Regierungsbildung in Thüringen

Regierungsbildung in Thüringen

Zur Regierungsbildung in Thüringen stellte mir neulich ein Journalist vom Focus einige Fragen. Ich beantwortete sie schriftlich, weiß aber nicht, was aus den Antworten wurde. Deshalb veröffentliche ich aus aktuell gegebenem Anlass diese Art von „Interview“ nachstehend.

Was halten Sie von der Idee einer Projekt-Regierung in Thüringen?

Gar nichts! Wenn man nicht nur eine rechnerische Parlamentsmehrheit hat, sondern auch so viele inhaltliche Gemeinsamkeiten erkennt, dass man zusammen ein Land gestalten kann, dann soll man eben eine Koalition machen – und darf die dann gern auch überflüssigerweise eine „Projekt-Koalition“ nennen. Wenn man aber, durchaus mit guten Gründen, gerade nicht miteinander regieren will, sondern nur fall- oder projektweise nach Zusammenarbeit sucht, dann kann man das auch als bzw. mit einer Minderheitsregierung tun – und wird obendrein nicht für solche andere Politik in Mithaftung genommen, die nur der Projektpartner will, die eigene Anhängerschaft aber verübelt.

Ist die Ost-CDU Ihrer Einschätzung nach eher bereit zu einer Kooperation mit der Linkspartei oder mit der AfD? Welches Risiko birgt die jeweilige Entscheidung?

Mit keiner der beiden Parteien können CDU-Anführer kooperieren, ohne ihrer Partei nachhaltig zu schaden. Erstens müsste die Union in beiden Fällen wortbrüchig werden. Zweitens verscheucht ein Bündnis mit der Linkspartei mindestens die eine Hälfte bisheriger CDU-Wähler, ein Bündnis mit der AfD hingegen die andere Hälfte. Seit dieses Dilemma für die Union absehbar ist, empfehle ich ihr deshalb Offenheit für eine Minderheitsregierung: am besten mit einem CDU-Ministerpräsidenten, am zweitbesten mit der Erklärung, als gemeinwohldienliche Opposition mit der auf ihre fallweise Unterstützung angewiesenen Regierung genau dann zu kooperieren, wenn der politische Preis dafür stimmt.

Was würden Sie Mike Mohring in seiner Situation raten?

Erstens: Keine Anbiederung, weder zur Linken noch zur AfD! Zweitens: Der entstehenden linken Minderheitsregierung grinsend alles Gute wünschen – und den Preis für deren fallweises Fischen in den eigenen Reihen ohne nach außen gewandte Theatralik möglichst hochtreiben. Drittens: Ankündigen, dass ein CDU-Politiker sich auch selbst der Wahl zum Ministerpräsidenten stellen wird – und jeden, ganz ohne alle Vorab-Verhandlungen, zur Stimmabgabe für Ramelows Rivalen einlädt, der keine linke Regierung wünscht. In diesem Fall wäre es nicht ausgeschlossen, dass der CDU-Kandidat von der in Verlegenheit gebrachten AfD etliche Stimmen erhielte, ja theoretisch sogar mehr Stimmen auf sich vereinte als Ramelow. Im schlimmsten – doch höchstwahrscheinlich gar nicht eintretenden – Fall müsste dann ein CDU-Politiker eine Minderheitsregierung anführen. Doch Macht nutzt nun einmal nur jenen ab, der sie nicht besitzt!

Wie sollte sich die Bundes-CDU verhalten?

Sie sollte – und sei es stillschweigend – begreifen, dass sie schuld ist am Niedergang der CDU und an den Schwierigkeiten ihrer ostdeutschen Landesverbände, die seit längerer Zeit von der AfD kannibalisiert werden. Nach außen sollte die Bundes-CDU drei Punkte betonen. Erstens: Sie vertraut der politischen Klugheit ihrer ostdeutschen Verbände und lässt diese nach eigener Lagebeurteilung entscheiden. Zweitens: Es ist Sache allein der AfD, sich entweder als Außenseiterpartei zu benehmen – oder durch ihr eigenes Verhalten während der nächsten Jahre so viel Vertrauen zu sich aufzubauen, dass sie für das eine oder andere Zusammenwirken in Betracht gezogen werden könne. Drittens: Es macht die CDU Entscheidungen über Positionen und Personen grundsätzlich nicht von möglichen Reaktionen AfD abhängig, sondern ausschließlich von den eigenen Interessen und dem, was vermutlich unserem Lande dient.

Wo sehen Sie die CDU im Osten Deutschlands in zehn Jahren?

Ohne Glaskugel lässt sich da nur mit Szenarien arbeiten. Die eine Möglichkeit: Die CDU macht mit ihre grünen Mitte-Links-Kurs weiter, während die AfD sich zu einer vernünftigen Partei rechts der CDU entwickelt. Dann teilt die ostdeutsche Union das Schicksal der SPD und verfällt der politischen Nachrangigkeit. Die andere Möglichkeit: Die CDU unternimmt ernsthafte Anstrengungen, ihre seit sieben Jahren der AfD überlassenen Positionen wieder selbst zu besetzen, ist – ganz wider mein Erwarten – darin erfolgreich, und unterdessen radikalisiert sich die AfD zu einer neuen NPD. Dann bleibt der jetzige Erfolg der AfD Episode – und die CDU hat gelernt, dass sie ihre Bereitschaft zum Einbinden auch möglichst vieler Rechter nur um den Preis eigenen Machtabstiegs aufgeben kann. Die wirkliche Entwicklung wird wohl zwischen beide Szenarien liegen und uns ein Dahinsiechen der ostdeutschen CDU, eine brüchige Allparteienfront gegen die AfD und eine sich weiter verfestigende Entfremdung eines Viertels der ostdeutschen Wähler von der bestehenden Demokratie bescheren.

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