DAs Strategie-Schlamassel der CDU
Unter der Überschrift „Aus Feind wird Freund. CDU: Mögliche Bündnisse mit der Linkspartei gleichen politischem Selbstmord“ erschien am 17 Januar 2020 in der „Jungen Freiheit“ (Nr. 4/20, S. 2) leicht redigiert mein nachstehender Beitrag zum strategischen Schlamassel der CDU.
Parteien sind – mitsamt jenen Bündnissen, die sie eingehen – Karrierevehikel für ihre Anführer. Doch sie sind auch Bindeglieder zwischen der Welt der Berufspolitik und der Alltagswelt der Bürger. Obendrein haben sie in einer Demokratie für die politische und parlamentarische Repräsentation der mannigfaltigen, oft widersprüchlichen Sichtweisen und Interessen unterschiedlicher Bevölkerungsteile zu sorgen. Das schränkt die politische Beweglichkeit von Parteiführern ein: normativ ohnehin – und praktisch dann, wenn sich immer weniger Leute von ihrer Partei vertreten fühlen sowie zur Konkurrenz wechseln.
So kann man das Grundproblem der Thüringer Regierungsbildung umreißen. Gern möchte die CDU mitregieren, verriete aber viele Noch-Wähler und riskierte Selbstmord zum Nutzen der AfD, wenn sie sich auf ein Bündnis mit der Linken einließe. Durchaus danken dürfte sie Bodo Ramelow dafür, wenn er ihr Angebot einer „Projektregierung“ ablehnte. In einer solchen kann nämlich die CDU, da zum Regieren nicht wirklich gebraucht, jederzeit brüskiert werden. Folge wäre das Anwachsen der jetzt schon sichtbaren CDU-internen Spannungen bis hin zur offenen Spaltung der Thüringer CDU. Und der Bürgerschaft würde noch drastischer als in Sachsen gesagt: Wer keine linke, sozialdemokratische oder grüne Politik will, möge bitte gleich die AfD wählen – weil nämlich CDU-Anführer politische Bequemlichkeit stets der Vertretung ihrer bisherigen oder einstweilen verlorenen Anhängerschaft vorziehen. Ein solcher Glaubwürdigkeitsverlust der Union griffe dann auch auf weitere Bundesländer über, zudem ja unklar ist, zu welchen Machtkalkülen die inzwischen wohl fristgerechte – und somit von weiterem Siechtum der Bundes-CDU geprägte – Bundestagswahl Anlass geben mag.
Sprechen solche Zusammenhänge überhaupt gegen eine Minderheitsregierung? Nein. Nur muss man bei dieser Spielart der parlamentarischen Regierungsweise von der Versuchung lassen, risikoscheu und strukturkonservativ nach einem Seitenstück zur Mehrheitsregierung zu suchen. Insbesondere kann ein Tolerierungsabkommen wie einst in Sachsen-Anhalt kann nur für den Tolerierungspartner attraktiv sein, da er Erpressungsmacht besitzt, ohne zur Verantwortung gezogen werden zu können. Also sollte sich die Führungspartei einer Minderheitsregierung auf derlei nicht einlassen. Sie muss sich vielmehr Verhandlungsspielräume samt der Möglichkeit offenhalten, mit verlockenden Kompromissen die Rivalen zu spalten. So halten es Sozialdemokraten in Dänemark, und so hätte es die Sachsenunion bei mehr strategischem Weitblick und taktischer Traute auch vermocht. Hingegen kann eine ‚Projektregierung‘ nur dann wechselseitig vorteilhaft sein, wenn einander politisch nahestehende Parteien zusammenwirken. Solche nämlich können durch „Regieren auf Halbdistanz“ einige gemeinsame Ziele anstreben, schließen aber das Risiko aus, für darüber hinausgehende wählerabschreckende Aktionen des Partners haftbar gemacht zu werden.
Doch CDU und Linke stehen einander politisch nicht nahe. Was sie verbindet, ist nur die – bei manchen Linken nicht fraglose – Treue zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, desgleichen lobenswerte Lust auf die Ausübung politischer Macht. Doch obwohl es wünschenswert ist, wenn im Notfall alle unsere Demokratie tragenden Parteien untereinander koalitionsfähig sind, ist es noch erstrebenswerter, dass sie politischen Pluralismus praktizieren und es der Bürgerschaft ermöglichen, zwischen Politikalternativen zu wählen. Dafür gehört es sich, dass Parteien links der Mitte zusammenarbeiten – und Parteien rechts der Mitte ebenso. Hingegen entzieht eine „Projektregierung“ von Linker und CDU dem Wähler die Chance, eine Richtungsentscheidung zu treffen. Das aber ist selbst dann schlecht, wenn – wie glücklicherweise noch immer – die Mehrheit der Bürgerschaft in der politischen Mitte steht. Solange die nämlich der Schwerpunkt des Staatsschiffes ist, kann es nötige Wechsel von Links- und Rechtskurs ohne jede Gefahr des Kenterns geben. Der Kurs in nur eine einzige Richtung führt hingegen nicht zum Ziel, sobald Gegenwind aufkommt und deshalb gekreuzt werden muss.
Doch den Untergrund oder größeren Zusammenhang politischer Debatten bilden leider nicht derlei systematische Überlegungen. Vielmehr brodeln dort Gefühle. Das können von ihrer Wirkung her gute sein wie Zuneigung oder Abneigung, doch auch funktional schlechte wie blindes Glaubenwollen oder belehrungsresistenter Hass. Solche Gefühle übersetzen sich seit langem politisch dahingehend, dass Linkes im Grunde geglaubt und gemocht werden kann, Rechtes aber grundsätzlich schlecht und letztlich zu hassen ist. Eben dieses Ungleichgewicht im Emotionshaushalt unserer politischen Ordnung hat einst die – inzwischen von der AfD geschlossene – Repräsentationslücke rechts der CDU entstehen lassen und die dafür verantwortlichen Parteien zum Glauben an eine geschichts- und staatspolitische Pflicht gebracht, überall Einheitsfronten gegen die AfD zu bilden. Genau das wurde allerdings zum Grund für politisch widersprüchliche Bündnisse oder für Minderheitsregierungen dort, wo es zwar rechte Mehrheiten in der Bevölkerung gibt, diese aber parlamentarisch nicht nutzbar sind. Den Preis für daraus entstehende Dilemmata bezahlt die CDU – und zwar zu Recht, denn vor allem sie ist schuld am Aufkommen der AfD.