Richter und Patzelt über Politik, Wahlen und Engagement

Richter und Patzelt über Politik, Wahlen und Engagement

Am Freitag, dem 8. März, erschien das nachstehende Doppelinterview mit Frank Richter und mir in der Süddeutschen Zeitung, Nr. 57, S. 6. Der Untertitel gibt den Inhalt gut wieder: „Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt und der Theologe Frank Richter über ihre Wechsel in die aktive Politik, die bevorstehende Landtagswahl in Sachsen – und die unberechenbaren Bürger in der Demokratie“. Die Fragen stellten U. Nimz, C. Pollmer und A, Rietzschel

SZ: Herr Patzelt, Herr Richter, sind Sie Profiteure von Pegida?

Frank Richter: Nein. Womöglich habe ich wegen Pegida eine Bekanntheit erreicht, die ich sonst nicht erreicht hätte, aber darauf hätte ich verzichten können.

Werner J. Patzelt: Es ist ein ganz tolles Profitieren, wenn einem das Auto abgefackelt wird oder Kollegen einen behandeln, als sei man rechtsradikal!

In den vergangenen Jahren konnten Sie die Lage in der vergleichsweise bequemen Rolle politischer Besserwisser beobachten und kommentieren. Warum haben Sie diese Rolle aufgegeben?

Richter: Am Tag nach der Bundestagswahl 2017 habe ich in die Zeitung geschaut und gesagt, dieses Wahlergebnis ist eine Aufforderung, vom Theoretisieren ins Praktizieren zu wechseln. Die AfD ist in Sachsen an die erste Stelle gekommen, und diese Partei sehe ich als politische Gefahr, gegen die ich als Bürger ankämpfen werde.

Herr Patzelt, Sie kennen die andere Seite schon länger, etwa als politischer „Hofastrologe“ mit Nähe zur Staatskanzlei. Was haben Sie jetzt über sich gelernt?

Patzelt: Nach dem Aufkommen von Pegida und der AfD hat sich die CDU auf die bequeme Position eingelassen, einen Trennstrich nach rechts zu ziehen und zu hoffen, dass AfDler sich dann so sehr schämen, dass sie verschwinden. Das hielt ich immer für kontraproduktiv und politisch unvernünftig. Deshalb habe ich die CDU jahrelang scharf kritisiert. Und nun kann ich mich daran machen, meine Theorie zu testen, wie man der AfD nachhaltig Einhalt gebieten kann – dadurch nämlich, sie in unserem politischen System wieder entbehrlich zu machen. Deshalb finde ich es putzig, wenn jemand schreibt, meine Rolle bestünde darin, eine Regierungsbeteiligung der AfD herbeizuführen. Solche Einschätzungen sind ein Zeichen von Denkfaulheit und politikanalytischer Schwachsinn.

Herr Richter, nehmen Sie es Herrn Patzelt ab, dass er sich einzig dafür zuständig sieht, der AfD Einhalt zu gebieten?

Richter: Ich wüsste nicht, warum ich das bezweifeln oder kommentieren sollte.

Und als sein politischer Kontrahent, der Sie ja auch sind?

Patzelt: Jetzt müssen wir anfangen zu raufen …

Richter: Koaliert wird immer erst nach der Wahl. Wenn’s sein muss. Vor der Wahl wird der politische Dissens fair, aber so hart wie möglich ausgetragen, denn das führt genau zu dem, was Sie, Herr Patzelt, auch angedeutet haben: Dass Extremisten entbehrlich werden. In Sachsen ist in den vergangenen Jahrzehnten der politische Streit vernachlässigt worden.

Sachsen-Sofa, Sachsengespräch, Küchentisch-Tour – das Land debattiert sich vor der Wahl in vielen Dialogveranstaltungen leer. Wie nachhaltig sind solche Formate?

Patzelt: Einige Veranstaltungen haben vor allem therapeutische Wirkung; die Leute haben die Möglichkeit, Aufgestautes rauszulassen. Und die Kommunikationsoffensive von Michael Kretschmer gleicht einer tätigen Reue angesichts der Kommunikationsabstinenz seines Amtsvorgängers. Dabei darf aber nie der Eindruck entstehen, Politiker würden Dialog nur simulieren.

Herr Richter, sind Michael Kretschmers Veranstaltungen Simulationen?

Richter: Meine Erfahrung sagt: Es braucht mehr als eine Veranstaltung an einem Ort, um von der emotionalen auf die sachliche Ebene zu kommen – und die schweigende Mehrheit zum Sprechen zu ermutigen. In Sachsen wirkt es zuweilen so, als sei das politische Geschäft monarchisch geprägt. Der Ministerpräsident darf nicht den Eindruck erwecken, er halte Audienzen ab, bei denen sich die Bürger beklagen können, und anschließend kehrt er in die Staatskanzlei zurück, um jedes einzelne Problem persönlich zu lösen.

Umfragen zufolge wünscht sich jeder zweite Sachse eine„starke Hand“.

Richter: Und dieser Sehnsucht darf nicht nachgegeben werden.

Patzelt: Wenn die Leute nach jemandem verlangen, der anstehende Probleme löst, hat das weniger mit Autoritätsgläubigkeit zu tun als mit dem Wunsch nach klarer Adressierbarkeit von Verantwortung. Ein komplexes System wie die parlamentarische Demokratie kann schnell den Eindruck erwecken, niemand sei für etwas zuständig: Der Regierungschef verweist auf die Beamten, die verweisen auf die gesetzliche Lage, und die Parlamentarier verweisen auf eine Bürgerschaft, die zu blöde wäre, die „richtige Mehrheit“ herbeizuwählen. Vor allem 2015/16 ist so ein Eindruck entstanden. Und dann wünscht man sich eben einen neuen oder stärkeren Kapitän.

Richter: Mir machen die mehrfach belegten Erkenntnisse über autoritäre Denk- und Verhaltensmuster Sorgen. Jeder ist als Funktionsträger in der Demokratie austauschbar, nur einer nicht: der Bürger. Wenn der seine Rolle als Träger des Gemeinwohls nicht annimmt, alles nach oben abschiebt, sich wie ein Untertan verhält und nur noch meckert, haben wir ein Problem.

Patzelt: Die Bürger sind wirklich in der Pflicht, sich ordentlich zu informieren, und das tun die meisten leider nicht. Deshalb können wir nicht genug in die politische Bildung investieren.

Davon würde vor allem die nachwachsende Generation profitieren. Was ist mit den erwachsenen Wutbürgern?

Patzelt: Mit manchen Problemen müssen wir eben leben!

Wir müssen damit leben, dass Menschen Politiker beschimpfen, wie bei den Wahlkampfauftritten von Angela Merkel oder beim „Sachsengespräch“ nach den Ausschreitungen in Chemnitz?

Patzelt: Das Problem der politischen Ignoranz, des leichtfertigen Füllens von Wissenslücken durch Vorurteile, ist nicht lösbar. Wenn sich dann politischer Unverstand mit Dreistigkeit und krimineller Energie verbindet, kann man allenfalls die Umstände anschauen und nach Ansatzpunkten für Verbesserungen suchen. Doch wir werden nie daran vorbeikommen, dass der Bürger die Schwachstelle unserer recht gut eingerichteten Demokratie ist.[1] Wir müssen also geduldig daran arbeiten, dass unser Staat auch mit unzulänglichen Bürgern brauchbar funktioniert.

Der Bürger als Schwachstelle des politischenSystems – Einspruch, Herr Richter?

Richter: Die Gesellschaft muss moralische Leitplanken haben. Früher wusste man besser als heute, was sich einfach nicht gehört. Da haben wir auch im Bildungsbereich große Defizite. Das sächsische Schulsystem hat sich immer an den Pisa-Tests orientiert, die politische, soziale, musische und ethische Bildung gar nicht berücksichtigen. Und manche Ältere sind wegen erfahrener Ungerechtigkeiten verbittert. Solche Anzeichen häufen sich in Zeiten von sozialen Umwälzungen. Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung lässt sich das gut beschreiben.

Wie damit umgehen?

Richter: Ich plädiere dafür, die Nerven zu behalten und an dem festzuhalten, was sich als gut, als schön und als mitmenschlich bewährt hat.

Es gab lange Zeit die Hoffnung, alles, was jetzt aufgebrochen ist, könne helfen, die Demokratie zu beleben. War das naiv?

Richter: Wir müssen endlich wieder gute Geschichten erzählen. Die entstehen nicht am Schreibtisch, sie kommen von der Basis – wie 1989. Was haben wir damals gemacht, die Klardenkenden, die Unangepassten? Wir haben diese Gesellschaft von unten neu gedacht. Ich habe mit der Bürgerinitiative in Meißen genau das noch einmal erlebt: Ich habe als Bürgermeisterkandidat am Ende verloren, aber im Mai treten dort allein für die „Bürger für Meißen“ mehr als 20 Personen zur Kommunalwahl an. Der Stadtrat hat nur 26 Sitze. Vertrauen in Politik geht nicht nur verloren, es kann auch wieder wachsen und explodieren.

Herr Patzelt,was haben CDU und SPD aus Ereignissen wie in Chemnitz gelernt?

Patzelt: Dass wir uns für eine Gesellschaft einzusetzen haben, die nicht auseinanderfällt in Gut- und Schlechtgesinnte, in Hell- und Dunkeldeutschland, in Westeliten und dumme Ossis. Sondern für eine, die Gräben überwindet und nicht vertieft.

Wie wollen Ihre Parteien ein zweites Chemnitz verhindern?

Patzelt: Durch Hinwirken auf die folgende Haltung: Rassismus geht nicht, Gewalt geht nicht, Hetzen geht nicht, und Dummstellen angesichts von Fakten geht auch nicht.

Richter: Bei vielen AfD-Funktionären sehe ich die Bereitschaft, eine andere Republik anzustreben – eine, die sich völkisch und nationalistisch orientiert. Ich plädiere dafür, den Spieß umzudrehen und mit allen wohlmeinenden Demokraten dieses Landes Visionen zu entwickeln.

Welches Thema wird diese Landtagswahl bestimmen?

Patzelt: Ich fürchte, es wird die Frage sein: Wie hält es die CDU mit der AfD?

Richter: Und ich hoffe, die Union wird auf diese Frage eine präzise Antwort finden.

Patzelt: Hat sie doch schon!

Richter: Dann hat sich die Botschaft wohl noch nicht in allen Untergliederungen der sächsischen Union herumgesprochen.

Herr Patzelt, bei der Frage nach einer schwarz-blauen Koalition nach der Wahl – orientieren Sie sich am klaren Nein des Ministerpräsidenten?

Patzelt: Wie ich immer schon sagte: Mit einer Partei, die nicht weiß, ob sie dieses System überwinden oder in ihm mitspielen will, kann man nicht zusammenwirken, und ebenso wenig kann man das mit einer Partei, deren jeweilige Führung noch jeden Streit mit ihrer Basis um eine vernünftige Politik verloren hat.

Wenn die Wahl vorbei ist: Wechseln Sie dann wieder in die Beobachterrolle oder vollends in die Politik?

Patzelt (lacht): Jeder Weg, auf dem ich in zehn Jahren Bundespräsident bin, ist mir recht.

Ihr neues Buch, Herr Richter, heißt „Gehört Sachsen noch zu Deutschland?“–gehören Sie noch zu Sachsen, wenn die AfD stärkste Kraft werden sollte?

Richter: Ich mag meine Heimat. Trotz allem. Sachsen wird mich nicht los.

Patzelt: Und die AfD kommt nicht an die Spitze.

Richter: Dafür arbeiten wir beide.

 

[1] Siehe dazu u.a. meine folgenden Veröffentlichungen: Das Verhältnis von Bürgern und Parlament – Aufgaben der politischen Bildungsarbeit, in: Hepp, Gerd / Schiele, Siegfried / Uffelmann, Uwe, Hrsg.: Die schwierigen Bürger, Schwalbach/Ts. 1994, S. 216‑239; Unaufgeklärte Bürger und ein unverstandenes Parlament – was tun? Zur Kritik der Kritiker und an Kritikern, in: Das Parlament, Nr. 38 v. 12.0.1997, S. 4; Der Bürger – Schwachpunkt der Demokratie?, in: Technische Universität Dresden, Universitätsjournal 16, 1998, S. 10; Die Bürger – Schwachstelle unseres Gemeinwesens? Ein latenter Verfassungskonflikt, in: Gotthard Breit / Siegfried Schiele, Hrsg.: Handlungsorientierung im Politikunterricht, Schwalbach/Ts. 1998, S. 69-100; Der Bürger – Schwachpunkt der Demokratie?, in: Das Baugerüst. Zeitschrift für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der evangelischen Jugendarbeit und außerschulischen politischen Bildung 52, 3/2000, S. 38‑47.

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