Was von den „Chemnitzer Hetzjagden“ bleibt – samt einigen Lehren

Was von den „Chemnitzer Hetzjagden“ bleibt – samt einigen Lehren

Nun scheint klar zu sein und setzt sich auch in mehr und mehr Medien durch Veränderung der Wortwahl klarstellend durch: Jene „Hetzjagden“, bei denen sich – so der anfangs letzter Woche allenthalben verbreitete Eindruck – sehr viele von denen, die in Chemnitz demonstrierten, auch noch ans Fangen und Verprügeln von Migranten machen wollten, hat es so nicht gegeben.

So bezeugen das unter anderem der Chefredakteur der für Chemnitz zuständigen Regionalzeitung (https://www.freiepresse.de/chemnitz/chemnitz-darum-sprechen-wir-nicht-von-hetzjagd-artikel10299149?utm_campaign=Echobox&utm_medium=Social&utm_source=Facebook#Echobox=1535657147; vgl. auch https://www.deutschlandfunkkultur.de/rechte-ausschreitungen-in-chemnitz-haltungsproblem-der.2950.de.html?dram%3Aarticle_id=426645 sowie https://philosophia-perennis.com/2018/08/30/angebliche-hetzjagden-auf-migranten-in-chemnitz-frei-erfunden/, https://uebermedien.de/30950/die-verdorbene-debatte-ueber-hetzjagden-in-chemnitz/), die sächsische Generalstaatsanwaltschaft (https://www.publicomag.com/2018/09/sachsens-generalstaatsanwaltschaft-widerspricht-merkel/) sowie die verfügbaren (und, beispielsweise, auf meiner Facebook-Seite von vielen Nutzern zusammengetragenen; danke!) Videodokumente (siehe auch https://sciencefiles.org/2018/09/02/die-lugenspirale-wie-chemnitz-von-linken-inszeniert-wird/). Bitten an das Bundeskanzler- sowie Bundespresseamt, die dort – so die Behauptung der Kanzlerin vom Beginn der letzten Woche (siehe http://www.spiegel.de/video/chemnitz-angela-merkel-zu-gewalt-und-ausschreitungen-video-99020291.html und https://www.youtube.com/watch?v=CuGBGzv4GQU) – verfügbaren Filmaufzeichnungen realer Menschenjagden zu veröffentlichen, blieben bislang unbeantwortet (siehe ebenfalls https://www.publicomag.com/2018/09/sachsens-generalstaatsanwaltschaft-widerspricht-merkel/). Über die Gründe darf nachgedacht werden. Womöglich gibt es von Vorgängen, die nicht stattgefunden haben, auch keine Videos.

Freilich folgt daraus keineswegs, dass es nur das gegeben hat, was auf Videos festgehalten wurde (etwa: https://www.journalistenwatch.com/2018/08/31/um-journalisten-bilder/; https://www.youtube.com/watch?v=xQSeZKDCcb0; https://vera-lengsfeld.de/2018/08/28/was-geschah-in-chemnitz-wirklich-ein-augenzeugenbericht/). Ganz unbestreitbar sind Einzelfälle von Flüchten und Hinterhersetzen (siehe etwa https://www.youtube.com/watch?v=AnlbzQ7kze0#action=share bzw. https://www.youtube.com/watch?v=pgBnYvEEbns; https://ze.tt/nach-viralem-video-das-ist-die-geschichte-des-menschen-der-in-chemnitz-von-einem-neonazi-gejagt-wurde/, https://www.youtube.com/watch?v=y1rGCA-hcUE; den Schluss von https://www.vice.com/de/article/qvmq9d/ausschreitungen-in-chemnitz-gefluechtete-migranten-erzaehlen-wie-sie-gewalteskalation-erleben?utm_medium=cta&utm_source=vicefbde sowie https://twitter.com/FabianEberhard/status/1033796270106787841). Diese Fälle, selbst wenn wenige, verdienen keine Entschuldigung, sondern Kritik an den Verursachern.

Doch es diente durchaus nicht der Gewinnung eines klaren Lagebildes, dass derlei Einzelfälle in Berichten und Kommentaren tagelang als typisch für die Chemnitzer Ereignisse ausgegeben wurden (exemplarisch: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/chemnitz-nach-den-ausschreitungen-alle-boesen-sollen-wieder-gehen-a-1225166.html). Wie es unter Journalisten, die auf ihre Professionalität doch stolz sind, gleichwohl zu einem solchen Missverhältnis zwischen dem Geschehenen und dem Mitgeteilten kommen konnte, wird in einigen Texten aufzuklären versucht (u.a.: https://spoekenkiekerei.wordpress.com/2018/08/30/zeitonline-die-bundesregierung-und-die-fakenews-des-jahres/; https://www.michael-klonovsky.de/acta-diurna; https://www.journalistenwatch.com/2018/08/31/um-journalisten-bilder/; https://www.wochenblick.at/chemnitz-insider-packt-aus-rechte-hetzjagden-waren-erfunden/). Hoffentlich wird aus ihnen – soweit zutreffend – auch gelernt. (Zur – gerade auch emotionalen – Eskalationsdynamik, die sich von beiden Seiten her durchaus unterschiedlich ausnahm, siehe unter den mir zugestellten Videos u.a. https://twitter.com/JFDA_eV/status/1034409927857586176; https://www.facebook.com/OnlineradioKSA/videos/vb.157462808159462/1068129406726906/?type=2&theater; https://www.huffingtonpost.de/entry/chemnitz-erschreckendes-video-zeigt-hautnah-wie-der-rechte-mob-agierte_de_5b8572b3e4b0162f471ce3a5; https://www.youtube.com/watch?v=9iwv0AuWyjY; https://twitter.com/BoehmeMarco/status/1034145343271825410; https://www.facebook.com/uwe.scholz.1614/videos/vb.100003056870195/1637906576321222/?type=2&theater&hc_location=ufi; http://www.spiegel.de/politik/deutschland/chemnitz-nach-den-ausschreitungen-alle-boesen-sollen-wieder-gehen-a-1225166.html; https://www.vice.com/de/article/qvmq9d/ausschreitungen-in-chemnitz-gefluechtete-migranten-erzaehlen-wie-sie-gewalteskalation-erleben?utm_medium=cta&utm_source=vicefbde; https://www.youtube.com/watch?v=7rLUh9RAspE; https://www.facebook.com/henry.speer.7/posts/1585424151563707?hc_location=ufi, https://www.deutschlandfunkkultur.de/rechte-ausschreitungen-in-chemnitz-haltungsproblem-der.2950.de.html?dram%3Aarticle_id=426645).

Besonders schön wäre es in diesem Zusammenhang, wenn sich investigativer Journalismus in Zukunft ebenfalls auf die mögliche Rolle von Linken oder Antifa bei der Verfertigung verzerrter Medienwirklichkeit erstrecken würde. (Folgendes scheint – nach Aussagen von Leuten, die sich näher mit der Sache befasst haben – das Auslöservideo gewesen zu sein, ins Netz gestellt von einer Organisation „Antifa Zeckenbiss“: https://www.youtube.com/watch?v=Eig_EHMi6q0; siehe ferner https://www.facebook.com/photo.php?fbid=1831081356947697&set=p.1831081356947697&type=3&theater sowie https://www.facebook.com/photo.php?fbid=1225901380885626&set=p.1225901380885626&type=3&theater). Natürlich sollten die Befunde näherer Aufklärung dann an leicht zugänglicher Stelle bekannt gemacht werden.

Zwar sind die Vorgeschichte und Auslöser der dokumentierten Szenen von Weglaufen und Nachlaufen kaum einmal verlässlich dokumentiert. Also lassen sie sich nicht wechselseitig einvernehmlich einschätzen. Doch der unmittelbare gemeinsame Nenner des Geschehenen, insbesondere des teils lautstark-empörten, teils still-besorgten Protestverhaltens scheint heftige Empörung über den – anscheinend von Migranten begangenen – Totschlag an einem Mitbürger zu sein, desgleichen über die schweren Messerverletzungen zweier weiterer Chemnitzer. Mittelbarer, doch durchweg fassbarer Grund jener Demonstrationen war Zorn über üble Folgen der fahrlässigen Migrationspolitik Deutschlands, von denen einige zunächst zum Nährboden, sodann zum Anlass der Chemnitzer Proteste wurden (siehe u.a. https://www.welt.de/politik/deutschland/article181373378/Toedliche-Messerattacke-Kriminalitaet-in-Chemnitz-Das-sind-die-Fakten.html; https://twitter.com/BoehmeMarco/status/1034145343271825410). Solcher Zorn ist zwar schon seit Beginn der Dresdner PEGIDA-Demonstrationen ganz unübersehbar (siehe etwa Werner J. Patzelt / Joachim Klose: PEGIDA. Alarmsignale aus Dresden, Dresden [Thelem] 2016). Doch was damals vielen wie eine rein eingebildete und anders denn rassistisch gar nicht erklärbare Quelle von Besorgnis erschien, hat sich seit der Silvesternacht 2015/16 immer wieder als höchst real erwiesen. Nun nähren solche Erfahrungen bittere und trotzige, obendrein stark solidarisierungs- und mobilisierungskräftige Gefühle eines „Wir haben es ja schon lange gesagt, doch die Verantwortlichen haben nicht auf uns hören wollen!“

Es gibt gute Gründe zur Vermutung, dass Spannungen zwischen länger schon im Land Lebenden und Zuwandernden – und freilich auch zwischen Zuwanderern untereinander – schlicht zur Wirklichkeit einer werdenden multiethnischen und multikulturellen Migrantengesellschaft gehören. Und weil sich das erst recht solange so verhält, wie eine solche Gesellschaft von einem Großteil der Politikerschaft gegen den ausdrücklichen Willen einer immerhin deutlich ins Gewicht fallenden Minderheit in der Bevölkerung errichtet wird, müssen wir auch in den kommenden Monaten und Jahren mit den Auslösern und mit den Folgen von Ereignissen wie unlängst in Chemnitz rechnen – und uns obendrein darauf gefasst machen, dass viele üblen Entwicklungen durch Unzulänglichkeiten medialer Berichterstattung auch noch verschärft werden (vgl. etwa https://www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=alM_zAZ2S1Q; siehe dazu auch https://vera-lengsfeld.de/2018/08/30/wie-man-den-ausnahmezustand-herbei-schreibt/).

Das alles ist überhaupt nicht gut für unser Land und für jene, die in ihm leben. Besser wäre es, wenn vorausschauende Politik die Herbeiführung all dessen vermieden hätte. So war es aber nicht. Vielmehr verhielten sich große Teile von Politiker-, Journalisten- und Bürgerschaft ganz so, als wäre gut gemeint auch schon gut getan. Doch Geschehenes, selbst wenn es im Einzelfall ganz falsch war, lässt sich nicht mehr ändern. Also müssen wir mit den Ergebnissen von erheblichen, oft schon vor 2015 begangenen Politikfehlern leben.

Das heißt aber keineswegs, dass man untätig dem Weiterschwären geschlagener Wunden oder  den Folgeübeln unbewältigter Herausforderungen zusehen müsste. Auf der einen Seite kann man sehr wohl unerwünschte Migration drastisch reduzieren, die Verfahren zur Feststellung eines Bleiberechts beschleunigen, die Rückführung von Migranten ohne Bleiberecht in deren frühere Aufenthaltsländer endlich von der Theorie zur Praxis machen und die Anziehungskraft unserer Sozialsysteme für Leute reduzieren, die hier einfach ein besseres Leben suchen. Auf der anderen Seite kann man – endlich! – ein wirkungsvolles Einwanderungsgesetz (oder „Fachkräftezuwanderungsgesetz“) schaffen, das genau jene Migranten ins Land holt, die wir tatsächlich brauchen: leistungswillige Auszubildende, Pflegekräfte, Handwerker, Ingenieure, Ärzte, Wissenschaftler – und Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter in Gastronomie oder Hotellerie ohnehin. Schnell änderte sich wohl auch das Bild des „Ausländers“, wenn solche Migranten die Mehrheit der neu ins Land Kommenden stellten. Die meisten im Lande würden in ihnen tüchtige Mitbürgerinnen und Mitbürger erkennen, integrationsfreudige Leistungsträger, für deren Mitmachen in unserer überalternden Gesellschaft man dankbar ist – und auf deren in unserem Land erbrachten Leistungen wir ebenso stolz wären wie auf unsere eigenen. Eines Tages werden sie dann wohl nicht nur Besitzer eines bundesrepublikanischen Passes geworden sein, sondern gerne Deutsche – wie inzwischen die zu Kaisers Zeiten in den Ruhrpott gezogenen Polen. Für die länger schon im Land Lebenden könnte es dann auch selbstverständlich werden, dass ein Deutscher nicht nur weiß oder braun sein kann, sondern ebenso schwarz, rot oder gelb. Gemeinsame Sprache und gern geteilte Alltags-, Verfassungs- und Hochkultur würden uns alsbald verbinden sowie uns als Teile eines zusammengehörenden, guten Ganzen empfinden lassen. In einem solchermaßen patriotischen Land zählt nämlich nie die Hautfarbe oder Herkunft eines Menschen, sondern nur das von wechselseitigem Vertrauen getragene Arbeiten an einer guten gemeinsamen Zukunft.

Eine solche Einwanderungsgesellschaft muss für niemanden ein Schreckgespenst sein – ganz anders als jene, auf die wir seit langem „alternativlos“ zuzutreiben scheinen. Nehmen wir also die Chemnitzer Geschehnisse samt jenen, die ihnen vorausgingen und gewiss noch folgen werden, zum Anlass für zweierlei Neuansätze beim Diskutieren über Politik.

Erstens: Fordern wir eine Einwanderungspolitik genau der beschriebenen Art – und weisen wir alle untauglichen Vereinfachungen wie „Ausländer raus!“ oder „Deutschland den Deutschen“ nicht nur entschieden und emotional, sondern auch mit überzeugenden Argumenten zurück. Sie nämlich verhindern genau das, was Deutschland an Migration und Integration wirklich braucht.

Und zweitens: Sorgen wir wenigstens unsererseits dafür, dass bei den anstehenden erbitterten Debatten um die Zukunft unserer Gesellschaft aus politischer Gegnerschaft keine persönliche Feindschaft wird, aus Engagement keine Hetze, aus Gestaltungswillen keine Lust auf Gewalt. Leider gibt es inzwischen zu viele, die – mit wie nachvollziehbaren Gefühlen auch immer – auf diese falsche Bahn geraten sind, und zwar auf beiden (!) Seiten des auszutragenden Konflikts.

Und wenn eines Tages auch die Journalistenschaft wieder mehrheitlich ihre politisch-kulturell ins Gewicht fallende Hauptaufgabe weniger in der politischen Parteinahme sähe als vielmehr in umfassenden Faktenrecherchen, in sorgfältigen Beschreibungen von Wirkungszusammenhängen sowie in beispielhaft sorgfältigen Kommentierungen und Bewertungen des zutreffend vor Augen Geführten, dann wäre auch dadurch ein sehr wichtiger Beitrag zur Befriedung unserer Gesellschaft geleistet – und ebenso zur Rückkehr wechselseitig guten Willens in den seinerseits unverzichtbaren politischen Streit. Und am besten verlangt man das alles nicht einfach von anderen, sondern geht selbst mit gutem Beispiel voran – ein jeder in seinem eigenen Verantwortungsbereich!

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PS: Zu meinem eigenen Beitrag zu alledem gehört neben meinem öffentlichen Agieren als Kommentator und Gesprächspartner in vielen Medien auch die Publikationstätigkeit auf diesem Blog, mein Diskussionsverhalten auf meiner Facebook-Seite sowie mein im März erschienenes höchst politisches Buch „Neue Deutsche in einem alten Land. Über Zuwanderung, Integration und Beheimatung“, Würzburg (Ergon) 2018.

 

Bildquelle: https://www.google.it/search?q=chemnitzer+hetzjagd&rlz=1C1CHBF_deDE811DE811&tbm=isch&source=lnt&tbs=isz:l&sa=X&ved=0ahUKEwjp88uUmp3dAhUnxoUKHfO6AFwQpwUIHg&biw=1366&bih=631&dpr=1#imgrc=e2KpK2dom7kvmM:

 

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