AfD verbieten, Streitverweigerung fortsetzen?
Anders als vom Ehepartner kann man sich von einer ungeliebten Partei nicht scheiden lassen. Doch man hofft auf einen Schiedsrichter, der sie vom Spielfeld weist. Wenn das nicht die Bürger- und Wählerschaft tut, ja einer ungemochten Partei gar Höhenflüge beschert, dann hofft man aufs Verfassungsgericht.
Die Rede ist natürlich von der AfD sowie von medial weithin aufgegriffenen Anregungen, der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung möge ein Verbotsverfahren starten. Die Argumente wurden unlängst vom – parteipolitisch nicht sonderlich ausgewogenen – „Deutschen Institut für Menschenrechte“ frei Haus geliefert. Der schöne Traum geht dahin, dass unser Parteienstaat möglichst schon vor den kommenden Wahlgängen ziemlich AfD-frei wäre. Zwar wird das entlang vernünftiger Verfahrensregeln und rechtsstaatlicher Prinzipien nicht so kommen. Doch der Traum ist da und geht weiter. Offenbar gärt da vielerlei unter der Oberfläche des politischen Tagesgeschäfts.
Gewünscht wird ein Stopp des Machtzuwachses der AfD und die Abschwächung von Ausbreitungsprozessen ihres Gedankenguts. Den Nachweis der Verfassungswidrigkeit dieser Partei führt man dahingehend, dass die AfD zwischen Deutschen unterscheide, welche die deutsche Kultur trügen, und solchen, die sich dem verschlössen – etwa als ihrer Herkunftsidentität bewusste Passdeutsche. Weil aber die Leitidee unseres Staates die Achtung und der Schutz der Menschenwürde ist, diese aber – so formuliert 2017 im NPD-Urteil – „egalitär“ sei, wäre die AfD evident verfassungswidrig. Ausdrücklich widersetze sie sich – so Höcke im Jahr 2018 – einer „Afrikanisierung und Orientalisierung“ Deutschlands. Verwegene Kabarettisten könnten zwar fragen, ob das nicht aus identitätspolitischen Gründen doch noch zulässig werden dürfte, sobald biodeutsche „Weißbrote“, wie fortschrittlicherseits in Aussicht gestellt, zur schützenswerten Minderheit geworden wären. Aber jenseits von allem Sarkasmus wiegt viel schwerer die aus dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgebot abgeleitete Aussage des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Urteil, Voraussetzung eines Parteiverbotes wäre, dass das Erreichen verfassungsfeindlicher Ziele nicht völlig aussichtslos sein dürfe. Doch nicht einmal als eine Wahlperiode lang stärkste Oppositionspartei im Bundestag hat die AfD unsere Verfassung aus den Angeln zu heben vermocht. Und an die Regierungsmacht wird sie vor dem – ganz unwahrscheinlichen – Erreichen absoluter Parlamentsmehrheiten im nächsten Jahrzehnt ohnehin nicht gelangen.
Den Schlüssel zur Einordnung des ganzen Vorgangs lieferte das Bundesverfassungsgericht schon 1956, als es die KPD auflöste. Damals wurde betont, ein Parteiverbot dürfe kein „bloßes Weltanschauungs- oder Gesinnungsverbot sein“. Mit der Gesinnung des Drittels „harter“ AfD-Anhänger und mit den Weltanschauungen derer, die bei der Sonntagsfrage und am Wahltag die AfD zu einer inzwischen sehr ins Gewicht fallenden Partei machen, kann man sich aber jederzeit auseinandersetzen. Es wird wohl noch nie ein öffentlicher Vortrag deshalb abgesagt worden sein, weil er eine Kritik von AfD-Programmatik oder AfD-Sprache ankündigte. Wenn also trotz der Möglichkeit, der AfD entschieden entgegenzutreten, diese Partei in Diskursen und in Parlamenten immer mehr Raum gewann, wird wohl etwas am jahrelangen Umgang mit der AfD falsch gewesen sein.
Gerade so ist es auch. Im Grunde wurde ihr gegenüber Politikverweigerung betrieben. Statt zu ergründen, ob diese Partei womöglich aufgrund realer Probleme in unserem Land so viel Zuspruch errang, und statt sich ans Beheben solcher Probleme zu machen (etwa durch Reformen unserer Eurozonen-, Migrations-, Energie- und Sicherheitspolitik), wurde ein Großteil politischer Energie darauf verschwendet, Phobien und Phantasmagorien, Polemikpathos und sprachlich-historische Fehlgriffe von AfD-Anhängern, AfD-Mitgliedern und AfD-Politikern aufzuspießen sowie mit Empörungskanonaden zu erwidern. Geschenkt, dass derlei eben auch zum politischen Streit gehört. Doch besser wäre es gewesen, die Kritik am in so manchen AfD-Reden rhetorisch Überschießenden und moralisch Unterirdischen einzubetten in ein allgemein nachvollziehbares Ernstnehmen jener politischen Gestaltungsaufgaben, zu denen sich AfDler auf ihre Weise positionieren – und, etwa, die Grünen auf eine ziemlich andere Weise. Dann hätte ein politischer Diskurs entstehen können, in dem man mit Tatsachenbehauptungen, Zusammenhangsaussagen und Prognosen vernünftig umgegangen wäre – und nicht, samt selbstschützender Heuchelei, ausgrenzend mit Andersdenkenden. So aber muss niemand mehr AfD-Positionen wirklich kennen, sondern kann je nach Laune, Gemüt oder innerer Haltung sich unserer politischen Inquisition anschließen oder widersetzen. Letzteres tun inzwischen viele, was die Inquisitoren ängstigt.
Das jetzige Verlangen nach einem AfD-Verbot ist also vor allem die Fortsetzung des Versuchs, der AfD anders als durch politische Mittel beizukommen. Was als diskursive und menschliche Ausgrenzung begann, soll nun als staats- und strafrechtliche Ausgrenzung weitergeführt werden. Das anzustreben, obwohl kein Erfolg in Aussicht steht, ist eine weitere, freiwillig begangene politische Dummheit. Unfreiwillig werden sich der jene Anti-AfD-Allparteienregierungen oder Anti-AfD-Minderheitsregierungen zugesellen, die zumindest in Ostdeutschland ins Haus stehen. Politisch alternativlos, wird von ihnen die AfD profitieren. Wie dumm, dass alle Chancen verpasst wurden, die AfD-Realos zu Lasten der Fundis durch Aussicht auf die Integration einer – und nur einer – klar verfassungstragenden AfD zu stärken!
Der obige Text erschien am 16. Juni 2023 unter dem Titel „Der Gipfel der Politikverweigerung“ auf S. 1 der „Preußischen Allgemeinen“ .