Michael Bittner und unsere PEGIDA-Studie

Michael Bittner und unsere PEGIDA-Studie

 

I.  Zum Diskurszusammenhang

Unter dem Titel „Was bleibt von PEGIDA? Mit Bemerkungen zur Studie von Professor Werner Patzelt“ hat Michael Bittner unlängst einen Text vorgelegt (herunterladbar über http://michaelbittner.info/2015/05/22/was-bleibt-von-pegida-mit-bemerkungen-zur-studie-von-professor-werner-patzelt/), der nicht nur PEGIDA, sondern auch unsere Studie über die Dresdner PEGIDA-Demonstranten thematisiert. Sie lohnt eine inhaltliche Auseinandersetzung – anders als zwei frühere Texte Bittners über PEGIDA und meine Rolle bei dessen Analyse.

Dessen intellektuell wahrlich dünner Text vom 22. Januar 2015 („Professor Patzelt fordert: Gerechtigkeit für PEGIDA“; herunterladbar über http://michaelbittner.info/2015/01/22/professor-patzelt-fordert-gerechtigkeit-fuer-pegida/) erzeugte immerhin sehr erhellende Resonanzen mit Kommentatoren, die gefühlsgetriebenem Dampfplaudern ebenfalls nicht den Filter vernunftgeleiteten Denkens vorschalten wollten. Ein weiterer Text vom 8. März 2015 zu meiner ausführlichen Auseinandersetzung mit vielerlei Kritikern rastete dann zwar im Titel – offenbar als „Anschlussfehler“ der Überschrift des Vorgängertexts aus dem Januar – eine höchst unfruchtbare, ja völlig abwegige Perspektive auf den zu verhandelnden Gegenstand ein: „Professor Patzelt fordert: Gerechtigkeit für Professor Patzelt“ (herunterladbar über http://michaelbittner.info/2015/03/08/professor-patzelt-fordert-gerechtigkeit-fuer-professor-patzelt-2/). Dieser Text hatte aber sachlichen Gehalt, der eine Befassung durchaus gelohnt hätte – wäre da nicht jene Überschrift gewesen, die jede Auseinandersetzung von vornherein in ein völlig falsches Licht gerückt hätte. Wohl wegen des viel seriöseren Tons zog dieser zweite Text auch nicht jene Vielzahl jubelnd-mittönender Kommentare an, die den ersten Text – einem ergebenen Hofstaat gleich – alsbald umringten.

Und der dritte, eingangs erwähnte Text? Er hat soviel rationale Substanz, dass bislang noch kaum ein Kommentator ihn als Anlagerungsstätte eigener Vorurteile genutzt hat. Das möge Michael Bittner klar als Kompliment auffassen – denn der Reigen dünngeistiger Beifallsbekundungen um seinen Beitrag vom Januar ehrte dessen Mittelpunkt durchaus nicht. Meinerseits gibt es nun endlich Grund, mich mit Bittner sorgfältig auseinanderzusetzen. Dass sich meinen Argumenten immer wieder ein mild-ironischer Ton beimengt, möge meinen Diskurspartner nicht verdrießen: Immerhin haben wir seit seinem ersten, durchaus unsäglichen Text noch ein Rechnung offen. Und vielleicht sind wir nach diesem Text dann quitt und miteinander im Reinen. Das wäre jedenfalls schön – und damit auf ins Wortgefecht. Ich führe es so, dass ich jeweils die für diesen Zweck wichtigen Passagen aus Bittners Text in Kursivschrift zitiere und ihnen dann meine eigenen Bemerklungen anfüge.

 

II. Gemeinsamkeiten

Schön, dass es sie gibt! Und deshalb beginne ich mit ihnen – nämlich mit folgendem Texauszug:

Aber eine Perspektive [für PEGIDA] ist nirgends zu erkennen: Es gibt keine neuen Ideen, kein überzeugendes Programm, keine Aussicht auf politische Macht. Die Zusammenarbeit mit der Alternative für Deutschland ist vorerst gescheitert …. Die Kandidatur von Tatjana Festerling für das Amt des Dresdner Oberbürgermeisters ist nicht mehr als einer der – durchaus gekonnten – Marketinggags von Lutz Bachmann. … Und dann? …. Das wahrscheinlichste Szenario also ist: Die Anhänger ziehen sich frustriert ins Privatleben zurück und tauchen unverwandelt wieder auf, wenn eine neue Welle rechter Mobilisierung durchs Land rollt. Das Phänomen PEGIDA mag also der Vergangenheit angehören …. Wachsamkeit aber erfordert das Potenzial zu einer neurechten Sammlungsbewegung, das nun in der Gesellschaft schlummert.“

Das ist auch meine Lagebeurteilung. Und eben weil ich nicht möchte, dass in unserem Land – zumal in den Reihen der Nichtwähler – Potential für eine populistische Sammlungsbewegung „schlummert“, das anlässlich von dschihadistischen Anschlägen oder Gewalttätigkeit zwischen Einwanderern (bzw. zwischen ihnen und im Lande schon Ansässigen) leicht „geweckt“ werden könnte, habe ich seit Dezember Folgendes empfohlen:

  • Die staatstragenden Parteien von der Linken bis zur CDU/CSU, die Öffentlichkeit sowie die Zivilgesellschaft sollten die Ursachen, Gründe und Anliegen ernst nehmen, derentwegen PEGIDA-Anhänger demonstrieren.
  • Es sollte ein breiter öffentlicher Diskurs über jene Probleme – und deren schon versuchte bzw. zu erörternde Lösungsmöglichkeiten – eröffnet werden, die unsere Einwanderungsgesellschaft zweifellos hat.
  • Und auf diese Weise sollte das ansonsten zum „Schlummern“ bzw. zur „inneren Kündigung“ gegenüber unserem Gemeinwesen verleitete Protestpotential an unsere staatstragenden Parteien gebunden und so in unser politisches System integriert werden – oder zumindest nicht in – populistisch oder gar verfassungsfeindlich ausnutzbare – Gegnerschaft zu unserer freiheitlichen Ordnung getrieben werden.

Leider hat sich meine Position nicht durchgesetzt – vermutlich auch deshalb nicht, weil sie zu verstehen die Bereitschaft von so manchem (und so mancher) überforderte, den Käfig seiner (und ihrer) Vorurteile zu verlassen. Wir werden also mit den Folgen falschen Umgangs mit dem – Dresden weit übergreifenden – PEGIDA-Phänomen leben müssen. Und noch mehr ist zu bedauern, dass selbst ein heller Kopf wie Bittner meine Position bis heute nicht begriffen zu haben scheint – oder wenigstens nicht in der Lage ist, sie zu teilen. Dann nämlich könnten wir gemeinsam etwas für unser Gemeinwesen tun, statt so manche Zeit mit der Klärung von Missverständnissen oder Unterstellungen zu vergeuden.

 

III. Methodische Einwände und dergleichen

Doch leider muss es im Folgenden immer noch vor allem darum gehen. Dabei fängt der Text ganz nett an:

„Professor Werner Patzelt … gebührt Lob für die aufwändige Arbeit ebenso wie den Studenten, die bei ihren montäglichen Befragungen nicht nur angenehme Begegnungen hatten“.

Danke für die Blumen, und zwar in unser aller Namen!

„Die Studie beruht auf der statistischen Auswertung und Interpretation der Antworten von Demonstranten auf vorgelegte Fragen, also letztlich: auf dem Selbstbild der PEGIDA-Anhänger.“

Ja sicher! Das war nämlich genau die Frage, die wir beantworten wollten: Wer geht zu PEGIDA – und welche Einstellungskomplexe bringen ihn (oder sie) dazu? Das – und sei es nur implizit – als ein Problem auszugeben, ist ungefähr so sinnvoll, wie einem Bienenforscher vorzuwerfen, er beschäftige sich nicht mit der sozialen Organisation jener Apfelplantagen, aus deren Blüten sich die Bienen ernähren. Doch eben ein solcher Vorwurf treibt Bittner bis zum Ende seines Textes um. Dort schreibt er nämlich:

„Zum Schluss noch ein letzter Kritikpunkt. Er betrifft nicht das, was Professor Patzelt untersucht, sondern das, was er nicht untersucht hat. In der ganzen Studie wird nicht eine einzige der Reden, die bei PEGIDA gehalten und beklatscht wurden, analysiert. Wenn man wirklich herausfinden möchte, was PEGIDA will, sollte man dann nicht einfach mal zuhören, wenn die Führer und Anhänger von PEGIDA sprechen? … Könnten die gesprochenen Worte etwa der gutwilligen These von der Gutwilligkeit von PEGIDA gefährlich werden? Angesichts solcher Ignoranz liegt die Vermutung nahe: Man muss sich die Ohren wohl sehr fest zuhalten, um PEGIDA verstehen zu können.“

O unheilige Einfalt! Dabei könnte Bittner doch wissen, dass meine studentische Forschungsgruppe seit November bei den PEGIDA-Demonstrationen zugegen war, ich selbst zwischen Anfang Dezember und Ende Januar, dass wir natürlich den Rednern zugehört haben (ich meinerseits seit Februar im Livestream oder auf Youtube), und dass ich selbst in der „Freien Presse“ (5. Januar 2015: „Wie weiter mit Pegida?“) sowie in vielen, in diversen Zeitungen nachgedruckten Interviews von „Volksverhetzung“ – später von mir korrigiert in: „Volksaufhetzung“ – gesprochen habe. Spätestens beim Lesen dieser Zeilen könnte er zur Kenntnis nehmen, dass einer meiner Studierenden derzeit die Reden analysiert (und ich das Ergebnis in ein entstehendes Buch über PEGIDA aufnehmen will), und dass ein anderer Student die Facebook-Kommunikation über PEGIDA auswertet (was ebenfalls in unserem Buch seinen Platz finden soll). Er will aber anscheinend gar nicht erst die Vermutung aufkommen lassen, dass seriöse Forschung nun einmal schrittweise arbeitet – und es durchaus nicht Anlass zu Unterstellungen geben muss, wenn man sich dabei gesondert zunächst einmal den in der Öffentlichkeit sichtbarsten Teil von PEGIDA vornimmt: die Demonstranten auf der Straße.

Außerdem könnte Bittner doch auch – summarisch gesagt – den „investigativen Journalismus“ an seine Bringschulden erinnern, wenn es etwa um die innersten Kreise des Organisatorenteams und um die von manchem dort vermuteten finanziellen Eigeninteressen von Organisatoren geht. Oder es könnte Bittner doch auch den übrigen Politikwissenschaftlern Dresdens die Idee nahelegen, es in Sachen PEGIDA nicht nur mit symbolischen Straßenputzaktionen bewenden zu lassen, oder mit dem Abfassen intellektuell dünner, ganz ohne Faktenfundierung auskommender Pamphlete gegen empirisch arbeitende PEGIDA-Analytiker, sondern sich dazu aufzuraffen, dann eben ihrerseits Untersuchungen von PEGIDA-Reden oder zur PEGIDA-Facebook-Kommunikation vorzulegen. Schließlich sind derartige Studien – anders als Straßeninterviews – nicht sonderlich aufwendig. Anscheinend aber – Vorsicht: Ironie! – setzt Bittner seine ganzen Hoffnungen zur Sachstandsaufklärung beim „Fall PEGIDA“ in mich und in mein Team.

Gottlob gerät er dabei nicht an den Falschen. Oder doch? Es geht bei Bittner nämlich – nach dem allgemeinen Lob für uns – wie folgt weiter:

„In zweierlei Hinsicht ist die Methode problematisch: Einerseits ist es recht wahrscheinlich, dass die Radikalen die Antwort eher verweigerten als die Gemäßigten. Andererseits ist es nicht auszuschließen, dass Demonstranten in dem Bemühen, die Bewegung möglichst “normal” erscheinen zu lassen, bewusst oder unbewusst ihre Aussagen gemäßigt haben. In beiden Fällen wäre die Tendenz eine verharmlosende.“

Erstens haben die (persönlich überwiegend linksstehenden) Interviewer innerhalb ihrer – auf Repräsentativität hinwirkenden – Quotenvorgaben auftragsgemäß und (nach ihren eigenen Berichten: auch erfolgreich) vor allem solche Demonstranten angesprochen, die nach genau jenen Eindrücken rechtsradikal zu sein schienen, die auch PEGIDA-Gegner zur Identifizierung der bei PEGIDA mitlaufenden Rechtsradikalen nutzen. Zweitens kamen beim anhaltenden, wolkenbruchartigen Regen am 27. April höchstwahrscheinlich – und ausweislich der Befunde: auch wirklich – nur solche Demonstranten zur Kundgebung, die sich sehr stark mit PEGIDA identifizierten und kenntlich weiter rechts standen als die Demonstranten vom 4. Mai. Drittens konnten wir in beiden Umfragen über jeden plausiblen Zweifel hinaus die Gruppe der klar Rechtsradikalen nachweisen und sogar quantitativ abschätzen; also war unser Erhebungsinstrument keineswegs „rechtsblind“. Viertens ist nicht wirklich nachzuvollziehen, warum Rechte – umgeben von Rechten, die ihnen beim Interview zuhörten – ihre Aussagen hätten „mäßigen“ sollen. Fünftens ist das gesamte Befundmuster so stimmig und schlüssig, dass selbst einzelne Fälle derartiger „Mäßigungen“ das Gesamtbild schwerlich verzerrt haben.

Aus allen diesen Gründen ist Bittners Einwand nicht überzeugend, „die Radikalen“ hätten die Antworten in einem Umfang verweigert, welcher die Befunde „normaler“ aussehen lasse, als sie wären, und die naive Patzelt-Truppe habe deshalb, schlichten oder schlechten Gemüts, schon wieder einmal „verharmlost“. Eher verhält es sich mit Bittner und seinen Meinungsgenossen so, wie das einst Christian Morgenstern karikierte: „… weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf“.

Seien wir hier aber nicht zu streng, denn Bittner fährt – mit meiner fast vollen Zustimmung – so fort:

„Eine unvollkommene Umfrage ist besser als gar keine empirische Grundlage. Die Ergebnisse dürften im Großen und Ganzen ein … adäquates Bild ergeben.“

So ist es, und darüber werden wir nicht streiten. Zu streiten haben wir allerdings über die …

„…Interpretation der Ergebnisse durch Professor Patzelt, die durch eine einseitige Sichtweise verzerrt wird. Aber Einseitigkeit, zumal so offensichtliche, ist nichts Verwerfliches. Sie fördert Diskussion und Erkenntnis oft besser als ein ängstliches und unfruchtbares Sowohl-als-auch.“

 

 

IV. Inhaltliche Streitpunkte

Sehr wohl stimme ich mit Bittner darin überein, dass deutliche Aussagen für klärende Diskurse besser sind als ein sich nicht festlegendes Schwadronieren. Ich bestreite aber, dass meine Interpretation einseitig ist, und bringe Gründe dafür vor. Anschließend möge dann der Leser urteilen.

Noch ziemlich einer Meinung sind Bittner und ich bei Folgendem:

„Die Ergebnisse der neuen Studie … bestätigen … frühere Befragungen. PEGIDA ist keine Vereinigung, die nur aus Nazis und Rassisten bestünde, wie manche Linke vorschnell urteilen, sondern eine – weit überwiegend rechte – Sammlungsbewegung von Unzufriedenen und Politikverdrossenen. Professor Patzelt unterscheidet nach den Daten der Umfragen drei Typen von Teilnehmern: “xenophobe Patrioten” (53%), “bedingt Xenophile” (30%), “rechtsradikale Xenophobe” (17%). Ins Deutsche übersetzt heißt das ungefähr: “Wir haben in unserem schönen Deutschland zu viele Ausländer!” (53%), “Wir haben in unserem schönen Deutschland zu viele gefährliche oder unnütze Ausländer! Aber gegen Ausländer an sich habe ich nichts.” (30%), “Ausländer? Wo ist mein Baseballschläger?” (17%) Letztere Gruppe hält auch Gewalt gegen den politischen Gegner für gerechtfertigt. Nennen wir sie ruhig: Nazis.“

Mir scheint freilich, dass diese vergröberte „Übersetzung“ den Befragten und ihrem Wissen über sich nicht gerecht wird. Wem es egal ist, ob er seinen Gegenstand differenziert erfasst, muss sich darum zwar nicht kümmern. Unsereiner aber ist kein Satiriker, der – nach Tucholsky – „alles darf“, sondern Sozialwissenschaftler mit dem Anspruch, dass sich die Beforschten im von ihnen gezeichneten Bild auch wiedererkennen können – wenigstens bei einigem guten Willen auch ihrerseits. Wenn Bittner das anders halten will und sich um eigene Gesprächsfähigkeit mit Pegidianern nicht schert, ist das seine Sache. Ich hingegen habe immer Wert darauf gelegt, dass PEGIDA-Demonstranten sich von mir fair behandelt fühlen, weil ich nämlich fair mit ihnen umgehe – und zwar gerade auch dort, wo wir politisch auf unterschiedlichen Seiten stehen.

Nicht ganz Bittners alleinige Sache ist es aber, die dritte Gruppe von PEGIDA-Demonstranten einfach „Nazis“ zu nennen. Das scheint mir nämlich eine Verharmlosung des historischen Nationalsozialismus und seiner Parteigänger zu sein. Im Grunde verwenden Bittner & Co. denn Begriff „Nazi“ hier ja auch nur als Schimpfwort – und entkernen ihn für diesen Zweck. Die Folgen dessen, nämlich den Verlust differenzierter Sprech- und Kritikfähigkeit, werden wir vermutlich bald schon jenen öffentlich ankreiden müssen, die nicht einsehen wollten, welchen Bärendienst sie mit solcher verbaler Erregungssucht unserer politischen Kultur erweisen.

Gleiches gilt für jenen Entschluss Bittners, der sich an die folgende Passage aus unserer Studie anschließt: „Wer Abneigung schlechthin gegen Ausländer im eigenen Land als “Rassismus” bezeichnen will, der kann […] knapp 43% der heutigen PEGIDA-Demonstranten “Rassisten” nennen“. Darauf Bittner:

„Ich würde sagen: Wir machen das mal so. Denn die xenophobe Abneigung richtet sich ja tatsächlich nur höchst selten gegen Schweden oder Passauer, meistens aber gegen (echte oder vermeintliche) Ausländer, denen man ihre “Fremdheit” ansieht.“

Das kann man sicher so machen. Man hat aber auch dafür einen Preis zu bezahlen: Der Rassismus-Begriff wird dann sehr, sehr weit. Und wenn man ihn fortan nicht länger – im Grunde: biologisch-rassistisch – ans Aussehen von Menschen knüpfen will, sondern – als „echten“ kulturalistischen Rassismus – einfach ans kulturelle Anderssein (Religion, Gebräuche, Sprache …), dann wird man alsbald jede halbwegs sozial folgenreiche Differenzbildung als „rassistisch“ zu bezeichnen haben. Eingesessene Berliner verhalten sich dann „rassistisch“ zu den Schwaben am Prenzlauer Berg, aufgeklärte Intellektuelle „rassistisch“ zu katholischen Fundamentalisten – und auch jene „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, mit der Anti-Pegidianer sich gegenüber den ihnen verhassten „Pegidioten“ verhalten, wird dann als „kulturalistischer Rassismus“ angesehen werden können. Wollen wir solche Weiterungen wirklich?

Wie gesagt: Das kann man so machen. Meinerseits rate aber durchaus nicht dazu, sondern lade vielmehr ein, möglichst differenzierungsfähige Begriffe zu verwenden – wenigstens dann, wenn man es aufs Analysieren anlegt und nicht aufs Beschimpfen. Genau deshalb ist es so putzig, wenn Bittner nun den Vorwurf mangelnder Differenzierung an mich weiterreicht und dabei den großen Fragebogenexperten gibt:

„Leider hat Professor Patzelt es versäumt, Fragen zu stellen, die eine Unterscheidung zwischen kulturalistischem Patriotismus und völkischem Rassismus überhaupt erst ermöglicht hätten.“

„Völkischer Rassismus“ muss in diesem Zusammenhang wohl heißen: biologischer Rassismus. Der Punkt ist nun nicht, dass die traditionelle Rede von „Rassen“ – bzw. von „Völkern“ – hinsichtlich der Angehörigen unserer Spezies homo sapiens sapiens nichts anderes ist als die Folge kultureller Konstruktionen, denn natürlich kann man Leute auch nach ihrer Haltung zu rein Fiktivem befragen. Wesentlich ist vielmehr, dass – soweit ich sehe – von PEGIDA-Gegnern den „Peggys“ ohnehin nicht einfach „nur“ biologischer Rassismus vorgeworfen wird, sondern – viel weitergehend – gerade ein kulturalistischer Rassismus. Genau nach dessen Existenz aber haben wir gefragt, und zwar ganz ohne jedes Schlupfloch. Wir legten nämlich die folgende These zur Beurteilung vor: „Niemand sollte in einem Land leben, in das er aufgrund seiner Kultur, seiner Religion, seines Verhaltens oder seines Aussehens nicht passt!“ Dass also der Verzicht auf eine gesonderte Frage zum „biologischen Rassismus“ zur irgendwelchen „Schönungen“ führen könnte, wo es doch ausdrücklich um den viel weitergehenden Vorwurf des kulturalistischen Rassismus geht, ist somit nicht zu erkennen. Der hier umstrittene Punkt im Argumentationsmatch geht somit nicht an Bittner.

Er macht aber bei diesem ganzen Ballwechsel nicht „bella figura“. Ziemlich verrenkt ist etwa die folgende Aussage:

„Dies erleichtert es ihm [= Patzelt], bei der Einschätzung der PEGIDA-Anhänger immer die positivste Interpretationsvariante zu wählen.“

Wo, bitte, ist ein Beleg dafür – und schon gar für „immer“? Als solcher „Beleg“ soll Bittner anscheinend die folgende Deutung dienen:

„Aber wenn 43% der Befragten sagen, auch friedliche Muslime gehörten nicht zu Deutschland, weckt dann nicht vielleicht doch die Herkunft und nicht die Religion den Hass?“

Die Bittner gegenüber wohlwollendste Antwort auf diese Frage lautete: Vielleicht – falls nämlich die Befragten vergessen haben sollten, dass die unmittelbar vorhergehende Frage ganz allgemein den Islam, die jetzige aber (in ansonsten identischer Formulierung) konkrete Menschen islamischen Glaubens thematisierte – und gerade nicht ihre Herkunft. Obendrein ist seit längerem aus vielen Internetbeiträgen von Pegidianern klar zu erkennen, dass es in der Tat die – als „ihrem Wesen nach“ für unfriedlich und freiheitsfeindlich gehaltene – Religion ist, was PEGIDA-Anhänger am Islam und an Muslimen stört. Und es sei – der Vollständigkeit halber – aus der Beobachterperspektive auch noch angefügt: Zwei Millionen der rund vier Millionen in Deutschland lebenden Muslime sind Deutsche, weswegen ohnehin allein ihre Religion, nicht aber ihre Herkunft etwas zur Sache tut. Also geht auch dieser Punkt nicht an Bittner.

Erneut als großer Fragebogenexperte inszeniert sich Bittner bei den zwei Fragen, die wir zum Demokratieverständnis der Demonstranten stellten. Ex cathedra verkündet er:

„Ähnlich unzureichend ist die Fragestellung in Sachen Demokratie.“

Worum geht es hier aber konkret? Wir hatten – und zwar gerade so, wie das in der Interviewforschung üblich ist – zunächst grob nach der Grundhaltung zur Demokratie gefragt: Wäre sie „eher etwas Vorteilhaftes“ – oder „etwas Problematisches“? Und dann fragten wir, exakt wie in der – inzwischen in Buchform publizierten – Göttinger Studie des Kollegen Franz Walter nach einer konkrete Einschätzung der bundesdeutschen Demokratie gefragt: Wäre der Interviewartner mit ihr „zufrieden“, „teils/teils“ oder „unzufrieden“. Natürlich wäre es kein grundsätzliches Problem gewesen, aus den vielen bewährten Fragebatterien der empirischen Demokratieforschung zehn und mehr Fragen zu verwenden, mit denen sich das Demokratieverständnis der Pegidianer hätte detailliert vermessen lassen. Doch in praktischer Hinsicht kann man einen Fragebogen für eine Straßenbefragung nun einmal nicht beliebig vollstopfen, wenn man nicht nach etlichen Minuten Interviewabbrüche riskieren will. Mit ihnen wäre aber erst recht nicht viel gewonnen. Im Übrigen ging es uns ohnehin allein um den Generalverdacht, Pegidianer seien schon im Ansatz Anti-Demokraten.

Befragungsexperte Bittner aber wischt das alles rasch beiseite:

„Ja, wenn man nur wüsste, was die PEGIDA-Anhänger unter “Demokratie” verstehen! Man müsste sie glatt mal fragen! Aber vielleicht erführe man dann Dinge, die man lieber gar nicht wissen will.“

Wow & touché – da hat er es diesem PEGIDA-Verharmloser aber doch wieder einmal so richtig gegeben: Beschönigungsabsicht nachgewiesen; ab in die Ecke, und schämen möge er sich, aber sowas von …! Und wenn sich dann obendrein zeigt, dass zwar 71% der Pegidianer die Demokratie insgesamt für etwas Vorteilhaftes halten, drei Viertel der Pegidianer aber – wie schon in der Studie Franz Walters – mit der in Deutschland funktionierenden Demokratie nicht zufrieden sind, dann ist für jemanden mit Bittners Grundverdacht erst recht alles klar:

„… die Demokratie funktioniert eben nicht so, wie die “Pegidianer” es gerne hätten! Das montägliche Völkchen, das sich so gerne verbal zum Volk aufschwingt, es verlangt nach einer Demokratie, die nach seiner Pfeife tanzt.“

Zwar hätte Bittner auf den Seiten 75 und 77 unserer Studie (bequem herunterladbar über meinen Blog wjpatzelt.de …) präzise Befunde darüber nachlesen können, welche Merkmale und Einstellungen von Pegidianern tatsächlich mit ihrer grundsätzlichen Einstellung zur Demokratie sowie mit ihrer Bewertung unserer konkreten Demokratie zusammenhängen. Doch warum sollte er das tun? Er weiß doch alles Wichtige schon vorab! Eben deshalb können für ihn und seinesgleichen in empirischen Studien ja auch nur jene Ergebnisse stimmen, die zu dem passen, was man vorher schon für Tatsachen gehalten hat. „Vermeidung kognitiver Dissonanzen“ nennen das die Sozialpsychologen. Also merken wir uns: Forschung ist dafür da, Geglaubtes zu bestätigen, pardon: das konkret von mir Geglaubte als wahr nachzuweisen … (Vorsicht: Ironie!!)

Und weil das Bittner so darstellt, wenn auch – hoffentlich – nicht wirklich ebenso meint, ist ihm auch das Folgende lästig:

„Professor Patzelt wiederholt auch noch einmal seine “Diagnose” der Krankheit PEGIDA und seine Vorschläge zur “Therapie”, die nicht beim “Symptom” stehen bleiben dürfe, sondern zu den tieferen Ursachen dringen müsse. Eine Bewegung von besorgten, aber gutwilligen Bürgern sei erst durch hysterische Gegendemonstranten und parteiische Politiker und Journalisten in verhängnisvoller Weise isoliert und radikalisiert worden.“

Nun, ganz so sage ich das nicht. Doch im Wesentlichen behaupte ich tatsächlich weiterhin:

  • PEGIDA in Dresden ist nur die Spitze eines ganzen Eisbergs von Systemkritik und Politikunzufriedenheit – gerade so, wie ich das im Januar in der FAZ publiziert habe („Edel sei der Volkswille. Was brodelt da eigentlich unter der Pegida-Oberfläche: Nationalismus, Rassismus, Faschismus? Vielleicht geht es ja auch eine Nummer kleiner“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 21. Januar 2015, S. 12; leicht herunterladbar über meinen Blog wjpatzelt.de).
  • Dieser Eisberg wird nicht verschwunden sein, sobald man in Dresden seine Spitze zum Abschmelzen gebracht hat. (Siehe hierzu Joachim Klose / Werner J. Patzelt: Die Ursachen des Pegida-Phänomens, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 108, 11. Mai 2015, S. 13; leicht herunterladbar über meinen Blog wjpatzelt.de).
  • Die Spitze gipfelte deshalb so hoch auf, weil Zorn über arrogante, weit über jedes im pluralistischen Meinungsstreit angebrachte Maß hinausgehende Gegenreaktionen trotzige Solidarität mobilisiert haben – weswegen PEGIDA auch schrumpft, seit den Gegendemonstranten die Luft ausging. (Siehe hierzu auch meinen Beitrag „O wie schön sitzt es sich auf dem hohen Ross“, in: Der Hauptstadtbrief 128, 116. März 2015, leicht zugänglich über http://www.derhauptstadtbrief.de/cms/index.php/107-der-hauptstadtbrief-128/784-o-wie-schoen-sitzt-es-sich-auf-dem-hohen-ross).
  • Wenn wir nicht ein jederzeit von rechtpopulistischen Volkstribunen mobilisierbares Protestpotential in der deutschen Nichtwählerschaft „schlummern“ lassen wollen (so Bittners Begriff), dann sollten wir eben jene Probleme zu lösen beginnen, um die sich PEGIDA hochranken konnte; und diese Probleme umfassen vor allem die soziokulturellen Transformationsprobleme unserer Einwanderungsgesellschaft sowie unsere wachsenden, von passiv hingenommener Einwanderung angeheizten sozialen Verteilungskonflikte.

Mir – und gar nicht wenigen anderen – erscheint das als eine höchst plausible und obendrein recht unmittelbar praktisch-politisch nutzbare Einsicht. Doch wie wenig Bittner (& Co., wie zu vermuten ist) bis heute diese von mir vertretene Position und meine Argumente verstanden hat, geht aus seinen Folgebemerkungen hervor:

„Freut sich Professor Patzelt nun über das Ende der Gegenproteste? Überraschenderweise nicht. … Da wirft Professor Patzelt den PEGIDA-Gegnern erst ihren Protest vor – und dann spottet er höhnisch darüber, sie protestierten ja gar nicht mehr. Das ist doch ein wenig schäbig.“

Das Wort „schäbig“ ist ein Rückfall in den Stil von Bittners schäbigem Januar-Text. Doch wesentlich mehr Kritik als dieser sprachliche faux pas verdient jene Denkfaulheit, von welcher diese Glossierung meiner Position zeugt. Denn so verhält es sich mit meiner Lagebeurteilung wirklich:

  • Nie habe ich den Gegendemonstranten ihren Protest als solchen vorgeworfen. Er ist in einer pluralistischen Demokratie nämlich genauso legitim wie der Protest der Pegidianer. Vorgeworfen habe ich ihnen vielmehr Arroganz sowie hysterische Maßlosigkeit im verbalen Angriffs- und Denunziationsverhalten gegenüber PEGIDA. Und vorgeworfen habe ich ihnen das gewiss nicht deshalb, weil ich das Jedermann-Recht bestritte, sich ganz nach eigenem Ermessen zu blamieren zu dürfen. Ursache meiner Kritik war keine andere als die folgende: Genau dieser überzogene Gegenprotest hat PEGIDA gemästet – und obendrein das politische Klima unserer Stadt über jenen Grad hinaus vergiftet, den durchaus auch radikale PEGIDA-Redner zu verantworten haben.
  • Und zwar spotte ich nun tatsächlich über die Gegendemonstranten. Doch ich mache mich dabei nur über zwei durchaus zusammenhänge Defizite der einst so lautstarken Pro- und Gegendemonstranten lustig:
    • Wenn jetzt die Pro- und Gegendemonstrationen ersatzlos eingestellt werden, obwohl PEGIDA weiterhin auf der Straße ist, dann haben entweder die Pro- und Gegendemonstranten ihre im Dezember und Januar dahingehende Lagebeurteilung korrigiert, PEGIDA sei so gefährlich, dass man in Dresden nun mit nachgerade sämtlichen nicht-gewalttätigen Mitteln das Wiederentstehen von Rassismus und Demokratiefeindlichkeit bekämpfen müsse. War diese Lagebeurteilung aber damals falsch, dann gab es auch keinen guten Grund dafür, jemanden wie mich einen „Verharmloser“ zu nennen, bloß weil er schlicht auf Folgendes verwies: Bei PEGIDA entfachen überwiegend normale, wenn auch rechtsstehende und mitunter kraus denkende Mitbürger ein von unserem System leicht verdauliches Maß an – obendrein politisch unschwer aufzufangender – System- und Politikkritik, der man gewiss mit guten Gründen entgegentreten kann, die aber keinerlei Panikreaktionen erforderlich macht.
    • Oder aber es stimmte die damalige Lagebeurteilung der PEGIDA-Gegner und ich war wirklich ein Verharmloser, der – Schande über ihn! – die Abwehrmoral unserer freiheitlichen Gesellschaft unterminierte. Dann freilich zeugt es von erheblicher Durchhalteschwäche, wenn jetzt die Pro- und Gegendemonstrationen einfach eingestellt werden – während immer noch zwei- bis dreitausend Pegidianer daran sind, den Bestand unserer Demokratie gefährden, ja sich vielleicht mehr und mehr rassistisch radikalisieren, weil ihnen nun niemand mehr mit Sprechchören, Konzerten oder Putzaktionen entgegentritt. Wer aber solche Verantwortungslosigkeit praktiziert, der muss sich dann eben auch vorwerfen lassen: Er wird wohl eher ein Event-Begeisterter gewesen sein, der um jeden Preis vermeiden wollte, „abseits der Anständigen“ verortet zu werden – und gerade kein mit langem Atem ausgestatteter Verteidiger unserer Demokratie. Gerade solche aber brauchen wir – und keine Schönwetterdemonstranten, die bei Regen ihre Kundgebung absagen.

Mir scheint nun, dass viele PEGIDA-Gegner tatsächlich beide Defizite aufweisen: eine völlig überzogene Lagebeurteilung im Dezember und Januar, die ihnen vor allem zur politischen Selbstbestätigung diente – und jetzt ein bequemes Zuhausebleiben voller Hoffnung, PEGIDA möge irgendwie von selbst vergehen. Eben auf den Widerspruch zwischen derartigen Fehlern und dennoch zur Schau gestellter stolzer Selbstgerechtigkeit antworte ich mit der mir eigentümlichen Ironie.

Ganz ohne Ironie aber füge ich an: Mit allen Pro- und Gegendemonstranten stimmte und stimme ich ein im Anliegen, unsere weltoffene, freiheitliche und demokratische Ordnung zu sichern; das Überschießende (griechisch: „Hysterische“) ihrer kognitiven und emotionalen Posen lehnte ich aber als theatralisch und darin den real bestehenden politischen Diskursnotwendigkeiten unangemessen ab; gegen das Verklingen jenes Theaterdonners habe ich überhaupt nichts einzuwenden; doch mit Bedauern nehme ich zur Kenntnis, dass nun – beim Abklingen von PEGIDA als Symptom – auch die Bereitschaft schwindet, sich mit jenen Ursachen zu befassen, die zu PEGIDA führten. Diese fortbestehenden Ursachen werden nämlich eines nicht allzu fernen Tages ein „PEGIDA-Revival“ hervorbringen, unter welchem Namen und unter welchen Anführern auch immer. Wie viele aber werden dem Schäfer aus dem Dorf zu Hilfe eilen, wenn eines Tages wirklich der Wolf kommt – nachdem sich vorher seine Alarmrufe immer wieder als grundlos erwiesen haben? Eigentlich müsste nun jeder verstehen können, was mich in der „Causa PEGIDA“ umtreibt. Doch will es auch jeder verstehen?

Weil nun aber Bittner, aus welchen Gründen auch immer, meine Sichtweise gerade nicht begreifen mag, missversteht er auch die folgende meiner Aussagen: Vor allem die Gegenreaktionen auf PEGIDA hätten unserer politischen Kultur geschadet – indem sie nämlich nicht einfach, wie das ganz normal wäre, konkrete politische Positionen bekämpft, sondern überhaupt das Vorbringen der bekämpften Positionen als illegitim dargestellt hätten. Bei Bittner wird daraus, dass Patzelt …

„den Gegnern von PEGIDA einseitig die Schuld an der “Vergiftung sehr vieler sozialen Beziehungen” zuschiebt“.

Dabei wüsste er doch gewiss Rosa Luxemburg zitieren, wenn es ihm argumentativ halt nur in den Kram passte. Leicht ist die entsprechende Stelle in der „Wikipedia“ zu finden:

Rosa Luxemburg, in: Die russische Revolution. Eine kritische Würdigung, Berlin 1920, S. 109: Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei [, nur für die „Anständigen“; WJP] – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium [der ‚politisch Korrekten‘;WJP] wird.“

Eben die (zumindest: billigend in Kauf genommene) Aufkündigung dieser zentralen Spielregel pluralistischer Demokratie – nämlich: zwar den Gegner zu bekämpfen, ihm aber nie das Recht abzusprechen, seine (bekämpfte) Position vertreten zu können – habe ich den PEGIDA-Gegnern stets vorgeworfen.

Die von mir, durchaus leichten Herzens, in Kauf genommene Nebenwirkung dessen war die – im Januar auch von Michael Bittner geschürte – Verdächtigung, ich würde meinerseits mit den Positionen von PEGIDA sympathisieren. Dabei tat ich nichts anderes, als dafür zu plädieren, diese Positionen doch zunächst einmal anzuhören und sich dann konkret mit ihnen auseinanderzusetzen – und zwar gerade auch in der persönlichen Konfrontation mit denen, die man politisch zu bekämpfen wünscht. Sich gerade so zu verhalten, hätte den Spielregeln jener pluralistischen Demokratie entsprochen, die es zu verteidigen gilt. Vielleicht erkennt nun wenigstens im Nachhinein der eine oder andere: Nicht jeder, der in der Pose des Freiheitskämpfers auftritt, tut wirklich der Sache der Freiheit etwas Gutes; und nicht jeder, der sich für die Freiheit des Andersdenkenden engagiert, denkt auch selbst so wie der Andersdenkende. Warum nur muss man so Elementares immer wieder in einer Weise erklären, als handele es sich um unzugängliche höhere Mathematik!

 

V. Ein colloquium privatissime et gratis

Zu diesem Kolloquium (gratis, wenn auch nicht wirklich privatissime) lade ich Michael Bittner umso nachdrücklicher ein, als mir scheint, er wäre gegen Ende seines Textes gar in die Gefilde reinen Unfugs geraten – dort nämlich, wo er meine Position so zusammenfasst:

„Der Therapievorschlag von Professor Patzelt: Man müsse mit den Rechten auf der Straße in einen Dialog treten, ihre Sorgen ernst nehmen und ihre Forderungen womöglich erfüllen.“

Was ich wirklich sage, ist nämlich Folgendes:

  • Nicht einfach mit den „Rechten auf der Straße“ muss man in einer pluralistischen Demokratie ins Gespräch kommen, sondern – vor allem – mit jenen vielen nicht auf der Straße befindlichen Nicht-Linken und Nicht-Mittigen, die ähnlich wie die Demonstrierenden denken und in Deutschland, ausweislich demoskopischer Befunde, einen stattlichen Teil der Bevölkerung ausmachen. Demokratie wird nämlich nicht mehr richtig funktionieren, wenn man beginnt, den politischen Diskurs nur unter seinesgleichen zu führen – und am Ende dann mit wenigen „Anständigen“ allein bleibt, nachdem man immer weitere Teile des „gemeinen Volkes“ als zu blöd fürs eigene Niveau ausgegrenzt hat.
  • Und natürlich muss man die Sorgen von Demonstrierenden ernst nehmen; das ist schließlich der Sinn von Demonstrationen in einer Demokratie! Dass so viele zu arrogant dafür waren, auch nur in die Nähe ihres Verstandes die Einsicht heranzulassen, dass es wirkliche Probleme gäbe bei der Transformation unseres Landes zu einer multikulturellen und multireligiösen Einwanderungsgesellschaft, das muss man doch nicht für ein Ruhmesblatt unserer pluralistischen Demokratie halten!
  • Vollends mit dem Nach-Denken meiner Position hat Bittner dort aufgehört, wo er behauptet, ich verlangte nach einer „Erfüllung der Forderungen PEGIDAs“. Erstens: Welcher Forderungen denn? Der neunzehn Punkte, der sechs Punkte, der zehn Punkte, der „Charta für Muslime“? Oder solcher Forderungen bei allen diesen Wunschlisten, die – wie PEGIDA-Gegner gerne und zu Recht anmerkten – ohnehin längst Bestandteil deutscher Politik sind? Und zweitens: Seit wann läuft das Zuhören denn notwendigerweise auf das Einwilligen in gehörte Forderungen hinaus? Wenn bei einem Streik die Arbeitgeber den Streikenden bei ihren Forderungen sorgfältig zuhören: Ist das wohl schlecht? Und falls gut: Folgte daraus schon eine Pflicht, die gehörten und verstandenen Forderungen auch zu erfüllen?

 

Mir scheint, dass der gute Michael Bittner hier um einer polemischen Pointe willen seinem Verstand eine Auszeit vergönnt hat. Natürlich darf man das machen. Doch man wird kein Lob dafür erwarten.

Und schon gar nicht für auf der Höhe des behandelten Gegenstandes halte ich Bittner dort, wo er sich mit meiner ins Bild der „Repräsentationslücke“ gefassten Argumentation beschäftigt. Ich schrieb: „Tatsächlich finden die Deutschen mit politischer Grundeinstellung rechts der Mitte seit längerem kein respektables und obendrein stabiles Personal- und Programmangebot mehr. Eben das ist jene ‚Repräsentationslücke‘, in welche rechte Bewegungen wie PEGIDA – so wie zuvor, freilich als Parteien, die Republikaner, die DVU und die NPD – unschwer eindringen können.“ Bittner macht daraus das Folgende:

„Merkwürdig: Wenn es immer Parteien gab, die in die Lücke eindrangen, wann klaffte sie denn je? Die Antwort: Nie. Es gibt keine Repräsentationslücke außerhalb des Kopfes von Professor Patzelt. Die rechten Deutschen wurden immer repräsentiert. Aber sie wurden durch diese Repräsentation stets aufs Neue enttäuscht, weil die Forderungen, die radikale Rechte so haben, von keiner demokratischen Partei durchgesetzt werden können. Es gibt keine Mehrheit für sie, oft sind sie nicht einmal mit der Verfassung vereinbar. Aus dieser notwendigen Folgenlosigkeit, nicht aus einem Mangel an Repräsentation, resultiert die Enttäuschung der rechten Bürger.“

Hätte Bittner mein Argument verstanden, dann würde er sich mit meinem Argument auseinandersetzen – und nicht mit einem, das er mir simpel unterschiebt. Deshalb kommen wir jetzt zum Kern des colloquium privatissime et gratis:

  • Mir geht es darum, gerade kein von populistischen Volkstribunen zum Schaden unseres Gemeinwesens mobilisierbares Protestpotential entstehen zu lassen, welches dann – vor allem – in den Kreisen der Nichtwähler „schlummert“ (so Bittners Begriff).
  • Deswegen plädiere ich dafür, dass alle staatstragenden Parteien sich bemühen, die von ihnen halbwegs erreichbaren Bürger an sich zu binden: staatstragende linke Parteien (Linke, SPD, Grüne) die links empfindenden Bürger, staatstragende rechte Parteien (CDU/CSU; ganz unklar: auch die AfD?) die rechts empfindenden Bürger. (Und dass mit „rechts“ und „links“ die wichtigen Dimensionen unserer politischen Debatten mittlerweile sehr unbefriedigend erfasst werden, weiß ich schon auch. Nur ist hier nicht der Platz, auch das noch abzuhandeln.)
  • Wann immer die Bürger – schlecht informiert und vorurteilsbeladen, wie sie oft sind – sachlich oder politisch Falsches wollen, darf man sie nicht irgendwelchen Rattenfängern überlassen. Vielmehr muss gegen solches Falsche argumentieren und die Bürger von ihm abzubringen versuchen – spätestens auf den Wahltag hin.
  • Dergleichen wird aber nur gelingen, wenn solches Argumentieren auf einem Minimum an politischem Vertrauen aufruhen kann, das die Bürger dem Argumentierenden entgegenbringen. Wenn einem jemand nämlich schon gar nicht mehr zuhört, dann wird man ihn auch schwerlich mit Argumenten überzeugen können. (Natürlich folgt daraus nicht, dass man Zuhörende immer überzeugen kann. Doch wenn sich der Gesprächspartner von vornherein verschließt, dann gibt es schon von vornherein gar keine Chance aufs Überzeugen …)
  • Das für einen aufs Überzeugen setzenden – und nicht: aufs Mundtotmachen ausgehenden – politischen Diskurs grundlegende Minimum an Vertrauen fällt aber nicht mannagleich vom Himmel, und schon gar nicht „je nach Bedarf“, sondern muss bereits vorab verdient und andauernd kultiviert
  • Eben eine solche Kommunikationsbeziehung aufzubauen und intakt zu halten, in der solches Grundvertrauen besteht, und im Rahmen welcher deshalb mit Andersdenkenden gestritten werden kann, die einem auch zuhören, nannte Ernst Fraenkel – Sozialdemokrat und einer der Gründerväter der deutschen Politikwissenschaft – einst die „Veredelung des empirisch vorfindbaren Volkswillens“. Sie hielt er für eine der zentralen Aufgaben derer, welchen – wie Parteien und Parlamenten – die politische Repräsentation anvertraut ist. Diese Repräsentationsaufgabe substantiell – also: nicht rein formal – erfüllend, tragen sie den auf repräsentative Demokratie gegründeten Staat. Ich teile diese Position Ernst Fraenkels voll und ganz.
  • Also meint „Repräsentationslücke“ in meinem Begriffsgebrauch exakt das Folgende: Es gibt einen Bereich im politischen Spektrum der Bürgerschaft, aus dem heraus kein grundständiges Vertrauen zu einer staatstragenden Partei besteht.
  • Im linken politischen Spektralbereich lassen die staatstragenden Parteien Linke, Grüne und SPD so gut wie keinen Wunsch von links empfindenden Bürgern nach Repräsentation unabgedeckt, und das ist auch gut so. Linkspopulistische Protestparteien systemfeindlicher Art spielen in Deutschland deshalb keine Rolle, und das möge auch so bleiben.
  • Im rechten politischen Spektralbereich gibt es aber sehr wohl Bürger, und zwar – ausweislich der Wahlergebnisse – gar nicht wenige, die sich von der rechtesten klar staatstragenden Partei, nämlich der Union, gerade nicht repräsentiert fühlen. Genau sie wählten oder wählen, je nach Zeitumständen und politischer Konjunktur, die Republikaner, die DVU oder die NPD – oder setzen derzeit ihre Hoffnungen auf die AfD. Womöglich etabliert sich diese als eine „staatstragende Partei“; dann wäre diese Repräsentationslücke vielleicht geschlossen. Doch ob es so kommt – einschließend die Fortexistenz der AfD, einen staatstragenden Charakter der AfD, nennenswerte Wählerwirksamkeit der AfD – steht derzeit noch in den Sternen. Und also besteht die Repräsentationslücke fort.

Es liegt grotesk neben meinem Argument, wenn Bittner diese Repräsentationslücke mit dem Hinweis für nichtexistent erklärt, dass doch von Rechten irgendwelche Parteien gewählt würden. Nicht alle Parteien, die im rechten politischen Spektralbereich auftreten, tragen doch unseren Staat; gegen eine von ihnen läuft vielmehr ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Und der entscheidende Punkt findet sich doch gerade in der Antwort auf die folgende Frage: Wie weit schafft es unsere politische Klasse auch zum rechten Rand hin, die Bürger mit Argumenten zu erreichen, auch dort ein grundständiges Systemvertrauen zu kultivieren und die – so oft so undurchdachten, rüden, simplistischen, krausen, inhumanen, verfassungsfeindlichen … – Denkweisen und Willensbekundungen aus diesem politischen Spektralbereich soweit zu „veredeln“, dass sie einerseits zu unserem pluralistischen Diskurs anschlussfähig werden – und andernteils von den in unsere Demokratie einzubindenden Randständigen immer noch als „im Kern“ ihre Denkweisen und Willensbekundungen empfunden werden? Wer hier nicht auf Integration, sondern auf Ausgrenzung setzt, der versöhnt nicht, sondern spaltet – und eben das tut einem auf pluralistische Demokratie setzenden Gemeinwesen nicht gut.

Falls Bittner sich in der Lage sähe, den soeben dargelegten Gesamtzusammenhang meines Arguments nachzuvollziehen, würde er womöglich einsehen, dass eine solche Repräsentationslücke durchaus kein Phantasieprodukt ist, sondern genau so, wie oben erneut beschrieben, in unserer politischen Wirklichkeit besteht. Gerade in dieser Lücke findet sich ein nennenswerter Teil der Wahlabstinenten – und wächst dort vermutlich weiter. Sogar auf parteiprogrammatischer Ebene könnte Bittner diese Repräsentationslücke in den Daten des Manifesto-Projekts am Wissenschaftszentrum Berlin entdecken, wenn er etwa dem folgenden Link nachgehen und dann die Daten für Deutschland aufrufen wollte: https://visuals.manifesto-project.wzb.eu/mpdb-shiny/cmp_dashboard/. Bislang – und so auch in seinem Text vom 8. März – aber fiel ihm zur „Repräsentationslücke“ im Wesentlichen nur ein: „Ist natürlich Quatsch!“

Natürlich? Vielleicht will Bittner es ja so halten wie (in Brechts entsprechendem Theaterstück) Roms Kardinäle gegenüber Galilei – oder wie die naturwissenschaftliche Fachwelt, als Alfred Wegener zu Beginn des 20. Jh. seine Theorie der Kontinentaldrift vortrug. Meine Orientierungspunkte sind jedenfalls Leute wie Galilei und Wegener, die das von ihnen Erkannte geduldig vertraten und sich im Lauf der Zeit damit auch durchsetzten – nicht aber deren einsichtsunwilligen Zeitgenossen, selbst wenn diese sich, dank wechselseitigen Einvernehmens und Bestätigungsgehabes, jahrelang mächtig klug vorkamen.

Gerade so klug gibt sich zunächst auch Bittner – bevor er am Ende dann doch, was Anlass zur Hoffnung gibt, auf mein zentrales Argument einspurt. Noch im Satz davor will er es freilich so gar nicht gelten lassen:

„Niemand sollte sich einreden lassen, erst der Protest bringe den Rechtsradikalismus hervor. Im Gegenteil: Nur eine wache Gegenbewegung kann ihn in Deutschland in Grenzen halten.“

Das möge Bittner vorhalten, wem dergleichen nötig zu sein scheint. Ich brauche eine solche Vorhaltung gewiss nicht. Denn aus meiner Aussage, der Gegenprotest habe PEGIDA besonders stark gemacht, folgt ja nicht, dass zunächst einmal die Gegendemonstranten aufgetreten wären und sich dann PEGIDA überhaupt erst gebildet habe, also: dass der Rechtsradikalismus vom Protest gegen ihn hervorgebracht werde. Welche Logik – die Bittner zwar nicht ernst meint, mit der er aber spielt.

Und sein zweiter oben zitierter Satz zeugte sogar, in böswilliger Auslegung, von so etwas wie „Latenzrassismus“. Nach Bittner gibt es in Deutschland nämlich eine Gruppe von Menschen, die uns allein schon durch ihre Dasein als Andersartige ganz unausweichlich bedrohen; mit ihnen zu reden, sie verstehen, ja sie gar gewinnen zu wollen, ist völlig sinnlos; sie sind unsere Feinde schlechthin, gegen die es eine allzeit wache Gegenbewegung braucht; und nie kann dieser Kampf ein Ende haben, denn: „Das Böse ist immer und überall!“ (vgl. hierzu die exemplarische Analyse im Bereich des alltagspraktischen Finanzwesens, vorgetragen von der „Ersten Allgemeinen Verunsicherung“ auf https://www.youtube.com/watch?v=KYiNcxBqmsE). Ob da nicht der „ewige Jude“ seinen politisch korrekten Nachfolger gefunden hat? Igitt …

Nun ja, genug der – nicht wirklich ernstgemeinten – satirischen Bosheit. Bittner kriegt, schön für ihn und uns, nämlich doch noch heil die Kurve:

„Man mag Professor Patzelt allerdings darin zustimmen, dass es sinnvoll ist, demokratische konservative Positionen nicht als Nazismus zu dämonisieren. Denn so verstärkt man nur grundlos das rechte Frustpotenzial.“

Genau so ist es. Also möge man, von dieser Einsicht ausgehend, fortan auch entsprechend argumentieren und  handeln.

 

Bildquelle: http://michaelbittner.info/person/

 

 

 

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