Aiwanger und Söder – oder: der Sack und der Esel

Aiwanger und Söder – oder: der Sack und der Esel

Bisweilen schlägt man den Sack, meint aber jenen Esel, der ihn trägt. Zwar war es unmittelbar Hubert Aiwanger, der tagelang Hiebe abbekam. Doch letztlich ging es darum, die Macht der CSU zu brechen. Die strebte gemeinsam mit den Freien Wählern unaufhaltsam, wie es bis vor wenigen Tagen schien, auf eine neuerliche, nicht-linke Regierungskoalition in Bayern zu. Grüne und Sozialdemokraten, die in Sachsen als linkes Schwänzchen mit dem CDU-Hund wedeln und ihm immer mehr Wähler abspenstig machen, würden dann wieder in der Opposition landen. 

Was für ein Himmelsgeschenk war da jenes politpubertierende, zum Fremdschämen bringende Flugblatt, mit dem ein ehemaliger Lehrer des jetzigen bayerischen Wirtschaftsministers diesen als „rechte Socke“ unmöglich machen wollte! Und es war wohl kein Zufall, dass man dieses lang schon bevorratete Dynamit nun kurz vor der Landtagswahl zündete. Auch bewegten die hier – und weiterhin – tätigen Journalisten wohl noch andere Motive als der Wunsch, unserer politischen Hygiene zu dienen.

Es ist hässlich, was wir inzwischen über den jungen Aiwanger und seine Verirrungen erfahren haben. Ebenfalls ist unschön, wie der jetzt erwachsene Aiwanger mit den Explosionsfolgen umging. Eine wieviel bessere Figur machte da einst der jugendzeitliche Steinewerfer und Polizistenverprügler Joschka Fischer – oder Daniel Cohn-Bendit, der vormals mit pädophil deutbaren Aussagen auftrat! Freilich erleichterte diesen beiden eine zugeneigte Journalistenschaft das Reinemachen in Sachen eigener Vergangenheit. Ohnehin wiegt Gewalt „gegen die Richtigen“ – oder Pädophilie außerhalb kirchlicher Kreise – bei uns viel weniger schwer als Geschmacklosigkeit beim rhetorischen Umgang mit deutschen Verbrechen aus der Nazizeit. Doch gerade deshalb hätte ein Spitzenpolitiker achtsamer mit den Vorzeichen kommender Skandalisierung umgehen müssen. Auch hätte er, nach Losbrechen des Sturms, sofort Reue zeigen sollen – und wohlgemerkt echte Reue, keine taktisch geheuchelte. Die letztere lässt sich zwar nachreichen, nützt aber nur wenig – und zwar weder Hubert Aiwanger noch seinem Ministerpräsidenten, den man zur Entlassung seines Stellvertreters zwingen wollte.

Wird auf jenen Sack eingedroschen, den er aus guten Gründen trägt, dann ist dem Esel sehr wendiges Verhalten anzuraten. An Wendigkeit fehlt es dem CSU-Chef bekanntlich nicht. Er zeigte sie auch in diesem Fall. „Uneingeschränkte Solidarität“ ist sowieso eines Politikers Sache nicht, sobald Mithaftung für Fehler eines anderen droht. Wenigstens Zeit zu gewinnen, ist immer klug – zumindest dann, wenn man nicht selbst jener Mann ist, den die Meute jagt. Vielleicht kann man sich von diesem ja absetzen, womöglich selbst unter die Zuschauer mischen. Doch wie es Söder schaffte, sich vom strategisch getroffenen Wahlkämpfer erst in die Rolle eines Staatsanwalts zu begeben und aus ihr umschweiflos in die des Richters: Das war schon eine taktische, wenn auch keine menschliche Meisterleistung!

Aber Taktik und Strategie sind nun einmal nicht dasselbe. Am Ende der gewonnenen Zeit musste der Ministerpräsident eben doch entscheiden, wie er mit dem Chef der Freien Wähler verfahren wollte. Die aber ließen sich, womöglich wider Söders Erwarten, nicht von ihrem Volkstribunen trennen. Anscheinend wissen sie besser als heutige CSU-Granden, dass „Leben und leben Lassen“ in Bayerns bodenständigen Milieus weiterhin eine allgemein geteilte Lebensregel ist, gegen die zu verstoßen einem selbst schadet. Doch unbehelligt leben lassen wollte Söder seinen Wirtschaftsminister gerade nicht. Er wusste nämlich sehr wohl, was die selbsternannt Anständigen im Land von ihm verlangten – und wofür sie ihn im Fall fehlender Willfährigkeit wochenlang tadeln würde. Also schickte er Aiwanger einen ausführlichen Fragenkatalog zur Gewissenserforschung und öffentlichen Beichte. Die fiel ebenso informationskarg aus wie Aiwangers frühere Einlassungen. Gleichwohl gab es eine Absolution samt auferlegten Bußübungen. Dieses Doppelpack gefällt nun niemandem. Aiwanger grollt lautstark gegen jene, die ihm diesen Bußgang überhaupt beschert haben. Und Söder wird wegen seines Urteilsspruchs so gerügt, als habe er einen Eckstein der Brandmauer hin zum Rechtsextremismus entfernt. Für das Wahlergebnis der CSU wird das vermutlich Folgen haben – nämlich solche, welche die Freien Wähler begünstigen. Hat sich der Ministerpräsident mit der sonntäglichen Begnadigung aber wirklich vertan?

Hätte Söder seinen Stellvertreter aus der Staatsregierung geworfen, was nach Bayerns Verfassung gar nicht so leicht ist, dann wäre Aiwanger durchaus nicht in der Wüste gelandet, sondern wäre von seinen Anhängern aufgefangen, getragen und für die nächste Kabinettsliste erneut vorgeschlagen worden. Hätte sich Söder überhaupt von solchermaßen bockigen Freien Wählern getrennt, dann hätten noch mehr Bayern als bislang sich die Freiheit genommen, nicht für einen erneut vor linken Meinungsmachern einknickenden Unionspolitiker zu stimmen, sondern – „Nun erst recht!“ – für eine mit Aiwanger solidarische Truppe. Dann freilich wäre Söder an einer Neuberufung des zuvor Geschassten in der nächsten Wahlperiode nicht vorbeikommen. Geschenkt, dass dies selbst Söders Wendigkeit an gewisse Grenzen der Selbstachtung gebracht hätte. Doch wenn ein Münchner Ministerpräsident, nachdem er sich durch Bruch mit seinem Koalitionspartner zum Regierungschef einer Landtagsminderheit gemacht hat, den Bayern für die Zeit nach der Wahl eine Koalition mit Grünen oder Sozialdemokraten in Aussicht stellen müsste, dann zahlte er wirklich heftig aufs Konto der AfD ein. Und wohin die Union jegliche Affenliebe zu den Grünen bringt, lassen die jüngsten sächsische Umfragedaten erkennen.

Also zog Söder zwar Aiwangers Kopf aus der Schlinge, doch nicht den eigenen. Aiwanger darf halbrehabilitiert weitermachen, während die Vorwürfe an Söder weitergehen, er habe pflichtvergessen auf den pflichtgemäßen Abschuss eines Naziverharmlosers verzichtet. Gegen derlei Gift ist aber kein Kraut gewachsen, das in Deutschland hülfe. Ziemlich gut saß also jener Schlag gegen den Esel, der zunächst nur den unmittelbar getroffenen Sack zu schädigen schien. 

Aiwanger, anscheinend eine Art Nazi-Aussteiger, dem trotz Umkehr nicht vergeben wird, mag zwar menschlich mehr zu bedauern sein als Söder. Doch dessen politische Verantwortung wiegt ungleich schwerer, nämlich angesichts der unvermeidlichen Nebenschäden eines jeden ihm möglichen Ausbruchs aus jenem fremdverursachten Dilemma. Und weil Söder der CSU-Politiker sein könnte, unter dessen Führung die seit 1954 innegehabte bayernweite Dominanz der Christsozialen verloren ging, mag man vielleicht auch ihn schon in wenigen Wochen bedauern. Wenn aber einem Schmutzler auch einmal selbst Schmutzeleien widerfahren, dann mg das vielleicht gar als Akt ausgleichender Gerechtigkeit gelten.

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