämlich so, dass ich im Frühjahr 2019 ganz ordnungsgemäß vor dem Erreichen des 66. Lebensjahres emeritiert wurde. Mein auf Verbundenheit seit 1992 zurückgehendes Angebot, dem Dresdner Institut für Politikwissenschaft weiterhin im gesetzlich vorgesehenen Status eines „Seniorprofessors“ zur Verfügung zu stehen, schlug der zuständige Dekan der Fakultät im Zusammenwirken mit dem Rektor der TU Dresden aus letztlich wissenschaftspolitischen Gründen aus. Das war sein gutes Recht – und hatte außerdem den schönen Nebeneffekt, dass gut ein Jahr später ein mit dem Rektor eng zusammenwirkender Kollege vom Dresdner Institut für Politikwissenschaft seinerseits zum Seniorprofessor bestellt werden konnte. Sapienti sat

Ich schrieb dann erst einmal in lange aufgeschobenes Lehrbuch (Parlamentarismusforschung. Einführung, Baden-Baden: Nomos), begann mit meiner vierbändigen „Geschichte des Parlamentarismus“ (der erste Band erscheint in wenigen Monaten) und nahm später die Einladung an, im Wintersemester 2021/22 als Senior Fellow ans MCC in Budapest zu gehen. Im Anschluss daran wurde ich gebeten, die hauptamtliche Position eines Forschungsdirektors am MCC in Brüssel zu übernehmen. Das alles wäre leicht zu recherchieren gewesen und hätte, einen gewisses Verzicht aufs Insinuieren vorausgesetzt, wohl zu einer anderen Formulierung als der von Frau Rennefanz verwendeten führen können.

(4) Im besseren Fall ahnungslos, im schlechteren aber von Lust aufs Hinbiegen von Tatsachen geleitet, schreibt die SPIEGEL-Kolumnistin auch von „mehreren Gutachten“, die ich zu PEGIDA erstellt hätte. In Wirklichkeit habe ich 2015/16 vier Befragungsstudien (!) unter PEGIDA-Demonstranten durchgeführt. Alle wurden jeweils online auf meinem Blog wjpatzelt.de veröffentlicht, desgleichen detailliert samt Zusammenschau ihrer Ergebnisse in meinem Buch „PEGIDA. Warnsignale aus Dresden“ (Dresden 2016: Thelem). Ob diese Studien „wohlmeinend“ waren, wie Frau Rennefanz wiederum anbräunend formuliert, ist bei empirischen Studien gewiss nicht die vordringliche Frage. Die lautet vielmehr, ob deren Ergebnisse mit den Tatsachen übereinstimmen. Hier lief die damals lautstark vorgetragene Methodenkritik darauf hinaus, meine Befunde wären „nicht repräsentativ“ und somit falsch. Richtig und repräsentativ waren sie aber im Rahmen des Möglichen sehr wohl. Auch kam keine andere PEGIDA-Studie dem Leitbild einer verlässlich repräsentativen Stichprobenziehung so nahe, wie das – ausweislich der jeweiligen Methodenberichte – bei meinen Studien der Fall war (siehe dazu https://wjpatzelt.de/2015/02/05/medienecho-auf-pegida-studie/). Obendrein stimmten, jedenfalls im Rahmen des aufgrund statistischer Fehlermargen zu Erwartenden, meine Befunde sehr wohl mit denen aus den anderen PEGIDA-Studien überein, wann immer die in etwa gleichen Fragen zum in etwa gleichen Sachverhalt zu etwa ähnlicher Zeit gestellt worden waren. Was also soll derlei „Nachtarocken“ – außer ein weiterer Hinweis darauf zu sein, wie oberflächlich Frau Rennefanz allein das zusammengetragen hat, was ihr ins von ihr geliebte Narrativ zum „rechten Influencer Patzelt“ zu passen schien …

(5) Ferner teilt Frau Rennefanz zu diesem Patzelt mit: „Zwischen 2015 und 2018 beriet er die AfD-Landtagsfraktion [sic!] in Sachsen- und Baden-Württemberg“. Tatsächlich hielt ich im Sommer mit den Mitgliedern der neu in den sächsischen Landtag gelangten AfD-Fraktion – auf deren Wunsch – ein Nachmittagsseminar ab, bei dem ich meinen üblichen Vorlesungsstoff über die Aufgaben parlamentarischer Opposition sowie zur richtigen Ausübung dieser Rolle vortrug und erläuterte. Im Nachgang erstellte ich im Auftrag dieser Fraktion auch noch ein – von mir längst veröffentlichtes (siehe https://wjpatzelt.de/2020/02/01/patzelt-geheimgutachten-fuer-die-afd/) – Gutachten, in dem ich zeigte, wie sich die AfD-Landtagsfraktion konstruktiv mit dem Koalitionsvertrag der CDU/SPD-Regierung auseinandersetzen könne. Was man – abgesehen von der anscheinend so auf sich geladenen „Kontaktschuld“ – an Versuchen dieser Art kritisieren könnte, auf Parlamentsneulinge politisch-bildnerisch einzuwirken, möge endlich einmal nachvollziehbar aufgelistet und nicht nur raunend nahegelegt werden.

Die „Beratung der AfD-Landtagsfraktion von Baden-Württemberg“ schrumpft ihrerseits zusammen auf ein – ebenfalls längst veröffentlichtes (siehe https://wjpatzelt.de/2016/07/05/gedeon-und-der-antisemitismus-gutachten/) – Gutachten vom Juli 2016 über den AfD-Abgeordneten Wolfgang Gedeon. Dieses Gutachten auf Bitten einer Fraktionskollegin Gedeons verfasst, und ich habe in ihm Gedeon Antisemitismus nachgewiesen. Wie verdreht mag eine offenkundige AfD-Gegnerin denken, die einem gerade das zum Vorwurf macht – oder wie ahnungslos mag sie hinsichtlich auch solcher Sachverhalte sein, über die sie gleichwohl schreibt? Doch wenn jemand ohnehin eine nie stattgefundene Gutachtertätigeit für die AfD aus den Jahren 2017/18 schlicht hinzuerfindet: Warum soll man sich da überhaupt noch über etwas wundern?

(6) Nicht viel besser erweisen sich die Recherche-, Darstellungs- und Beurteilungskompetenzen von Frau Rennefanz dort, wo sie allgemeines Geraune einstimmend kolportiert, ich hätte mich „für Koalitionen zwischen CDU und AfD stark“ gemacht.  Franz Sz. Horvath schreibt das zwar auch, doch offenbar deshalb, weil das inzwischen eine übliche Behauptung über mich geworden ist, die er eben deshalb wie eine Tatsache behandelt. Richtiger durch ständige Wiederholungen wird diese Zuschreibung zwar ebensowenig, wie die Erde zu jenen Zeiten eine Scheibe war, als eben dies allenthalben geglaubt wurde. Wer freilich als Reporter arbeitet, hätte leicht herausfinden können, was wirklich der Fall ist, ja irreführende Aussagen idealerweise selbst richtiggestellt.

Jedenfalls hätte schon jener BILD-Artikel vom Juni 2018, auf den sich die preisgekrönte Journalistin bezieht, nahelegen können, dass die Dinge anders liegen, als sie meist geschildert werden (https://www.bild.de/regional/dresden/landtagswahlen-sachsen/wie-will-kretschmer-kuenftig-regieren-55992460.bild.html). Dort werde ich nämlich wie folgt zitiert:

„Es gibt offenbar eine rechte Bevölkerungsmehrheit. Und solange die keine rechte Regierung bekommt, steigt der Drang weiter, die AfD zu wählen. [Also riete ich dem Ministerpräsidenten Kretschmer und dessen CDU], eine Koalition mit der AfD zu prüfen, um sich nicht von den Parteien links von der CDU erpressbar zu machen. … Allerdings muss sich die AfD von einer systemablehnenden Protestpartei zu einer mitregierungswilligen Gestaltungspartei entwickeln. … Man bekommt keine Stabilität, wenn man gegen die AfD koaliert“.

Und was steht nun wirklich da? Erstens: Die AfD muss sich „von einer systemablehnenden Protestpartei zu einer mitregierungswilligen Gestaltungspartei entwickeln“! Eine nicht-rechtsradikale, sondern staatstragende AfD wäre wohl auch wirklich wünschenswerter für unser Land als die jetzige. Doch bis heute ist es mit der AfD nicht dahin gekommen, und so war die AfD auch nicht im Juni 2018. Folglich gab es, gemäß meinen eigenen Aussagen, ohnehin keinerlei Geschäftsgrundlage für eine Koalition zwischen CDU und AfD. Zweitens habe ich mich auch nie für eine solche Koalition „stark gemacht“, sondern vorausblickend empfohlen, die Möglichkeiten für eine solche Koalition „zu prüfen“ – und natürlich ebenso jene möglichen Anreize, denen folgend die AfD eines Tages koalitionstauglich werden könnte. Drittens verweise ich darauf, dass es eine rechte Bevölkerungsmehrheit in Deutschland gibt. Die wurde seither, wie alle demoskopischen Umfragen zeigen, sogar noch größer, als sie damals war. Und viertens verdeutliche ich, dass es keine Stabilität geben, sondern zur Erpressung der CDU durch Parteien wie SPD und Grüne samt weiterem Wachstum der AfD führen würde, wenn sich die CDU mit Parteien links von ihr auf Anti-AfD-Koalitionen einließe. Genau das hat die politische Entwicklung – nicht nur in Sachsen – seit den letzten Landtagswahlen tatsächlich gezeigt. Was also ist an einer solchen taktischen Analyse falsch oder gar vorwerfbar?

Oder was wäre – wie von Frau Rennefanz außerdem insinuiert – auch noch im Nachhinein daran vorwerfbar, dass ich schon beim Aufkommen der NPD öffentlich darauf hingewiesen habe, es täte sich rechts der CDU anscheinend eine „Repräsentationslücke“ auf, in der man besten aber keine (!) neue Partei aufkommen und großwerden ließe, weshalb man im dortigen Gelände unbedingt die bislang selbst bezogenen Positionen verteidigen solle. Und siehe da: Es gehört inzwischen sogar unter Sozialdemokraten, vereinzelt auch unter Grünen, die Forderung zum guten Ton, Themen wie Migration oder Energiepreise nicht einfach der AfD zu überlassen. Voreingenommenheit verstellte – und verstellt – offenbar auch hier den Tatsachenblick.

Im Übrigen hätte Frau Rennefanz nicht minder leicht als den von ihr herangezogenen BILD-Artikel auch jenen Bericht in der Chemnitzer „Freien Presse“ über einen Wahlkampfauftritt von mir zitieren können, der doch glatt mit der Überschrift erschien „Patzelt warnt Sachsen-CDU vor Koalition mit der AfD“ (siehe https://www.freiepresse.de/vogtland/plauen/patzelt-warnt-sachsen-cdu-vor-koalition-mit-afd-artikel10521423?fbclid=IwAR1AE0E1CCDdhmXhrpiud_X3P7adv17GJJ4X1RGOKZVsCFYKNH7Z5XTKsPQ). Doch das hätte nun wirklich nicht in den Erzählzusammenhang gepasst, ich wäre gerade als „Türöffner“ für die AfD von der Sachsenunion zum Ko-Vorsitzenden der Wahlprogrammkommission bestellt worden. Wenn aber die Tatsachen der gehegten journalistischen Aussageabsicht widersprechen, dann versteht sich doch … was eigentlich? Und warum nur hat sich die preisgekrönte Journalistin nicht auf meinem leicht erreichbaren Blog erst einmal schlau darüber gemacht, wie ich schon seit Jahren wirklich über dieses Koalitionsthema denke (etwa: https://wjpatzelt.de/2017/06/06/die-cdu-die-afd-und-einige-koalitionsfragen/), wenn sie derlei zum Gegenstand eines Berichts über mein Ungarn-Buch machen will? 

(7) Besonders wichtig war es der kolumnenschreibenden Dame offenbar auch, mich als Wissenschaftler herabzusetzen. Treuherzig schreibt sie: „Je länger man sich mit Patzelts Schriften beschäftigt, desto erstaunlicher scheint es, dass er immer wieder und immer noch als unabhängiger Experte befragt wird“. Welche meiner Schriften wird sie wohl „länger“ gelesen haben? Ob sie uns denn noch wissen lässt, ob es mein Lehrbuch der Politikwissenschaft aus dem Jahr 2023 war? Mein Lehrbuch der Parlamentarismusforschung aus dem Jahr 2020? Mein migrationspolitisches Buch „Neue Deutsche in einem alten Land“ aus dem Jahr 2018? Mein demokratiepolitisches Buch „Deutsche und ihr demokratisches Land“ aus dem gleichen Jahr? Mein Buch über „Politische Bildung für ein demokratisches Deutschland“ aus dem Jahr 2019? Meine Sammlung politisch-publizistischer Texte „CDU, AfD und die politische Torheit“, ebenfalls aus dem Jahr 2019? Oder hat sie sich auf meinem Blog wjpatzelt.de belesen, wo sich doch die meisten meiner jeweils aktuellen politischen Texte finden, oder die Links auf meiner Facebook-Seite verfolgt?

Womöglich hat sie gar nichts von alledem getan. Vielleicht hat sie wirklich nichts zur Kenntnis genommen außer den Überschriften von allzu rasch ergoogelten Zeitungsartikeln. Dann hat sie einfach eine zur ihrer herabsetzenden Darstellungsabsicht passende Floskel verwendet. Denn das, was sie zeigen will, ist doch: „Der Professor ist offenbar Teil eines neurechten Netzwerks geworden, das um Deutungshoheit kämpft. Das ist sein gutes Recht. Man sollte aber, wenn man ihn als Politikwissenschaftler befragt, nicht so tun, als spräche man mit einem neutralen Beobachter“. Und weil sie letzteres um keinen Preis vermuten will, listet sie nachgerade indigniert auf, dass ich in den letzten zwölf Monaten Interviews beim Deutschlandfunk, bei Phoenix sowie dem Focus und der Leipziger Volkszeitung gegeben hätte. 

Und das geht ja wohl gar nicht! Eigentlich sollten auch diese Medien es so halten wie seit langem der MDR oder die Sächsische Zeitung, wo ich zwei Jahrzehnte lang ein oft angefragter Gesprächspartner war, wo aber sehr vielen Leuten – wie sie mir mitteilen – inzwischen auffällt, dass ich kaum mehr zu Wort komme. Inzwischen gilt, so scheint das ihnen: „Keine Bühne für Leute, die eine andere politische Perspektive haben als die, welche in den Augen von Grünen als anständig gilt! Schließlich hat in Deutschland immer noch ein jeder das Recht, sich dem medialen Mainstream anzuschließen … und wer das trotzdem nicht tut, der wird schon auch nichts Vernünftiges zu sagen haben“. Und also muss die Kolumnistin distanzierende Anführungszeichen setzen, wenn sie über mich – hahaha – als einem „renommierten Dresdner Politikwissenschaftler“ schreibt. 

(8) Triumphierend berichtet die preisgekrönte Frau Rennefanz am Ende auch noch, wie die „Studienstiftung des deutschen Volkes“, deren Stipendiat, Mitglied im Auswahlausschuss und zweimaliger Leiter von Seminaren auf Sommerakademien ich war, unlängst mit diesem Patzelt verfahren ist. Den hatte sie törichterweise als Leiter eines Seminars zum – horribile dictu! – Konservatismus eingeladen. Doch gottlob kam es dann anders: Die Studienstiftung „zog vergangene Woche Konsequenzen und lud Patzelt nach Medienberichten wieder aus. Richtig so.“ 

Nur ist leider diese Darstellung gar nicht richtig. Die Ausladung erfolgte, bis heute – trotz Nachfrage meines eingeladenen Ko-Dozenten – ohne schriftliche Benennung von Gründen, nachdem ein Journalist bei der Studienstiftung angerufen und anscheinend einen Skandal in Aussicht gestellt hatte. Und die Medienberichte entpuppen sich als gerade einmal zwei – in der „Frankfurter Rundschau“ und im „Volksverpetzer“ – eines einzigen Journalisten namens Matthias Meisner (siehe zu ihnen samt meiner jeweiligen Reaktion https://wjpatzelt.de/2024/02/12/der-konservatismus-die-studienstiftung-und-victor-orban/  sowie https://wjpatzelt.de/2024/02/16/eines-journalisten-sieg-ueber-die-studienstiftung/). Im Übrigen erfolgten beide Veröffentlichungen nicht vor, sondern nach meiner Ausladung durch die Studienstiftung, können also für die letztere nicht ursächlich gewesen sein. Aufhänger Meisners war natürlich – und unter Verweis auf Zimmermanns FAZ-Rezension – Patzelts drohende „Orbán-Propaganda“, der man junge Studienstiftler keinesfalls aussetzen dürfe. Und verständlicherweise erklangen Meisners Texte im gleichen Triumphmodus wie die Kolumne der Frau Rennefanz. 

Zutreffende Aussagen außer der, dass die Studienstiftung – anscheinend eingeschüchtert durch Herrn Meisner – einen Rückzieher gemacht hat, finden sich im Text der Preisreporterin jedenfalls nicht. Gibt es Anzeichen einer gründlichen Recherche? Nein. Und das bringt mich zum Seufzer: Wann endlich werde ich mich einmal mit satisfaktionsfähigen Kritikern auseinandersetzen können, und zwar auf der Grundlage von Tatsachen – und nicht von erst einmal richtigzustellenden raunenden Behauptungen!

IV. Ein „Influencer der neuen Rechten“?

Unterstellen wir abschließend, Frau Rennefanz habe Recht mit ihrer Behauptung, ich sei zum „Influencer der Neuen Rechten“ geworden. Sofern ich auf diese irgendwelchen Einfluss haben sollte, müsste der wohl mit solchen meiner Aussagen zu tun haben, die Leute von der „Neuen Rechten“ irgendwie erreichen. Also sollte man sich wohl mit meinen tatsächlichen, ohnehin vielfach publizierten Aussagen befassen, bevor man eine Hermeneutik des Verdachts dahingehend begründet, ich triebe da ein übles, da „rechtsoffenes“ Spiel. Tatsächlich lassen sich meine Aussagen „an die Adresse der Neuen Rechten“, anscheinend reichend von der CDU bis zur AfD, wie folgt zusammenfassen: 

(1) Ihr CDUler, lasst die AfD nicht groß werden, sondern korrigiert jene Politik, die so viele von nicht nur Euren früheren Wählern, sondern auch der Nichtwähler zur AfD getrieben hat! Und sucht obendrein nach solchem eigenen Einfluss auf die AfD, der dazu dienen kann, dass diese Partei nicht zu einer Gefahr für unser Land wird, sondern sich vielleicht wieder auf den Weg zu einer unsere freiheitliche demokratische Grundordnung mittragenden Partei bringen lässt.

(2) Ihr AfDler, radikalisiert Euch nicht weiter, sondern übt die Euch zugefallene Rolle der Opposition gemäß den Prinzipien unserer pluralistischen Demokratie aus! Verändert außerdem Eure Partei dahingehend, dass sie auch von denen als politischer Mitbewerber respektiert werden kann, die Eure Rivalen und Gegner sind.

(3) Und Ihr alle, die Ihr politisch rechts oder links oder in der Mitte steht: Haltet Euch beim politischen Streit an die bewährten Grundsätze pluralistischer Demokratie, einschließlich grundsätzlicher Gewaltfreiheit!

Ich weiß nun wirklich nicht, was an Einflussnahmen solcher Art auf die – nicht nur – „Neue Rechte“ überhaupt kritikwürdig oder gar vorwerfbar wäre. Sollte preisgekröntes Reporterkönnen aber anderslautende und von mir womöglich verschwiegene Einflussversuche meinerseits auf „Deutschlands Neue Rechte“ nachweisen wollen, dann mal los! Und vielleicht wäre es überhaupt besonders aufschlussreich, wenn sich Frau Rennefanz in wenigen Wochen an die Rezension meines demnächst erscheinenden zweiten Bandes zu den vielen Dummheiten im Umgang zwischen Union und AfD machen wollte: „CDU, AfD und noch mehr politische Torheiten“, Dresden 2024, Weltbuchverlag.

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