zum programm der sächsischen AfD
I. Gesamteinschätzung des „Regierungsprogramms“
Die AfD fordert die sächsischen Wähler auf, sich zu trauen – um nämlich die AfD an die Regierung zu wählen und dadurch Sachsen zu verändern. Ihrem – auch im jüngsten Zehn-Punkte-Plan bekundeten – Selbstverständnis nach ist Sachsens AfD keine revolutionäre Partei (mehr), welche die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt oder Deutschlands repräsentative Demokratie „abwickeln“ will, sondern jene „sächsische Volkspartei, … die hält, was die CDU nur verspricht.“ Damit hat sich die AfD so unangenehm wie nur möglich zu Sachsens CDU positioniert.
Tatsächlich legt die AfD nicht weniger als ein „Regierungsprogramm“ vor. Dieses behandelt – nach einer alle wesentlichen Ziele ansprechenden Präambel – ins Einzelne gehend die folgenden Themen:
- Wirtschaft, Steuern und Haushaltspolitik;
- Geld- und Währungspolitik;
- Innere Sicherheit, Justiz und Datenschutz;
- Familie und Demographie;
- Bildung, Wissenschaft, Kultur und Medien;
- Soziale Sicherungssysteme und Rente, Arbeits- und Sozialpolitik;
- Zuwanderung, Asyl, Staatsangehörigkeit;
- Umwelt, Natur- und Tierschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz;
- Gesundheitspolitik;
- Energie, Technik und Klimaschutz;
- Infrastruktur, Wohnbau, Digitalisierung.
Das alles sind wirklich wichtige Politikfelder, auf denen man sich mit den AfD-Positionen sachlich-inhaltlich auseinandersetzen kann, ja um demokratieförderlichen pluralistischen Streitens willen das auch so halten muss. Im Übrigen ist der Programmtext weitgehend frei von Polemik. Nur selten, sehr wohl aber an Schlüsselstellen, finden sich Aussagen, die mit Vernunftgründen keineswegs haltbar sind. In der Regel aber werden politische Herausforderungen, Ziele und Mittel sachlich beschrieben. Also wird eine bloße Fortführung konventioneller Polemik gegen die AfD eher die Kritiker als die Kritisierten schlecht aussehen lassen.
AfD-typische Schwerpunkte gibt es im Programmtext bei der Ablehnung des Islam und seines befürchteten kulturellen Einflusses auf Deutschland, bei der Migrations- und Integrationspolitik sowie bei Vorbehalten gegenüber den Institutionen und Gestaltungsansprüchen der Europäischen Union. Das alles liegt aber weitgehend im Kompetenzbereich der Bundespolitik. Im landespolitischen „Regierungsprogramm“ der AfD dient die Auflistung solcher Themen wohl vor allem dazu, behauptete Politikfehler der CDU auf Bundesebene anzusprechen sowie Empörung darüber mobilisierend für den Landtagswahlkampf zu nutzen.
Einige Politikvorschläge der AfD scheinen im Rahmen des Grundgesetzes nicht verwirklichbar zu sein (etwa ein Verbot des Baus von Moscheen), etliche nicht im Rahmen der geltenden internationalen Verträge (etwa Vorstellungen zur Handhabung des Migrationsgeschehens); und manches scheint schwer finanzierbar zu sein (wie das sachlich plausible Begrüßungsgeld für Neugeborene), oder scheint wenig wünschenswerte Nebenwirkungen zu haben (wie die Abgrenzung zwischen Anspruchsberechtigten und Nicht-Anspruchsberechtigten bei diesem Begrüßungsgeld).
Viele der AfD-Positionen werden Grüne, Sozialdemokraten und Linke aufgrund ihrer anders ausgerichteten politischen Grundhaltung für unvernünftig halten und somit scharf kritisieren, etwa als harmlos nur wirkende Konsequenzen von grundsätzlich falschen Herangehensweisen an politische Probleme. Gar nicht wenige konkrete AfD-Positionen werden auch von der CDU für sachlich ungut gehalten. Sofern derlei Kritik ihre – meist ja konkurrierenden – Wertmaßstäbe offenlegt, auf Fakten gründet, sich in logisch korrekten Argumenten verdichtet und kommunikativ fair gehandhabt wird, ist sie ganz in Ordnung und sollte von der AfD redlich debattierend aufgegriffen werden.
Manches am AfD-Programm passt allerdings unübersehbar gut zu Positionen der CDU. Das erlegt der Union im Wahlkampf vielfach ein herausforderndes „Zwar – Aber“ auf. Derlei Schwierigkeiten hätte sich die CDU erspart, wenn sie ihre originalen Positionen in den letzten Jahren nicht für einen nennenswerten Teil ihrer früheren Wähler hätte zweifelhaft werden lassen. Doch leider sahen große Teile der CDU fahrlässig dem Aufreißen jener Repräsentationslücke zu, in der sich nun die AfD – sie schließend – mit der Behauptung festgesetzt hat, ihrerseits breitem Bevölkerungswillen besser gerecht zu werden als die CDU. Und anscheinend kann die CDU von den Grünen gar nicht so viele Stimmen (zurück-) gewinnen, wie sie in Sachsen nun (zunächst einmal) an jene AfD verloren hat, welche frühere CDU-Positionen kopiert.
II. Mit Vernunftgründen unhaltbare Aussagen in der Präambel des AfD-Programms
- Die CDU habe „unseren liebenswerten, traditionsreichen Freistaat weiter und weiter in Sackgassen regiert“. Zwar werden – überzeichnend als „Sackgassen“, auch mit einigem Verbalradikalismus bei den angefügten Eigenschaftswörtern – durchaus bestehende Missstände angesprochen: „überregulierter Mittelstand, vernachlässigter öffentlicher Raum, explodierende Kriminalität, darbende Bildung, arbeitsplatzvernichtende Energie-Abenteuer. Doch die Kritik als „Sackgasse“ schießt weit über die realen Probleme hinaus, zumal die CDU sich deren Lösung nicht nur programmatisch zum Ziel gesetzt, sondern praktisch schon wichtige Schritte hin zur Problemlösung getan hat.
- Es habe „die CDU-geführte Bundesregierung [die freiheitliche demokratische Grundordnung] seit 2015 außer Kraft gesetzt“. Das stimmt schlechterdings nicht und ist absurde Polemik.
- „Dieses Land müssen … wir uns zurückholen!“ Sofern mehr gemeint sein sollte, als dass es eingetretene Missstände zu beseitigen gilt, ist auch diese Aussage absurd. Sachsen ist schließlich weiterhin da, und sehr wohl als ein Land von uns allen!
- Es habe die Die CDU hat „alle Ideale vom November 1989 vergessen“. Welche Ideale sind hier gemeint? Und aus welchen Tatsachen scheint hervorzugehen, die CDU – und nicht etwa ihre linke politische oder zivilgesellschaftliche Konkurrenz – hätte jene Ideale „vergessen“?
- Die CDU habe „die Begriffe Freiheit, Demokratie und Wohlstand zu Worthülsen verkommen [lassen] …, weil sie Menschen und deren Leistungen nur nach ihrem Marktwert beurteilte und das Volk der Wirtschaft und der Bürokratie unterordnete“. Auch das stimmt einfach nicht mit den Tatsachen überein und ist reine Polemik.
- Es habe die CDU „alle konservativen, patriotischen und freiheitlichen Inhalte über Bord [geworfen]…, um sich sämtlichen anderen Parteien anzudienen, … [womit sie] Machterhalt vor Politik“ setze. Das mag für manche Teile der deutschlandweiten CDU zutreffen, stimmt aber durchaus nicht für die sächsische CDU.
III. Schnittmengen zur Programmatik der CDU in der Präambel des AfD-Programms
- Sachsen soll „eine stolze, familienfreundliche und sichere Heimat [sein] … die eine sichere sächsische und deutsche Identität prägt, … in der sich alle wohlfühlen, die unsere Sprache sprechen, die unsere Werte und Gesetze achten und die bereit sind, ihren Anteil zu unserem Wohlstand beizutragen“. Die CDU versteht dieses Ziel als Integrationseinladung, nicht als Exklusionsprogramm!
- „Für uns ist ein gesunder Mittelstand die Grundlage einer leistungsfähigen und erfolgreichen Wirtschaft“. Wie wir dieses Ziel erreichen können, ist im CDU-Wahlprogramm ausführlich beschrieben.
- „Für uns ist eine solide, nachhaltige Geld- und Währungspolitik, die auf eine Vermeidung von Neuverschuldung zielt, die Basis für die gedeihliche wirtschaftliche Weiterentwicklung und damit den Wohlstand in Sachsen“. Diesem Grundsatz entsprach klar die CDU-Politik in Sachsen während der letzten Jahre. Hinsichtlich der Bundes- und EU-Politik gilt allerdings: Leider ist die Sachsenunion ist keine Großmacht, die sich immer und überall politisch durchsetzen kann!
- „Für uns ist das auch in Sachsen weiterhin vorherrschende traditionelle Familienmodell aus Mann, Frau und deren Kindern Grundlage und Voraussetzung unseres Handelns“. Das heißt aber nicht, dass die CDU andere Formen des Zusammenlebens oder der Übernahme von Verantwortung zwischen den Generationen ablehnt!
- „Für uns ist die Ausrichtung der Bildungsstandards der verschiedenen Schulformen an den Anforderungen der weiterführenden Bildungseinrichtungen selbstverständlich.“ Für die CDU heißt das: Wir wollen anspruchsvolle Schulen mit hochgesteckten Bildungs- und Erziehungszielen; und wir sehen dabei gerade auch die berufliche Bildung – gerade nach dem Durchlaufen der Oberschule – als persönlich besonders förderlich und als gesellschaftlich höchst wertvoll an.
- „Für uns ist der Erhalt unseres Sozialstaates ein wichtiges Anliegen. Einwanderung braucht deshalb klare Regeln und geschützte Grenzen.“ Sozialstaatlichkeit und Migrationspolitik zusammenzudenken, unterscheidet die realistische Position der sächsischen CDU seit jeher von vielen Utopien unserer Konkurrenzparteien zwischen der Mitte und dem linken Rand.
- „Für uns als der Welt zugewandte Sachsen, die gleichwohl das Eigene bewahren und schätzen, ist die Gewährung von Asyl selbstverständlich.“ Natürlich; und zugleich wissen wir, dass hier vieles nicht mehr allein nationalstaatlichen Regelungen, sondern dem EU-Recht sowie internationalem Vertragsrecht unterliegt, was einfache Antworten auf die hier anstehenden Fragen humanitärer Migrationspolitik oft nicht tragfähig ausfallen lässt.
- „Für uns ist die gesundheitliche Versorgung der sächsischen Bevölkerung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die deutlich mehr Gemeinwohlorientierung erfordert und sich am Patienten, seiner Würde und seinen Grundrechten auszurichten hat. Wir wollen den praktischen Arzt wiedereinführen, die Telemedizin ausbauen, …. und eine Landarztquote bei der Studienplatzvergabe festsetzen.“ Ja; und die CDU will bei alledem gesundheitlich versorgungsbedürftige Migrantinnen und Migranten nicht schlechter stellen als die länger schon im Land lebende Bevölkerung.
- „Für uns bietet die digitale Entwicklung mehr Chancen als Risiken, weshalb wir sie aktiv zum Wohle des einzelnen Menschen sowie der Gesellschaft gestalten. Wir wollen … die Versorgung mit schnellem Internet sowie flächendeckender Mobilfunkanbindung als Elemente staatlicher Daseinsvorsorge beschleunigen sowie die Industrie 4.0 ebenso wie das E-Government fördern. Daneben wollen wir mit Blick auf die (Wieder-) Belebung des ländlichen Raumes in Sachsen den Erwerb von Wohneigentum stärker unterstützen sowie Bebauungsplan- und Planfeststellungsverfahren beschleunigen.“ Klar – was denn sonst? Und steht so auch im CDU-Wahlprogramm.
IV. Zusammenfassende Würdigung
Das vorliegende AfD-Programm macht es unglaubwürdig und wenig sinnvoll, die AfD als nichts weiter denn eine sachlich inkompetente und rein populistische Partei hinzustellen. Abzuwarten bleibt allerdings, ob das konkrete Auftreten von AfD-Politikern im Wahlkampf sich auf der Höhe der vernünftigen Teile des Programms bewegen wird oder mehr die Niederungen von nicht mit Vernunftgründen zu vertretenden Aussagen aufsucht. Auch wird immer zu hinterfragen sein, welche Teile des AfD-Auftretens inhaltlicher Einsicht, welche anderen aber taktischer Selbstdisziplinierung geschuldet sind.
Bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem AfD-Programm muss es gewiss um die folgenden Fragen gehen:
- Wie weit ist das AfD-Programm wirklich ein landespolitisches Programm? Inwieweit werden bundespolitische Ziele vertreten, auf deren Verwirklichung die AfD mit den Mitteln der Landespolitik gar nicht hinwirken kann?
- Sind besonders wählerattraktive Teile des Programms nicht gerade solche Positionen zu den „Altparteien“, zur Migrationspolitik und zum Islam, die mit Vernunftgründen gerade nicht haltbar sind?
- Sind die landespolitischen Programmteile wirklich finanzierbar; und wenn ja: mit welchen Risiken und Nebenwirkungen?
- Hat die AfD, ausweislich ihrer Kandidatenliste und ihrer Selbstdarstellung, tatsächlich das Personal, um die von ihr in Aussicht gestellte Politik erfolgreich betreiben zu können?
Unterm Strich ist es gut, dass man nun weiß, wofür genau die AfD in Sachsen um Wählerstimmen wirbt, und dass man fortan vom polemischen Unterstellen zum kritisch-rationalen Umgang mit dieser Partei übergehen kann. Und noch besser wäre es, wenn die erforderliche politische Debatte um die AfD-Positionen und um die Gestaltungsansprüche dieser Partei endlich ernsthaft sowie nach diskursethisch akzeptablen Regeln geführt würden. Möge jeder, dem unser Land und seine politische Kultur am Herzen liegt, sich in den kommenden Monaten deshalb so verhalten, dass er als Vorbild dienen kann! Und selbstverständlich gilt dieser Wunsch – trotz des generischen Maskulinums – nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen …