Wo ist der böse Wolf?

Wo ist der böse Wolf?

Ungekürzte Fassung meiner Kolumne vom 18. März 2016 in der „Sächsischen Zeitung“, S. 11, dort – aus Platzgründen um wenige Sätze gekürzt – erschienen als „Wo ist der Wolf? Manche tun so, als wäre unsere Demokratie bedroht – und schaden ihr damit erst recht“.

 

Wie ging die Geschichte vom Hirtenjungen und dem Wolf? Der Junge hütete die Schafe. Vielleicht begann er, sich zu fürchten. Oder er wollte sich wichtigmachen. Jedenfalls rief er: „Der Wolf kommt!“ Die Dorfleute eilten herzu. Wer nicht kam, war der Wolf. So wiederholte es sich mehrfach. Dann kam der Wolf. Der Junge rief um Hilfe, doch die blieb nun aus. Bald tötete ihn der Wolf mitsamt einigen Schafen.

Ob das mit uns zu tun hat? Und wie! Schon wieder marschieren die Nazis, ist es wie in Weimar, steigt ein Führer auf, steht die Demokratie auf der Kippe. Wir hörten solche Rufe, als DVU und NPD in einige Landtage gelangten. Auch als in Mölln und Solingen Neonazis Verbrechen gegen Ausländer begingen. Wir hörten das, als in Rostock-Lichtenhagen bei der Ausländerhatz viele, sehr viele Bürger applaudierten – und gewiss noch Tausende mehr sich in klammheimlicher Freude suhlten. Schlimme Gesellen traten auf, doch der Wolf kam nicht. Immer noch lebt unsere Demokratie, schon viel mehr Jahre, als einst das „Tausendjährige Reich“ währte.

Die Hirten unserer Demokratie sind wir. Wir haben unsere Mitmenschen zu schützen, gleich ob einheimisch oder zugewandert. Auf sie lauern nicht nur Wölfe, sondern auch Bären und weitere gefährliche Wesen, die anderen Gefühlen folgen als wir. Uns alle schützt ein Gatter, das aber gesichert werden muss. Das sind die Regeln unserer Verfassung. Dahinter haben wir uns nicht mit Firlefanz die Zeit zu vertreiben, sondern unsere Aufgabe ist der Schutz gegen alles, was dieses Gatter und die von ihm Geschützten bedrohen mag.

Angst ist dabei nichts Schlechtes. Sie sensibilisiert, hält wachsam, schärft den Blick. Nur müssen wir sie auch bezähmen, dürfen ihr nicht einfach nachgeben, haben stets zu prüfen, ob das Geräusch im Gebüsch wohl eine sich anschleichende Löwin verrät – oder nichts ist als ein Knacken, dem der Wind zur Ursache wurde. Was widerfährt, wenn man sich jedes Mal zu ängstigen beginnt, zeigte Rainer Werner Fassbinder einst im Titel und Inhalt eines zu Herzen gehenden Films: „Angst essen Seele auf“.

Fangen nun auch wir an, unser Miteinander durch Überängstlichkeit zu zerstören? Durch das Wittern von Gefahr, wo bloß Unerfreuliches geschieht? Durch Alarmismus, wo man durch ruhiges Dagegenhalten auch gewinnen würde? Oder wegen der Eitelkeit von Mahnern und Warnern, die sich sehr am eigenen Auftritt erfreuen? Denken wir immer wieder ans Schicksal des Hirten – und inflationieren wir nicht unsere Warnungen!

 

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