Zum ostdeutschen Wahljahr 2024

Zum ostdeutschen Wahljahr 2024

Andreas Debski veröffentlichte am 2. Januar in der „Leipziger Volkszeitung“ den nachstehend verlinkten Artikel über die kommenden ostdeutschen Wahlen (https://www.lvz.de/mitteldeutschland/sachsen-steht-vor-drei-wahlen-politiker-sollen-mehr-mit-afd-streiten-VIFIKX7MCJEOLK67ENKB36DHGI.html). Im Vorfeld stellte er mir vier Fragen, um Teile der Antworten in seinem Artikel zu verwenden. Das hat er dann auch gerade so getan, wie sich das gehört. Weil ich andere meiner Aussagen aber ebenfalls für wissenswert halte, findet sich nachstehend das vollständige „Quasi-Interview“.

So spannend war es wohl noch nie, sowohl in Sachsen als auch in Thüringen – mit welchen Erwartungen gehen Sie in das politische Jahr 2024? Inwieweit werden die politischen Lager „durcheinander gerüttelt“?

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Die einschlägigen Umfragen in Verbindung mit inzwischen mehrjährigen Trends lassen erwarten, dass die AfD bei den kommenden ostdeutschen Wahlen zur stärksten Partei wird. Doch weil man in Politik, Journalismus und Wissenschaft die wichtigste Ursache für den Aufstieg der AfD weiterhin in einem Rechtsruck der Bevölkerung sieht, nicht aber in falscher und nun vor aller Augen scheiternder Politik, liegen alle wirksamen politischen Gegenmittel außer Reichweite. Das zu erkennen und trotzdem nicht von bislang erfolglosen Anti-AfD-Strategien ablassen zu können, bringt die etablierten Parteien zu Verzweiflungstaten wie der, die Landesämter für Verfassungsschutz ins Spiel zu bringen, ohne anschließend die Traute zu einem nicht nur geforderten, sondern auch tatsächlich herbeigeführten Parteiverbotsverfahren zu haben.

Stichwort Sachsen: Die CDU muss um ihre Vormacht bangen, die AfD könnte stärkste Partei werden. Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie für den Wahlkampf und später bei der (schwierigen) Regierungsbildung? 

Sachsens CDU wird im Wahlkampf nicht um das Eingeständnis herumkommen, dass sie ab dem Herbst erneut mit Grünen, Sozialdemokraten und wem sonst auch immer eine Anti-AfD-Koalition bilden wird. Ausschließen wird sie das auf keinen Fall. Das aber wird weitere bisherige CDU-Wähler, die einen linksgrünen Kurs nicht länger ertragen wollen, der AfD zutreiben. Unterstellt, dass die AfD keine absolute Mehrheit im neuen Landtag erringt, wird die Regierungsbildung also ganz einfach: Alle gegen die AfD – und sei es in Gestalt einer linkstolerierten Minderheitsregierung unter CDU-Führung. Dass die Sachsenunion dabei noch mehr als bislang von früheren eigenen Gestaltungsansprüchen wird aufgeben müssen, ist die zwangsläufige Folge ihrer zurückliegenden Fehlentscheidungen.

Die AfD will Rathäuser und Stadt/Gemeinderäte bei den Kommunalwahlen erobern, im Landtag die dominierende Kraft werden. Sehen Sie ein „blaues“ Sachsen (Thüringen) aufziehen? Welche Fehler sollten die anderen Parteien unbedingt vermeiden – und welche strategische Ausrichtung fahren? Oder wird die Rolle der AfD möglicherweise überschätzt?

Weil die nachhaltige Machtbasis einer deutschen Partei ihre kommunale Verankerung ist, strebt die AfD klugerweise in die Rathäuser. Die politische Großwetterlage erleichtert ihr das auch. Sollte sich die AfD auf kommunaler Ebene dann weitgehend skandalfrei, womöglich gar erfolgreich verhalten, wäre ihr Wandel von einer Protestbewegung zu einer etablierten Partei fast schon abgeschlossen. Nur die Koalitionsfähigkeit auf Landesebene fehlte ihr dann noch. Also sollten sich die bislang etablierten Parteien nicht länger mit der wechselseitigen Zusicherung beruhigen, die AfD werde überschätzt und rasch verschwinden, wenn man sie möglichst ignoriere. Und waltete in unserer Politik mehr Vernunft, als sie bislang an den Tag gelegt wurde, dann würde man nun rasch den alten Fehler abstellen, vor allem über die AfD zu reden, doch sich nicht in öffentlichen Streit mit ihren Politikern über deren Problemwahrnehmungen und Politikvorschläge einzulassen.

Wenn man es aber weiterhin, statt sich auf persönliche politische Auseinandersetzungen einzulassen, mit der abschreckend gemeinten Etikettierung aller AfD-Politiker als rechtsextrem versuchen will, dann besteht der größte Fehler darin, nun nicht rasch auch noch ein Parteiverbotsverfahren herbeizuführen – oder die für rechtsextrem erklärten AfD-Politikern zumindest mit einem Verfahren nach Art. 18 Grundgesetz zur Verwirkung ihrer Grundrechte zu überziehen. Ein solches Verfahren kann vor dem Bundesverfassungsgericht eine jede Landesregierung in Gang bringen. Tut sie das nicht, dann müssen ihre Warnungen vor rechtsextremen AfD-Politikern eher als Wahlkampfgetöse denn als ernsthafte Sorge um unsere Demokratie gelten.

Was wäre Ihr Rat als Politikexperte, um gut durch das „Superwahljahr“ zu kommen?

Vor allem sollte man begreifen, was die wirklichen, von mir seit vielen Jahren öffentlich erläuterten Gründe für den Aufstieg der AfD sind. Dann würde man einesteils öffentlich mit AfD-Politikern streiten – und obendrein solche Politiken korrigieren, die von großen Teilen der Bürgerschaft mit plausiblen Argumenten abgelehnt werden. Beides könnte das Wahljahr zu mehr als einer bloßen Abrechnung mit den etablierten Parteien machen. Sodann sollte man die eigenen Positionen nicht mit moralisierend überhöhter Rechthaberei vortragen, sondern als durchaus kritisierbare Beiträge zum ganz legitimen politischen Streit. Im Übrigen sollte man entweder vor dem Bundesverfassungsgericht Eilverfahren zum Verbot der AfD oder zur Verwirkung der Grundrechte von AfD-Politikern herbeiführen – oder eben darauf verzichten, der AfD mit ehrenrührigen Einschätzungen als rechtsextremistisch zu kommen. Wenn man nämlich diesen Vorwurf schon selbst nicht als „gerichtsfest“ einschätzt, dann sollte man ihn auch nicht zur politischen Brunnenvergiftung nutzen – zumindest dann nicht, wenn einem die pluralistische Demokratie wirklich am Herzen liegt.

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