Was bedeutet der Einzug der AfD in den Bundestag?
Jetzt schon am heutigen Wahltag, weit vor elf Uhr, ist das Wahlergebnis natürlich weder zustandegekommen noch gar ausgezählt. Dennoch lässt sich seine Grundstruktur bereits erkennen und erklären – nämlich so:
Die AfD im Bundestag markiert einen Einschnitt in der Geschichte des deutschen Parteiensystems und ist die Folge politischer Torheit. Diese Torheit bestand darin, dass durch die „Sozialdemokratisierung“ der CDU – von der politischen Linken auch noch ganz wider eigene Interessen begrüßt – nicht nur der SPD ihr politischer Spielraum identitätsbeschädigend verengt wurde, sondern dass man obendrein den rechten Rand der Bürgerschaft durch bequemes Ab- und Ausgrenzungsverhalten erst sich selbst und dann einer neuen Protestpartei überließ. Deren Protest aber hätte kaum so stimmenträchtig gezündet, wenn nicht obendrein im Bereich der Zuwanderungs- und Integrationspolitik erhebliche Politikfehler zunächst unterlaufen und dann auch noch selbstgerecht abgestritten worden wären. Hochmut also kam vor dem Fall – bei der SPD auf das wohl seit Kaisers Zeiten schlechteste, bei der CDU/CSU auf ein die Erwartungen klar untertreffendes Ergebnis bei Bundestagswahlen.
Der wesentliche Einschnitt in die deutsche Parteiengeschichte besteht darin, dass nun erstmals seit den Gründungswahlen der Bundesrepublik wieder eine Partei klar rechts von der Union auf bundespolitischer Ebene agieren kann. Das mag der CDU/CSU dauerhaft die gleichen Probleme bescheren, wie sie seit 1983 die SPD hat, als nämlich die Grünen zur linken Bundestagspartei aufstiegen. Franz Josef Strauß hatte stets geraten, ein solches strategisches Manko dadurch auszuschließen, dass die Union alle halbwegs in eine freiheitliche Demokratie integrierbaren Wähler bis weit an den rechten Rand heran tatsächlich mitverträte und an sich bände. Eine neue Generation CDU-Politikern dünkte sich da klüger – und verspielte fürs erste das bundespolitische Repräsentationsmonopol der Union rechts der Mitte. Nun muss die Union, will sie nicht das Abstiegsschicksal der SPD erleiden, auf eine Selbstverstümmelung der AfD durch andauernden Richtungsstreit und empörendes (Rede-) Verhalten hoffen. Was für eine politische Meisterleistung!
Sodann wird im neuen Bundestag – abgesehen von den Jahren 2009-2013 – die Linke zum ersten Mal seit 1994 keine zahlenmäßige Mehrheit besitzen. Die Kanzlerin Merkel wurde auf diese Weise völlig alternativlos, wenngleich – vielleicht auch: weshalb – sich nun unübersehbarer Überdruss an ihrer Regentschaft regt. Raufen sich in den nächsten Wochen nicht Union, FDP und Grüne zu einer Regierung zusammen, falls Schwarz-Gelb keine Mehrheit erreicht, so wird die AfD die einzige umfassende Alternative zu einer dann weiterregierenden Großen Koalition sein. Das aber wirkte für die AfD wie ein Überlebens- und Mästungsprogramm.
Eingebettet ist diese Machtverschiebung ins beginnende Ende jener linksliberalen und linksgrünen kulturellen Hegemonie, die in unserem Land nach der „1968er Kulturrevolution“ entstand und es seit dem Regierungsantritt Helmut Kohls prägte. Im Grunde war es eine Mischung aus hegemonialer Arroganz sowie der Empfindung, in die Defensive zu geraten, was angesichts des hochkommenden Rechtspopulismus die so kontraproduktiven Verhaltensweisen unseres auf andere Zeiten angepassten politischen Establishments bewirkte. Man war einfach nicht darauf gefasst, dass sich die gewünschte Zuwanderung in der Praxis nicht als Jedermanns-Recht aufrechterhalten ließ, oder dass der – gerade sozialstaatliche und demokratische – Wert von Nationalstaaten angesichts erwünschter Europäisierung wiederentdeckt würde.
Im Übrigen wird sich das Plenum des Bundestags rasch als jener „Resonanzboden des öffentlich Zumutbaren“ erweisen, auf dem klar wird, wo – aus guten Gründen – die Grenzen von Anstand sowie des Sagbaren liegen. Das kann Bundestagsdebatten wieder spannend machen – und wird das Schicksal der AfD prägen. Denn eine „NPD light“ wird in offene Messer laufen und untergehen. Eine „bundesweite CSU“ aber könnte auf der politischen Rechten das werden, was auf der Linken einst die Grünen waren. Und weil obendrein das Ende der Amtszeit Angela Merkels ansteht, wird es in den nächsten vier Jahren schon aus innenpolitischen Gründen sehr spannend werden. Mal sehen, wie sich das auf die Fortsetzung des Versuchs einer vernünftigen und stetigen Politik unserer Regierung angesichts der bevorstehenden europa- und außenpolitischen Turbulenzen auswirken wird!
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