Gerd Schwerhoff: zum Ausklang einer Debatte

Gerd Schwerhoff: zum Ausklang einer Debatte

Nachstehend dokumentiere ich meine – hoffentlich letzte – Auseinandersetzung mit Gerd Schwerhoffs „Offenen Brief“. Ihr ging eine Antwort Gerd Schwerhoffs auf meine Replik zu seinem Brief voraus. Der ganze Vorgang ist dokumentiert unter http://www.flurfunk-dresden.de/2018/09/21/hetzjagd-petition-prof-schwerhoffs-antwort-auf-die-antwort/. Von allgemeinerem Interesse könnte die Nummer 8 meiner Antwort sein, womöglich auch die Nummer 7.

—————————-

Sehr geehrter Herr Schwerhoff,

mit Vernunft geführte Debatten, darunter Reaktionen auf Repliken zu vorgebrachter Kritik, sind mir stets willkommen. Also greife ich den Gesprächsfaden ein weiteres Mal auf. Der Klarheit willen setze ich meine Bemerkungen einfach hinter die jeweils aus Ihrer letzten Antwort zitierten Stellen.

  1. „… weite Teile Ihrer Darstellungen [= in meiner Replik auf Sie] betreffen kaum den von mir dargestellten Sachverhalt“. – Sofern Sie in Ihrem „Offenen Brief“ darlegen wollten, ich hätte „verschwörungstheoretische und rassistische Stereotype der extremen Rechten“ bedient und eine „plumpe rechtsextreme Verschwörungstheorie“ verbreitet, worüber Sie dann „Fassungslosigkeit“ und „Bestürzung“ bekundeten, habe ich einfach dargestellt, dass nichts von alledem der Fall war, was Sie mir unterstellt haben. Sollten Sie nun von jener Unterstellung mit der Aussage abrücken, ich hätte Sie missverstanden und mich mit einem von Ihnen gar nicht „dargestellten Sachverhalt“ befasst, nehme ich dies zufrieden zur Kenntnis.
  2. „Ihre wortreichen Klagen über die Ungerechtigkeit der Beurteilung Ihrer Person gehen ins Leere.“ – Dann frage ich mich, warum Sie mich in der Schlusspassage Ihres Briefs einen „politischen Agitator“ genannt haben. Meine Vermutung: Darauf kam es Ihnen an!
  3. „Der Maßstab zur Beurteilung der Petition kann nicht das Gesamtwerk von Werner Patzelt sein, sondern Erscheinungsform und Platz der Petition im politischen Diskurs der letzten Wochen.“ – Dann wäre ein Analysestück über jenen Aufruf und seine möglichen Wirkungen die angemessene Textsorte gewesen. Ein „Offener Brief“ ist hingegen die persönlichste Form einer öffentlichen Auseinandersetzung. Eine angesprochene Person ist nun aber ein Ganzes – es sei denn, man diagnostizierte an ihr Schizophrenie oder ähnliches.
  4. „Diese [Petition] fügt sich ein in eine Reihe von Versuchen, mittels der Kritik des Begriffs ‚Hetzjagd‘ […] diesen Diskurs zu verschieben weg vom Mobilisierungspotential des Rechtsextremismus in Chemnitz.“ – Ich habe nie die Absicht gehabt noch je ihr Gleichkommendes in irgendwelche Praxis umgesetzt, hinsichtlich der „Chemnitzer Ereignisse“ eine „Diskursverschiebung“ vorzunehmen. Ich wollte – und will weiterhin – einfach nur wissen, welche Formen von Verhalten wir bei politischen Diskursen künftig als „Hetzjagd“ oder „Zusammenrottung“ bezeichnen wollen oder sollen. An der Faktizität der Chemnitzer Ereignisse – durch Videos, Polizeidokumente, Journalistenbeobachtungen und Zeugenaussagen ja gut belegt – gibt es doch nicht den mindesten Zweifel. Und meine – völlig im „Mainstream“ befindliche – politische Beurteilung der Chemnitzer Dynamik habe ich in zwanzig bis dreißig bundesweit sowie im Ausland ausgestrahlten und im Internet großenteils unschwer auffindbaren TV- und Hörfunkinterviews vom 27./28. August doch längst abgegeben. Was soll also in Bezug auf mich das Raunen vom verschwörerischen Vorhaben einer Diskursverschiebung?
    Im Übrigen trägt schon mein 667 Seiten umfassendes Buch über PEGIDA nicht grundlos den Untertitel „Warnsignale aus Dresden“. Mit PEGIDA und den falschen Reaktionen auf das dort zum Ausdruck Kommende fing nämlich an, was sich inzwischen in Chemnitz ereignete und – leider – sehr wahrscheinlich noch in etlichen weiteren Orten ereignen wird. Im Unterschied zu vielen anderen habe ich den Aufstieg des Rechtspopulismus samt Rechtsradikalismus seit 2014 nämlich gerade nicht als „sächsisches Sonderproblem“ verharmlost, sondern von Anfang an als etwas vorhergesagt, das im Fall weiterhin falscher Politik bundesweit nicht ausbleiben werde.
  5. „Eine ‚Skandalinszenierung‘ sehe ich mithin in der Petition und ihrer Rahmung, nicht in meiner Interpretation.“ – Dann interpretieren Sie eben anders als ich. Zwar verfehlen Sie auf diese Weise den mich betreffenden Sachverhalt, üben aber Ihr gutes Recht aufs Missverstehen aus. Mir hingegen scheint es sehr wohl den Tatbestand der Skandalisierung zu erfüllen, wenn es zu Überschriften oder Darstellungslinien kommt wie „Patzelt vergleicht Merkel mit Goebbels“, „Patzelt verbreitet eine rechtsextremistische Verschwörungstheorie“ oder „Patzelt streitet rechtsradikale Übergriffe in Chemnitz ab“. Keine dieser Unterstellungen ist durch Tatsachen gedeckt, sondern wird bestenfalls durch – wir mir scheint: sehr windige – Deutungen versuchsweise glaubhaft gemacht.
  6.  „Was die Petition angeht, beharren Sie treuherzig darauf, Aufschluss und Klarheit von der Regierung erbeten zu haben.“ – Das ist kein „treuherziges Beharren“, sondern schlicht die Wahrheit. Obendrein hätten Regierungssprecher und/oder Kanzlerin auch schon auf die völlig parallelen Fragen des Journalisten Alexander Wendt mitteilen können: „Das zentrale Video, auf das wir uns bei unserer Einschätzung stützen, ist das ‚Hase-du-bleibst-hier‘-Video; und genau das dort zu erkennende Verhalten soll künftig als ‚Hetzjagd‘ bzw. ‚Zusammenrottung‘ bezeichnet werden“. Im Fall einer solchen Aussage hätte es keinerlei „Petition“ meinerseits gegeben – außer wohl der Nachfrage, ob ein solcher Sprachgebrauch nicht so manche Hetzjagd oder Zusammenrottung zu verharmlosen geeignet wäre.
  7. „Wie Sie selbst schreiben, kamen Sie aber schon vor der Petition zum Ergebnis, Hetzjagden habe es nicht gegeben“. – Das ist schlicht falsch. Ich habe tatsächlich nur auf Widersprüche in der Begriffswahl von Sicherheitsbehörden, Journalisten und Politiker für dem Anschein nach gleiche Sachverhalte hingewiesen und um Aufklärung gebeten.
    Insbesondere hielt ich es in meinem persönlichen Sprachgebrauch bislang für eine „Hetzjagd“, wenn einem anderen – oder mehreren anderen – über eine längere Strecke in der Art nachgesetzt wird, dass es Grund zur Vermutung gibt, der Flüchtende oder die Flüchtenden sollten gefangen und dann misshandelt oder gar getötet werden. Ich bin durchaus bereit, meinen Sprachgebrauch zu verändern, möchte dann aber schon auch wissen, ab wann denn in einer weiterhin wechselseitig verständlichen Weise von einer „Hetzjagd“ gesprochen werden soll. Und falls das „Hase-du-bleibst-hier“-Video genau jene Art von Nacheileverhalten zeigt, das fortan als Hetzjagd zu bezeichnen wäre, dann können wir das gerne alle miteinander so halten.
    Es möge dann aber schon auch jemand vorschlagen, mit welchem Begriff wir ein – über eine „Hetzjagd“ im soeben dargelegten Sinn hinausgehendes – Nacheileverhalten belegen sollten, bei dem sich kriminelle Energie über längere Zeit austobt, und das auf die Erzeugung möglichst weiterwirkender Angst beim Verfolgten ausgeht. Mir ist nämlich nicht wohl beim Gedanken, dass wir – warum auch immer – unsere zur Benennung übler Sachverhalte verwendeten Begriffe soweit nivellieren könnten, dass wir Unterschiede in der Art des Abzulehnenden oder gar Abscheulichen nicht mehr wechselseitig verständlich auszudrücken vermöchten.
  8.  „Die Petition aber insinuiert, die Regierung habe – falls es nicht noch bislang unbekanntes Videomaterial gebe – gelogen.“ – Das ist eine mögliche, nicht aber die nächstliegende Interpretation. Viel schmerzlicher – und deshalb gerne weggeblendet – ist die tatsächliche „Insinuation“. Der von mir verfasste Text legt nämlich klar den Vorwurf nahe, dass Regierungssprecher und Kanzlerin mit brandmarkenden Begriffen leichtfertig und medienopportunistisch umgegangen sind sowie in einer Haltung auftraten, die sich schlecht anders als arrogant bezeichnen lässt: „Wir wissen, was wir eben wissen, und schulden Euch darüber keine Rechenschaft; wir verwenden Kampfbegriffe gerade so, wie uns das passt; und wer seid Ihr eigentlich, dass Ihr unseren Umgang mit Daten und Begriffen zu einem politischen Problem macht – und nicht als eine ganz nebensächliche, da akademische, semantische Frage behandelt!“.
    Es ging und geht mir also nicht um „wahr oder falsch“ (denn an der Faktizität der Ereignisse gibt es ja nichts zu zweifeln), sondern um die kommunikative „Arroganz der Macht“. Konkret ging es darum, wie weit sich die Kanzlerin selbst an die mehrfach von ihr – zu Recht – als wichtig betonte Regel hält, mit politisch brisanter Sprache sorgfältig umzugehen. Genau diesbezügliches Fehlverhalten der Kanzlerin, vollzogen nicht zuletzt der SPD und den Grünen zuliebe, ist ja der wunde Punkt am regierungsamtlichen kommunikativen Umgang mit den – auf der Faktenebene nicht zu bestreitenden – „Chemnitzer Ereignissen“. Und erst der Blick auf diesen wunden Punkt lässt auch begreifen, warum es um die Dokumentation und sprachliche Erfassung der „Chemnitzer Ereignisse“ überhaupt zur Affäre um den Verfassungsschutzpräsidenten sowie zu einer regelrechten Regierungskrise kommen konnte.
  9. „Diese Semantik des ‚wahr‘ und ‚falsch‘ bzw. ‚lügnerisch‘ erschien und erscheint mir agitatorisch, und das erst recht im Kontext des Goebbels-Bildes und der ‚Lügenspiralen‘-Graphik.“ – Das mag Ihnen so erscheinen; und weil jeder das Recht hat, mit seinen Deutungen danebenzuliegen, beschwere ich mich auch nicht über Ihre tatsachenferne Sichtweise. Meinerseits habe ich einfach dargestellt, was wirklich der Fall (gewesen) ist – und das können Sie nun glauben oder nicht.
  10.  „Ihre Ausführungen in dieser Hinsicht sind einigermaßen spitzfindig“. – Als „spitzfindig“ erscheint Ihnen meine Aufklärung der tatsächlichen Zusammenhänge wohl nur deshalb, weil Sie einfach nicht glauben wollen oder nachvollziehen können, dass sich alles tatsächlich so verhalten hat, wie ich es beschrieben habe.
  11.  „Verwunderlich scheint mir die Verwunderung eines öffentlichen Intellektuellen darüber, für das Gesamterscheinungsbild einer von Ihnen gezeichneten Petition in Mithaftung genommen zu werden, auch und gerade mit Blick auf die dubiosen Mitinitiatoren.“ – Nein, ich bin durchaus nicht verwundert, „in Mithaftung genommen zu werden“. Verwundert bin ich allein über die Lust auch kluger Leute am Erkennen und Glaubhaftmachen eines „rechtsextremen Verschwörungszusammenhangs“, wo gar kein solcher vorliegt. Im Übrigen habe ich meine Kommunikationsfehler bezüglich der grafischen Präsentation des „Aufrufs“ längst eingeräumt und – auch ganz im Wortsinn – „verantwortet“.
  12.  „Seltsam mutet die Kritik an der angeblichen Oberflächlichkeit meiner Interpretation der „Lügenspirale“-Graphik an, weil ich nur den oberen Teil der Spirale berücksichtigt hatte, die auf der Petition abgebildet war. Ich wüsste nicht, was ich durch den Einbezug der vollständigen Spirale von meinen Aussagen zurückzunehmen hätte.“ – Wenn Sie die Differenz zwischen dem zur Kenntnis Genommenen und dem nicht zur Kenntnis Genommenen nicht interessiert, dann ist das eben so. Ansprechpartner in dieser Sache bin ohnehin nicht ich, sondern ist Michael Klein.
  13.  „Immerhin nehme ich befriedigt zur Kenntnis, dass Sie die von mir kritisierte ‚Kombination‘ nun ebenfalls für zumindest problematisch zu halten scheinen.“ – Erstens bedurfte ich nicht Ihrer Kritik, um jene ‚Kombination‘ abzulehnen, sondern habe schon Tage vor Ihrem „Offenen Brief“ das Goebbels-Bild entfernen lassen. Zweitens bestanden meine Kommunikationsfehler gerade darin, (a) mir die graphische Präsentation des gemeinsamen Aufrufs nicht vorab zur Billigung vorlegen zu lassen, und (b) zu unterschätzen sowie ohne kommunikative Gegenwehr laufen zu lassen, was dann rasch in jene graphische Präsentation hineingedeutet wurde – teils wohl aus echter Besorgnis, teils aber auch aus dreister Skandalisierungslust.
  14.  „Ihre Stellungnahmen durchzieht als roter Faden eine Selbststilisierung als aufrechter Kämpfer für die Wahrheit, der heroisch den Vertretern eines übermächtigen Meinungskartells die Stirn bietet.“ – Erstens bin ich ein ziemlich wohlgelittener Teil des Mediensystems, in dem ich mich mit einiger Wirkungsbreite bewege, und also gibt es für eine solche ‚Selbststilisierung‘ nicht den mindesten Grund. Ich habe deshalb derlei auch nie praktiziert. Sehr wohl aber – und dies zum zweiten – kümmere ich mich grundsätzlich nicht um eine Ausrichtung meiner Aussagen an dem, was gerade als opportun gilt. Mir reicht es, wenn meine Beschreibungen mit den Tatsachen übereinstimmen, wenn meine Argumente logisch korrekt sind, wenn meine Sprache so klar ist, dass die meisten sie im gemeinten Sinn verstehen, und wenn meine Urteile und Ratschläge sich wenigstens im Nachhinein als plausibel erweisen. Wenn das vom Verhalten anderer abweichen sollte und auch auffiele, so mag mir das recht sein.
  15.  „Aufgrund des offenen Briefes hat mich in den vergangenen Tagen allerdings viel Zuspruch von Angehörigen der TU Dresden erreicht. Offensichtlich erschien es ihnen nicht überflüssig, dass aus unserer Universität heraus eine öffentliche Gegenrede zu Ihrer Petition formuliert worden ist.“ – Das ist schön für Sie und wird von mir umso weniger geneidet, als auch ich viel Zuspruch von Angehörigen der TU Dresden sowie von weit darüber hinausreichenden Bevölkerungskreisen erhalten habe. Im Übrigen beziehe ich mein intellektuelles Selbstbewusstsein erst nachrangig aus einer Unterstützung seitens anderer, sondern vorrangig aus der Tatsachennähe meiner Analysen und aus dem Eintreffen meiner auf sie gegründeten Prognosen.

Menschlich befriedigender wäre allerdings ein akademisches Ambiente, in dem Sachkontroversen nicht im Gewand persönlichen Gesinnungsstreits ausgetragen würden. Auch wäre es institutionell angemessener, derlei Kontroversen eher im öffentlichen Streitgespräch auf akademischer oder zivilgesellschaftlicher Bühne als über die Medien auszutragen. Leider hat der „Institutsaufstand gegen Pegida-Professor“ vom Januar 2015 samt anschließendem kommunikativem Abtauchen seiner Wortführer die Entwicklung in eine bislang sehr unfruchtbare Richtung getrieben (mehr dazu im PS). Sollte hingegen unsere Debatte um Ihren „Offenen Brief“ neue Diskursmöglichkeiten eröffnen, so hätte sie einen guten Zweck erfüllt.

 

Mit freundlichen Grüßen

Werner J. Patzelt

 

PS: Hier folgt eine Sammlung der Links zu den einschlägigen Vorgängen: 

 

 

Bildquelle: https://tu-dresden.de/tu-dresden/newsportal/ressourcen/bilder/news-bilder/fotos/Gerd-Schwerhoff.jpg/@@images/558e5d81-8843-4f4f-ac00-4590093f5252.jpeg

Diese Website nutzt Cookies. Bei Weiternutzung dieser Seite, erklärenden Sie sich mit der Nutzung von Cookies einverstanden.