Der Krieg – und Merkels Schweigen

Der Krieg – und Merkels Schweigen

Wenig hört man in diesen Kriegswochen von jener Staatslenkerin, die so lange – und auch ganz unangefochten – Deutschlands beliebteste Politikerin war. Könnte nicht gerade sie, einst für den Friedensnobelpreis im Gespräch und weiterhin mit vielen wichtigen Politikern gut vertraut, auf einen Friedensschluss zwischen Russland und der Ukraine hinwirken? Hat sie das denn nicht schon in der Vergangenheit versucht?

Gewiss, kein Kanzler sollte seinem Nachfolger die Schau stehlen. Hilft die Altkanzlerin unserer Regierung also wohl im Stillen? Anscheinend nicht, denn Deutschlands Politik wendet sich klar von dem ab, was unter Angela Merkel als alternativlos galt. Doch warum verteidigt sie ihr Werk nicht öffentlich? Viele Sozialdemokraten, die sich Kanzler Scholz widersetzen, wären dafür dankbar! Oder schadete Merkels Kritik an der Regierungspolitik deutschen Interessen? Doch die wahrt man auch nicht, wenn man einer für falsch gehaltenen Politik nur zusieht. Oder merkt die Altkanzlerin einfach, dass sich manches nun doch als anders herausstellt, als sie es einst ihrer Politik zugrunde legte, vermeidet also schlicht das Eingeständnis von Irrtümern? Mag es gar sein, dass sich unsere landesweiten Medien – anders als einst bei Helmut Schmidt – nicht mehr sonderlich um Merkels Präsenz und Interviews bemühen, weil es Edelfedern und Talkmeistern unangenehm wäre, nicht länger Haltbares von der einstigen Kanzlerin trotzdem verteidigt zu erleben? Oder weil sie es vielleicht erdulden müssten, dass Merkel das für irrtümlich erklärt, was Großjournalisten einst selbst mit vernichtender Verachtung für Widerspruch vertreten haben?

Jedenfalls werden grobe Fehler aus Merkels Regierungsjahren immer offensichtlicher. Da machte man sich energiepolitisch von einem Angebotsmonopolisten abhängig, auf den man im Konfliktfall keinen verlässlichen Einfluss hat. Zwar erfüllte die Sowjetunion im Kalten Krieg stets ihre Lieferverpflichtungen bei Öl und Gas. Doch dass es mit Russland zu einem heißen Krieg kommen könnte, in dessen Verlauf Energielieferungen zu einer wechselseitig schadenden Waffe würden: Das kam in einem solchen Weltbild nicht vor. Politik ist nun aber nicht Physik mit stets gleichen Gesetzmäßigkeiten. Vielmehr ist sie, mitsamt ihren Wirkungszusammenhängen, jeweils nur ein Zwischenprodukt von nicht endender Geschichte. Deshalb rechnet man besser mit der künftigen Möglichkeit von derzeit noch Unwahrscheinlichem – was umso besser gelingt, je mehr Geschichte man kennt und versteht. 

Auch wären wir von russischen Energielieferungen nicht so stark abhängig, wenn wir zur Schließung von Deckungslücken nicht erst noch Tausende von Windrädern samt Stromleitungen bauen müssten. Oder wenn wir weiterhin Kernkraftwerke hätten, die verlässlich Strom im eigenen Land erzeugen. Doch unbedingt musste Angela Merkel den Grünen ihr identitätsstiftendes Mobilisierungsthema wegnehmen – und zwar nicht durch Argumente, sondern dadurch, dass sie die verlangte Abschaltung von Kernkraftwerken gleich selbst verwirklichte. Das war zwar gut für Merkels Ansehen bei Grünen, Sozialdemokraten und Journalisten. Doch die absehbaren Folgen wirken sich schlecht für Deutschland aus. Und gar erst das Trauerspiel um unsere Streitkräfte! Zwar fing das Elend nicht erst mit Merkel an. Doch sie vergrößerte es, statt es abzuwenden. Jetzt steht Deutschland da als sicherheitspolitischer Möchtegern und außenpolitischer Gernegroß, dem andere Länder zu Recht misstrauen. Obendrein werden die Folgeprobleme Merkel‘scher Migrationspolitik für Deutschlands Parteiensystem und den gesellschaftlichen Zusammenhalt immer sichtbarer.

Zwar kann man diese Fehler inzwischen öffentlich kritisieren, ohne gleich als Rechtspopulist aus Medien und öffentlichen Diskursen verbannt zu werden. Mit Angela Merkel aber bringt man derlei tunlichst nicht in Verbindung. Es war einfach der Zeitgeist, dem doch „wir alle“ gefolgt sind; und inzwischen „aufgewacht“, fänden wir die Welt verändert vor. Doch deren Wirkungszusammenhänge sind die gleichen geblieben; sie erweisen sich nur als anders, als viele das einst wahrhaben wollten. Und an eben jener illusionären Welt hat Angela Merkel viele Entscheidungen ausgerichtet. 

Zwar tat sie das auf eine informelle Allparteienkoalition gestützt, die von der Linken bis weit in die CDU reichte. Auch rechtfertigten die meisten einflussreichen Medien Merkels Politik. Also decken weit verbreitete Wünsche, die eigenen Fehler vergessen zu machen, auch die Fehler der Altkanzlerin. Doch zumindest die CDU wird einer Debatte über ihre Rolle zu Merkels Zeiten auf Dauer nicht entgehen können. War diese Partei ein Mitläuferverein politischer Opportunisten? Oder haben sich in ihr Sach- und Personalbestände an weiterhin nutzbarer politischer Vernunft erhalten? Durchaus nicht in die Vergangenheit lenkt diese Frage den Blick. Sie weist vielmehr nach vorn. Denn nur eine solche Union wird gegenüber der vielfach vom Merkel-Kurs abrückenden Ampelregierung eine glaubwürdige Opposition sein können, die sich von Merkels Fehlern nicht nur distanziert, sondern das durch geeignete Personalentscheidungen auch verstetigt.

Erschienen am 21. April auf S. 1 der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“.

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