Denkfehler bei der Kritik an PEGIDA-Forschung
Unlängst fand sich unter den Besucher-Beiträgen auf meiner FB-Seite der folgende Text:
#nopegida _ #faschismus #wissenschaft #KeineNazisNirgends
++Studien zu Pegida und die verpazelte [sic!] Wirklichkeit: Fehleinschätzung als politisches Instrument++
Prof. „Ich bin das Volk“ Werner J. Patzelt ist mit seinen Äußerungen über die „zu recht besorgten Bürgern“ praktisch seit einem Jahr sozusagen der „Dauerbrenner“ in der Debatte um den Umgang mit rechtsradikalen Spazier-AnhängerInnen. So überrascht auch die neuste Auswertung seiner Studien nicht: Bei Pegida handele es sich zumeist um „Wendeverlierer“ und diese Menschen könnten eigentlich gar nichts für ihren Rassismus [Hinweis: Derlei glattgezogener Unsinn findet sich weder auf meinem Blog wjpatzelt.de noch in meinen PEGIDA-Studien; zur neuesten siehe dazu einfach http://www.docdroid.net/1123f/patzelt-pegida-studie-mai-2015-forschungsbericht.pdf.html]. Außerdem liege der Grund für das Wiedererstarken der Bewegung nach dem Sommer darin, dass etablierte Politiker ihre Forderungen zu wenig aufgreifen würden … [Hinweis: Auch das ist bestenfalls ein Drittel meines einschlägigen Arguments; und ein Drittel eines Computers wird ja auch nicht mehr so recht funktionieren; dazu unten mehr].
PEGIDA#watch: Herausragende Schuldumkehr und Verkennung der Realität! [Hinweis: Die ersten zwei Worte sind Unsinn; die letzten drei stimmen – wie noch gezeigt wird – allenfalls für den Autor von PEGIDA#watch …].
Um noch einmal deutlich zu machen, warum wir den Dresdner Politikwissenschaftler im wahrsten Sinne des Wortes für einen (geistigen) „Brandstifter“ halten, hier nochmal eine lesenswerte Einschätzung zu dem Thema: [Hinweis: Auch wenn die Nazis noch so oft erklärten, warum sie Juden für (geistige) „Brunnenvergifter“ hielten, musste doch niemand dergleichen Unfug glauben – selbst wenn der, wie im „Stürmer“, in plakativer Sprache formuliert wurde …]
(…) „Die zynische Pointe: Auch für jede weitere Radikalisierung Pegidas können so stets jene Teile des politischen Establishments verantwortlich gemacht werden, die, anders als die Seehofers der Republik, dem völkischen Wahn nicht vollumfänglich nachzugeben bereit sind. Wenn gutwillige und besorgte BürgerInnen mit ihren berechtigten Anliegen kein Gehör finden, ist es ja nur logisch, dass sie ihren Glauben an die freiheitlich-demokratische Grundordnung verlieren, oder nicht? „Unterm Strich haben wir es geschafft, durch falsche Reaktionen auf PEGIDA aus besorgten Bürgern zunächst empörte Bürger zu machen – und nun solche, die auch noch einen anderen Staat wollen.“, schreibt Patzelt. Dass seine „gutwilligen Bürger“ an ihrer eigenen politischen Entwicklung eventuell auch einen Anteil gehabt haben könnten, fällt dem Herrn Professor im Traum nicht ein. Denn bevor er seine Schützlinge für ihr Handeln verantwortlich macht, also als Personen ernst nimmt, gibt er lieber selbst für deren Faschisierung, die die Entscheidung der sich Faschisierenden und ihre Entscheidung allein ist, noch Linken und Liberalen die Schuld. Mit nur etwas mehr sozialpädagogischer Nachsicht, da ist sich Patzelt sicher, wäre es nie so weit gekommen. Was für ein hanebüchener Unsinn. Wer es 1945 noch nicht gelernt hat, muss spätestens seit den rassistischen Pogromen der 90er Jahre wissen, dass gegen den völkischen Nationalismus einzig und allein konfrontative Strategien Erfolg versprechen.“
Dieses Zitat stammt aus einem längeren Text eines mir bislang unbekannten Jonas Bayer über „Infantilisierung und Selbstinfantilisierung des Wutbürgertums“ vom 30. November 2015 (https://leftwinged.wordpress.com/2015/11/30/infantilisierung-und-selbstinfantilisierung-des-wutburgertums/). Und weil dieser Text ein schönes Beispiel für vielerlei Un- und Missverständnisse in Sachen „Umgang mit PEGIDA“ ist, hat es mir einiges Vergnügen bereitet, auf ihn zu antworten.
Viel Spaß beim Gewinnen und Vermehren nützlicher Einsichten!
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Werner J. Patzelt
Einige Denkfehler bei der Kritik von PEGIDA-Forschung
„Infantilisierung und Selbstinfantilisierung des Wutbürgertums“ überschrieb ein mir ansonsten unbekannter Jonas Bayer den folgenden Blogbeitrag: https://leftwinged.wordpress.com/2015/11/30/infantilisierung-und-selbstinfantilisierung-des-wutburgertums/. In ihm setzt er sich – allerdings mit recht begrenzter Textkenntnis und ohne sonderliche Ahnung von mir – mit meinen Aussagen zur Erklärung und politischen Handhabung von PEGIDA auseinander.
Zweimal sollte man jenen Text lesen, bevor man sich an die Lektüre meiner Antwort macht. Der erste Durchgang dient der Neugier; der zweite der Überprüfung zumindest meines Eindrucks, recht Banales werde da ziemlich aufgeplustert vorgetragen. Ich erkläre mir einen solchen Lektüreeindruck so: Wo – wie hier – allzu weit auseinanderliegt, was einesteils kritisiert werden soll und andernteils wirklich der Fall ist, dort kann es gar nicht ausbleiben, dass recht verschrobene Gedankengänge entstehen und als solche auch bemerkt werden.
I. Der Argumentationshintergrund
Als Hintergrund seiner Argumentation erzählt Jonas Bayer aufs Neue die gute alte Legende, es gäbe so ganz unverständige Politikwissenschaftler, die meinten, „aus der Mitte der Gesellschaft“ könne weder Rechtsradikalismus noch Neonazismus entstehen.
Falls es solche Politikwissenschaftler gibt, dann gehörte ich ganz gewiss nicht zu ihnen. In einer – hier nicht weiter zu quantifizierenden – Reihe von Fällen lässt sich gerade eine solche Entstehung von Radikalismus usw. aus der Mitte der Gesellschaft nämlich klar beobachten. Das ländliche Frankreich und der Front National lieferten vor wenigen Tagen dafür üppiges Beispielsmaterial. Ich kann auch gut erklären, warum sich derlei immer wieder ereignet. Da trägt Jonas Bayer also Eulen nach Athen – bzw. distanziert sich, sozusagen, in nach-Galilei-Zeiten vom geozentrischen Weltbild. Loben wir ihn für solchen guten Willen – zumal er seinen völlig korrekten Hinweis auch noch mit einem hübschen Zitat von Adorno und Horkheimer garniert, also mit einigen Worten der Säulenheiligen meiner Studentenzeit!
Zum – jetzt freilich in meinen eigenen Worten geschilderten – Hintergrund von Bayers Abhandlung gehört ferner, dass Dresdens pegidianisches Straßenvolk die Herde eines guten Hirten sei. Patzelt heiße dieser gute Hirt, und ganz gemäß den Vorgaben des Papstes rieche er auch merklich nach seinen Lämmern und Schafen. Sorgsam schütze er sie gegen alle, die er als deren Bedrohung ansehe – wäre dabei aber naiv genug zu übersehen, mit wem er es da tatsächlich halte. Wahrscheinlich weil er letztlich eben doch ein Parteigänger von Rassisten und Nazis sei …
Damit Vorhang frei – und lasst uns nun nachsehen, was wirklich der Fall ist!
II. Was ich wirklich zu PEGIDA meine
Von Anfang tut Jonas Bayer so, als ließen sich die allermeisten PEGIDA-Beobachter – natürlich außer dem Autor und ähnlich klugen Leuten – auf eine der zwei folgenden Sichtweisen ein:
„Der einen gilt Pegida als Ansammlung gefährlicher RechtsextremistInnen, der anderen als Bewegung berechtigt besorgter, gleichwohl fehlgeleiteter BürgerInnen. Jene … dämonisiert sie [= die Pegidianer] zwecks Selbstbehauptung, der apologetische Widerpart hingegen setzt die DemonstrantInnen zu Kleinkindern herab, um als Unmündige sie besser verteidigen zu können“.
Doch so gar nicht scheint unser Autor auf die Idee zu kommen, dass die PEGIDA-Demonstranten auch einfach nur eine politikwissenschaftlich interessante Gruppe sein könnten – so, wie einst die Demonstranten aus Gorleben oder die aus der Zeit der Studentenrevolution. Fern scheint ihm ebenso der Gedanke zu liegen, dass sich anschließend analytische Neugier auf ein Erkennen dessen richten könnte, was sich da als PEGIDA eigentlich tut, ja gar noch auf ein Verstehen jener gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen so etwas wie PEGIDA zustande kam und bislang fortlebt.
Genau das aber war mein erster – und ist mein bleibender – Zugang zu PEGIDA. Während eines Methodenseminars über „Case Study Research“ im Wintersemester 2014/15 hatten sich die Studierenden je einen „Fall“ zur konkreten Bearbeitung herauszusuchen. Zu einem dieser Fälle wurde eben PEGIDA, dessen Namen ich damals nicht einmal korrekt aussprechen konnte. Doch weil mir dann die erst zwei, später drei diesen Fall bearbeitenden Studierenden Woche für Woche erzählten, was sie auf den von ihnen beobachtend aufgesuchten PEGIDA-Demonstrationen erlebt hatten, besaß ich bald nicht nur gegenüber ferndiagnostizierenden Kollegen, sondern auch gegenüber so manchem Journalisten einen gewissen Vorsprung beim Wissen darum, was PEGIDA war, und beim Verstehen dessen, was da warum wie ablief. Solcher Informationsvorsprung samt rasch erfahrungsfundierter Deutungssicherheit münzte sich bald in eine gewisse, bis heute nachwirkende Medienpräsenz um. Und es ist verständlich, dass – aus mannigfaltigen Gründen – andere darüber nicht wirklich glücklich waren. Sie begannen, sich in der Kunst des Kontrapunkts zu versuchen.
Als die Demonstrantenzahlen binnen Kurzem auf mehrere Tausend zunahmen, begriff ich die große politische Brisanz dessen, was sich da symptomartig in PEGIDA äußerte. Die zu bestehende Herausforderung schien mir besonders groß zu sein, weil ich bei meinen eigenen PEGIDA-Beobachtungen da nicht einfach leicht auszugrenzenden und zu verscheuchende Nazis vorfand, sondern Leute, die ich – nicht alle, aber großenteils – mehr und mehr als jene Leute einzuschätzen lernte, die man zwar nicht bei Rotary, doch täglich in der Straßenbahn treffen kann, und die zwar nicht in Dresdens Villenvierteln, doch eben auch nicht nur in Hartz IV-Hochburgen wohnhaft sind. Mir schien, dass man solche Leute mitsamt ihrer Sympathisantenschar nicht ins politische Abseits abirren lassen sollte. Vielmehr gelte es zu begreifen, was sie denn auf die Straße und zu vielerlei offensichtlicher Empörung treibe; dann solle man plausible von abwegigen Gründen des Demonstrierens und Sich-Empörens unterscheiden; und am Ende müsse man versuchen, den Protest von der Straße wegzubekommen – idealerweise durch Beseitigung seiner abstellbaren Ursachen.
Deshalb – und auch, weil mich Journalisten bald danach fragten – machte ich eine Reihe von Vorschlägen, auf welche Weise die Öffentlichkeit und die Politik das bald – quer über Deutschland und darüber hinaus – Aufmerksamkeit erregende Demonstrationsgeschehen wieder in den Griff bekommen könnten. Schon am 11. Dezember 2014 erklärte ich in einer Art „Testimonial“ auf S. 15 der „Sächsischen Zeitung“, wie man es mit PEGIDA halten solle. Politische Urteilsfähigkeit und Verzicht auf Vorurteile vorausgesetzt, müsste man heute noch leichter als schon damals erkennen können, dass genau die Befolgung der nachstehenden Ratschläge unsere Demokratie, und zwar ganz gemäß ihren eigenen Regeln, mit PEGIDA fertigwerden ließe – oder uns mit PEGIDA wenigstens hätte fertigwerden lassen können, wenn nicht allzu viele sich auf klar weniger zielführende Wege gemacht hätten. Und das sind also meine nun fast ein Jahr alten Ratschläge, zu denen ich heute mit der gleichen Überzeugung wie damals stehe:
„Ernst nehmen, was an Sorgen und Anliegen hinter den – nicht selten ungehobelten und missratenen – Aussagen von Pegida-Demonstranten steht. Auch politische Gegner nicht verteufeln. Keine Forderungen durchgehen lassen, die sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung, Minderheiten, Eingewanderte oder Ausländer richten. Demonstrieren für die Werte unserer offenen Gesellschaft, auch auf der Straße. Rechtzeitig vor Ort mit den Bürgern über Unterkünfte und Integrationsmöglichkeiten für Zuwanderer sprechen. Und in einem bundesweiten, offenen Diskurs tragfähige Grundzüge einer nachhaltigen Einwanderungs- und Integrationspolitik entwickeln.“
Jonas Bayer aber scheint von alledem keine Ahnung zu haben. Er schreibt mir nämlich umstandslos die zweite jener beiden naiv-törichten Einschätzungen von PEGIDA zu und kommt so zur Grundthese seines Textes:
„Patzelt infantilisiert die PEGIDA-Demonstranten, und er tut dies in Verfolgung einer politischen Strategie“.
Sehen wir nun zu, was er aus dieser abwegigen Erfindung macht, und welche Argumentationsverwindungen samt Ignoranzkünsten sie ihm abverlangt!
III. Missverständnisse empirischer Forschung
Um sich in seine erfundene Deutung möglichst wirklichkeitsresistent einspinnen zu können, macht Jonas Bayer sich zunächst ans gründliche Missverstehen von empirische Studien über die Pegidianer. Nicht nur stellt er jene einzige meiner drei PEGIDA-Studien, die er überhaupt kennt, als „unkritisch“ hin. Damit meint Bayer nicht bloß, sie wäre nicht in erster Linie aufs Beschaffen von Munition fürs Angriffsfeuer auf PEGDA ausgegangen. Sondern er behauptet obendrein, meine Studien – soweit er sie überhaupt kennt – stellten die falschen Fragen, ja dienten manipulatorischen Zwecken. Außerdem unterschlägt Bayer, und zwar offenbar aus Mangel an Wissen, dass die Ergebnisse meiner Studien vom Januar, April und Mai 2015 nicht nur untereinander bestens zusammenpassen, sondern ebenso zu den zentralen Befunden der – von ihm gerade nicht kritisierten – Studien von Vorländer, Rucht sowie Walter u.a. Letztere sind im Übrigen allesamt älter als meine Studien und beanspruchen auch gar nicht – abgesehen von Vorländer – jene Repräsentativität ihrer Befunde, die meine drei Umfragen sehr wohl beanspruchen können. Zudem nennt Bayer mich schlicht nur „mitverantwortlich“ für meine vorgeblich „unkritischen“ Studien, so als ob nicht von der Fragebogenerstellung über den Stichprobenplan bis hin zur Datenanalyse und zur Ergebnisinterpretation stets alles in meiner Hand gelegen hätte.[1] Alles in allem kommt Bayer zum ganz und gar unbegründeten Schluss: Es nimmt ….
„die unkritische, apologetische Studie der Technischen Universität Dresden die Lebenslüge Pegidas auf und reproduziert sie in Zahlen, freilich ohne jemals die richtigen Fragen gestellt zu haben“.
Nur: Welche wären die denn – gerade auch zusätzlich zu dem, was wir im April und Mai durch ein sehr detailliertes Fragenprogramm erkundet haben?[2] Darüber schweigt unser Kritiker.
Stattdessen legt sich Bayer – der daraus schnell entstehenden Komik offenbar unbewusst – das wissenschaftstheoretische Kampfkostüm der Studentenrevolution an. Beim Untergewand dieses Kostüms sieht das so aus:
„Es ist hier [= in Patzelts Studie] wie so oft mit positivistischer Wissenschaft: An die Stelle des Erwerbs von Wissen tritt die Reproduktion des Status Quo.“
Das ist der gute alte Vorwurf einer „Wirklichkeitsverdoppelung durch empirische Forschung“. Damit ist gemeint: Von dem, was ohnehin schon so-und-nicht-anders bestehe, werde von Wissenschaftlern in gleichsam überflüssiger Weise eben auch noch zusätzlich gesagt, es bestehe wirklich mit diesen oder jeden Eigenschaften. Das ist ein wahrhaft ein vernichtender Vorwurf an die Adresse von Galilei, der anscheinend dem realen Lauf der Erde um die Sonne nur noch – als „ganz überflüssige Reproduktion des Status quo“ – die Aussage hinzugefügt hat, die Erde kreise sich um die Sonne. Nehmen wir solche Argumente ernst, dann können wir uns künftig wohl die gigantischen Ausgaben für Teilchenbeschleuniger ersparen: Mehr als den „Status quo der Teilchenwelt“ zu reproduzieren, werden sie nie nämlich vermögen; und anscheinend reicht es doch aus, wenn der Status quo einfach besteht – ganz gleich, ob wir um ihn wissen, ob wir ihn beschreiben, ob wir ihn erklären oder verstehen können.
War da in Bayers Text aber nicht auch etwas mit dem „Erwerb von Wissen“? Sehr wohl, und damit kommen wir zum Obergewand jenes Kampfkostüms. Gemeint ist hier Folgendes:
Im Bereich sozialer Wirklichkeit – und dort ganz anders als im Bereich materieller Wirklichkeit – gibt es in der Regel schon ein „Selbstwissen des Gegenstandes über sich“. Darin ist der zu erkennende, zu verstehende, zu erklärende Gegenstand – gleichsam prä-reflexiv – bereits bekannt. Mitarbeiter einer Firma wissen beispielsweise durchaus darum, „wie es in ihrer Firma zugeht“. Da Menschen aber auch „falsches Wissen“ über sich und ihre Verhältnisse haben können, reicht es für wissenschaftliche Analyse nicht aus, dieses Selbstwissen – seinerseits „Ideologie“ genannt – einfach nur zu beschreiben oder reproduzieren. Es kann sich ja – und wird sich oft – einem „Verblendungszusammenhang“ verdanken, den man erst einmal sozusagen „durchschlagen“ muss, bevor man dasjenige herauspräparieren kann, was an handlungsleitenden Wissensbeständen und Sinndeutungen einem zu verstehenden bzw. zu erklärenden Sozialgebilde „wirklichkeitskonstruktiv“ zugrunde liegt.
Nur indem solches (ideologische) Selbstwissen freigelegt, hinterfragt und „dekonstruiert“ wird, lässt sich zu Wissens-, Deutungs- und Handlungsstrukturen, die durch solches (ideologische) Selbstwissen reproduziert werden, eine das Bestehende nicht einfach nur rechtfertigende (d.h. „affirmative“), sondern eine – in der Regel auf Veränderung ausgehende – „kritische“ Haltung einnehmen. Eben eine solche kritische Haltung ist nun aber die für einen Politikwissenschaftler angemessene Haltung, zumal er – gerade als Bürger – doch auch selbst seinem durch die eigene Disziplin aufzuklärenden Gegenstandsbereich angehört. In dieser Haltung hat zumal ein Politikwissenschaftler sich nicht nur mit dem zu befassen, was ist, sondern auch mit dem, was sein soll – oder eben nicht sein sollte. Genau den aus solcher Kritik abzuleitenden Handlungsempfehlungen folgend, werden die Sozialwissenschaften zu praktischen Wissenschaften, und erfüllt ein Politikwissenschaftler die ihm zukommende Bürgerrolle.
Falls Jonas Bayer wirklich um diesen hier grob umrissenen Argumentationszusammenhang seines selbsterhöhend vollzogenen Fußstritts gegen „die positivistische Wissenschaft wissen sollte, hat er in seinem Text auf recht putzige Weise agiert: Er glaubte nämlich ernsthaft, derlei Dinge jemandem vorhalten zu sollen, dessen wissenschaftliche Sozialisation genau in die Zeit fällt, da derlei Fragen der Kern aller (und gern geführten!) Debatten um die richtige Rolle eines Sozialwissenschaftlers waren. Und natürlich hat er nicht mitbekommen, dass in meinen nicht ganz wenigen wissenschaftstheoretischen und methodologischen Schriften genau die systematisch bewährten Antworten auf derlei Fragen gegeben werden.
In dieser merkwürdigen Haltung kommt Bayer dann zur folgenden, als kluge Kritik gemeinten, doch unfreiwillig komischen Aussage:
„Was die Studie [also die einzige, die er von dreien kennt, und natürlich ebenso jede der Studien von Vorländer, Rucht und Walter et al.] einfängt, ist nicht das Wesen Pegidas, sondern die Eigenwahrnehmung rechter WutbürgerInnen“.
Die Komik dieser Aussage wird von den Antworten auf zwei Fragen erhellt. Erstens: Wenn man wissen will, wie Pegidianer denken und sich selbst sehen – was wäre dann wohl falsch daran, deren „Eigenwahrnehmung“ festzustellen, zur Kenntnis zu nehmen, und dann aus den Befunden weiterführende Schlüsse zu ziehen, wie ich es ja in gar nicht wenigen Texten über das „PEGIDA-Phänomen“ getan habe? Offenbar nichts. Was also kritisiert Bayer dann?
Und zweitens: Glaubt unser Kritiker denn wirklich an so etwas wie ein „Wesen der Dinge“, hier: ein „Wesen PEGIDAs“, für dessen Erkenntnis es gerade keines Blicks auf die beobachtbare oder erfragbare Wirklichkeit bedürfe? Falls ja: Auf welche Weise verschafft er sich dann Kenntnisse von solchem „Wesen“? Wo hat er beschrieben, wie man derlei „Wesensschau“ in für andere Leute nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise vollzieht? Falls nicht: Was wäre dann wissenschaftlich, nicht aber „metaphysisch“, an seiner vorgeblichen „Alternative“ zur empirischen Forschung?
Anscheinend weiß jemand wie Bayer & Co. von vornherein, wer und was diese Pegidianer sind. Also braucht ihresgleichen auch keine empirischen Studien. Denn bestätigten sie die eigene Sicht, dann sind sie ja nur überflüssige „Reproduktionen des Status quo“. Widersprechen sie aber den eigenen Ansichten, dann müssen sie – weil doch offensichtlich „das Wesen“ des zu Erkennenden verfehlend – schlechterdings falsch sein nach Ansatz, Methode oder Interpretation. Wer das so sieht, der hat sich allerdings intellektuell in jene Epoche zurückversetzt, da Galileis Zeitgenossen – sich affirmativ, keineswegs kritisch zum hergebrachten Weltbild verhaltend – nicht durch dessen Fernrohr blicken wollten. Sie wussten nämlich von vornherein, dass sie entweder nichts Neues oder einfach Falsches sehen würden …
IV. Folgenreiche Ahnungslosigkeiten, fixe Ideen
Mitunter erkennt man nicht recht, wo eines Kritikers Kenntnisse enden – oder wo durchaus vorhandenes Wissen durch fixe Ideen mehr oder minder bizarr überformt wird. In Jonas Bayers Text fällt diesbezüglich Folgendes auf:
Erstens glaubt er wohl wirklich: „Befragte und BefragerInnen denken in den selben [sic] Kategorien“. Hinsichtlich der Interviewerinnen und Interviewer ist das nachweislich falsch, denn die meisten stuften sich auf dem auszufüllenden Interviewer-Fragebogen (weit) links von der politischen Mitte ein, wobei die Selbsteinstufung mit den jeweils erhobenen Antworten der Befragten – wie Korrelationsanalysen zeigten – nicht zusammenhing.
Falls Bayer aber mit seinem Satz mich selbst meinen sollte, so ist eine Zuschreibung dahingehend schlechterdings lächerlich, ich wäre ein Pegidianer. Schließlich muss man nur in meinen einschlägigen Texten auf meinem Blog wjpatzelt.de herumlesen, um meine tatsächliche Position zu erkennen: ziemlich exakt in der politischen Mitte – und gesprächsfähig in alle Richtungen. Zutreffend ist allein, dass meine Aussagen über die Selbstbilder und das Denken von Pegidianern von diesen selbst für im Wesentlichen zutreffend gehalten werden.[3] Deshalb schreiben sie mir überwiegend eine faire Beobachterhaltung zu und sind vielfach bereit, von mir auch solche Kritik anzunehmen, über die sie sich empören, wenn andere sie äußern.[4] Ich kann auch gar nicht erkennen, was an einem solchen Zustand nicht in Ordnung wäre. Oder meint Bayer wohl, eine Studie über NoPegida sei gerade dann wissenschaftlich besonders lobenswert, wenn NoPegidianer sie für unfair hielten und sich in den dort formulierten Behauptungen über sie nicht wiedererkennen würden? – Warum nur kann so mancher seine Gedanken nicht bis zu deren Ende vorantreiben – und, falls er dabei von einem falschen Denkansatz eben ins Absurde gelangt ist, seine Annahmen auch einmal korrigieren!
Zweitens hegt Bayer die folgende fixe Idee: „Die Extremismustheorie, auf deren Basis die ForscherInnen arbeiten, war von Beginn an ein zentraler Bezugspunkt Pegidas.“ Einerseits meint „Extremismustheorie“ ja nichts anderes als den Denkhorizont der folgenden, tatsächlich von vielen Politikwissenschaftlern und Juristen benutzte Definitionsformel: „Extremisten sind jene, die – warum auch immer – aktiv auf Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgehen;[5] und solche Leute verdienen es, bekämpft zu werden!“ Es ist nicht zu erkennen, was daran falsch wäre. Andernteils bezweifle ich aufgrund meiner Kenntnis von Pegidianern sehr, dass die meisten von ihnen mit einem Begriff wie „Extremist“ überhaupt mehr verbinden als die Empfindung, das wäre eine Steigerung der Schimpfwortkette Populist – Radikaler – Extremist. Welchen nützlichen Aufschluss gewinnen wir also aus Bayers Extremismus-Behauptung?
Und dass sich Pegidianer, wenn auch wohl nicht alle und außerdem nicht jeder gleich überzeugend, vom „Islamischen Staat wie auch von … Antifa und Nationalsozialismus“ abgrenzen: Das lässt sich ihnen doch nicht wirklich vorwerfen! Dasselbe gilt dafür, dass gar nicht wenige Pegidianer es unternehmen, sich „in der Mitte, bei den Aufgeklärten, den Gemäßigten, den Vernünftigen“ zu verorten. Bayer darf das alles natürlich für „verlogen“ halten. Das ist vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Sobald derlei aber in einem wissenschaftlichen Diskurszusammenhang als Tatsachenbehauptung eingebracht wird, wäre schon auch der eine oder andere empirische Nachweisversuch angebracht. Doch während unsereiner es unternimmt, durch Beobachtungen von Pegidianern, durch Interviews mit ihnen sowie durch standardisierte und verallgemeinerbare Befragungen ausfindig zu machen, wie – und wie aufrichtig oder nicht – sie tatsächlich denken, scheint jemand wie Jonas Bayer – wohl dank vorgängiger „Wesensschau“ – um das alles bereits bestens Bescheid zu wissen. Vielleicht sollte man für ihn ja die Funktion eines „ideellen Gesamt-PEGIDA-Experten“ einrichten …
Die für seine schlimmsten Fehlurteile weichenstellende fixe Idee Bayers ist aber – drittens – die folgende:
„Patzelts Rede von den „gutwilligen Bürgern“ [die gar nicht die meine ist, was Bayer aber überhaupt nicht merkt] infantilisiert diese, weil ihnen so jede Verantwortlichkeit für das eigene Handeln abgesprochen wird. Die Pegida-AnhängerInnen erscheinen als Kleinkinder, die auf ‚Stress‘, wie Patzelt auf seinem Blog ausführt [wäre eine Nennung jenes Textes, auf den er sich bezieht, oder ein Link auf ihn, eigentlich zu viel verlangt?], bloß notwendig zur völkischen Bewegung sich formieren, ähnlich einem Baby, das notwendig zu schreien beginnt, wenn es seines Schnullers beraubt wird. In diesem mechanischen Bild des Politischen kommt den rechten WutbürgerInnen, denen es zur Seite springt, überhaupt keine Rolle als aktive Akteure zu, stattdessen wird Pegida als zwingende Folge politischer Entscheidungen und gesellschaftlicher Entwicklungen interpretiert. Für Patzelt sind andere Reaktionen auf „Stress durch Integrationsprobleme mit Muslimen“ und „Stress durch […] Einwanderung“ als Fremdenfeindlichkeit und Rassismus offenbar so unvorstellbar, dass er diese Pegida nicht zum Vorwurf machen möchte.“
Es ist immer wieder lustig, wenn jemand die Schlichtheit des eigenen Denkens einem anderen unterschiebt, dabei vergröbernde Retuschen vornimmt und sich auf diese Weise billige Selbsterhöhungserlebnisse beschafft. Sehen wir also im Einzelnen nach, was wir in dieser Passage Bayers finden:
- Angeblich spräche ich Pegidianern „jede Verantwortlichkeit für das eigene Handeln“ ab. Da möge der gute Bayer doch einmal meine folgenden Blog-Beiträge nachlesen: https://wjpatzelt.de/?p=553 („PEGIDA und der Galgen“), https://wjpatzelt.de/?p=527 („Gegen Gewalt!“, oder https://wjpatzelt.de/?p=489 („Neue Notizen zu Pegida“). Unternähme er das, so müsste er sich ob seiner „Infantilisierungsthese“ genieren; also wird er derlei Lektüre zum Zweck kognitiver Dissonanzvermeidung wohl unterlassen.
- Angeblich sind für mich „andere Reaktionen auf ‚Stress durch Integrationsprobleme mit Muslimen‘ und ‚Stress durch […] Einwanderung‘ als Fremdenfeindlichkeit und Rassismus … unvorstellbar“. Auch da möge der gute Bayer einige meiner Blog-Beiträge nachlesen, in denen ich zeige, wie man konstruktiv mit allen diesen Herausforderungen umgehen kann – und alle Leser (darunter gewiss auch Pegidianer) dazu einlade, gerade so zu verfahren: https://wjpatzelt.de/?paged=1 („Herausforderungen unserer Epoche“), https://wjpatzelt.de/?p=604 („Patriotismus in der Einwanderungsgesellschaft“), https://wjpatzelt.de/?p=576 („Wie soll es weitergehen mit unserem Land?“), https://wjpatzelt.de/?p=560 („Auswege aus der Sackgasse“), https://wjpatzelt.de/?p=479 („Wie umgehen mit dem Einwanderungsdruck?“) oder https://wjpatzelt.de/?p=339 („Islam, Muslime – und Deutschland“). Auch das wird Bayer wohl unterlassen, denn womöglich wird ihm ein solcher Argumentationsdruck einfach zu viel.
- Angeblich habe ich ein „mechanisches Bild des Politischen“. Da möge Bayer auf Anfängerniveau die Seiten 31-36 meiner vor drei Jahren in 7. Auflage erschienenen „Einführung in die Politikwissenschaft“ zu Kenntnis nehmen, wo von der „Komplexität politischer Wirklichkeit“ gehandelt wird, oder auf Fortgeschrittenenniveau mein unter dem Titel „Grundlagen der Ethnomethodologie“ erschienenes Buch über „Theorie, Empirie und politikwissenschaftlichen Nutzen einer Soziologie des Alltags“. Scharf formuliert: Wenn ein Kopf gegen eine Wand schlägt und es hohl klingt, dann muss das nicht unbedingt an der Wand liegen …
- Angeblich interpretiere ich „Pegida als zwingende Folge politischer Entscheidungen und gesellschaftlicher Entwicklungen“. Hätte Bayer das Wort „zwingend“ weggelassen, dann wären wir gemeinsamer Meinung, denn PEGIDA ist sehr wohl eine Folge politischer Entscheidungen und gesellschaftlicher Entwicklungen. PEGIDA und seine weit über Dresden hinausreichende Sympathisantenschaft sind nämlich – gemeinsam mit der AfD – die deutsche Erscheinungsform jenes Rechtspopulismus, der zur Zeit überall in Europa floriert: In Frankreich haben die Rechtspopulisten gerade die Regionalwahlen gewonnen, in Polen unlängst die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, und weitere Länder ließen sich leicht aufzählen – nämlich Ungarn und Schweden, Tschechien und Dänemark, ja auch die ehedem gelobten Länder Schweden und Großbritannien.
Glaubt unser Großdurchblicker denn tatsächlich, die so weit verbreiteten europäischen Rechtspopulismen hätten gar keine Ursachen in wirklichen gesellschaftlichen Entwicklungen – etwa in der sich auftuenden Schere zwischen Reich und Arm, zwischen den Trägern und den Nutzern des Sozialstaates, zwischen den Profiteuren und den Geschädigten der Globalisierung, oder seit einiger Zeit auch im Einwanderungsgeschehen samt unklarer Integrationspolitik? Falls Bayer das glaubt, so wäre ihm ein wenig Lektüre einschlägiger Forschungsliteratur über den europäischen Rechtspopulismus anzuraten. Falls er das aber nicht glaubt: Was meint er dann, mir vorhalten zu sollen?
Denn für „zwingend“ halte ich das Mächtigwerden von Rechtspopulismus ja gerade nicht. Schließlich hat Deutschland dem Rechtspopulismus sehr lange gerade keinen Entfaltungsraum gegeben – zumindest keinen, in dem eine rechtspopulistische Partei hätte großwerden können, oder aus dem sich ein Jahr lang große rechtspopulistische Demonstrationen in Dresden hätten nähren können. Vielmehr haben – im Unterschied zur Aufsplitterung nicht-linker und nicht-mittiger Parteien anderswo in Europa – die deutschen Unionsparteien jahrzehntelang alles, was es an halbwegs Vernünftigem im Umkreis rechtspopulistischer Vorstellungen gibt, ihrer eigenen Programmatik anverwandelt. Deshalb konnten sich am rechten Rand, d.h. außerhalb der Union, während so langer Zeit auch nur rechtsextremistische Spinner und Kriminelle bemerkbar machen. Die aber ließen sich durch die bewährten Techniken der Stigmatisierung, Kriminalisierung und Ausgrenzung leicht im Schach halten.
Nur hat die Union seit langem, aus welchen Gründen auch immer, die mühsame Erledigung dieser Integrationsaufgabe eingestellt. Also war es durchaus nicht zwingend, sondern ereignete sich aufgrund eines falschen politischen Umgangs mit rechtspopulistisch geneigten Bevölkerungsteilen, dass nun auch in Deutschland organisierter Rechtspopulismus großgeworden ist. Und meine These lautet: Durch einen richtigen, nämlich den von mir seit vielen Jahren empfohlenen, Umgang mit ihm hätte er sich vermutlich nicht – und selbst nicht unter den ihn gegenwärtig begünstigenden Bedingungen – in seinen jetzigen Dimensionen verfestigt und verstetigt.
V. Verkennung realistischer Therapiemöglichkeiten
Anscheinend aber begreift Bayer den soeben erörterten Wirkungszusammenhang nicht. Wenigstens macht er vom womöglich Begriffenen keinen erkennbaren Gebrauch. Denn er kommt doch tatsächlich zu folgendem Schluss:
„Weil Patzelt das rechte Wutbürgertum als Akteur negiert, richtet sich seine Kritik des Rechtspopulismus nicht gegen die RechtspopulistInnen, sondern gegen ein derzeit vor allem von Angela Merkel verkörpertes Establishment, das den besagten „Stress“ auf die deutsche Gesellschaft und somit auch Pegida als dessen vermeintlich notwendiges Produkt verantworte.“
Doch ich „negiere“ ja gar nicht, dass sich PEGIDA verstetigt hat und – auch dank gieriger bundesweiter Skandalisierung – zu einer Art „Kollektivakteur“ geworden ist. Immerhin hat dieser Akteur es sogar bis zur Ehre des Bekämpftwerdens durch Bundespräsident und Kanzlerin, ja auch durch beleuchtungsabschaltende Geistliche und Kultureliten gebracht! Ganz im Gegenteil warne ich seit einem Jahr davor, diesen „Akteur“ sich selbst zu überlassen – oder gar noch jene Bedingungen auszubauen, unter denen er entstand und aus denen er sich nährt.
Doch davon, einen so einfachen Sachverhalt zu erkennen, halten Bayer sehr dichte ideologische Scheuklappen ab. Er schreibt nämlich gleich anschließend das Folgende:
„Indem Pegida als legitime oder wenigstens natürliche Reaktion auf eine angeblich zu starke oder nicht ausreichend kontrollierte Einwanderung verklärt wird, erscheint der wirkliche Kampf gegen Pegida als Kampf gegen die angeblichen Ursachen der fremdenfeindlichen Bewegung: Um diese zu beseitigen, so die aberwitzige Logik, müssten die viel beschworenen berechtigten Sorgen der rechten WutbürgerInnen ernst genommen, d.h. das antiliberale Programm Pegidas ernsthaft diskutiert und dann teilweise politisch umgesetzt werden.“
Halten wir dazu als erstes fest, dass Bayer bis heute zu glauben scheint, die Einwanderung nach Deutschland sei nur angeblich zu stark und auch nur angeblich „nicht ausreichend kontrolliert“. Vielleicht könnten ihn – wenn schon nicht das schwedische Beispiel – Kommunalpolitiker von der SPD oder die Ministerpräsidenten Kretschmann von den Grünen sowie Ramelow von der Linken da ein wenig nachbegaben. Vermutlich will Bayer sein Wissen um das, was sich an Deutschlands Grenzen und Erstaufnahmeeinrichtungen tut, aber ohnehin nicht wirklich überprüfen.
Halten wir als zweites fest, dass dort, wo ich das reale Bestehen eines – obendrein in ganz Europa zu beobachtenden – Wirkungszusammenhangs behaupte, mein Kritiker sich gar nicht um eine Widerlegung meiner Behauptung schert, sondern einfach formuliert, ich „verklärte“ hier etwas. Solcher sprachliche Humbug ist nun wirklich die denkbar schwächste aller Möglichkeiten, der Auseinandersetzung mit einer Aussage auszuweichen – zumal dann, wenn sie darin umso unangenehmer ist, als sie offensichtlich empirisch zutrifft und obendrein dem eigenen Argument den Boden entzieht.
Halten wir drittens fest, wie löchrig die logische Struktur des im Zitat sichtbaren Gedankengangs ist. Vermutlich würde Bayer ja gar nicht der – für die Politik der Kanzlerin sogar handlungsleitenden – Vermutung widersprechen, wer die derzeitigen Flüchtlingszahlen verringern möchte, der müsse etwas gegen die Ursachen des Fluchtgeschehens tun. Doch wenn es darum geht, die Anzahl der PEGIDA-Demonstranten zu verringern, dann wäre es der falsche Weg, etwas gegen die Ursachen des Demonstrationsgeschehens zu tun? Wo – bitte – bleibt da die Logik? Sinnvoll streiten könnte man sich doch allenfalls über die Ursachen des Zulaufs zu PEGIDA – was aber von Bayer, intellektuell recht unaufwendig, gerade vermieden wird.
Halten wir viertens fest, dass Bayer am Ende der Passage einen der dümmsten Gemeinplätze des Streits um den richtigen politischen Umgang mit PEGIDA ganz einfach nacherzählt, und zwar ohne jegliche Sorge um die Tragfähigkeit seines Argumentationsgangs. Er meint nämlich: Die Sorgen um die Herausforderungen und Anschlussprobleme des – nötigen! – Wandels unseres Landes zu einer Einwanderungsgesellschaft ernstzunehmen, laufe darauf hinaus, „das antiliberale Programm Pegidas ernsthaft zu diskutieren und dann teilweise politisch umzusetzen“.
Einesteils besteht der Zweck eines streitigen Diskurses doch darin, gerade gefährliche Positionen ernstzunehmen und dann so sorgfältig zu diskutieren, dass möglichst vielen klar wird, worin die abzuwendende Gefahr genau besteht – damit nämlich keine Gutwilligen unaufgeklärt zu falschen Positionen gezogen werden! Und andernteils folgt doch aus einer ernsthaften Diskussion keineswegs eine Notwendigkeit, das Diskutierte auch dann umzusetzen – und zumal dann nicht, wenn sich das Diskutierte im Lauf der Debatte als falsch erwiesen haben sollte. Es diskutiert die Linke doch auch ernsthaft über das Engagement der Bundeswehr im östlichen Mittelmer – und denkt nicht im Traum an eine Zustimmung dazu, das dortige Kriegführungsprogramm der Bundesregierung oder ihrer Verbündeten auch nur „teilweise politisch umzusetzen“!
Doch allem Anschein nach schäumte unser Kritiker beim Verfertigen dieser Passage innerlich so sehr, dass er die Kontrolle über sein Denken verlor. Denn Appelle, PEGIDA-Forderungen „einfach umzusetzen“, kann er in meinen Schriften selbst bei gründlichstem Suchen nicht finden. Was freilich nicht zu übersehen ist, sind Feststellungen folgender Art: Die Bundesregierung setzt inzwischen etliches von dem um, was vor einem Jahr schon in den „19 Punkten“ PEGIDAs gefordert wurde! Und dem pflege ich in der Regel anzufügen, dass es ein denkbar schlechtes Bild von der Glaub- und Vertrauenswürdigkeit unserer politischen Klasse abgibt, wenn die Regierung unter dem Druck realer Verhältnisse bald ziemlich genau das tut, was zu tun sie zuvor – durchaus nicht ohne Arroganz – als ganz unnötig und auch als völlig falsch bezeichnet hat. Denn die Ursache solch früherer Ablehnung scheint dann allein gewesen zu sein, dass eben „die falschen Leute“ später als sehr wohl richtig Erkanntes verlangt hatten. Ob eine Aussage über Sachverhalte oder Zusammenhänge aber mit den Tatsachen übereinstimmt und deshalb Beachtung verdient, hängt freilich nicht im mindesten davon ab, wer sie vorbringt. Wer sich also einer Debatte nur deshalb verweigert, weil ihm der Gesprächspartner nicht passt, der verhält sich unvernünftig – und wer das als Volksvertreter tut, der agiert verantwortungslos.
Und weil es ihn anscheinend arg verdrießt, dass die Wirklichkeit eben doch so funktioniert, wie sie nun einmal funktioniert, versucht Bayer noch eines draufzusetzen und verhebt sich dabei völlig:
„Die zynische Pointe: Auch für jede weitere Radikalisierung Pegidas können so stets jene Teile des politischen Establishments verantwortlich gemacht werden, die, anders als die Seehofers der Republik, dem völkischen Wahn nicht vollumfänglich nachzugeben bereit sind. Wenn gutwillige und besorgte BürgerInnen mit ihren berechtigten Anliegen kein Gehör finden, ist es ja nur logisch, dass sie ihren Glauben an die freiheitlich-demokratische Grundordnung verlieren, oder nicht?“
Hier bestreitet Bayer erstens, dass jene Folgen unserer fehlerhaften Einwanderungs- und Integrationspolitik, die PEGIDA mästen, ebenso etwas mit PEGIDA und PEGIDAs weiterer Entwicklung zu tun haben könnten wie die Reaktionen auf PEGIDA. Das zu bestreiten, ist aber empirisch ganz unhaltbar.
Zweitens behauptet Bayer, es gäbe keinen Mittelweg zwischen einem „alternativlosen ‚Weiter so!‘“ bei unserer Einwanderungs- und Integrationspolitik und einem nachgebenden „Weichen vor völkischem Wahn“. Diese Behauptung ist ebenso großer Unsinn wie die vorige. Die sich schrittweise korrigierende Politik der Bundesregierung widerlegt sie derzeit ohnehin.
Drittens unterstellt Bayer unsereinem die Vermutung, dass jeder Bürger, der mit seinem Partizipationsverlangen nicht rasch genug durchzudringen meine, wohl den „Glauben an die freiheitliche demokratische Grundordnung verlöre. Auch das ist natürlich Unsinn. Es ist vielmehr allgemein bekannt, dass es auch unter politisch Aktiven erhebliche Frustrationstoleranz gibt, und dass sogar aus großem Unmut über unsere politische Klasse sehr oft gerade kein Extremismus wird. Dass aber aus alledem Politikerverdrossenheit entsteht, und dass inzwischen deutlich mehr Pegidianer als noch im Januar unserem Staat gegenüber innerlich gekündigt haben: Das ist nun einmal eine Tatsache. Sie bestreitet Bayer anscheinend auch gar nicht. Er unterlässt es freilich, aus ihr sinnvolle Schlüsse zu ziehen.
Denn wollen wir wirklich weiterhin eine Entwicklung in eine so abgrundtief falsche Richtung zulassen? Wollen wir noch länger an einer auf falschen Diagnosen gegründeten falschen Therapie festhalten, zumal sie doch nachweislich nichts zum Besseren gewendet hat? Auch ändert doch selbst Bayers scharfer Ton überhaupt nichts daran, dass es eben ein Fehlurteil ist, wenn man behauptet, nicht nur falsches Denken und Handeln von Pegidianern selbst, sondern ebenfalls Fehlreaktionen auf sie, die sie gerade nicht als Mitbürgerinnen und Mitbürger ernstnahmen, hätten zur heutigen, höchst bedauerlichen Lage geführt.
Doch fest eingesponnen in seine fixen Ideen, schiebt Bayer blindlings nach: es falle …
„dem Herrn Professor im Traum nicht ein, … dass seine [sic!] ‚gutwilligen Bürger‘ [was ohnehin nicht mein, sondern sein Begriff ist] an ihrer eigenen politischen Entwicklung eventuell auch einen Anteil gehabt haben könnten“.
Doch, sehr wohl fiel mir das ein! Und mehr noch: Wer auch nur ein wenig auf meiner offiziellen Facebook-Seite herumliest (https://www.facebook.com/WJPatzelt/), der kann unschwer erkennen, dass ich mir dort regelmäßig etliche Mühe gebe, die Entwicklung von Pegidianern und ihrer Sympathisanten in eine für unser Gemeinwesen förderliche Richtung zu beeinflussen. Doch anscheinend macht es nicht jedem Blinden Freude, das Sehen zu lernen …
So auch hier. Deshalb so läuft Bayers Argument in den eingeschlagenen Bahnen zielstrebig auf die törichste aller albernen Deutungen hinaus:
„…bevor er [= Patzelt] seine Schützlinge für ihr Handeln verantwortlich macht, also als Personen ernst nimmt, gibt er lieber selbst für deren Faschisierung, die die Entscheidung der sich Faschisierenden und ihre Entscheidung allein ist, noch Linken und Liberalen die Schuld. Mit nur etwas mehr sozialpädagogischer Nachsicht, da ist sich Patzelt sicher, wäre es nie so weit gekommen.“
Was für ein hanebüchener Unsinn! Wer soziale Sachverhalte nicht aus sozialen Sachverhalten erklärt, der – das wusste schon Émile Durkheim, ein Gründervater moderner Soziologie – kann ziemlich sicher sein, dass seine Erklärung falsch sein wird. Ich aber – anders als anscheinend Bayer – erkläre PEGIDA, wie sich aus Beiträgen wie https://wjpatzelt.de/?p=451 („Was war, was ist PEGIDA?“) oder https://wjpatzelt.de/?p=375 („Die Ursachen des PEGIDA-Phänomens“) leicht erkennen lässt, gerade aus aus den sozialen Umständen seiner Entstehung und Entwicklung. Bayer hingegen will PEGIDA aus einer Art „Wesen der Pegidianer“ erklären, dass zwar selbstverschuldet immer übler werde, das ursprünglich aber vielleicht angeboren, vielleicht vom Himmel gefallen, vielleicht gar aus der Hölle emporgefahren ist.
Angesicht dieses „wesenhaften Bösen“ verzweifelt Bayer ob jeder anderen Gegenwehr als der antifaschistischen Teufelsaustreiberei. Denn er weiß mit Gewissheit, …
„dass gegen den völkischen Nationalismus einzig und allein konfrontative Strategien Erfolg versprechen“.
Wie schön, dass diese Strategien neulich in Frankreich und Polen – wie zuvor schon in Ungarn – so überaus erfolgreich waren! Ihnen verdanken wir, dass in jenen Ländern nie und nimmer an eine Regierungsbeteiligung von Rechtspopulisten auf gleich welcher staatlichen Ebene zu denken sein wird!
Wirklich? Ist das tatsächlich so? Oder stimmt mit dieser Behauptung etwas nicht? Und falls da etwas nicht stimmt: Was wäre das? Der Kinderglaube an die unfehlbare Wirksamkeit trotziger Reaktionen? Oder die intellektuell faule Analyse, bei PEGIDA, AfD & C. gehe es simpel um „völkischen Nationalismus“ – nicht aber um eine breite, erst einmal gründlich aus ihren Ursachen heraus zu verstehende Reaktion gegen die liberalen und sozialdemokratisch geprägten Staatskulturen Europas?
Warum nur begreifen Leute wie Bayer nicht, dass hier weit mehr und Wichtigeres auf dem Spiel steht als eine kindische – und zumal faktenwidrige – Rechthaberei in Sachen PEGIDA! Und dass primitive Ausgrenzungsstrategien ohnehin nicht länger helfen, wenn Rechtspopulisten, durch kontraproduktive Reaktionen auf sie erst einmal großgeworden, vor dem Einzug in die Regierungssitze stehen, wie das – nach Ungarn und Polen – womöglich auch in Frankreich so kommen wird? Soll man es aber wirklich durch Beharren auf erfolglosen Politikansätzen soweit kommen lassen? Oder möchte jetzt jemand den Franzosen mit der Kündigung des Freundschaftsvertrages drohen, falls man denn Frau Le Pen zur Präsidentin wähle? Und damit bloßen Worten auch sie bekräftigende Taten folgen: Sollten wir jetzt, da Ähnliches in Polen und Ungarn längst geschehen ist, wohl die diplomatischen Beziehungen mit jenen Ländern abbrechen – oder uns auf kindische „Sanktionen“ einlassen, wie anlässlich der ersten Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich?
Natürlich wäre das alles außenpolitischer Humbug. Wenn man aber auch innenpolitisch ähnliche Lagen nicht entstehen lassen will, dann sollte man den „Kampf gegen rechts“ schon etwas intelligenter anlegen, als das Leute wie Bayer & Co. empfehlen. Wie dünngeistig sie über derlei wichtige Dinge nachdenken, geht ja schon daraus hervor, dass sie sich als Alternative zu ihren Exorzismus-Versuchen offenbar nur „sozialpädagogische Nachsicht“ vorstellen können …
VI. Unbedachte Argumentationsuntiefen
Allzu weit scheint im Anti-rechts-Kampfmodus also nicht gedacht zu werden. Stattdessen irrt man sich auch noch in der zu attackierenden Hausnummer. Denn Bayer unterstellt mir hinsichtlich der – ihm nach so vielen Monaten seit dem Mai immer noch einzig und allein bekannten – Studie vom Januar:
[Es kommt diese Studie] … wie zufällig [lies: ‚Da hat sich dieser Patzelt an Manipulationen gemacht!‘] zu einem Ergebnis …, das Patzelt selbst so zusammenfasst: ‚Zwei Drittel der Demonstranten sind >gutwillige Bürger<‚.[6] Und folgerichtig, das steht für ihn damit auch direkt fest, definitiv keine ‚Rassisten und Nazis‘“.
Völlige Entwarnung gibt also – angeblich – „Pseudo-Forscher“! Tatsächlich aber zieht nur unser zornesblinder Kritiker bei dieser argumentativen Meisterleistung aus dem zur Gruppenbildung führenden Ergebnis einer multivariaten statistischen Analyse – konkret: einer Faktorenanalyse – einen grandiosen Schluss folgender Qualität: ‚Patzelt behauptet, dass Wessis definitiv keine Dresdner sein können!‘
Offensichtlich denkt Bayer nicht daran, dass sich bei der Betrachtung von Momentaufnahmen eines sich entwickelnden (!) sozialen Phänomens Veränderungen zeigen können: teils individueller Merkmale, teils in der Zusammensetzung von Gruppen. Und obwohl von seinesgleichen beim deutenden Umgang mit PEGIDA immer wieder benutzt, kommt er nicht schon gar auf die Idee, es ließen sich hier Begriffe von der Art „latenter Rassismus“ oder „latenter Nazismus“ verwenden. Mit solchen „Dispositionsbegriffen“ – und es könnten natürlich auch andere, zutreffendere sein – bezeichnet man ein schlummerndes, sozio-kulturell konstruiertes und durch konkrete Anlässe dann eben aufrufbares, ja bis zu einem kritischen Wert – und darüber hinaus – steigerbares Potential. Bayer hingegen scheint Einstellungen wie „Rassismus“ oder „Nazismus“ wie „angeborene Merkmale“ aufzufassen, die jemand hat oder nicht hat – gerade so, wie man vielleicht grüne Augen oder eine Hasenscharte besitzt. Und er tut so, als ob andere es auch dermaßen intellektuell unaufwendig halten würden.
Stimmt es aber wohl mit den Tatsachen überein, dass jemand als Rassist oder Nazi geboren wird, nicht aber zu einem solchen – und sei es durch von ihm falsch wahrgenommene Umstände – geformt wird? Ist es wirklich so, dass – eben deshalb – jedes kommunikative, sozusagen erzieherische Einwirken auf einen „geborenen Rassisten“ oder einen „geborenen Nazi“ ganz unsinnig wäre, gleichsam „aus genetischen Gründen“? Dass man sich also die politisch bildenden Schulfächer sowie Geld für „Aufklärung gegen rechts“ sparen könnte? Und verhält es sich wohl real so, dass man sich von Rassisten und Nazis nur durch Ausgrenzen, Bekämpfen, ja durch „politisch-kulturelle Hygiene“ befreien kann – gerade so wie durch Händewaschen von Bazillen und, in den Worten Heinrich Himmlers, durch die „Endlösung der Judenfrage“ von … Um Gottes Willen! Auf so etwas kann eines Antifaschisten Argumentation doch niemals hinauslaufen!!
Wirklich nicht, falls Rassismus und Nazismus gerade nicht als – vermeidbare und veränderbare – soziokulturelle Konstrukte angesehen werden, sondern als „Wesensmerkmale“ von solchen Menschen, die den „Keim des Bösen“ ganz einfach in sich tragen und, schon zur Abwehr von Ansteckungsgefahr, von allen Anständigen fernzuhalten sind?
Falls aber Rassismus und Nazismus keine „unveränderlichen Wesensmerkmale“ wären, sondern Einstellungs- und Verhaltenskonstrukte, deren Entstehen man auch verhindern, die man sozial eingrenzen, ja durch Aufklärung und Bildung vielleicht gar abbauen kann: Warum sollte es dann unmöglich sein, dass jemand sowohl gutwillig wäre als auch – „ohne es zu merken“ – ein bislang eben latenter Rassist oder Nazi sein kann, dessen entsprechendes Potential nur noch nicht „abgerufen“ wurde – gleich ob durch berechtigte oder einfach kontraproproduktive Reaktionen auf ihn? Und warum sollte es überhaupt unmöglich sein, dass sogar Gutwillige – durch welche Umstände auch immer – zu Rassisten oder Nazis (gemacht) werden, wahlweise auch zu Kommunisten, Islamisten oder sonstigen „-isten“? Warum sollte gar auszuschließen sein, dass durch reale oder eingebildete Entwicklungen selbst in „wirklich Gutwilligen“ ihr Potential für gleichwelchen „Ismus“ geweckt und genährt würde?
Tatsächlich sind gerade solche ideologischen Formungs- und Prägemuster aus Geschichte und Gegenwart wohlbekannt. Muss man vor einem solchen Hintergrund dann aber wirklich auf die fixe Idee verfallen, ausgerechnet mit Dresdens Pegidianern verhalte es sich anders als mit all den anderen – gerade auch gutwilligen – Verführbaren dieser Welt? Und wie kann man, aus anderen Gründen als Ignoranz, wohl ausgerechnet mir unterstellen, ich sähe solche Entwicklungsmöglichkeiten nicht – wo ich doch selbst in meiner im Mai publizierten Studie klar die folgenden Veränderungen unter den Gruppen von Pegidianern beschrieben habe:
Unter den PEGDA-Demonstranten fanden sich im Frühsommer 2015 knapp ein Fünftel „„rechtsradikale Xenophobe“, gut 50% „xenophobe Patrioten“ und knapp ein Drittel „bedingt Xenophile“. Im Vergleich mit den Befunden aus dem Januar zeigt sich: Die damals nicht ganz zwei Drittel „besorgten Gutwilligen“ waren auf ein Drittel „bedingt Xenophile“ geschrumpft – und die „rechtsradikalen Xenophoben“ hatten sich von einem Drittel auf gut die Hälfte vermehrt. Eben das kann man als eine „Radikalisierung“ PEGIDAs bezeichnen.
Dabei kann zunächst offenbleiben, ob sich wohl jeder einzelne PEGIDA-Demonstrant individuell radikalisiert hat (wofür wenig spricht), oder ob einfach durch Wegbleiben von Neugierigen usw. die Zusammensetzung der Teilnehmerschaft eine andere geworden ist (wofür sehr viel spricht). Und natürlich können solche Umschichtungs- bzw. Radikalisierungsprozesse auch weitergehen. Solche Veränderungen sind aber politisch zu wichtig, als dass man deren empirische Vermessung durch bloße Zuschreibungen aufs Geratewohl ersetzen sollte – und zumal durch solche, die sich bloß aus wechselseitig bestärkten Glaubensbekundungen an das „Wesen von PEGIDA“ begründen. Derlei Sozialmetaphysik ist außerdem besonders wenig vorteilhaft dann, wenn man doch, wie etwa NoPEGIDA, durch politisches Handeln auf die künftige Stärke, Inhalte und Wirkungsrichtung PEGIDAs Einfluss nehmen möchte – und das obendrein in solcher Weise, die gerade keine Begleitschäden für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung nach sich zieht.
VII. Mein Fazit
Mir scheint: Bayers Text ist zwar deutlich besser als das frühere Machwerk von Miro Jennerjahn (siehe, mit Link auf den Originalbeitrag, https://wjpatzelt.de/?p=415). Doch auch hier ergeht sich jemand selbstdarstellerisch in prunkenden Wortgirlanden, ohne freilich seine Pose mit Adornos Intellekt untersetzen zu können.[7] Da bastelt jemand unfertige Argumentationsansätze zusammen und überdeckt die Bruchstellen mit der gängigen Rhetorik seines Milieus. Da projiziert jemand die Schlichtheit eigenen Denkens auf mich – und sieht dann eben auch an mir nur das Abbild eigener Unzulänglichkeit. Und da bleibt jemand mit der Seriosität seiner Analyse weit, wirklich weit unterhalb jener Ernsthaftigkeit, die ein Thema wie das hier zu verhandelnde braucht. Immerhin geht es um jenen drohenden Siegeszug des Rechtspopulismus in Europa samt anschließender Entliberalisierung und Entsolidarisierung unserer Gemeinwesens, von dem PEGIDA – gleich ob in Dresden oder unter Aliasnamen anderswo – nur das markanteste ostdeutsche Symptom ist. Zwar kann man es, wie von Jonas Bayer bewiesen, es mit PEGIDA schon so einfältig halten. Doch welcher guten Sache wäre damit wirklich geholfen?
Anmerkungen:
[1] Umso dankbarer bin ich jenen PEGIDA-beobachtenden Studierenden, mit denen gemeinsam die Fragebögen erarbeitet bzw. entwickelt wurden; jenen so vielen Studierenden, welche bei drei Studien die Interviews mit 242, 271 und 434 PEGIDA-Demonstranten führten sowie in einem 6-Augen-System die Daten erfassten; und meinem Mitarbeiter Christian Eichardt, der im April und Mai die Feldarbeit und die Datenerfassung leitete.
[2] Das, was unser Autor übrigens eine – von mir leicht reformuliert – „empörte längere Richtigstellung“ der Medienberichterstattung über die Januar-Studie nennt, lässt sich nachlesen auf meinem Blog unter https://wjpatzelt.de/?p=135 („Medienecho auf PEGIDA-Studie“).
[3] Das geht aus vielen Aussagen von Pegidianern auf meiner offiziellen Facebook-Seite hervor.
[4] Siehe etwa die folgenden Beiträge sowie deren zeitnahe Diskussion auf meiner offiziellen Facebook-Seite: folgenden Blog-Beiträge nachlesen: https://wjpatzelt.de/?p=553 („PEGIDA und der Galgen“), https://wjpatzelt.de/?p=527 („Gegen Gewalt!“ sowie https://wjpatzelt.de/?p=489 („Neue Notizen zu Pegida“).
[5] Siehe dazu BVerfGE 2, 1 (Ls. 2, 12 f.): „Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“
[6] Tatsächlich stand in der Januar-Studie: „besorgte Gutwillige“ mit der Größenangabe „deutlich unter zwei Dritteln“. Ihnen wurden knapp 10% „empörte Gutwillige“ und rund ein Drittel „rechtsnationale Xenophobe“ gegenübergestellt.
[7] Typisch dafür jener Absatz, der mit „Wären Verstocktheit und Untertanentum …“ beginnt und mit „… fast schon hakennasig erscheinen“ endet.
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