Koalitionsfragen: faktenanalyse und taktische Analyse

Koalitionsfragen: faktenanalyse und taktische Analyse

I. Arten von politisch nützlichen Analysen

Bei einer Faktenanalyse geht es um die – mitunter durchaus schwierige – Antwort auf eine einfache Frage: „Was ist der Fall?“ Bei einer taktischen Analyse geht es hingegen um die Frage: „Was soll unter den gegebenen Umständen zu welchem Zweck getan oder unterlassen werden?“ Die taktische Analyse mündet also in praktische Ratschläge. Diese können sich darauf richten, etwas zu bewirken, zu bewahren oder zu verhindern.

Beide Formen von Analyse hängen zwar zusammen, sind aber nicht dasselbe. Für eine taktische Analyse muss erst einmal ausfindig gemacht werden, was der Fall ist; anschließend sind die Interessen der taktisch zu berücksichtigenden Akteure ausfindig zu machen („Interessenanalyse“). Und an eine Faktenanalyse kann sich außerdem eine normative Analyse anschließen („Anhand welcher Maßstabe ist wie zu bewerten, was der Fall ist und was sich in diesem Fall an Handlungen als möglich erweist?“). Idealerweise, wenngleich allzu selten in der Praxis, entsteht eine taktische Analyse aus der Verbindung von Faktenanalyse, normativer Analyse und Interessenanalyse.

Für die Politikberatung nutzt es zwar wenig, wenn allein praktische Ratschläge gegeben werden, also Handlungsanweisungen ohne eine Klärung ihrer Grundlagen in den Fakten, in den zu berücksichtigenden Interessen sowie in plausiblen Bewertungen, ob ein Zustand oder Ziel in sich eher gut oder eher schlecht ist. Doch manchmal wollen politische Akteure nur solche Ratschläge hören, die in ihr faktisches oder normatives Weltbild passen. Dann wünscht man sich als taktische Analyse letztlich nur eine Bekräftigung dessen, was man ohnehin tun will.

Wer aber nur eine Unterstützung des ohnehin schon Geglaubten und Gewollten wünscht, kann sich eine ernstgemeinte Beratung auch sparen. Er wird ohnehin dazu neigen, eine rein an den Fakten interessierte Analyse politischer Sachverhalte mit einer politischen Positionsnahme zu verwechseln; und deshalb wird er lieber dem Analytiker Vorwürfe machen, wenn dessen Befund nicht gefällt, als sich zum Überdenken der eigenen Position zu bequemen.

II.  Typische Wahrnehmungs- und Denkfehler

Diese zunächst abstrakt wirkenden Zusammenhänge füllten sich für mich mit handfesten politischen, journalistischen und akademischen Erfahrungen seit dem Jahr 2015. Damals schrieben mir – folgenreich bis heute – sehr viele Politiker, Journalisten, Intellektuelle und sonstig politisch Interessierte eine „politische Parteinahme für PEGIDA“ zu, weil ich nämlich durch – hinsichtlich ihrer Ergebnisse mehrfach replizierte – empirische Befragungen herausfand, dass die Mehrzahl der Dresdner PEGIDA-Demonstranten (damals) gerade das nicht war, was sie nach der vorherrschenden politischen Standarderzählung unbedingt zu sein hatten: nämlich nichts weiter als Rassisten und Faschisten. Auch legte man es mir als „Sympathisieren mit PEGIDA“ aus, dass ich dringend anriet, die empirisch leicht erkennbaren Sorgen der Demonstrierenden ernstzunehmen sowie jene Probleme durch tatkräftiges politisches Handeln zu lösen, deren – teils zutreffende, teils verzerrte – Wahrnehmung die Dresdner Demonstranten zunächst zu besorgten Bürgern gemacht hatte und alsbald zu wirklich empörten Bürger werden ließ. Inzwischen haben besorgte und empörte Bürger in großem Umfang unseren staatstragenden Parteien innerlich gekündigt und wählen jene Partei, die sich als Alternative zu den bestehenden Parteien empfindet bzw. darstellt. Tatsächlich zeichnete die falsche, doch ganz beratungsresistente Reaktion auf das, was zunächst in PEGIDA zum Ausdruck kam, die nicht minder falschen Reaktionen auf jene AfD vor, in der Dresdens PEGIDA inzwischen seine auf ganz Deutschland ausgeweitete Potenzierung erlebt.

Nicht minder erhellend waren unlängst die Reaktionen auf meine Kurzanalyse des Anfang Juni beschlossenen Wahlprogramms der sächsischen AfD (siehe https://wjpatzelt.de/2019/06/02/zum-programm-der-saechsischen-afd/?fbclid=IwAR2XpyZXopGwck3KqoBGzrm_AzOlLlhmV_E8btcHK-J_K0SQxbubCkR8XCE). Weil aber kaum etwas so völlig nutzlos ist, dass es nicht wenigstens als schlechtes Beispiel dienen könnte, beziehe ich mich nachstehend auf mancherlei dazu über Twitter unter #patzelt verbreiteten Unsinn. Regelmäßig werden dort drei völlig verschiedene Dinge miteinander verwechselt: die Faktenanalyse; die Bewertung des Analysierten; sowie praktische Ratschläge auf der Grundlage des Analysierten und Bewerteten. Am Fall meiner Kurzanalyse des AfD-Wahlprogramms verhält sich das alles so:

Faktenanalyse: Mein Analyseergebnis war, dass das sächsische AfD-Wahlprogramm weitestgehend sachlich geschrieben ist; dass es an manchen – doch wichtigen – Stellen zu solchen Behauptungen gelangt, die sich nicht mit Vernunftgründen halten lassen; dass etliche AfD-Forderungen im Rahmen des Grundgesetzes wohl nicht umsetzbar sind, oder – falls rechtlich umsetzbar – schwer zu finanzieren wären; und dass es – neben etlichen Positionsunterschieden – im AfD-Wahlprogramm auch einige Schnittstellen mit der Programmatik der CDU gibt. Diesem empirischen Befund wurde bislang von niemandem unter konkretem Verweis auf Belegstellen im AfD-Programm widersprochen.

Normative Analyse: Eine Analyse, nach welchen Maßstäben welche Positionen der AfD gut oder schlecht wären, unterließ ich weitestgehend, weil sich meine Fragestellung eben nur darauf bezog, was – und wie formuliert – tatsächlich im AfD-Wahlprogramm steht. Nur ein wenig kam ich in die Nähe einer normativen Analyse, nämlich dort, wo von möglicher Grundgesetzwidrigkeit oder mangelnder Finanzierbarkeit von AfD-Vorschlägen die Rede war. Doch einige Twitterer waren anscheinend nur an einer Bewertung des AfD-Programms interessiert, und dabei wohl nur an einer solchen, die für sie schon im Vorhinein feststand, also ohne Zurkenntnisnahme des tatsächlichen Programmtextes. Jedenfalls vermissten etliche Twitterer bewertende Aussagen der Art, das AfD-Programm wäre wenig mehr als ein übles Machwerk, das insgesamt von einer menschenfeindlichen und verfassungswidrigen Grundhaltung der AfD zeuge. Auch scheinen manche genau eine solche Bewertung als schlechterdings zwingenden Bestandteil jeder Analyse eines AfD-Programms erwartet zu haben.

Solche Leute empfanden, wie einst im Fall meiner PEGIDA-Analysen, den folgenden Schluss als naheliegend: Wenn jemand feststellt, ein AfD-Programm sei weitestgehend sachlich geschrieben, und wenn dieser Jemand obendrein darauf verzichtet, die Programminhalte moralisch zu verurteilen, dann wäre ein solcher Jemand doch zweifellos ein Parteigänger der AfD. Und wenn er zugleich noch Schnittstellen zur Programmatik der CDU aufzeige, dann könne das gar keinen anderen Grund haben als den Wunsch, der CDU eine Koalition mit der AfD zu empfehlen – bzw. der AfD eine kommende Koalition mit der CDU in Aussicht zu stellen. Wer so schlicht denkt, der übersieht freilich, dass zu Erwägungen hinsichtlich einer Koalition mindestens auch eine Interessenanalyse gehört, also eine Antwort auf die Frage, ob und unter welchen Umständen eine Koalition mit wem welcher Partei politisch nutzen oder schaden kann. Letztlich wurde so getan, als wäre eine Faktenanalyse dasselbe wie eine taktische Analyse.

Eine taktische Analyse aber deutete ich nur insofern an, als ich dazu riet, sich – auch um der Vermehrung eigener Gewinnchancen willen – mit dem Wahlprogramm der AfD im Detail sowie sachlich auseinanderzusetzen, also auf pauschale Polemik zu verzichten. Empirischer Grund dieses Rates war, dass erfahrungsgemäß – wie gerade die letzten Wahlergebnisse der AfD zeigten – bloße Anti-AfD-Polemik oder demonstratives Ausgrenzungsverhalten keine Erfolge im Ringen mit der AfD um Stimmenanteile bringt. Dazu wurde von Twitterern aber nur angemerkt, man dürfe sich mit den politischen Positionen der AfD gar nicht inhaltlich auseinandersetzen, sondern man habe sie – um unserer Demokratie willen – schlichtweg abzulehnen. Eine solche Haltung im politischen Streit mit einem durchaus machtvoll gewordenen Rivalen ist nun aber an intellektueller Dürftigkeit und an politischer Hasenherzigkeit kaum zu unterbieten. Deshalb lehne ich sie seit jeher ab.

Lustigerweise kamen nicht nur AfD-Gegner, sondern auch AfD-Anhänger – letztere eher auf meiner Facebook-Seite auftretend als bei Twitter unter #patzelt – zum Eindruck, ich sympathisierte mit der AfD oder drängte auf eine Koalition mit ihr. Anders als die AfD-Gegner waren die AfD-Anhänger zwar mit der Fairness meiner Analyse einverstanden, auch mit meinem Verzicht auf Polemik sowie mit meinem Ratschlag, sich fortan sachlich mit den Inhalten des AfD-Wahlprogramms auseinanderzusetzen. Doch ebenso wie die AfD-Gegner schlossen sie aus alledem, dazu könne nur jemand raten, der für eine Koalition aus AfD und CDU einträte, sich aber scheue, das auch klar so zu sagen. Aber wie kommt man eigentlich auf eine solche, aus meinen tatsächlichen Aussagen gar nicht ableitbare Idee? Wenn etwa Borussia Dortmund bekundet, fair gegen RB Leipzig spielen zu wollen, dann folgt doch daraus in keiner Weise, beide Vereine wollten nun bald fusionieren – oder wenigstens mit einer gemeinsamen Mannschaft gegen den FC Bayern auflaufen!

III. Eine knappe Interessenanalyse vor der sächsischen Landtagswahl

Für oder gegen Koalitionen einzutreten, hat – weit über die rein empirische Feststellung programmatischer Schnittstellen oder Unverträglichkeiten hinaus – viel mit praktischer politischer Vernunft zu tun, mit Kosten/Nutzen-Abwägungen sowie mit Prognosen über die wahrscheinlichen Folgen politischer Spielzüge. Über das alles habe ich mich an anderen Stellen längst ausführlich geäußert, etwa in meinem Buch „CDU, AfD und die politische Torheit“ (Dresden 2019). Hier sei deshalb nur eine sehr knappe und unvollständige Interessenanalyse hinsichtlich der sächsischen Parteien und der kommenden Landtagswahl vorgetragen:

  • Die CDU hat das Interesse, weiter zu regieren – und zwar möglichst als stärkste Fraktion im neuen Landtag, und obendrein nicht gedemütigt durch eine Machtteilung mit ihrem schärfsten, stark zur Häme neigenden Gegner in der eigenen politischen Spielfeldhälfte, also mit der AfD. Auch will sich kein CDU-Politiker das Ungemach antun, als „Türöffner für die rassistisch-faschistische AfD“ verschrien und so um die Fortsetzung seiner politischen Laufbahn gebracht zu werden. Diese Interessen könnten gut erfüllt werden durch die – allerdings erst noch zu leistende – Erringung eines Wahlergebnisses, das der CDU eine für sie politisch unschädliche „bürgerliche Koalition“ ermöglichte, also ohne SPD und Grüne, oder durch eine Minderheitsregierung, sie sich an keinen (!) festen „Tolerierungspartner“ bindet.
  • Die AfD hat das Interesse, nach der Landtagswahl Regierungsmacht auszuüben. Das verlangt nach einer dauerhaften Schwächung der CDU zugunsten der eigenen Partei. Weil die AfD sicher nicht die absolute Mehrheit erringen wird, braucht sie zur Erfüllung ihres Regierungsinteresses entweder die CDU als Koalitionspartner oder die Tolerierung einer Minderheitsregierung der AfD. Nichts davon steht in Aussicht. Das antizipierend, hat die AfD Interesse daran, sich als zwar für Deutschland das Beste wollende, dennoch aber von allen etablierten Parteien ausgegrenzte politische Bewegung zu inszenieren, der man gleichsam „aus Fairnessgründen“ am besten dadurch beispringe, dass man im Zweifelsfall für sie als der Alternative zu jenem Establishment stimmt, das Deutschland „ins Elend regiert“ habe.
  • FDP und Freie Wähler haben das Interesse, in den Landtag zu gelangen und dort gemeinsam mit der CDU eine bürgerliche Koalition zu bilden. Dieses Interesse ist nur durch ein sehr starkes Abschneiden der CDU zu Lasten sowohl der AfD als auch von Grünen, SPD und Linken zu erfüllen. Es ist aber völlig offen, ob die „bürgerlichen“ Parteien überhaupt stark genug für ein solches Dreierbündnis sein werden.
  • Grüne, SPD und Linke haben das Interesse, sowohl die CDU zu schwächen als auch eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Am liebsten möchten diese Parteien – wie in Bremen – ein grün-rot-rotes Bündnis gegen CDU und AfD bilden. Und weil es unwahrscheinlich ist, dass dafür die Mehrheit im Landtag reichen wird, haben Grüne und SPD ersatzweise das Interesse, in einer Koalition mit der CDU jene Regierungsmacht auszuüben, die sie anders nicht erlangen würden. Dieses Interesse lässt sich durch die folgende Dreifachstrategie verwirklichen:
    • Die CDU muss zur bindenden Erklärung veranlasst werden, in keinem Fall mit der AfD zu koalieren.
    • Die CDU muss zur Erklärung veranlasst werden, nötigenfalls werde man mit SPD und Grünen eine Art „Anti-AfD-Koalition“ bilden. Das würde erst recht viele nicht-mittige CDU-Wähler entweder zur AfD oder zum Nichtwählen treiben, schwächte also in erwünschter Weise die CDU und stärkte so die Chancen von SPD und Grünen, in der kommenden Wahlperiode ihre eigenen Politikziele der CDU erst recht aufzuprägen.
    • Es sind die eigenen politischen Positionen attraktiv zu machen. Das ist weniger für die SPD, sehr wohl aber für die Grünen ein realistisches Vorhaben.

Unklar ist vielen Beobachtern und politischen Akteuren dabei der folgende Zusammenhang, der deshalb auch nur selten ins politische Interessenkalkül eingeht:

Unser Parteiensystem polarisiert sich derzeit – vor allem durch den so schnell nicht vergehenden Streit über die Rolle von Nationalstaat, Migration und Integration – nachhaltig zwischen Grünen und AfD. Im Zug dieser Polarisierung verändern sich auch die bisherigen Machtpositionen und Machtoptionen. Das heißt für die CDU: Mit den Grünen zusammenzuwirken, führt unweigerlich zu weiteren Stimmenverlusten entweder an die AfD oder an die Nichtwähler als „Nicht-mehr-CDU-Wähler“. Strittig ist dabei weiterhin unter Beobachtern und Akteuren, ob die CDU „in der Mitte“ (gemeint ist dabei meist: von den Grünen) mindestens ebenso viele Stimmen hinzugewinnen kann, wie sie an die AfD oder an die Nicht-mehr-CDU-Wähler zu verlieren pflegt. Und solange Antworten auf diese Frage zumal in der CDU umstritten sind, ergibt sich für die Union auch keine klare Präferenz entweder für eine „Anti-AfD-Koalition“ gemeinsam mit den Grünen – oder für eine Minderheitsregierung.

IV. Die AfD im Blickwinkel der CDU

Hinsichtlich der AfD lässt sich jeder politisch Verantwortliche in den Reihen der CDU mindestens die folgenden Überlegungen durch den Kopf gehen:

  • Die AfD ist nicht nur nach ihrer programmatischen Selbstdarstellung, sondern auch nach jenen Einstellungen ihrer Funktionsträger und Anhänger zu beurteilen, die gerade in halböffentlichen Foren wie dem Internet fassbar werden. Die dort von vermutlichen AfD-Sympathisanten bezogenen Positionen und geäußerten Ansichten sind aber oft radikal und demagogisch, mitunter auch menschenverachtend-hämisch, in mehr als nur Einzelfällen auch extremistisch im fachlichen Sinn einer Gegnerschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Deshalb kann das Wahlprogramm der AfD nur als ein Teil dessen genommen werden, was und wie die AfD „insgesamt ist“. Diesbezüglich ist es nun aber Sache allein der AfD, ihren Gesamtauftritt glaubwürdig als den einer „normalen systemtragenden Partei“ zu gestalten – falls die AfD denn auch wirklich genau eine solche Partei sein will.
  • Sich als CDU auf die derzeitige AfD einzulassen, setzt jeden CDU-Politiker, der solches unternimmt, großen Risiken für seine Stellung und für seinen Einfluss in der CDU oder in der Öffentlichkeit aus. In jedem Fall würde er als übler „Parteigänger von Ultrarechten“ hingestellt werden – und vermutlich als noch Schlimmeres: nämlich als „Verharmloser von Rassisten“, als „Wegbereiter von Nazis“, als „Steigbügelhalter von Faschisten“ usw. Ein solches Risiko ließe sich für einen vernunftgeleiteten Politiker überhaupt erst dann eingehen, wenn vorab von der AfD selbst für alle praktischen Zwecke glaubhaft gemacht worden wäre, sie wolle weder eine „Partei von Ultrarechten“ sein noch drohe solchen Führungspolitikern der AfD alsbald ihre Entmachtung, die auf eine Verlässlichkeit der AfD als „normaler systemtragender Partei“ ausgingen und entsprechende Absprachen mit anderen Parteien zu treffen versuchten. Von einem glaubwürdigen Auftritt solcher Art ist die AfD aber noch ziemlich weit entfernt.
  • Politisch am bequemsten für die CDU wäre eine AfD, die alledem ganz entspricht, was Grüne, Sozialdemokraten und Linke ihr ohnehin – und seit jeher – zuschreiben. Von einer solchen AfD kann sich die CDU nämlich leicht fernhalten bzw. durch Pauschalkritik distanzieren, muss sich also auf keine Detailauseinandersetzung mit der AfD einlassen. Am politisch unangenehmsten wäre hingegen für die CDU eine AfD, die sich glaubwürdig als eine Art „bundesweite CSU“ aufstellte oder zumindest inszenierte. Insofern bestärkt linke Kritik an der AfD, zumal wenn sie durch öffentlichkeitswirksamen Radikalismus von AfD-Mitgliedern plausibilisiert wird, die weit verbreiteten CDU-internen Hoffnungen auf einen erfolgreichen Ausgang ihres Ringens mit der AfD anhand von Pauschalpolemik und klarer Ausgrenzung. Gegen eine sich strategisch und taktisch klug verhaltende AfD hülfe der CDU hingegen nur eine ernsthafte, von Durchhaltefähigkeit getragene inhaltliche Auseinandersetzung.

V. Meine eigene Position

Eben diese Überlegungen habe ich mehrfach in CDU-Kreisen vorgetragen, unter anderem bei jenem Auftritt in Plauen, über welchen die „Freie Presse“ im Mai berichtete (siehe https://www.freiepresse.de/vogtland/plauen/patzelt-warnt-sachsen-cdu-vor-koalition-mit-afd-artikel10521423?fbclid=IwAR1AE0E1CCDdhmXhrpiud_X3P7adv17GJJ4X1RGOKZVsCFYKNH7Z5XTKsPQ). Ganz albern ist es somit, meinen ausdrücklichen Hinweis auf diesen Artikel als ein „Abrücken“ von meiner sachlichen Analyse des AfD-Programms wahrzunehmen – oder gar zu vermuten, man habe auf ein solches „Abrücken“ durch entsprechende Kritik an meinen Analysen selbst hingewirkt. Wer so denkt, verbindet eigene politikanalytische Einfalt mit grotesker Selbstüberschätzung.

Nicht weniger albern ist es, erst einmal einen „Widerspruch“ zwischen einerseits meiner Forderung nach einem fairen Umgang mit der AfD und andererseits meinen ablehnenden Ratschlägen hinsichtlich einer CDU/AfD-Koalition zu erfinden – und diesen „Widerspruch“ dann gar noch, obwohl er gar nicht existiert, mit Hinweisen der Art zu erklären, ich wäre inzwischen ein „Parteisoldat“ geworden, änderte meine Meinung „gemäß den Wünschen meines jeweiligen Auftraggebers“ oder erwiese mich als Opportunist. Vielmehr halte ich es ganz einfach mit der Vernunft und gründe die von mir vertretenen Positionen auf transparente, leicht nachvollziehbare Fakten- und Taktikanalysen.

Dass ich dabei nicht nur das Interesse unserer Demokratie und unseres Landes im Sinn habe, sondern ebenfalls die Interessen der CDU als meiner Partei seit 1994, ist eine blanke Selbstverständlichkeit. Doch gerade im Dienst eines parteipolitischen Interesses ist ein „parteiischer Blick“ auf die Wirklichkeit überhaupt nicht hilfreich, weil sich die Beschaffenheit und Dynamik der Wirklichkeit doch gerade nicht um parteiliches Wunschdenkens schert. Vielmehr muss die Wirklichkeit ganz unabhängig von allem, was man sich wünscht oder was man befürchtet, gerade so erkannt und verstanden werden, wie sie eben ist.

Wäre es in dieser Lage nicht besser, wenn wir alle – gleich ob links, mittig, oder rechts – es so hielten wie ich? Und wenn wir alle dabei versuchten, solche Irrtümer, die trotz aller Sorgfalt unterlaufen können, in fairen Debatten mit unbestechlichem Tatsachenblick entlang argumentativer Redlichkeit zunächst zu erkennen und dann zu korrigieren? – Gewiss; und machen wir deshalb alle miteinander einen neuen Anfang!

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