Lehren aus Österreichs Regierungsbildung
Nicht selten erbitten Journalisten Antworten auf Fragen, um sie als Interview oder als Zitate in ihren Artikeln verwenden zu können. Bisweilen nutzen sie solche Zuarbeiten aber auch nicht, und zwar meist mit dem Hinweis, ein Artikel hätte „eine andere Wendung genommen“, oder man habe andere Schwerpunkte setzen müssen. Geschenkt … Weil es aber schade wäre, wenn auf wichtige Fragen formulierte Antworten ganz ungenutzt blieben, veröffentliche ich das Ergebnis eines entsprechenden Austauschs mit einem/r Journalisten/in einer großen deutschen Zeitung nachstehend.
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Es geht um die mögliche Kanzlerschaft des Rechtspopulisten Herbert Kickl in Österreich. Was müssen die deutschen Parteien aus der Causa Österreich lernen?
Die allgemeine Lehre muss ein: Parteiführer haben jedes Recht, Brandmauern zu errichten – doch die Bürgerschaft bleibt dennoch fähig dazu, diese zum Einsturz zu bringen, falls solche „Mauern“ einer für erforderlich gehaltenen Politik und den dafür erforderlichen Parteienbündnissen im Wege stehen.
Die besondere Lehre lautet: Bloß weil konkurrierende Parteien eine grundsätzlich abgelehnte Partei von Regierungsämtern fernhalten wollen, passen ihre inhaltlichen Positionen noch lange nicht so gut zusammen, dass plausible Politik entstehen kann – oder wenigstens solche, mit der man nicht noch mehr Wähler aus der bisherigen eigenen Anhängerschaft vertreibt.
Konkret auf Deutschland übersetzt: Gerne kann die Union ein Wahlprogramm vertreten, das mit Angela Merkels Politik bricht. Doch CDU und CSU sollten sich nicht darauf verlassen, dass sie ein solches Programm gemeinsam mit Sozialdemokraten oder Grünenverwirklichen können! Deshalb wollten wir alle uns auf eine instabile Regierungskoalition samt anschließend weiteren Wählerbewegungen hin zur AfD einstellen. Ob nun allmählich der eine oder andere Reue darüber empfindet, dass man alle Brücken hin zur AfD abgebrochen hat – und sogar hin zu jenen nicht-rechtsradikalen AfDlern, die gemeinsam mit der Union Deutschland gerne reformieren möchten?
Worauf sollten sie sich inhaltlich besinnen?
Alle bislang in Deutschland regierenden Parteien sollten ihre Migrations-, Energie-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik mehr nach dem ausrichten, was sich wohl wirklich auf mittlere Frist als auch im Alltag fühlbarer Nutzen der Bürgerschaft auswirkt. Hintanstellen sollten sie, was auf lange Frist die Menschheit zu retten verspricht oder kurzfristig Beifall auf den eigenen Parteitagen oder bei politisch nahestehenden Journalisten findet.
Stets nämlich vertreibt die Wirklichkeit nach einiger Zeit alle Illusionen, und zwar selbst dann, wenn man wirkliche Zusammenhänge mit den allerbesten Absichten verkennt oder guten Willens unzweckmäßig in sie eingreift. Dann verflüchtigen sich erst dann die Illusionen eines großen Teils der Wählerschaft, nach entsprechenden Wahlniederlagen dann auch Illusionen in den eigenen Reihen. In Deutschland erkennt man das derzeit nicht nur bei der Union. Wenn es aber ohnehin so kommen wird: Warum nicht gleich aufs Realitätsprinzip setzen?
Wie ist die Haltung der CSU zu bewerten, die eine Koalition mit den Grünen strikt ablehnen und diese Haltung jetzt erneut mit der Situation in Österreich begründen?
Deutschlands zentrale politisch-kulturelle Polarisierung ist die zwischen den woken Grünen und jenen AfDlern, welche über die realen Folgen grün-woker Politik empört sind. Gerade deshalb wurde die AfD seit den Zeiten groß, in denen die Union absichtlich vergrünte und politisch Rechtsstehende die politischen Folgen dessen nicht hinnehmen wollten. Seither gehen – wie auch der Machtabstieg der Union in Sachsen und Thüringen, doch ebenfalls auf Bundesebene zeigt – die Tendenzen dahin, dass die Union zwischen AfD und Grünen zerrieben oder immerhin kleingerieben wird.
In dieser Lage mit den Grünen nun auch noch auf Bundesebene zu koalieren, sicherte nur den weiteren Zulauf zur AfD. Das hat die CSU richtig erkannt. Doch ebenso richtig ist die Einsicht in CDU-Kreisen, dass der Ausschluss einer Koalition mit den Grünen das Verhandlungsgewicht der SPD bei den Koalitionsgesprächen unglaublich stärkem würde – und dass eine eben deshalb ausbleibende Politikwende erst recht weitere Wähler der AfD zutreiben wird.
Auf der anderen Seite gibt es den Grünen-Kanzlerkandidaten Robert Habeck, der fordert, dass die Mitte koalitionsfähig bleiben müsse, um Rechtspopulisten von der Macht fernzuhalten.
Natürlich sollten alle Parteien der Mitte untereinander kompromiss- und koalitionsfähig sein! Wenn aber „Koalitionen der Mitte“ sich im Wesentlichen als „Bündnisse gegen rechts“ verstehen, dann kann niemand es den nicht-mittigen Bürgern verwehren, solche Koalitionen nicht als solche der Mitte, sondern allenfalls als solche der linken Mitte zu verstehen. Insofern ist die Rede von „Koalitionen der Mitte“ vor allem ein Etikettenschwindel.
Sofern derlei Koalitionen trotzdem eine wesentlich andere Migrations-, Energie-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik betrieben als jene, die zu Angela Merkels Zeiten von der politischen Mitte bis zum linken Rand als „alternativlos“ galt, könnten solche Bündnisse durchaus unserem Land nützen und unsere Gesellschaft zusammenhalten. Weil aber ihr Kerngedanke ist, gerade keine „nach rechts abweichende“ Politik zuzulassen, laufen die Koalitionsvisionen des „Bündniskanzlers“ Habeck auf nichts anderes hinaus als darauf, den weit überproportionalen Einfluss der Grünen auf Deutschlands Politik weiterhin zu sichern.
Sich als Union darauf einzulassen, führte also zu nichts anderem als zu einer weiteren Stärkung der AfD. Die bittere Pointe ist dehalb: Unter den jetzigen, durch vergangene Fehlentscheidungen verursachten Umständen bringen Versuche, die Rechtspopulisten von der Macht fernzuhalten, diese der Macht nur näher – wofür Österreich ein schlagendes Beispiel ist. Beim Umgang mit dem Rechtspopulismus zeigt sich somit einmal mehr, dass „gut gemeint“ längst nicht das gleiche ist wie „gut getan“ ….