Bayern-Wahl und Bundes-SPD

Bayern-Wahl und Bundes-SPD

Nach der Bayern-Wahl stand das schlechte Abschneiden der CSU so sehr im Blickpunkt, dass man fast meinen mochte, die Linke hätte – angeführt von den Grünen – den weißblauen Freistaat erobert. Mehr als 30,4 Prozent haben aber – trotz stark gestiegener Wahlbeteiligung – die Grünen, die SPD und die Linke auch gemeinsam nicht bekommen. Also wird es Zeit, auch auf die Lage der SPD zu blicken.

Ich habe das gestern in Interviews mit der BILD-Zeitung und mit Sputnik-News getan und mache meine Antworten nachsehend auch allgemein nachlesbar. Das Sputnik-Interview ist dabei thematisch viel breiter als das redaktionell in einen Fließtext eingearbeitete, allein auf die SPD bezogene Interview mit BILD und wurde – im Vergleich mit dem Original – sprachlich auch leicht geglättet.

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Hier ist zunächst das thematisch viel breitere Sputnik-Interview (https://de.sputniknews.com/politik/20181015322642084-patzelt-zur-csu-spd-bayern-pleite/)

Nach der Bayernwahl gibt es zahlreiche Theorien, warum CSU und SPD verloren haben. Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt ist sich sicher: Es hat auch mit der jeweiligen Haltung in der Migrationsfrage zu tun. Gleiches gilt demnach für das Abschneiden von Grünen und AfD. Patzelt rät vor allem der SPD jetzt zu einer ganz bestimmten Strategie.

Herr Patzelt, die  CSU hat über 10 Prozent an Stimmen eingebüßt. Was bedeutet das jetzt auch für die Politik der Union in Berlin? Wird es ein „Weiter so“ geben?

Es gibt zwei grundverschiedene Erklärungen des Wahlergebnisses und folglich zwei einander ausschließende Einschätzungen. Erklärung eins sagt, dass die CSU durch ihre allzu hartnäckige Haltung bei der Migrationspolitik selbst schuld daran sei, dass die AfD so groß geworden wäre. Die Folgerung ist dann, dass die CSU  nun endlich die Migrationspolitik der Kanzlerin Merkel unterstützen und Horst Seehofer aus seinem Amt als Innenminister entfernen muss.

Die andere Erklärung ist, dass die CSU deswegen verloren hat, weil viele in Bayern die Hoffnung aufgegeben haben, die CSU könnte die CDU doch noch auf einen – wie ihnen scheint – vernünftigen“ Kurs bringen. Das hat die CSU im vergangenen Sommer nicht geschafft. Also hat sich eine weitere Anti-Merkel-Wahl ereignet, und eben das hat die AfD großgemacht. Richtig wäre folglich eine Wende hin zu einer sehr anderen Migrations- und Integrationspolitik – und obendrein für die CDU: sich von der Vorsitzenden Merkel zu trennen.

Weil beide Deutungen und Erklärungen des Wahlergebnisses einander strikt widersprechen, ist es eine Machfrage noch ganz unklaren Ausgangs, welch Neuorientierung sich durchsetzen wird.

Glauben Sie an einen vorzeitigen Rücktritt von Horst Seehofer? Einen Schuldigen wird die CSU ja wahrscheinlich suchen?

Nachdem Horst Seehofer ebenso wenig wie ich erkennen kann, was er denn grundsätzlich falsch gemacht hätte, sondern er – wie auch ich – den Eindruck hat, dass ihn seine eigene Partei in eine Schlacht geschickt und anschließend im Stich gelassen hat, gibt es für ihn keinen guten Grund, zurückzutreten. Man kann ihm einen Rücktritt auch nicht aufzwingen denn er ist als Parteivorsitzender bis zum Herbst des kommenden Jahres gewählt. Und so, wie ich Horst Seehofer einschätze, wird er seiner Partei nicht den für Söder bequemen Gefallen tun, als Sündenbock zu fungieren.

Schauen wir auf den anderen großen Wahlverlierer, die SPD. Sie hat ihr Ergebnis im Vergleich zur Landtagswahl 2013 mehr als halbiert. Von einer SPD-Erneuerung ist nichts zu spüren. War es das mit der Sozialdemokratie?

Totgesagte leben länger! Und obschon die SPD eine sehr schwierige Phase durchmacht, ist es nicht so, als müsste man sie bereits abschreiben. Das Kernproblem ist, dass sich die SPD auf einem sehr wichtigen Politikfeld auf falsche Weise festgelegt hat, nämlich bei der Migrations- und Integrationspolitik. Dort hat die SPD nämlich eine Position bezogen, die vielen ihrer Anhänger, ihrer Wähler und auch ihrer Kommunalpolitiker überhaupt nicht einleuchtet. Vor diesem Hintergrund kommen dann andere Anliegen – Rentenpolitik, Gesundheitspolitik, Arbeitsmarktpolitik und so weiter – nicht mehr zur Geltung.

Tatsächlich stellen die Migrationspolitik und ihre Folgen noch für viele Jahre das zentrale Problemfeld deutscher Innenpolitik dar. Was die SPD in dieser Lage bräuchte, wäre eine Art „Godesberger Parteitag“, eine Art „Godesberger Programm“ – und jemand wie Fritz Erler oder Herbert Wehner oder Willy Brandt, der diese Partei zum fälligen Rendezvous mit der Wirklichkeit führt und sie damit wieder auf Erfolgskurs bringt. Nachdem aber in der SPD-Führung einfach nicht geglaubt wird, dass man sich migrations- und integrationspolitisch falsch positioniert hätte, wird die SPD wohl noch während etlicher Landtagswahlen vor sich hin dümpeln – und dann aus Angst vor einem weiteren Niedergang die Koalition spätestens im Herbst des nächsten Jahres aufkündigen.

Was wäre denn der passende Weg für die SPD: Eher ein realpolitischer Mitte-Kurs, wie es Stephan Weil und Olaf Scholz bewerben, oder ein linker Kurs à la Kevin Kühnert und Ralf Stegner?

Wenn man die Wünsche der SPD-Führung und des SPD-Parteiapparats berücksichtigen will, was man bei einer Funktionärspartei wie der SPD unbedingt muss, dann ist der kurzfristig zu gehende Weg der nach links. Wenn man aber langfristig die SPD wieder zu einer dominierenden politische Partei machen will, dann muss man der SPD ihre früheren Wähler zurückgewinnen, zumal in den großen Kommunen, die vom Wandel unserer Gesellschaft zu einer multikulturellen Migrationsgesellschaft besonders stark betroffen sind. Und das verlangte den Kurs einer vernünftigen Migrations- und Integrationspolitik, der von den Vorstellungen der meisten CSU-Politiker gar nicht weit entfernt wäre.

Außerdem hat die SPD große Konkurrenz von den Grünen bekommen – nicht nur in Bayern, sondern auch in Umfragen bundesweit. Wie erklären Sie sich das?

Zunächst einmal sind die Grünen jene Partei, welche seitens der deutschen Journalisten die mit Abstand meisten Sympathien genießt. Also findet sich über die Grünen in der Regel eine sehr positive Berichterstattung, und das bleibt nicht ohne Folgen. Die Grünen in Bayern haben außerdem, genauso wie die Grünen in Hessen und zuvor die in Baden-Württemberg, nicht auf den früher „fundamentalistisch“ genannten Flügel ihrer Partei gesetzt – sondern auf jenen, den man früher „realpolitisch“ genannt hätte. Außerdem haben die Grünen in Bayern ein freundliches Gesicht – und obendrein Themen wie Heimat, Heimatliebe und ein schönes, ökologisches Bayern in einem freundlichen Europa auf ihre Plakate geschrieben. Das kommt natürlich gut an – und ist auch gut so.

Im Übrigen sind die Grünen die Partei des gehobenen, akademisch gebildeten städtischen Bürgertums. Genau das zeigen auch die Wahlergebnisse. Und die Grünen vertreten jene Schichten vertreten, denen von der Migration überhaupt keine üblen Folgen drohen – nicht einmal auf dem Miet- und Wohnungsmarkt.

Eine positive Berichterstattung gibt es über die AfD eher selten. Sie hat nun in Bayern über 10 Prozent bekommen. Das sind aber weniger, als die Partei noch bei der Bundestagswahl in Bayern erreichte. Wohin steuert die AfD gerade?

Die AfD hatte bei der Landtagswahl in Bayern eine starke Konkurrenz, die sie bei der Bundestagswahl nicht hatte: nämlich die Freien Wähler. Die nahmen der AfD gegen die CSU gerichtete „Denkzettel-Stimmen“ ab. Nach oben getrieben hat den AfD-Stimmenanteil vor allem, dass die AfD die einzige Partei ist, die eine Flüchtlings- und Migrationspolitik vertritt, welche dem herrschenden Konsens von CDU, Grünen und SPD aufs Klarste widerspricht, weshalb viele Leute ihre Hoffnungen allein schon in eine parlamentarische Präsenz der AfD setzen. Obendrein ist die AfD die klarste Anti-Merkel-Partei, weshalb jene stark wachsende Minderheit der Leute, die eine andere Kanzlerin oder eine andere CDU-Vorsitzende wollen, gern die AfD wählen. Im Übrigen wird die AfD vom stark aufgekommenen deutschen Rechtspopulismus getragen, dessen wirkliche Ursachen lange Zeit analysefaul verkannt worden sind.

Man glaubte nämlich, als der Rechtspopulismus in Deutschland in Gestalt von Pegida medien- und später wählerwirksam wurde, es agierten da einfach nur sächsische Rassisten und Faschisten, die man durch die üblichen Ausgrenzungs- und Beschimpfungspraktiken leicht kleinhalten könne. Das war aber nicht so. Der Rechtspopulismus fand seine große Anhängerschaft vielmehr in jener Repräsentationslücke, welche die sozialdemokratisierte Union rechts von der politischen Mitte hatte aufreißen lassen. Sogar in Bayern, wo die CSU lange Zeit dem Rechtspopulismus Einhalt geboten hat, indem sie selbst – und meist in vernünftiger Weise – auch rechte Positionen vertrat, ist die Bindekraft nach rechts unzureichend geworden, vor allem unter dem Eindruck der klar nicht-rechten politischen Kurses der CDU und ihrer Vorsitzenden. Das alles zusammen erklärt ziemlich gut den Aufstieg der AfD – und er wird in Hessen und bei den kommenden Landtagswahlen zumal in Ostdeutschland sehr wahrscheinlich weitergehen.

Sie haben die Freien Wähler schon erwähnt, wahrscheinlich wird es zu einer Regierungskoalition mit ihnen kommen. Wird die CSU-Politik also genauso weitergehen, und die Freien Wähler sind ausschließlich der Steigbügelhalter der CSU – mehr nicht?

Wenn man die Freien Wähler – insbesondere in Bayern – näher anschaut, dann erkennt man, dass das in der Regel Leute sind, die der jeweils herrschenden C-Partei abhandengekommen sind – vor allem dadurch, dass sie auf der lokalen Ebene mit verfilzten und selbstgefälligen Parteistrukturen zu tun hatten. Es handelt sich bei den Freien Wählern also im Wesentlichen um Leute, die aus persönlichen oder sonstigen Gründen mit der örtlichen CSU nicht konnten, obwohl sie von ihren politischen Überzeugungen her kaum anderen Grundpositionen vertreten. Deshalb ist die kommende bayerische Koalition zwischen CSU und Freien Wählern im Grunde nichts anderes als eine Koalition der CSU mit sich selbst – genauer: mit jenen früheren oder möglichen CSUlern, die von der CSU aus Arroganz oder Nachlässigkeit nicht in die eigenen Reihen gezogen oder dort gehalten worden sind.

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Und hier folgt der allein auf die SPD beschränkte Text der BILD-Zeitung vom 6. Oktober 2018 (https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/scherbengericht-bei-der-spd-frust-auftritt-nach-wahl-klatsche-57836740.bild.html)

Grundproblem der SPD sind ihre politischen Positionen

Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt erklärte gegenüber BILD, dass es nicht hilfreich sei, über den Vorsitz von Andrea Nahles zu diskutieren: „Das Grundproblem sind bei der SPD nicht die schnell wechselnden Vorsitzenden, sondern die politischen Positionen.”

„Die SPD hat sich auf einem Politikfeld inhaltlich problematisch festgelegt – nämlich Migration und Integration. Das Problem ist: Der größte Teil der SPD-Wählerschaft widerspricht dem, was die SPD-Führung auf diesen Themengebieten will und fordert”, erklärt Patzelt.

Ein weiterer Teil des Dilemmas: „Auf den anderen Politikfeldern, die der SPD am Herzen liegen, sei es Rente oder Mindestlohn, da wirken die alten SPD-Rezepte nicht mehr. Und das sich Abwenden von der Agenda 2010 ist ein weiterer Schuss ins eigene Knie.”

Für Patzelt ist es offensichtlich, dass die SPD sich neu orientieren müsse: „Die Führung auszuwechseln, bringt der SPD wenig, vielmehr muss das strategische Problem erkannt und gelöst werden. Das ist der falsche Kurs bei der Migration. Was die SPD braucht, ist im Grunde ein neues ‚Godesberger Programm‘. Das heißt: Sie muss auf der Höhe der realen Probleme ankommen. Personal für diese Aufgabe kann ich derzeit leider nicht erkennen.“

Nach der Hessen-Wahl wird das Ende der GroKo wahrscheinlich

Für Patzelt ist klar, dass die GroKo der SPD schadet: „Natürlich mehren sich die Stimmen für ein Ende der GroKo innerhalb der SPD. Und fest steht: Die GroKo tut der SPD nicht gut. Ohnehin wird im kommenden Herbst Bilanz gezogen.“

Mit Blick auf die anstehende Wahl in Hessen prophezeit Patzelt: „Ich rechne fest damit, dass sich nach dem voraussehbaren Debakel der Hessen-Wahl das Drama beschleunigen wird. Danach wird das Aufkündigen der Groko sehr wahrscheinlich. Sie kann aber schon noch etliche Monate vor sich hin kränkeln – weil nämlich die SPD weiß, dass sie bei Neuwahlen wahrscheinlich noch schlechter abschneiden wird.”

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