Gerd Schwerhoff: eine ausführliche Antwort
I. Einige Bemerkungen vorab
Grundsätzlich setze ich mich sorgfältig und ausführlich mit an mir geäußerter Kritik auseinander. Reichlich gibt es entsprechende Beispiele:
https://wjpatzelt.de/2018/09/10/verleumdender-journalismus/
https://wjpatzelt.de/2018/07/10/fake-news-oder-dummheit/
https://wjpatzelt.de/2017/03/10/wie-verleumdung-verleumder-verdummt/
https://wjpatzelt.de/2017/02/06/hallenser-flaschenpost-aktuelle-fake-news-vom-juni-und-juli-2015/
https://wjpatzelt.de/2017/01/24/mainzer-narreteien/
https://wjpatzelt.de/2017/01/22/populismus-kirche-islamisierung-atheismus-antwort-auf-paul-meier/
https://wjpatzelt.de/2017/01/18/populismus-religion-islam-antwort-auf-einige-kritiker/
https://wjpatzelt.de/2016/12/22/ein-austausch-von-argumenten-zur-einwanderungspolitik/
https://wjpatzelt.de/2016/11/12/mit-populisten-reden/
https://wjpatzelt.de/2016/06/10/regensburger-rumoren/
https://wjpatzelt.de/2015/06/05/die-methode-jennerjahn-und-die-methode-patzelt/
https://wjpatzelt.de/2015/12/08/denkfehler-bei-kritik-an-pegida-forschung/
Gleiches aber tun meine Kritiker mit meinen Antworten auf sie so gut wie nie, denn kaum einmal kommt es zu einer Reaktion auf meine detaillierten Auseinandersetzungen mit den Kritikpunkten. (Siehe dazu die in meinem Blog https://wjpatzelt.de dokumentierten Debatten in den folgenden Zeiträumen: 24.1.-11.2.2015; 20.-28.9.2016; 4.10.-28.10.2016). In die Nähe einer angemessenen Rückäußerung gelangten nur Gerd Schwerhoff und Michael Bittner anlässlich meiner folgenden Antworten auf von ihnen geäußerte Kritik:
https://wjpatzelt.de/2015/04/10/patzelts-pegida-eine-antwort-auf-gerd-schwerhoff/; https://wjpatzelt.de/2015/05/28/michael-bittner-und-unsere-pegida-studie/;
Doch auch bei diesen beiden Kritikern – und bei allen anderen erst recht – konnte ich keinerlei Lerneffekte durch Lektüre und intellektuelles Nachvollziehen meiner Repliken erkennen. Längst Widerlegtes wird nämlich weiterhin und mit ermüdender Regelmäßigkeit als deutungsleitende „Tatsache“ behandelt. Deshalb hege ich wenig Hoffnung, dass sich dies im vorliegenden Fall anders verhalten wird. Immerhin hat Gerd Schwerhoff gerade auch solche Dinge, die ich bereits Tage vor der Veröffentlichung und somit Abfassung – seines „Offenen Briefes“ am 13. September in einem Blog-Beitrag vom 10. September klargestellt hatte (https://wjpatzelt.de/2018/09/10/verleumdender-journalismus/), in objektiv tatsachenwidriger Weise wie Reales behandelt. Hingegen werden meine wirklichen politischen Positionen und Aussagen, die sich doch reichlich in vielen reichweitenstarken TV-, Hörfunk- und Printinterviews sowie auf meinem Blog https://wjpatzelt.de dargelegt finden, so gut wie nie als Interpretationskontext dessen herangezogen, was zum Gegenstand von Kritik gemacht wird.
II. Detaillierte Auseinandersetzung mit der Kritik von Gerd Schwerhoff
Erstens: Ich habe die Kanzlerin und den Regierungssprecher gebeten, der Öffentlichkeit jene Videos zugänglich zu machen, die den beiden – nach eigenen Angaben – vorlagen, und auf deren Grundlage sie das Vorkommen von Hetzjagden in Chemnitz feststellten. Ferner habe ich um Klarstellung gebeten, was eine bloße Protestkundgebung von einer Zusammenrottung unterscheidet, und auf welche Chemnitzer Ereignisse der letztere Begriff anzuwenden ist, fortan wohl verallgemeinerbar auf alle Vorkommnisse solcher Art (siehe https://www.change.org/p/bundesregierung-frau-bundeskanzler-bitte-belegen-sie-ihre-behauptungen). Angesichts der großen politischen Bedeutung, welche die Bezeichnung des in Chemnitz Geschehenen seitens der Kanzlerin und des Regierungssprechers als Hetzjagd bzw. Zusammenrottung bekommen hat, ist es durchaus von öffentlichem Interesse, Klarheit über das anhand welcher Begriffe Sagbare zu erlangen – und zwar gerade von einer Kanzlerin, die uns alle mehrfach ermahnt hat, mit der der Sprache sorgfältig umzugehen.
Zweitens: Diese Fragen, etwas anders formuliert, hatte bereits der Focus-Journalist Alexander Wendt dem Regierungssprecher gestellt. Dessen Antwort fiel aber ziemlich ausweichend aus. Ich habe mich mit ihr auf meinem Blog wjpatzelt.de am 5. September sehr differenziert auseinandergesetzt (https://wjpatzelt.de/2018/09/05/zur-regierungsamtlichen-deutung-von-hetzjagden/), ebenso an gleicher Stelle am gleichen Tag mit den Äußerungen der Kanzlerin zum Gesamtvorgang, welche sie anscheinend als „Schlusswort“ verstanden wissen wollte (https://wjpatzelt.de/2018/09/05/merkels-schlusswort-zu-chemnitz/).
Drittens: Weil mir einige Spannungen aufgefallen waren zwischen der medialen Berichterstattung zu Chemnitz und den mir bekannt gewordenen Videos, bat ich am 30. August sowohl über meinen Blog als auch über meine Facebookseite darum, mir alle jeweils bekannten Videos über die „Chemnitzer Ereignisse“ zuzusenden (https://wjpatzelt.de/2018/08/30/ein-deja-vu-buergerprotest-und-radikalengewalt/). Ich wiederholte diesen Aufruf noch am selben Tag mit der ausdrücklichen Bitte, mich über weitere filmisch dokumentierte Hetzjagden aufmerksam zu machen, die über das bekannte Youtube-Video „Ausländerfeindlicher Mob und Jagd auf Migranten in Chemnitz“ vom 26. August 2018 hinausgingen. Insgesamt erhielt ich wirklich viele Videos per Link. Ich sah das Material durch und veröffentlichte am 2. September auf meinem Blog meinen Befund (https://wjpatzelt.de/2018/09/02/was-von-den-chemnitzer-hetzjagden-bleibt-samt-einigen-lehren/). Die wesentlichen Ergebnisse, allesamt durch die einschlägigen Links zu Videoaufzeichnungen belegt, waren – wörtlich zitiert – die folgenden:
- „Jene Hetzjagden, bei denen sich … sehr viele von denen, die in Chemnitz demonstrierten, auch noch ans Fangen und Verprügeln von Migranten machen wollten, hat es so nicht gegeben“.
- „Freilich folgt daraus keineswegs, dass es nur das gegeben hat, was auf Videos festgehalten wurde. Ganz unbestreitbar sind Einzelfälle von Flüchten und Hinterhersetzen. Diese Fälle, selbst wenn wenige, verdienen keine Entschuldigung, sondern Kritik an den Verursachern“.
Meine Beurteilung der Medienberichterstattung war diese: „es diente durchaus nicht der Gewinnung eines klaren Lagebildes, dass derlei Einzelfälle in Berichten und Kommentaren tagelang als typisch für die Chemnitzer Ereignisse ausgegeben wurden“. Und folgendes war, knapp formuliert, meine Erklärung der „Chemnitzer Ereignisse“: „der unmittelbare gemeinsame Nenner des Geschehenen, insbesondere des teils lautstark-empörten, teils still-besorgten Protestverhaltens scheint heftige Empörung über den – anscheinend von Migranten begangenen – Totschlag an einem Mitbürger zu sein …. Mittelbarer, doch durchaus fassbarer Grund jener Demonstrationen war Zorn über üble Folgen der fahrlässigen Migrationspolitik Deutschlands“.
Viertens: Mir scheint, dass nichts von diesen Befunden sowie Erklärungen falsch ist. Deshalb stimmt auch nicht Schwerhoffs Behauptung mit meiner tatsächlich, obendrein öffentlich vertretenen Position überein, ich hätte mich dafür hergegeben, „die unbestreitbaren rechtsextremen Ausschreitungen unsichtbar zu machen“ oder „den Begriff der ‚Hetzjagd‘ zu dekonstruieren“. Ganz im Gegenteil habe ich das Geschehene dokumentiert, habe ich ausdrücklich auch noch auf nicht-dokumentiertes Geschehen hingewiesen sowie hinsichtlich des Vorgefallenen in vielen – leicht im Internet auffindbaren – Interviews (TV-Beispiele: ZDF, Phoenix, BR, ORF …) – unmissverständlich klar betont, dass die vorgekommenen Gewalttaten inakzeptabel sind sowie durch ausreichende Polizeipräsenz unterbunden und durch strenge Gerichtsurteile generalpräventiv bestraft werden müssen.
Fünftens: Als ich das oben zusammengefasste Ergebnis meiner Durchsicht des mir vorliegenden umfangreichen Videomaterials am 2. September spätabends veröffentlichte, dachte ich in keiner Weise an einen „Aufruf“. Die Idee dazu hatte Michael Klein, der Verantwortliche des Blogs ScienceFiles, der mir in den letzten Jahren immer wieder Links zu Ausarbeitungen auf jenem Blog geschickt hatte. Er fragte mich am Folgetag per Email, ob wir nicht hinsichtlich der von mir dokumentierten Unterschiede zwischen dem öffentlich verfügbaren Videomaterial zu „Chemnitz“ und den Aussagen von Regierungssprecher und Kanzlerin gemeinsam einen Aufruf machen sollten, und zwar mit der Aufforderung, die zu Nachfragen (wie denen von Alexander Wendt) führenden Unterschiede in der Darstellung der „Chemnitzer Ereignisse“ dadurch zu klären, dass Regierungssprecher und Kanzlerin jenes – womöglich zusätzliche – Videomaterial öffentlich zugänglich machten, auf das sie sich bezogen hätten.
Ich stimmte diesem Vorschlag nach kurzer Bedenkzeit zu. Leitend war die Überlegung, dass eine Aufklärung der Unterschiede zwischen den Aussagen von Regierungssprecher und Kanzlerin hinsichtlich einesteils des allgemein einsehbaren Videomaterials und andernteils der Aussagen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Chemnitzer Journalisten im öffentlichen Interesse läge. Erstens waren diese Unterschiede bereits Gegenstand einer heftigen öffentlichen Debatte, und zweitens hatten frühere, auf Klärung ausgehende Anfragen des Journalisten Alexander Wendt nur zu sehr ausweichenden Antworten geführt. Hier nachzufassen, erschien mir den Versuch wert. Meine Bedenken kamen vom Gefühl, dass mir ein solcher Aufruf Ärger einbringen könne. Doch mir schien in dieser Lage, dass ich zwischen persönlichem Opportunismus und der Rolle eines kritischen Intellektuellen zu wählen hätte. Feigheit aber war angesichts der Tatsache, dass es eindeutig nicht um Leben oder Tod ging, keine akzeptable Option.
Sechstens: Ich vereinbarte mit Michael Klein, dass er mir einen Textentwurf zumailen sollte. Den fand ich viel zu scharf. Daraufhin formulierte ich den tatsächlich verwendeten Text und schickte ihn am 3. September mit folgender Bemerkung an ihn: „Meinem in der Regel ausgleichenden Naturell gemäß, würde ich freilich eine Form nach dem römischen Grundsatz bevorzugen ‚suaviter in modo, fortiter in re‘. Einen entsprechenden Textvorschlag füge ich unten bei. Was meinen Sie?“. Die Überschrift allerdings stammt von ScienceFiles. Am gleichen 3. September – wohl nachmittags – wurde der Aufruf auf ScienceFiles veröffentlicht, und zwar ohne jede Hintergrundgrafik. In genau dieser Form nahm ich den „fertigen“ Aufruf zur Kenntnis und stieß mich allenfalls an der für meinen Geschmack – und für meinen Text – nicht ausreichend sachlichen Überschrift. Da ich aber auch vor mir selbst nicht den Eindruck „feigen Zurückruderns“ erwecken wollte, ließ ich die Überschrift unbeanstandet.
Über den Fortgang der Sache seinerseits informierte mich Michael Klein am 9. September wie folgt:
„Als mir morgens gegen 4:15 klar geworden ist, dass unser Blog aus allem Fugen geht und meine Mailbox explodiert, wenn ich den Aufruf weiter über SF abwickle, habe ich mit Hochdruck daran gearbeitet, den Beitrag auf Change[.org] zu bekommen. Die wollen ein Bild, also haben sie ein Bild bekommen. Die Lügenspirale, deren Hinweis auf Goebbels natürlich auf die Form und nicht den Inhalt der Manipulation Bezug nimmt, hat sich angeboten. Also habe ich sie eingebaut. Ehrlich gesagt, hätte ich zu dem Zeitpunkt nicht damit gerechnet, dass jemand daran Anstoß nehmen oder gar auf die blödsinnige Idee kommen könnte, das wäre ein Vergleich mit Merkel.“
Mir fiel im Übrigen das Goebbels-Bild zunächst gar nicht auf, zumal ich in jenen Tagen mit meiner Lehrtätigkeit auf einer Sommerschule in Anacapri sowie mit etlichen Interviews und schriftlichen Stellungnahmen im Nachgang der „Chemnitzer Ereignisse“ ausgelastet war. Ohnehin interessierte ich mich nur für die jeweils erreichten Unterschriftenzahlen. Später machte man mich auf das Goebbels-Bild aufmerksam. Doch ich hielt es für unwahrscheinlich, dass jemand zwischen meinem Text und dem Bild einen Zusammenhang dergestalt konstruieren würde, faktisch würde die Kanzlerin mit Goebbels gleichgesetzt.
Als mich am letzten Wochenende der Journalist Lennart Pfahler dann nach meiner Haltung zum Goebbels-Bild befragte, schrieb ich ihm ausdrücklich: „[Ich bin] der Meinung, dass die Bebilderung des Aufrufs durch ein Goebbels-Bild unangemessen ist. Wäre mir das [Bild] vor Veröffentlichung des Aufrufs auf Change.org aufgefallen, hätte ich darauf bestanden, dass kein Goebbels-Bild auftaucht“. Unmittelbar anschließend veranlasste ich durch eine Email an Michael Klein die Entfernung des Goebbels-Bildes. Auf nicht die mindeste Grundlage kann sich deshalb Schwerhoffs Einlassung stützen, ich würde das Goebbels-Bild „verteidigen“. Inzwischen habe ich auch die Entfernung des Berija-Bildes veranlasst, das Michael Klein anstelle des Goebbels-Bildes gesetzt hatte.
Siebtens: Die gesamte inhaltliche Kritik, die sich am Goebbels-Bild entzündet, betrifft mich also nicht. Wer über den so heftig kritisierten Sachverhalt debattieren will, möge sich vielmehr an Michael Klein von den ScienceFiles wenden. Gar erst entbehren alle Deutungen dahingehend, ich hätte Goebbels in irgendeinen Zusammenhang mit der Bundeskanzlerin bringen wollen, jeglicher Grundlage. Das macht mir gegenüber Schwerhoffs besorgten Tonfall unnötig – und einen vorwurfsvollen ohnehin.
Dass gleichwohl in manchem Medium oder Brief jener – rein angebliche – „Goebbels-Vergleich“ zum Angelpunkt von mich betreffenden Argumentationen gemacht wurde, ist am besten mit Kenntnismängeln hinsichtlich des tatsächlichen Gangs der Ereignisse sowie mit dem besonderen Nachrichten- oder Skandalisierungswert des Vorgangs zu erklären. Den erahnend, hatte ich in einer Email an den Journalisten Lennart Pfahler so formuliert: „Und nun warte ich mit Neugier ab, ob die Debatte sich in erster Linie am Goebbels-Bild oder am Auskunftsverhalten von Regierungssprecher und Kanzlerin entzünden wird“. Anschließend verfasste Pfahler einen – wie mir scheint: verleumderischen – Artikel, dessen Originalüberschrift mir tatsachenwidrig genau jenen Goebbels-Vergleich unterstellte. Auf diesen Artikel habe ich am 10. September klarstellend mit dem Blogbeitrag https://wjpatzelt.de/2018/09/10/verleumdender-journalismus/ reagiert, desgleichen mit einer Gegendarstellung für die Huffington Post, in welche – neben Focus Online und auf Yahoo – Pfahlers verleumderischr Text erschienen waren (https://www.huffingtonpost.de/entry/stellungnahme-einige-bemerkungen-zu-lennart-pfahlers-artikel-uber-mich_de_5b97ad2be4b0162f4730e6c0).
Wir kennen das seither Geschehene. Dazu gehört auch das folgende pure Interpretationsartefakt, das Gerd Schwerhoff mir als beabsichtigt unterstellt: Die – gar nicht von mir stammende – graphische Aufmachung des Aufrufs wäre eine „plumpe Verschwörungstheorie“, die gar noch „auf einer anderen Ebene durch die Petition unterstützt werden soll“, also durch deren Text, der sehr wohl von mir stammt. Hier wird schlicht eine „Verschwörung“ zwischen mir und den ScienceFiles zusammenphantasiert, die es niemals gegeben hat, nicht gibt und auch nie geben wird. Schwerhoffs Deutungskunstwerk passt von seiner Machart her recht zwar sehr gut in so manche Echokammer des Internets, trifft aber in keiner Weise den tatsächlichen Sachverhalt. Also lohnte sich jetzt ein – nicht hier zu führender – Anschlussdiskurs über die Frage: Was lehrt uns das Eingetretene über die Aufmerksamkeitsstrukturen und Diskurspräferenzen von Öffentlichkeit und Kollegen?
Achtens: Die grafische Darstellung der Theorie der „Lügenspirale“ ist auf der Seite des Aufrufs – wie sich leicht erkennen lasst – ganz unvollständig, da sich nur deren obere Hälfte mitsamt der Überschrift wiedergegeben findet. Jede Erörterung des Zusammenhangs allein des sichtbaren Ausschnitts mit dem Text des Aufrufs hat somit eine evident unzulängliche Grundlage. Also erübrigt sich eine Detailkritik von Schwerhoffs daran geknüpften Insinuationen. Wer sich mit der Gesamttheorie der „Lügenspirale“ auseinandersetzen will, möge das anhand der einschlägigen Texte von Michael Klein tun: Ausgangspunkt war im Juni https://sciencefiles.org/2018/06/05/die-lugenspirale-wie-die-politische-diffamierungsindustrie-funktioniert/, und konkretisiert wurde das damals Angelegte von Michael Klein am 2. September in https://sciencefiles.org/2018/09/02/die-lugenspirale-wie-chemnitz-von-linken-inszeniert-wird/.
Mir scheint nach wie vor: „An der (Gesamt-) Grafik können intellektuelle Debatten ansetzen“, zumal diese doch kritisch sein werden und sehr wohl alles das zurückweisen können, was nicht haltbar wäre. Doch bloß weil eine Theorie womöglich falsch ist oder einen Leser ärgert, muss sie noch lange kein „Skandal“ sein. Wer gleichwohl die Theorie der Lügenspirale oder deren Anwendung auf die Berichterstattung über „Chemnitz“ für einen Skandal hält, was ja ganz unbenommen ist, der möge sich mit deren Autor auseinandersetzen, also mit Michael Klein, nicht aber mit mir, der ich diese Theorie lediglich zur Kenntnis genommen habe.
Neuntens: Wer sich obendrein kritisch-interpretativ damit beschäftigen will, wie die (ausschnitthafte) Theoriegrafik hermeneutisch mit dem Text des Aufrufs bzw. mit dem als Hintergrund gewählten Goebbels-Bild zusammenwirkt, für den bin erst recht nicht ich, sondern ist allein Michael Klein der zuständige Ansprechpartner. Das gleiche gilt für Kritik dahingehend, dass jene Theoriegrafik überhaupt verwendet wurde.
Die ganze Kombination von Hintergrundbild, Theoriegrafik und Text stammt nämlich nicht von mir und wurde auch nicht mir abgestimmt. Ich habe das Hintergrundbild und die (ausschnitthafte) Theoriegrafik allerdings sehr unzulänglich zur Kenntnis genommen sowie völlig falsch eingeschätzt, wie bereitwillig objektiv mögliche – und tatsächlich sehr üble – Ausdeutungsmöglichkeiten genutzt und zur Überlagerung des tatsächlichen Gegenstands des „Aufrufs“ genutzt würden. Das war kommunikatives Fehlverhalten, das ich mit Bedauern zugebe. Doch ich habe sofort die Beseitigung des Hintergrundbildes veranlasst, als mir klar wurde, welche gänzlich abirrenden Debatten es auslöste. Und nun bin ich gespannt, ob auch Forderungen nach Entfernung der medienkritischen Theoriegrafik laut werden. Die dafür vorgebrachten Gründe dürften unsere innerdeutsche Diskurslage ziemlich erhellen.
Im Ergebnis ist festzuhalten: Hätte ich mich je mit der Kombination von Hintergrundbild, Theoriegrafik und Aufruf identifiziert, würde ich mich jetzt von ihr distanzieren. Da ich mir aber nie zu eigen gemacht habe, was – etwa bei Gerd Schwerhoff – an Deutungen dieser Kombination zustande kam, lässt sich nicht mehr sagen, als dass es eine unüberbrückbare Distanz zwischen meiner tatsächlichen Position und dem gibt, was von anderen – niemals von mir – in die grafische Präsentation des Aufrufs hineininterpretiert wurde.
Zehntens: Die skandalisierte Kombination der Theoriegrafik zur „Lügenpresse“ und des ihr hinterlegten Goebbels-Bildes findet sich in der Tat weiterhin auf meinem Blog als Eingangsbild meines Textes „Verleumdender Journalismus“ (https://www.huffingtonpost.de/entry/stellungnahme-einige-bemerkungen-zu-lennart-pfahlers-artikel-uber-mich_de_5b97ad2be4b0162f4730e6c0). Dieses Bild führ somit genau den Gegenstand jener auf mich zielenden Kritik dar, gegen die ich mich im dort veröffentlichten Text verwahre. Kann mir da Gerd Schwerhoff ernstlich die bildliche Dokumentation ausgerechnet des Gegenstands einer Auseinandersetzung vorwerfen, um die es im so illustrierten Text geht? Mir scheint: Man muss schon ziemlich vorurteilsblind argumentieren, um zu so einem Vorwurf zu gelangen.
Elftens: Einmal mehr nehme ich zur Kenntnis, dass nicht wenige – so Gerd Schwerhoff – mich für Sachverhalte kritisieren, die gar nicht vorliegen bzw. die von ihnen unzulänglich oder falsch zur Kenntnis genommen wurden. Doch daraus folgt eben keineswegs, dass ich mich für Sachverhalte zu rechtfertigen hätte, die gar nicht vorliegen, oder deren Vorliegen anderen Leuten als mir zuzuschreiben ist. Ein jeder an mich gerichtete „Widerspruch“ oder Vorwurf, der mich gar nicht betrifft, läuft also schlicht ins Leere. Ebenso ist jedes damit verknüpfte „Erschrecken“ ebenso grundlos wie mancherlei von Gerd Schwerhoff reichlich theatralisch bekundete „Fassungslosigkeit“ oder „Bestürzung“ ob einer von mir nirgendwo und niemals eingenommenen Haltung. Also lässt sich zum hier beantworteten „Offenen Brief“ wirklich nicht mehr mitteilen als das, was der Fall gewesen ist.
Wer aber Letzteres zur Kenntnis nimmt, kann unschwer erkennen, dass an mir weder „dichotome Weltbilder“ aufzufinden sind ein noch auf ihnen gründendes undifferenziertes Denken oder gar ein an den Tatsachen vorbeizielendes Handeln. Auch mache ich mich in keiner Weise zum Anwalt von Rechtsradikalen oder Rechtsextremisten. Entsprechende Behauptungen sind tatsachenwidrig und bösartig. Anwalt bin ich allein für jene pluralistische Demokratie, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung in konkretes politisches Leben umsetzt. Eben das findet sich auch in allen meinen sachlich einschlägigen Publikationen bestätigt.
Und wer aus meiner Nicht-Parteinahme für seine eigene politische Sache schließt, ich ergriffe eben dadurch für seinen politischen Gegner Partei, der denkt schlicht zu kurz. Erst recht ist es abwegig, mich einen „politischen Agitator“ zu nennen. Allenfalls ist es so, dass meine Analysen und Einschätzungen dann politische Wirkungen entfalten, wenn sie sich zum real Ablaufenden so verhalten wie eine korrekte Landkarte zu einer praktischen Orientierungsaufgabe. Oft genug war das in den letzten Jahren gerade bei strittigen Themen genau so. Doch überhaupt nichts hätte ich dagegen, wenn auch die Analysen und Einschätzungen von viele anderen in der gleichen Weise wirkten. Nur müssten sie dann ebenfalls zu jener vielschichtigen Wirklichkeit passen, die es zu analysieren gilt. Die zu diesem Zweck von mir als Wissenschaftler stets – und natürlich auch hinsichtlich aktuell ablaufender Politik – sorgfältig erfüllte Aufgabe besteht genau im tatsachengetreuen Beschreiben, im Verstehen des Beschriebenen, im Erklären von dessen Zustandekommen, sowie im Darlegen von Möglichkeiten, mit dem Beschriebenen, Verstandenen und Erklärten wirkungsvoll umzugehen – sei es beim Lösen von Problemen konkreter Politik, sei es bei der Sicherung von Legitimität und Stabilität einer politischen Ordnung.
Ebenfalls viel zu kurz denkt, wer in diesem Zusammenhang Verstehen für Verharmlosen und Erklären für Entschuldigen hält. Und ebenso denkt zu kurz, wer verkennt, dass die Wissenschaftlerrolle und die Bürgerrolle mitunter zusammentreffen könne – etwa dann, wenn die Übereinstimmung von Aussagen mit den Tatsachen nur dadurch geprüft werden kann, dass von Regierenden solche Auskünfte erlangt werden, auf die ein Bürger durchaus einen Anspruch hat. Eben das aber war der Inhalt meines Aufrufs. In ihm findet sich ebenso wenig eine „Hermeneutik des Verdachts“ wie in meinen sonstigen Aussagen.
Diese kennzeichnen sich stets durch Klarheit. Die kann bei flüchtigem Lesen oder voreingenommenem Zuhören zwar schon einmal verwischt werden. Letzteres aber vollzieht sich allein beim Leser oder Hörer. Doch warum eigentlich?
III. Meine knappe Antwort auf Gerd Schwerhoff vom 15. September
Weil ich bis gestern zu Vorträgen an zwei chinesischen Universitäten unterwegs war und deshalb wenig Zeit hatte, habe ich schon vor einigen Tagen mit einer sehr knappen Antwort auf Gerd Schwerhoffs „Offenen Brief“ reagiert. Sie ging allen mir bekannten Adressaten jenes „Offenen Briefs“ zu und wurde bereits unter dem folgenden Link veröffentlicht: http://www.flurfunk-dresden.de/2018/09/15/hetzjagd-petition-patzelts-antwort-auf-gerd-schwerhoff/. Ich füge sie der Vollständigkeit halber dieser ausführlichen Stellungnahme nachstehend bei.
Sehr geehrter Herr Kollege,
zur im „Offenen Brief“ vorgebrachten Kritik habe ich mich auf meinem Blog wjpatzelt.de längst ausführlich geäußert. Deshalb kann hier die Bemerkung genügen, dass auch mir bisweilen Kommunikationsfehler unterlaufen.
Doch es ist mir ein Rätsel, warum trotz deren Klärung so viel Lärm um so wenig entfaltet wird. Vor allem frage ich mich, wie jemand in redlicher Weise dazu kommen kann, mir die Rolle eines „rechten Agitators“ zuzuschreiben. Meine Position ist doch aus Dutzenden von Interviews mit großer Reichweite sowie aus vielen Publikationen wohlbekannt: Ich stehe für jene pluralistische Demokratie, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung in konkretes politisches Leben umsetzt, und ich möchte, dass unser Land nicht weiter den Zusammenhalt der Bürgerschaft untereinander sowie zwischen Bürgern und Politikerschaft verliert.
Weil genau das sich derzeit ereignet, wäre es unser aller Aufgabe, weitere schlimme Entwicklungen unserer Demokratie zu verhindern. Wer aber in dieser Absicht zumal dem weiteren Aufstieg des Rechtspopulismus wehren will, der muss schon auch zur Lösung jener Probleme beitragen, die zur Rechtsradikalisierung in unserem Land führen. Zudem muss er versuchen, über den aufgerissenen Gräben unserer Gesellschaft Brücken zu bauen.
Das alles ist aber unmöglich, wenn die realen politischen Herausforderungen und Dynamiken verkannt werden. Dann zerfällt leicht der Diskurs, halten sich unzulängliche Diagnosen, kommt es zu keiner problemlösenden Politik. Ich habe das alles seit 2014 oft genug erlebt. Da wurden meine Empfehlungen – damals zum Umgang mit Pegida – zuerst in den Wind geschlagen und dann, wenn genau die von mir vorhergesagten üblen Folgen falscher Problembehandlung eingetreten waren, halbherzig und unwillig eben doch umgesetzt. Gerade so verhält es sich mit den inzwischen vorgenommenen Korrekturen unserer so lange so fehlerhaften Migrationspolitik. Und ebenso verhält es sich bei derzeitigen Versuchen, allmählich doch noch die Themen derer aufzugreifen sowie mit konstruktiven Problemlösungen zu versehen, die über Deutschlands Migrationspolitik, Medienlandschaft und Politikerschwerhörigkeit besorgt sind. Nur setzten alle diese Korrekturen so spät ein, dass jetzt die Chancen stark gesunken sind, die AfD ohne deren Selbstzerstörung durch eigene politische Torheit wieder kleinzubekommen.
Woher also nehmen meine Kritiker ihren Hochmut, ausgerechnet mir mit politischen Vorwürfen zu kommen, dessen Analysen und warnenden Vorhersagen sich doch seit vielen Jahren bestätigen, während ihre eigenen Handlungsrezepte zu offensichtlich erfolgloser Politik mit jeder Menge von Kollateralschäden geführt haben? Woher nehmen sie die Dreistigkeit, jemandem eine zweifelhafte demokratische Haltung anzudichten, der allgemein für Geradlinigkeit, für Sorgfalt beim Feststellen und Bewerten von Tatsachen sowie für jederzeitige Diskursoffenheit bekannt ist? Der obendrein in Forschung, Lehre und öffentlichem Wirken viel zum Verständnis von Deutschlands repräsentativer Demokratie und ihrer Probleme beigetragen hat?
Derlei Verhalten enttäuscht mich menschlich und intellektuell. Wäre es nicht besser, anstelle selbstgerechter Skandalisierungsinszenierungen das sachliche Gespräch mit mir zu suchen, etwa über die Inhalte meines im letzten März erschienen Buchs „Neue Deutsche in einem alten Land. Zuwanderung, Integration und Beheimatung“, oder über mein im Oktober erscheinendes neues Buch über „Deutsche und ihre Demokratie“?
Mit freundlichen Grüßen
Werner J. Patzelt
PS: Und nun bin ich gespannt, ob die ausführliche Replik dieses Beitrags irgendein konstruktives Gespräch auslöst – zumal bei denen, welche sich über die Kürze meiner unmittelbaren Replik mokiert haben. Vermutung: So wird das nicht kommen. Doch gerne ließe ich mich eines Besseren belehren …
Bildquelle: https://bilder2.n-tv.de/img/incoming/origs20374569/8512532659-w1280-h960/3275683607d47b152e78b7493ad35868.jpg