Die Union, die AfD – und meine Grundsätze
I. Soll es eine Partei rechts von der Union geben?
Meine Haltung zum Aufkommen von Parteien rechts der Union ist seit jeher die gleiche. Ich habe sie vertreten, als 1989 die Republikaner, durch die damals stark anschwellende Zuwanderung nach Deutschland im Aufwind, bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus auf 7,5 Prozent, 1990 bei der Landtagswahl in Bayern auf 4,9 Prozent und bei der damaligen Bundestagswahl auf 2,1 Prozent der Stimmen kamen. Ich habe diese Haltung vertreten, als 1998 die DVU bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt auf 12,9 Prozent der Stimmen kam und 2004 in Brandenburg auf 6,1 Prozent. Ich habe diese Haltung vertreten, als 2004 die NPD bei Landtagswahlen in Sachsen auf 9,2 Prozent kam und 2006 in Mecklenburg-Vorpommern auf 7,3 Prozent. Ich habe diese Haltung vertreten, als 2014 die AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg auf 12,2 Prozent der Stimmen kam, in Thüringen auf 10,6 Prozent, in Sachsen auf 9,7 Prozent. Und natürlich vertrete ich diese Position ebenfalls heute, also zu einer Zeit, da die AfD mit 12,6 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl von 2017 zur drittstärksten Bundestagsfraktion geworden ist und sich, dank eines winzigen Vorsprungs in Sachsen vor der bislang regierenden CDU, dem Größenwahn ergab, sie werde fortan die CDU als Sachsens stärkste Partei ablösen.
Meine seit Jahrzehnten gleiche Haltung sieht so aus:
- Ich erachte es für nicht wünschenswert, dass rechts von den Unionsparteien eine Partei größeren Ausmaßes als dem einer Splitterpartei entsteht oder gar bestehen bleibt.
- Ich wünsche das aus zwei Gründen unterbunden. Erstens scheinen mir klar rechte Positionen nur dann gegen eine „Radikalisierung nach rechts“ abgeschirmt werden zu können, wenn sie eingebettet sind in die bis zur politischen Mitte reichende Programmatik und Politik der Unionsparteien. Rechtsradikalismus kleinzuhalten, ist nun aber auch ein wichtiges Anliegen der Linken, und darin bin ich mit Linken immer schon einig. Zweitens halte ich eine Aufsplitterung des politischen Lagers rechts der Mitte in mehrere Parteien für wenig wünschenswert. In diesem Fall kämen nämlich auf die Unionsparteien dieselben Schwierigkeiten zu, an welchen die SPD seit dem Aufkommen der Grünen und der Linken leidet: Sie hat die Vorherrschaft in ihrer politischen Spielfeldhälfte verloren. Ich möchte nicht, dass dies auch der Union widerfährt. Gewiss ist es in Ordnung, wenn politische Gegner der Union das recht anders sehen und der Union die jetzigen SPD-Probleme vielleicht sogar wünschen. Doch es verträgt sich die Erfüllung dieses Wunsches nicht wirklich mit dem Anliegen, Rechtspopulismus – und anschließend neuen rechten Radikalismus – eben nicht großwerden zu lassen. Vor diesem Hintergrund halte ich meine Haltung für stimmig, die der Linken für widersprüchlich.
- Weil Deutschlands Wahldemokratie funktioniert, wird sich Enttäuschung oder Empörung der Bevölkerung über die Politik der etablierten Parteien im Aufkommen und Großwerden von Protestparteien niederschlagen. Je nach der Art zunächst der Politikfehler und sodann breiter Politikerkritik werden das – wohl zu einfach ausgedrückt – Protestparteien aus dem linken, dem mittleren oder dem rechten Bereich der politischen Einstellungsverteilung sein. Um unter solchen Umständen zu verhindern, dass rechts (!) der Union eine nach politischem Gewicht und absehbarer Dauerhaftigkeit ernstzunehmende (!) Partei aufkommt, verlange ich seit dem Auftreten der Republikaner vor dreißig Jahren von CDU und CSU, dass die zwei Unionsparteien keinerlei (!) politisch wichtigen (!) Positionen und Symbole irgendeiner Partei rechts (!) von sich zu deren exklusiver (!) Selbstbedienung freigeben. Gerne darf das auch arbeitsteilig erreicht werden, etwa das die CSU immer wieder rechtere Positionen vertritt als die CSU, was dann außerhalb Bayerns dazu führt, dass auch solche Wähler für die CDU stimmen, denen diese Partei eigentlich „zu mittig“ oder gar „zu links“ wäre. Analytisch formuliert lautet diese politische (!) Position so: Die Union darf niemals eine Repräsentationslücke rechts von sich aufkommen lassen; und ist das durch fehlerhafte Politik oder Kommunikation dennoch einmal geschehen, dann muss die Union diese Repräsentationslücke durch eine Korrektur ihres eigenen Politikangebots schließen, darf in dieser Lücke aber niemals (!) eine neue (!) Partei großwerden lassen.
Praktisch heißt das für eine Politik, die Rechtspopulismus oder gar Rechtsradikalismus nicht großwerden lassen will: Man darf kein einziges Problem, das einer größeren (!) Gruppe von Bürgern auf den Nägeln brennt und dabei vor allem (!) politisch Rechtsstehende (!) interessiert, einer Partei rechts von CDU/CSU zur alleinigen (!) Thematisierung überlassen; und falls ein solches Problem keine (!) reine Einbildung, sondern ein reales (!) Problem ist, so müssen die unseren Staat tragenden Parteien wirkungsvoll und öffentlich nachvollziehbar auf die Lösung (!) dieses Problems ausgehen – idealerweise alle Parteien miteinander, nötigenfalls auch eine der Parteien allein. Zugespitzt: Nicht eine De-Thematisierung oder „Wegerklärung“ von Problemen ist die richtige Antwort auf deren Thematisierung durch Rechte, sondern allein deren vernünftige (!) Erörterung samt Zurückweisung (!) unvernünftiger oder bösartiger Darstellungsweisen – und, vor allem, das öffentlich (!) sichtbare Ringen um deren plausible und nachhaltige Lösung.
Diese von mir seit Jahren vielfach vorgetragenen Politikempfehlungen wurden – vor allem seitens der Linken – immer wieder zurückgewiesen. Vielfach wurde genau entgegen diesen Ratschlägen gehandelt. Die Folgen dessen sind inzwischen leicht zu erkennen und tatsachengestützt zu bewerten. Mittlerweile finden viele meine Position dadurch plausibilisiert, dass überall in Europa – und gegenüber der AfD inzwischen auch in Deutschland – die so intensiv beworbenen alternativen Strategien versagt haben. Zu diesen gehörte der Versuch eines Beschweigens von sozial- und rechtsstaatlichen Anschlussproblemen des seit langer Zeit viele Europäer skeptisch stimmenden Migrationsgeschehens; das wahlweise Verächtlichmachen oder Dämonisieren von rechtspopulistischen Parteien; der Versuch, den Aufstieg des Rechtspopulismus nicht durch problemlösende Politik, sondern mittels abstrafender Durchsetzung von Geboten und Verboten kommunikativer Korrektheit zu bremsen. Das alles – obwohl in Deutschland mit besonders großem Engagement vollzogen – war hierzulande ebenso erfolglos wie in den anderen Staaten Europas. Letzteres gilt gerade auch für das so lange und so selbstverständlich sozialdemokratische Skandinavien. Dort sind die Rechtspopulisten inzwischen zum selbstverständlichen Teil des politischen Spiels geworden. Das aber wollte ich – und will ich weiterhin – für Deutschland gerade nicht haben.
II. Gegenargumente zu meiner Position – und was ich von ihnen halte
Doch leider ist es anders gekommen. Während über zwei Jahrzehnten habe ich immer wieder erlebt, dass sehr viele Leute diese von mir vertretene Haltung samt den aus ihr abzuleitenden politischen Strategien teils argumentativ nicht nachvollziehen wollten, teils politisch-gefühlsmäßig ablehnten. Beides ist in Ordnung, doch nicht notwendigerweise auch vernünftig. Die typischen Gegen- und Folgeargumente lauteten so:
- Was Rechte als ein Problem ansehen, ist in der Regel gar kein Problem, sondern nur eine faschistoide oder rassistische Phobie.
- Sogar wenn Rechte ein reales Problem ansprächen, sollte man dieses Problem nicht auch noch selbst thematisieren, weil das nur Wasser auf die Mühlen der Rechten leite.
- Falls es ausnahmsweise zwingende Gründe dafür gibt, ein von den Rechten aufgebrachtes Thema selbst anzusprechen, muss jegliche Wort- oder Begriffsnähe zu Artikulationsweisen von Rechten vermieden werden, weil man andernfalls rechte Gedanken „salonfähig“ macht und die „Grenzen des Sagbaren“ zu den Rechten hin verschiebt.
- Und selbst wenn man, warum auch immer, in nicht-rechter Sprache solche Probleme aufgreifen will, welche den Rechten am Herzen liegen, wäre das doch besser zu unterlassen, weil anschließend den meisten Leute gewiss „das Original“ lieber wäre als „die Kopie“.
Ich halte diese Argumente für allesamt falsch, und zwar aus den folgenden Gründen:
- Erstens kann auch ein blindes Huhn ein Korn finden. Also ist es klüger, immer erst einmal zu überprüfen, ob eine konkrete Problemwahrnehmung seitens von Rechten wirklich nur faschistoid bzw. rassistisch ist – oder ob sie nicht doch einen realen Kern hat.
- Zweitens verschwindet ein reales Problem nicht deshalb aus der Welt, weil man es nicht anspricht. In der Regel schwärt es weiter. Also ist es klüger, ein solches Problem selbst und auf vernünftige Weise zu erörtern, als dessen Thematisierung unvernünftigen Leuten oder Demagogen und gar Radikalen zu überlassen.
- Drittens macht es einen nicht stärker, wenn man einprägsame Sprechweisen und Begriffe dem politischen Gegner überlässt oder auf populär gewordene Begriffe und Formeln gerade dann verzichtet, wenn sie von Konkurrenten verwendet werden. Klüger wäre es, selbst zu erkunden und zu bestimmen, was wohl eine anschauliche und wirkungsträchtige, zugleich aber auch vernünftige und nicht-demagogische Sprache für den politischen Meinungsstreit um brisante Probleme wäre. Jedenfalls bringt es dem angestrebten politischen Sieg nicht näher, wenn man sich ausgerechnet vom Gegner (!) Grenzen des von einem selbst (!) Sagbaren ziehen lässt. Obendrein lohnt die Einsicht, dass in einer Massen- und Mediendemokratie viele wahlentscheidende politische Auseinandersetzungen nicht in den Salons der Bourgeoisie stattfinden, sondern auch auf der Straße sowie in „elektronischen Kneipen“ wie Facebook.
- Viertens führt es in die Irre, ausgerechnet in neu entstandenen, kaum ein paar Jahre alten Protestparteien ein „Original“ erkennen zu wollen. Oft genug handelt es sich gerade bei ihnen um – meist eher grobe und verzerrte – Kopien jener Originalparteien, die inzwischen eben nicht mehr so sind, wie sie ehedem waren und geschätzt wurden. Beispielsweise vermochte Union früher viele an sich zu binden, die sie mittlerweile an die AfD verloren hat – und zwar an die AfD als einer Partei, die bei vielerlei Positionen genau jene CDU kopiert, die es als Original nicht mehr gibt.
III. Warum selbst richtige Rezepte eines Tages nicht mehr wirken
Niemand steigt zweimal in denselben Fluss: Der Fluss ist ein anderer geworden – und man selbst ist das auch. Wen also die Unionsparteien gestern enttäuscht haben, etwa mit unplausibler Politik oder mit arroganten Reaktionen auf Kritik daran, den werden CDU und CSU vielleicht auch dann nicht mehr zurückgewinnen, wenn sie morgen von falscher Politik oder von verletzenden Reaktionsmustern abgelassen haben sollten. Es gibt sozusagen ein Zeitfenster, in dem man neu aufgekommene Protestparteien noch kleinkämpfen kann. Hat sich dieses Gelegenheitsfenster aber ungenutzt geschlossen, dann sind die politischen Umstände eben bis auf Weiteres verändert, ja vielleicht unumkehrbar geworden. Es gibt leider Gründe zur Sorge, dass es – zum Nachteil jedenfalls der Union, vielleicht aber auch Deutschlands – inzwischen mit der AfD so weit gekommen ist.
Klüger wäre es vermutlich gewesen, der AfD als politischem Gegner rechtzeitig ihre Spielräume zu verstellen, und zwar in der oben beschriebenen Weise: durch Schließung jener Repräsentationslücke bei – vor allem – der Migrationspolitik, in der die AfD sich wuchtig entfalten konnte. Viel mehr Leute als nur ich haben das lange schon gefordert. Doch leider wird die angeratene Politik erstmals jetzt versucht, nämlich im Vorfeld der kommenden bayerischen Landtagswahl, welche für die CSU eine Schicksalswahl und für die politische Richtung Deutschlands weichenstellend sein wird. Mitte Oktober wird das Wahlergebnis zeigen, ob diese Politik wirklich zur Rückgewinnung solchen politischen Geländes führte, das in den letzten Jahren an die AfD verloren wurde. Eine Garantie dafür gibt es nicht, sondern nur eine plausible Wahrscheinlichkeit. Politik ist nun aber ein Prozess von Versuch und Irrtum. Dann freilich gilt: Angesichts der bisherigen Irrtümer im Kampf gegen den Rechtspopulismus lohnt wohl ein neu ansetzender Versuch.
Vielleicht zeigt das bayerische Wahlergebnis aber auch, dass es nun – wie in Skandinavien – auch in Deutschland leider zu spät dafür geworden ist, rechts von der Union keine nennenswerte Partei aufkommen und bestehen zu lassen. Was wirklich der Fall ist, nämlich später Erfolg oder weiterer Misserfolg in der Konkurrenz der etablierten Parteien mit der AfD samt den jeweils wahrscheinlichen Ursachen, wird sich jedenfalls erst nach der Bayerischen Landtagswahl tatsachengestützt klären lassen. Schauen wir dem ablaufenden politischen Spiel also aufmerksam zu und analysieren wir dann sorgfältig das Ergebnis samt den zu ihm führenden Verursachungsketten.
IV. Was tun, wenn das eigentliche Ziel nicht länger erreichbar ist?
Parteien, die politische Gegner sind, wird man natürlich bekämpfen – und erst recht dann, wenn sie ganz wider die eigenen Interessen aufgekommen sind oder man ihre Ziele für falsch hält. „Kampf“ meint dabei eine argumentative Auseinandersetzung – gern garniert mit symbolischen Handlungen, doch stets frei von aller Gewalttätigkeit. Solches Ringen mit politischen Konkurrenten ist der Sinn insbesondere von demokratischen Wahlkämpfen. Das sich dabei – um des Erfolgs willen – aufzwingende Lernen aus den „funktionierenden Argumenten“ von Gegnern ist außerdem der große Mehrwert pluralistischen Parteienstreits.
Wer sich – von Rechten heutzutage oft „Systemling“ genannt – jener freiheitlichen demokratischen Grundordnung verpflichtet fühlt, ja sie verteidigen will, innerhalb welcher das oben Genannte selbstverständlich ist, der darf keinesfalls selbst die Grundsätze und Spielregeln unserer Konkurrenzdemokratie relativieren, verraten oder gar gefährden. Zu denen aber gehört, dass gerade dem politisch Andersdenkenden seine Freiheit nicht beschnitten werden darf – und zwar auch dann nicht, wenn man ihn als lästig oder verachtenswert empfindet. Politische Freiheit schließt nämlich auch das Recht auf politische Dummheit ein – hier verstanden als das, was der politische Gegner für politische Dummheit hält.
Auch ist jemand nicht allein schon deshalb ein Verfassungsfeind, weil der Mehrheit missfällt, was er will und wie er sich äußert. Vielmehr ist ein nun wirklich auszugrenzender Extremist nur jener, der die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpft. Deren zu befolgende Grundsätze reichen von der Achtung der Menschenrechte über das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip bis hin zur Befürwortung des Mehrparteienprinzips und des Rechts auf praktizierte Opposition. Radikalität hingegen, also die Zuspitzung einer Position bis hin zum Unsinn, ist hingegen nicht verfassungswidrig, sondern allenfalls töricht oder lästig, schädlich oder gefährlich. Deshalb gilt: Die Meinung eines Radikalen darf man so scharf bekämpfen, wie man nur will, solange man dabei nicht den Grundsatz der Gewaltlosigkeit verletzt; doch zugleich hat man auch dem Radikalen das Recht zu sichern, seine Meinung zu vertreten. Derlei Pflicht zur Hinnahme des als unsinnig und gefährlich Empfundenen mag die eigene Gutwilligkeit sehr wohl an ihre Grenzen treiben. Doch Demokratie ist nun einmal anstrengend und weder gefühlsmäßig noch intellektuell anspruchslos. Also dürfen es sich gerade ihre Verteidiger nicht leicht machen.
V. Machtfragen und politisch kluges Koalieren
Leider kann es soweit kommen, dass der – aus subjektiv oder gar objektiv guten Gründen – bekämpfte politische Gegner von den Wählern eben doch zum parlamentarischen Mitspieler gemacht und dadurch mit echter politischer Macht ausgestattet wird. So hielt es einst das Wahlvolk in Hessen mit jenen Grünen, denen der dortige Ministerpräsident Börner zunächst „mit Dachlatten“ zu Leibe rücken wollte – um anschließend Joschka Fischer eben doch als ersten deutschen Minister der Grünen zu vereidigen. Und jetzt bedroht die AfD die einst hegemoniale Stellung der Union rechts der politischen Mitte ebenso, wie das einst die Grünen – und später auch noch die Linke – mit der zuvor hegemonialen Stellung der SPD links der politischen Mitte unternahmen.
Was ist in dieser Lage der Union zu raten? Beispielsweise wird in Sachsen bei der Landtagswahl von 2019 – ausweislich demoskopischer Trends – die AfD wohl zur zweitstärksten politischen Partei werden. Gemeinsam mit der CDU wird dann weit mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf zwei klar nicht-linke Parteien entfallen. Genau zu dieser wahrscheinlichen Möglichkeit habe ich mich am 13. Juni 2018 in einem Gespräch mit Michael Deutschmann von der reichweitenstarken BILD-Zeitung geäußert. Der Artikel – im Original erreichbar unter https://www.bild.de/regional/dresden/landtagswahlen-sachsen/wie-will-kretschmer-kuenftig-regieren-55992460.bild.html – las sich dann so:
Paukenschlag rund ein Jahr vor der Landtagswahl in Sachsen
Laut BILD-Wahlcheck des Meinungsforschungsinstituts INSA hat Schwarz-Rot in Sachsen keine Mehrheit mehr. CDU (32 Prozent) und SPD (9 Prozent) kommen zusammen nur noch auf 41 Prozent. Stattdessen werden die Ränder immer stärker: Zweitstärkste Kraft wird die AfD mit 24 Prozent (2014: 9,7). Auch die Linken sind mit 19 Prozent stark. FDP und Grüne kommen auf je 6 Prozent, wären im Parlament vertreten.
Doch mit diesem Ergebnis funktioniert keines der bisher gängigen Regierungsbündnisse mehr. Politikwissenschaftler Prof. Werner Patzelt (65) von der TU Dresden: „Es gibt offenbar eine rechte Bevölkerungsmehrheit. Und solange die keine rechte Regierung bekommt, steigt der Drang weiter, die AfD zu wählen.“ Der Experte rät Ministerpräsident Michael Kretschmer (43) und dessen CDU, eine Koalition mit der AfD zu prüfen, „um sich nicht von den Parteien links von der CDU erpressbar zu machen“, so Patzelt. „Allerdings muss sich die AfD von einer systemablehnenden Protestpartei zu einer mitregierungswilligen Gestaltungspartei entwickeln.“ Ein Parteienbündnis gegen die AfD sieht der Experte kritisch. „Man bekommt keine Stabilität, wenn man gegen die AfD koaliert“, so Patzelt.
Der „Nordkurier“ machte daraus am 14. Juni 2018 die Schlagzeile „Erster Politikprofessor für CDU-Koalition mit der AfD“ (https://www.nordkurier.de/politik-und-wirtschaft/erster-politikprofessor-fuer-cdu-koalition-mit-der-afd-1432307506.html). Das klang dann wie „Patient verlangt aus Jux und Dollerei nach einer Chemotherapie“. Letztere wird sich allerdings niemand ohne die Notwendigkeit wünschen, vom Krebs als dem eigentlichen Übel befreit zu werden. Entsprechend geht es bei Koalitionsfragen erst in zweiter Linie um das jeweils inhaltlich Wünschbare, sondern vor allem um das aufgrund von ansonsten drohender Gestaltungsohnmacht besser zu Vermeidende. Insofern traf die vom „Nordkurier“ gewählte Überschrift durchaus nicht das, was ich inhaltlich am liebsten hätte: die unangefochtene Hegemonie der Union zwischen politischer Mitte und rechtem Rand. Korrekter gab dann der Text des Artikels meine tatsächliche Position wieder:
Prof. Werner Patzelt ist aus vielen Talkshows bekannt. Als einer der ersten politischen Analytiker des Landes wandte er sich entschieden dagegen, AfD-Wähler und Pegida-Demonstranten als unbelehrbare Rechte abzuurteilen […]. Er erntete damit Entrüstungsstürme; ein Teil seiner Thesen ist inzwischen allerdings im Mainstream angekommen. […] Als erster seiner Zunft fordert er [jetzt], dass die CDU von ihrem Koalitions-Tabu mit der AfD abrückt.
Hintergrund sind die desaströsen Umfragewerte der CDU in Sachsen; dort kommt sie derzeit nur noch auf 32 Prozent der Stimmen. Die AfD würde aktuell bei 24 Prozent landen und damit zweitstärkste Kraft werden. FDP und Grüne kämen laut dieser Insa-Umfrage auf je sechs Prozent, die Linke auf 19, die SPD auf unfassbar niedrige neun Prozent. Ein gängiges Regierungsbündnis wäre damit unmöglich.
Professor Patzelt rät der sächsischen CDU deshalb in der Bild-Zeitung, eine Koalition mit der AfD zu prüfen, um sich nicht „von den Parteien links des CDU erpressbar zu machen”. Und weiter: „Es gibt offenbar eine rechte Bevölkerungsmehrheit. Und solange die keine rechte Regierung bekommt, steigt der Drang weiter, die AfD zu wählen.” Allerdings, so Patzelt, müsste sich die AfD von einer systemablehnenden Protestpartei zu einer mitregierungswilligen Gestaltungspartei entwickeln.
Tatsächlich vertrete ich in dieser, mir – ähnlich einer Krebserkrankung – zutiefst unwillkommenen Lage genau die folgende Position:
- Wenn es in der Bevölkerung – so wie bundesweit 1998 – eine linke Mehrheit gibt und diese auch ausdrücklich eine linke Parlamentsmehrheit wählt, dann ist es in einem demokratisch-parlamentarischen Regierungssystem nicht unvernünftig, auf genau diese linke Mehrheit gestützt eine linke Regierung zu bilden. Das verhält sich spiegelbildlich ebenso, wenn es – wie womöglich 2019 in Sachsen – eine rechte Mehrheit in Bevölkerung und Parlament gibt. Immerhin meint Demokratie die rechtsstaatlich begrenzte und mit Minderheitenschutz ausgestattete Herrschaft der – durchaus nicht homogenen – Mehrheit über die – meist ebenfalls sehr vielgestaltige – Minderheit. Niemals aber meint Demokratie die Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit. Spätestens am jeweils nächsten Wahltag wird dann ohnehin abgestraft, was von den politischen Eliten wider weit verbreitete Wünsche unternommen wurde. Am Ende steht dann immer wieder ein Machtwechsel: die bisherige Opposition, oder ein Teil von ihr, wird zur neuen Regierungsmehrheit – oder immerhin zu deren Teil.
- Sehr wohl gibt es gute Gründe, die derzeitige Fähigkeit der AfD zur Regierungsübernahme zu bezweifeln, oder mit Widerwillen daran zu denken, mit welchen Leuten die CDU bei einem derzeitigen Bündnis mit der AfD im gleichen Boot säße. Doch es gibt ebenfalls gute Gründe zur Vermutung, dass eine Koalition der CDU mit solchen Parteien, die zwar ebenfalls AfD-gegnerisch, doch traditionell eben auch ganz CDU-gegnerisch sind, als ein reines „Ausgrenzungsbündnis“ die AfD nur weiter stärken würde. Tatsächlich wird diese Vermutung derzeit in Sachsen-Anhalt getestet. Dort aber ist unverkennbar, dass durch ein reines AfD-Abwehr-Bündnis jene Repräsentationslücke, in der die AfD einst aufkam, dieser Partei ganz einfach als dauerhaft von ihr zu besiedelnder politischer Lebensraum zugestanden wird. Also macht ein reines Anti-Bündnis aus einer einstmaligen Protestpartei mit großer Wahrscheinlichkeit eine dauerhafte bestandsfähige Partei mit festen Wurzeln in solchen Milieus, welche die ausgrenzenden Parteien schlicht aufgegeben haben. Anders formuliert: Es kapitulieren die staatstragenden Parteien schlicht vor der Schwierigkeit, ihre Integrationsaufgabe weiterhin zu erfüllen – und zwar mit üblen Folgen. Denn alle Hoffnungen waren bislang vergeblich, jenseits einer von den etablierten Parteien zu ziehenden „klaren Kante“ ginge die AfD mangels „offiziellen Zuspruchs“ gleichsam ein. Ganz im Gegenteil motivierten Ausgrenzungsversuche solcher Art nur immer mehr Wähler dazu, durch Wahl der AfD den „Systemparteien“ immer weitere Denkzettel zu verpassen. Es ist nun aber nicht abzusehen, dass sich an diesen Wirkungszusammenhängen künftig etwas ändern würde. Also dürfte „gut gemeint“ auch bei künftigen Auseinandersetzungen mit der AfD nicht dasselbe wie „gut getan“ sein.
- Ganz gleich, ob Sozialdemokraten und Linke, ob Grüne oder die Merkelianer in der CDU parteitaktisch soweit denken oder nicht: Falls der CDU als Alternative zur tabuisierten Koalition mit der AfD nur eine Koalition mit Grünen, Sozialdemokraten und Linken bliebe, so eröffnete das diesen Parteien sehr bequeme Möglichkeiten, die CDU politisch wirkungsvoll zu erpressen. Gewiss würden solche Möglichkeiten auch genutzt. Und schlimmer noch für die CDU: Derlei „alternativlose Koalitionspartner“ dürften die CDU zur Einnahme auch solcher Positionen zwingen, die noch mehr Wähler weg von der Union und hin zur AfD trieben. Am Ende hätte sich die CDU einen Großteil ihrer bisherigen Wählerschaft dauerhaft entfremdet. Als starker politischer Gegner aller Parteien links der Mitte wäre sie dann erledigt. Die politischen Gegner der CDU dürfen dieses Ziel natürlich anstreben. Doch für die CDU gibt es keinen guten Grund, sich sehenden Auges auf genau diesen Weg zum endgültigen Niedergang zu machen.
- Gewiss wäre es besser gewesen, wenn man die AfD niemals in die Machtlage eines möglichen Koalitionspartners hätte aufsteigen lassen. Doch die dafür nötige Politik wollten Linke, Sozialdemokraten, Grüne und CDU in den letzten Jahren schlicht nicht machen. Stattdessen setzten sie – wider viele Warnungen – immer wieder auf solche politischen Rezepte, deren Anwendung der AfD viel mehr nutzte als schadete. Also muss man sich womöglich damit abfinden, dass es die AfD auf Dauer geben wird – ebenso wie seit den 1980er Jahren die Grünen, seit den 1990er Jahren die PDS/Linke. Damals erwies es sich als politisch weise, nicht länger bockig auf „grüne Utopisten“ zu schimpfen oder sich trotzig über „Rote Socken“ zu erregen, sondern auf die großen Belehrungs- und Integrationskräfte unseres parlamentarischen Regierungssystems zu vertrauen. Diese Kräfte machten die Grünen alsbald von einer Anti-Parteien-Partei zu einer inzwischen gerne staatstragenden Reformpartei – und die Linken von einer Anti-System-Partei zu einer immerhin auf Landesebene verlässlich regierungsfähigen Partei. Wenn also die AfD nicht mehr vom politischen Spielfeld zu vertreiben ist, weil sie allzu viele Wähler inzwischen als Korrektiv oder „Stachel im Fleisch der Etablierten“ schätzen, dann es ist es wohl klüger, sie ins System zu integrieren, statt sie zu einer dauerhaft systemablehnenden und radikal-demagogischen Partei verkommen zu lassen. Ob ein solcher Integrations- und Kultivierungsversuch gelingt, lässt sich im Vorhinein zwar nicht mit Gewissheit sagen. Doch auf einen solchen Versuch risikoscheu zu verzichten, dürfte unterm Strich mehr Schaden als Nutzen bescheren.
An dieser vierteiligen Position ist nichts Rätselhaftes oder einer solchen streitigen Diskussion Unzugängliches, die sich an Vernunftgründen orientiert. Also spricht vieles dafür, eine solche Debatte auch wirklich zu führen, und zwar gerade in der CDU. Die ist nämlich am Aufstieg der AfD unmittelbar schuld und obendrein dessen Hauptleidtragende. Doch auch aus der Warte der übrigen politischen Gegner der AfD wäre es wohl nicht unvernünftig, jenseits der bislang so erfolglosen Versuche, den deutschen Rechtspopulismus wieder kleinzubekommen, über andere Möglichkeit seiner Domestizierung nachzudenken.
Doch analytischer Unernst, Fehlurteile und Scheuklappen stehen dem leider weiterhin im Weg. Ein Beispiel dafür ist der nachstehende Artikel vom 18. Juni 2018 aus dem „Neuen Deutschland“ (https://www.neues-deutschland.de/artikel/1091491.wegbereiter.html). Der Einfachheit halber füge ich meine Kommentare in eckigen Klammern unmittelbar in ihn ein:
Der Rechtsruck zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass Positionen öffentlicher Persönlichkeiten im schnellen Tempo kippen. [Meine eigene Position ist aber, wie oben gezeigt, seit drei Jahrzehnten ganz die gleiche.] Noch im März hatte der Dresdner Politikprofessor und als »Pegida-Versteher« bekannte Werner Patzelt erklärt, die AfD sei dem »Größenwahn verfallen«, wenn sie glaube, in Sachsen bald mitregieren zu können. [Nein; Größenwahn nannte die die Hoffnung der AfD, in Sachsen den Ministerpräsidenten stellen zu können, nicht aber die Erwartung, sich als starke Partei zu verstetigen.] Die dafür notwendige »Staatstreue« sei nicht gegeben. »Ihre neue Führung besteht aus Leuten, die zu einem vernünftigen politischen Diskurs unfähig zu sein scheinen«, sagte er gegenüber Medien. [Beides sehe ich bis heute so, würde allerdings – wie damals freilich auch – durchaus differenzierter formulieren, wenn es nicht, wie in Zeitungstexten üblich, auf größtmögliche Knappheit der Aussagen ankäme.]
Drei Monate später hat sich die Führung der AfD nicht groß verändert, dafür sinken die Umfrage-Werte der CDU in Sachsen. Für Patzelt eine völlig neue Lage. [Nein; vielmehr habe gerade ich seit vielen Jahren der CDU eine Art „Implosion“ vorhergesagt, falls sie weiterhin an den Sichtweisen und Wünschen ihrer ehedem besonders vertrauenswilligen Anhänger vorbeiregiert.] Als einer der ersten anerkannten Professoren wirbt er nun dafür, dass die CDU eine Koalition mit der AfD für die Zeit nach der Landtagswahl 2019 prüfe, »um sich nicht von den Parteien links von der CDU erpressbar zu machen«. Die AfD müsse sich jedoch noch von einer »systemablehnenden Protestpartei zu einer mitregierungswilligen Gestaltungspartei« entwickeln. [Das sind tatsächlich meine sorgfältig gewählten Formulierungen. Deren Langfassung habe ich oben in vier Einzelpunkten ausbuchstabiert, und mit alledem könnte man sich mit analytischer Vernunft auseinandersetzen. Das aber will der Autor des „Neuen Deutschland“ gerade nicht tun, wie sein Folgesatz zeigt.] Soll also nur noch auf jeden zweiten Flüchtling an der Grenze geschossen werden? Die »erinnerungspolitische Wende« nur um 90 Grad erfolgen? Leider führt Patzelt dies nicht genauer aus. [Tatsächlich spreche ich von alledem deshalb nicht, weil derlei Unfug nicht das Allermindeste mit meiner tatsächlichen und völlig transparenten Position zu tun hat. Mir solchen Unsinn zu unterschieben, ist angesichts meiner Ausführungen in diesem Text oder allgemein auf meinem Blog wjpatzelt.de auch ganz abwegig, ja böswillig.]
Es ist nicht das erste Mal, dass der 65-jährige, in Passau geborene Politikwissenschaftler der TU Dresden mit einem großen Verständnis für rechte Kräfte auffällt. [Wenn damit gemeint sein sollte, dass ich verstünde, welche Dynamik sich am rechten Rand aus welchen Gründen entfaltet, stimmte dieser Satz. Wenn damit hingegen gemeint ist, dass es mir eine Freude wäre, rechts von der Union eine neue Partei großwerden zu sehen, ist das ein völliges, ganz unnötiges und anscheinend dummdreistes Missverstehen meiner tatsächlichen Position.] Bekannt wurde das CDU-Mitglied Patzelt vor allem durch Studien zu Pegida-Demonstranten, denen er attestierte, zum Großteil »besorgte Gutwillige« zu sein. [Ich habe nichts arztgleich „attestiert“, sondern einfach aufgeschrieben, was sich empirisch feststellen ließ. In einem dicken Buch samt ausführlichem Methodenbericht lässt sich das alles nachlesen und nachprüfen.] Für seine Sicht konnte Patzelt – Vertreter der Extremismustheorie [Welcher von den mehreren? Gewiss nicht der „Hufeisentheorie“, sehr wohl aber jener, die das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat!], in seiner Freizeit Chorleiter und Solist – in zahlreichen Medien werben. Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter warfen ihm vor, als politischer Akteur statt als Wissenschaftler zu agieren. [Das war freilich ein unbegründeter und gefühls- als vernunftgeleiteter Vorwurf, den das „Neue Deutschland“ aber absichtsvoll wie eine zutreffende Tatsachenbehauptung referiert.] Patzelt sprach unter anderem auf Veranstaltungen der AfD, bei Burschenschaften und schrieb Texte für die Zeitung »Junge Freiheit« [Ja. Doch schon vor knapp zweitausend durfte sich ein viel besserer Mensch als ich, Jesus mit Namen, seitens seiner besonders werthaltigen Zeitgenossen anhören, er treibe sich allzu gerne mit ambivalenten Frauen, vermutlich korrupten Zöllnern und sonstigen Sündern herum. Er pflegte dann zu antworten: „Die Kranken brauchen den Arzt – nicht die Gesunden!“ Im Übrigen schreibe ich auch gerne wieder einmal für das „Neue Deutschland“; man müsste mich dazu nur einladen – und ich verlangte vielleicht nicht einmal Honorar …]. Zugehört hatten ihm dabei früher auch andere. Nach eigener Aussage war Patzelt in den 1990er Jahren des Öfteren bei der PDS zu Gast [… und dass lässt der ND-Autor nun offenbar ganz gerne so klingen, als wäre das nicht als eine bloße Behauptung und nicht schlicht die Wahrheit. Möge er sich bei früheren einstigen sächsischen PDS-Größen wie Christine Ostrowski und Ronald Weckesser nach Details erkundigen!]
VI. Unterhalb der ganze Debatte: die Umformung europäischer Parteiensysteme durch einen neuen gesellschaftlichen Großkonflikt
Wer nicht hören will, der wird fühlen. Etwa wollten lange Zeit sehr viele nicht hören, dass ein neuer gesellschaftlicher Großkonflikt (politikwissenschaftlich: ein „Cleavage“) dabei ist, unsere europäischen Parteiensysteme dauerhaft umzuschichten. Das ist der zwischen denen, die möglichst unbeschränkte Zuwanderung, innergesellschaftlichen Kulturwandel sowie eine Welt ohne Nationen wollen – und jenen, die das alles ablehnen und weitere derartige Entwicklungen zu stoppen versuchen.
Als mit Dresdens Pegida dieser lange schon schwelende Konflikt auch in Deutschland sichtbar wurde, da beruhigten sich viele mit der Hoffnung, es erregten sich ja bloß ein paar Tausend sächsische Rechtsextreme und Rassisten über rein eingebildete Probleme. Als dann die AfD zur Pegida-Partei geworden war und unter allen deutschen Parteien die klarste Position gegen Zuwanderung, Kulturwandel sowie die Preisgabe des Nationalstaates bezog, ja als die AfD sich genau damit für sehr viele Wähler attraktiv gemacht hatte, und zwar auch für Wähler einst der Linken und der SPD, da fügte man der NoPegida-Kritik einfach den Vorwurf an: Jetzt geht eine ganz substanzlose Populistenpartei auf Dummenfang! Also könne man sie durch Kritik, Ausgrenzung und Nicht-Thematisierung ihrer Anliegen wirkungsvoll bekämpfen. Wo nämlich kein Problem wäre, brauche es auch keine Problemlösungen, sondern allein den „Kampf gegen rechts“.
Nur leuchtete diese naive Einschätzung schon seit der Silvesternacht 2015/16 vielen Leuten nicht mehr ein. Und mancherlei sich häufende Einzelfälle von – milde formuliert – „migrantischem Fehlverhalten“ nährten immer mehr Zweifel an der einwanderungspolitischen Staatskunst unserer Kanzlerin. Seit obendrein CDU und SPD ohne die CSU-Abgeordneten im Bundestag keine Koalitionsmehrheit mehr haben, stiegen die Chancen des bayerischen Löwen, nicht mehr nur brüllen, sondern auch zubeißen zu können. Die inzwischen aufgekommene Furcht davor veränderte inzwischen Deutschlands politisches Spiel tiefgreifend. Denn jetzt prägt jener neue gesellschaftliche Großkonflikt nicht mehr nur die Frontstellung zwischen den „etablierten“ Parteien und der AfD, sondern auch das Gegeneinander von CDU und CSU, desgleichen mancherlei bislang überdeckte Konflikte innerhalb der Linken, SPD und CDU. Mitleid ist da unangebracht, denn wer mit Problemlösungen zu spät kommt, den bestraft eben das Leben selbst – gerade in einer Demokratie!
Anhang:
Mit meinem vorstehenden Text hat sich sehr kritisch, doch redlich Herr Alexander May auseinandergesetzt. Weil meine Antwort auf diese Kritik vielleicht breiteres Interesse findet, gebe ich nachstehend kursiv den Kommentar von Herrn May samt meinen – in eckige Klammern eingefügten – Bemerkungen zu ihm wider.
Ihr Wunsch, “rechts” von der CDU darf keine Partei aufkommen, ist zwar von der Meinungsfreiheit geschützt, jedoch nicht mit unserer Verfassung vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht wird niemals nach Himmelsrichtungen entscheiden, sondern stets nach der Vereinbarkeit einer Partei mit unserem Grundgesetz. [Dass sich das Bundesverfassungsgericht so verhält, ist auch gut so. Im Übrigen habe ich an keiner Stelle behauptet, die Existenz einer Partei rechts der Union wäre nicht mit unserer Verfassung vereinbar. Ganz klar sagt schon die Überschrift, dass ich im vorstehenden Text meine rein persönliche und klar von meiner parteipolitischen Zugehörigkeit zur CDU geprägte Position vertrete. Sie findet sich allerdings eingebettet in eine Gesamtanalyse, die bei der Beschreibung der Fakten und Zusammenhänge gerade nicht parteipolitisch, sondern politikwissenschaftlich geprägt ist.]
Sie ignorieren z.B. die Tatsache, dass die AfD keine Ausgründung oder gar Ersatzpartei der NPD ist, da sie ehemaligen NPD-Mitgliedern klar die Tür weist und sie nicht aufnimmt. Hatten das die “Republikaner” damals auch so gehandhabt oder hinkt Ihr “sei Jahrzehnten” manifestierter Vergleich von “Parteien des rechten Rands”? [In meinem Text nehme ich nirgendwo eine Gleichsetzung von Republikanern, NPD, DVU und AfD vor, sondern sage einfach, dass ich keinerlei (!) starke Partei rechts von der Union haben möchte; und ich gebe auch meine Gründe dafür an. Im Übrigen geht es in diesem Text kaum einmal um die AfD als AfD, sondern schlicht um ihre Rolle als Konkurrenz der Union. Über die inhaltlichen Eigentümlichkeiten der AfD habe ich – und meines Wissens: immer fair – vielerlei Texte verfasst und etwa auf diesem Blog veröffentlicht. Wenn Sie sich damit auseinandersetzen wolle: gerne!]
Sollte sich die CSU bundesweit ausdehnen und nicht als Splitterpartei enden, haben Sie dann die gleiche Haltung gegenüber der CSU (“unerwünschte Protestpartei”)? [Als Mitglied der CDU möchte ich nicht, dass die CSU ihr – für die CDU immer wertvolles – Alleinstellungsmerkmal als prägende Partei eines nach CSU-Konzepten meist sehr gut regierten Landes verliert. Und als Politikwissenschaftler habe ich schon vielfach – und auch in reichweitenstarken Massenmedien – ausgeführt: Eine AfD, die sich als „bundesweite CSU“ aufstellt, hat – dank der von der CDU verschuldeten Repräsentationslücke – große Chancen in unserer Demokratie; hingegen wird eine AfD, welche sich als „NPD light“ präsentiert, keine mangels dauerhafter Nachfrage bemerkenswerte Zukunft haben. Also habe ich AfD-Politikern stets geraten, den Kurs einer „bundesweiten CSU“ einzuschlagen. Unternähme die AfD das, so würde sie die von der CDU leichtfertig verursache Repräsentationslücke in unserer Demokratie in unserem Land dienlicher Weise schließen – und zwar zum bleibenden Schaden der CDU. Mir freilich wäre es viel lieber, wenn die CDU ihrerseits von ihrem seit einigen Jahren so klar selbstschädigendem Kurs abließe. Und somit können Sie erkennen, dass ihre insinuierte Kritik meine Position völlig verfehlt – und dass ich als Politikwissenschaftler ziemlich geradlinig zu Befunden komme, die mir als Parteimitglied hochgradig unwillkommen sind. Soviel zum Thema, ob ein Politikwissenschaftler zu parteiunabhängigen Urteilen gelangen könne …]
Es ist abenteuerlich, von mir als Wähler in Brandenburg zu verlangen, weil irgendwo im fernen Bayern irgendjemand aus einer nicht zur Wahl stehenden Partei “arbeitsteilig” meine Position vertritt, wähle ich in Brandenburg die CDU, die jedoch meiner Position offen widerspricht. Ich hoffe, so dumm wird kein Wähler denken und lieber das wählen, was vor Ort passt! [Das wäre als Verhaltensvorschrift tatsächlich abenteuerlich und wird von mir ja auch gar nicht verlangt. Es ist schlicht die empirische Parteienforschung, die seit vielen Jahren zeigt, dass ein nennenswerter Teil der CDU-Wähler diese Partei nur zähneknirschend und in der Hoffnung wählt, in der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU würde die CSU dann schon als wünschenswertes Korrektiv fungieren. Erst seit die CDU-Vorsitzende Merkel mit einiger Arroganz CSU-Positionen in der Migrationspolitik wie die Sichtweisen von Ignoranten und Dummköpfen behandelte, und seit die CSU ganz offensichtlich nicht den Mumm bzw. die Machtmöglichkeiten hatte, ihre Korrektivrolle wirklich zu spielen, kehrten viele frühere CDU- und CSU-Wähler diesen Parteien den Rücken zu und machten ihr Wahlkreuz bei der AfD.]
Die AfD kann ebenfalls als eine bundesweite Ausgründung aus etablierten Parteien gesehen werden. Aus der CDU, weil es dort einen Flügel à la Alfred Dregger nicht mehr gibt. Aus den Linken, weil die den Sozialstaat nicht gegen illegale Zuwanderung zu verteidigen bereit sind und in Kauf nehmen, dass noch mehr Menschen in Deutschland verarmen und von Wohnungsnot betroffen werden. [Ja; und mit allenfalls anderen Worten habe ich genau das an vielen Stellen ebenso beschrieben. An dieser Stelle gibt es zwischen uns deshalb nichts zu streiten.]
Im Englischen gibt es ein Sprichwort: “You can´t eat your cake and have it too”. Ihr Rezept der Quadatur des Kreises verlangt dies jedoch von der CDU. Auf die wesentlichen Politikfelder übersetzt: Sie soll zwar den Aufbau eines vormundschaftlichen EU-Zentralverwaltungsstaats vorantreiben, aber die Souveränität der Staaten Europas nie angreifen. Sie soll die Eurozone als Schuldengemeinschaft betrachten, aber nie einen Cent der griechischen Schulden direkt oder indirekt vom deutschen Steuerzahler/Sparer berappen. Sie soll zwar ein verheerendes Weltoffenheitsdogma durch Masseneinwanderung von Moslems und ungebildeten, zum beträchtlichen Teil gewaltaffinen Menschen als human ansehen, aber gleichzeitig die Traditionspflege und den Zusammenhalt der christlich geprägten deutschen Gesellschaft sicherstellen. [Diese Zuschreibungen gehen inhaltlich an meiner tatsächlichen Position ganz vorbei. Beispielsweise habe ich in vielen Publikationen gerade das Ablassen (!) vom Versuch verlangt, einen „vormundschaftlichen europäischen Zentralverwaltungsstaat“ aufzubauen, die Euro-Zone vollends zur Schuldengemeinschaft werden zu lassen oder die Masseneinwanderung von ungebildeten oder gewaltaffinen Leuten zu ermöglichen. Das alles lehnt auch ein sehr großer Teil der CDU-Mitglieder ab. Doch sehr wohl meine ich, dass die CDU – wie so oft in der Vergangenheit – eine zwischen unterschiedlichen Interessen und mehreren zu erkundenden Politikmöglichkeiten ausgleichende Politik betreiben soll. Das hat sie vor allem, doch nicht nur, in der Migrationspolitik seit 2015 offensichtlich nicht getan; und eben durch solche Politikfehler machte die CDU die AfD als von vielen Wählern erhofftes Korrektiv groß.]
Wer die alternativen Politikvorschläge („weniger EU-Staat, keine Schuldengemeinschaft usw.) unterstützt, wendet sich dabei angeblich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung. [Einen solchen Unsinn habe ich nie gesagt oder geschrieben. Ziemlich das Gegenteil steht tatsächlich im von Ihnen kommentierten Text …]
Angebliche Verteidiger dieser Grundordnung würden von den Grundgesetzverächtern als „Systemling“ bezeichnet. Mit Ihrer Behauptung zum “Systemling” bezeichnen die “Rechten” aber nicht jene, die sich “der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet fühlen”, sondern solche, die genau diese Grundordnung in Frage stellen. [Tatsache ist jedenfalls, dass auch ich selbst als „Systemling“ bezeichnet werde – und auch gerne einer in dem Sinn bin, dass ich das System unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit voller Überzeugung und auch etlichem Zeitaufwand offensiv vertrete.]
Sei es, dass sie Recht, Gesetze und Verträge, also das, was legal ist, durch eine Diktatur der Legitimität ersetzen wollen und behördlich torpedieren (BAMF und Polizeiführungsskandale). Es wird also das, was durch eine Gruppe von Menschen, meist als medial gepushte NGO getarnt und demokratisch nie legitimiert. als “wünschenswert”, “human” und als “tolerant und weltoffen” verkündet wird, über Recht und Gesetz gestellt. Wir sehen ähnliche Zustände z.B. derzeit an der mexikanischen Grenze der USA. Denn das Problem der Aushebelung des Rechts durch “subjektive Legitimität/Subjektivismus” ist längst ein globales Problem; der Extremismus geht also von ganz anderen Menschen aus. [Alles das, was Sie beschreiben, gibt es wirklich, wenn auch wohl nicht ganz so wuchtig, wie Sie das empfinden. Und sehr wohl ist es so, dass seit einigen Jahren gar nicht wenige, die sich subjektiv als Verteidiger unserer pluralistische Demokratie empfinden, gegenüber jenen, die sie als ihre politischen Gegner ansehen, in einer der Weise verhalten, die auf einen Verrat der Grundsätze freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinausläuft. Wenn Sie also von Übertreibungen oder Überzeichnungen Abstand nehmen, werden wir über diesen Punkt nicht allzu viel zu streiten haben.]
Sie schreiben: “Vielmehr ist ein nun wirklich auszugrenzender Extremist nur jener, der die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpft. Deren zu befolgende Grundsätze reichen von der Achtung der Menschenrechte über das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip bis hin zur Befürwortung des Mehrparteienprinzips und des Rechts auf praktizierte Opposition.” Wie wird das in der Praxis umgesetzt? [Wie ich vorhin schon schrieb: oft sehr schlecht! Nur ist ein Zurückbleiben hinter dem Gebotenen noch nicht dasselbe wie der aktive Kampf gegen vernünftige Gebote. Ersteres ist bloßzustellen, zu kritisieren und abzustellen; letzteres ist als Verfassungsfeindlichkeit zu bekämpfen.]
In den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF kommen Vertreter der größten Oppositionspartei in einer durch Wahlen festgestellten parlamentarischen Demokratie empirisch feststellbar nicht in den Talkshows und ganz überwiegend nicht in Interviews vor. Sie werden, basiertend auf einer internen Richtlinie (“Umgang mit der AfD”), nicht eingeladen, geradezu boykottiert. Man spricht “über” die AfD, und dann immer nichts Gutes, aber nicht mit der AfD. Ist das ein Beispiel für den Grundsatzverstoß: “Recht auf praktizierte Opposition” von diesen (öffentlich-rechtlichen!) Sendern? Die somit die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen? Wer übt hier eigentlich Gewalt mit seiner Medienmacht aus und ist dieser “Krebs” an unserer Demokratie? Und warum thematisieren Sie als Politikwissenschaftler diesen Tatsachenverhalt nicht öffentlich, schon gar nicht in deren Produktionen? [Erstens halte ich solche Beschreibung für zwar im Einzelnen überzogen und vielen Journalisten gegenüber ungerecht, der Tendenz nach aber für – leider! – zutreffend. Zweitens reicht sogar ein knapper Blick in meine Publikationen zu diesem Thema, dass mich selbst eine solche Kritik in keiner Weise trifft. Drittens finden sich auf diesem Block gar nicht wenige Beiträge, in denen ich das von Ihnen erwähnte Medienverhalten scharf kritisiere. Also haben wir auch an dieser Stelle nichts wirklich Grundsätzliches zum Streitgegenstand.]
Recht haben Sie mit der Binsenweisheit, die AfD sei im politischen System zu integrieren. In der Tat wählten die Bürger 2017 als letzten Warnschuss gegen Merkel eine, nennen wir es “Kooperationsmehrheit” aus CDU, CSU, AfD und der durch die Medien im Vorfeld massiv gepushten APO-FDP. Wir bekamen jedoch ein CDU-SPD-Weiter so mit dem bayrischen Anhängsel. Ob dieser “Löwe nicht nur brüllen, sondern beißen kann”, sei angesichts des bisherigen Rohrkrepierers mal dahingestellt. [Der Unterschied zu letzten Großen Koalition ist, dass es diesmal auf die Stimmen der CSU ankommt, wenn die CDU-Kanzlerin nicht ohne Mehrheit in für sie dann keineswegs mehr zu gewinnende Neuwahlen gehen will. Obendrein hat die CSU begriffen, dass es für sie im kommenden Oktober um das bundespolitische Überleben geht. Und wenn Sie die Medienberichterstattung verfolgen, dann kann Ihnen doch nicht entgehen, dass der 2015 eingeschlagene CDU-Kurs, seinerseits aufrichtig von SPD und Grünen unterstützt, knapp vor seinem Zerschellen in einer Sackgasse steht.]
Die AfD wird dadurch zu Recht an Auffahrt gewinnen, den sie wohl schon längst ohne die massiven negativen Attributszuschreibungen in den Medien hätte. [Das ist eben der Wirkungszusammenhang, den ich seit langer Zeit immer wieder beschreibe. Was reiben Sie sich da also ausgerechnet an mir?]
Fazit: Sie sollten Ihr jahrzehntelang gepflegtes “Rechts-Links-Schemata” überwinden und zulassen, dass es alternative Vorschläge gibt, wie wir in Deutschland und Europa künftig leben wollen. Vor allem geht es darin nicht um ein “richtiges” oder “falsches” Rezept, sondern um Grundsatzfragen, deren Argumente, und nur diese (!), den Bürgern gleichberechtigt nahegebracht werden sollten. [Das Rechts-Links-Schema ist nicht meines, sondern weiterhin jene „politische Landkarte“, an der sich die meisten in diesem Land orientieren. Dass es analytisch auf eine allmählich vergangene Wirklichkeit ausgerichtet ist und die AfD – ausweislich der Wählerwanderungsanalysen eine Sammlungsbewegung mit Attraktivität bis hinein in die Reihen der Linken – nicht recht trifft, habe ich in vielen Publikationen und öffentlichen Äußerungen selbst betont. Sie reiben sich also auch hier am falschen Mann.]
Diese Aufklärung des Bürgers findet jedoch nicht statt, wird aber von ihnen mehr und mehr in Umfragen und Wahlen eingefordert. Und das ist gut so. [Ja, und eben das ist der Kern meiner Aussage, die AfD sei aus einer Repräsentationslücke entstanden. Außerdem kann jemandem, der sich mit meinen wirklichen Positionen beschäftigt, schwerlich entgehen, dass ich seit vielen Jahren ein mit einigem Echo in die politische Klasse und in die Öffentlichkeit hineinwirkender Verfechter der Ergänzung unserer repräsentativen Demokratie durch plebiszitäre Instrumente bin. Näheres dazu ist leicht auf diesem Blog aufzufinden.]
Bildquelle: https://juergenfritzphil.files.wordpress.com/2018/03/cottbus-2018-03-01.png