PEGIDA und der Galgen
Den letzten Dienstag verbrachte ich auf einem über zehnstündigen Rückflug nach Frankfurt von einer Konferenz in Seoul. Deshalb erreichten mich zahlreiche Medienanfragen zu den Galgenbildern von der montäglichen Pegida-Demonstration erst abends und somit zu spät für ein Interview. Damit nun niemand wahlweise meint, ich drückte mich um Äußerungen zu diesen Vorkommnissen oder jemand wolle mich „mundtot machen“, gebe ich nachstehend das aus meiner Sicht Angemessene in sechs Punkten zu bedenken.
(1) Solche Galgen anzufertigen, mitzuführen und vorzuzeigen ist – höchst milde formuliert – geschmacklos. Charakterlos ist es, derlei Symbolik offen zu feiern oder im Stillen gutzuheißen. Und im griechischen Wortsinn „hysterisch“ – nämlich einen wichtigen Mangel aufweisend, etwas verfehlend – ist die Gesinnung, die hinter solchem Tun oder Zulassen steht: Ihr gehen Rechtschaffenheit, Ernsthaftigkeit, Gesprächsfähigkeit ab. Ohne das alles aber wird Demonstrieren zum Firlefanz und geilt sich Gegen-etwas-sein an sich selbst auf. Das aber ist politisch pubertär.
(2) Unpolitisch ist es, solche Symbolisierungsmittel mit dem Hinweis darauf für unbeachtlich zu erklären, bei Karnevalsumzügen würde dergleichen auch zur Schau gestellt. Ob wohl die meisten Pegida-Demonstranten meinen, an einem Rosenmontagsumzug teilzunehmen? Wenn nicht, dann lässt sich auch nicht als Faschingsklamauk oder Büttenrede abtun, was bei Pegida-Demonstrationen zur Schau gestellt oder gesagt wird.
(3) Peinlich – selbst wenn sachlich zutreffend – ist der Hinweis auf Galgen oder Guillotinen bei Demonstrationen, die von anderen veranstaltet werden. Wer nämlich sich selbst für besser hält, kann nicht in überzeugender Weise objektives Fehlverhalten anderer zum Maßstab eigenen Tuns machen. Nur am Richtigen darf sich orientieren, wer richtig handeln will; und jedes Androhen oder Symbolisieren von Gewalt ist nun einmal falsch, wenn für oder gegen bestimmte Politik demonstriert wird. Im Grunde sind die am letzten Montag gezeigten Galgen nur die in jeder Hinsicht zu missbilligende Fortsetzung jener volksaufhetzenden Rede, die – mit französischem Akzent – am 22. Dezember letzten Jahres bei der Pegida-Demonstration vor der Semperoper gehalten wurde.
(4) Für alle, die Geschmacklosigkeit oder Peinlichkeit nicht für politisch wichtige Kriterien halten, sei hinzugefügt: Es läuft auf wiederholte Eigentore samt anschließender Niederlage hinaus, wenn etliche Pegida-Demonstranten – und auch: etliche Pegida-Redner – immer wieder dafür sorgen, dass vorwerfbare Handlungen und Redeweisen mannigfacher Art in der Berichterstattung und öffentlichen Wahrnehmung der Dresdner Demonstrationen dasjenige völlig überlagern, was immer noch das vorrangige Anliegen vieler Demonstranten zu sein scheint: nämlich die politische Klasse zu einer weniger fehlerhaften, nämlich nachhaltigen Einwanderungs- und Integrationspolitik zu veranlassen. Wem ist denn tatsächlich gedient, wenn Mitläufer oder Sympathisanten aus dem Fremdschämen gar nicht mehr herauskommen? Wie fair ist es, durch kurzfristige Befriedigung eigener gefühlsmäßiger Entleerungsbedürfnisse dem zu schaden, was anderen inhaltlich wichtig ist?
(5) Mehr und mehr zeigt sich, wie wenig die Organisatoren von Pegida zu jener Statur heranreifen können oder aufwachsen wollen, mit welcher allein sie der ihnen zugefallenen, ja inzwischen von ihnen auch gesuchten politischen Rolle gewachsen wären. Mehr als gemeinschaftsstiftende Empörungsveranstaltungen durchzuführen, scheinen sie nicht zu können. Mit radikaler Rhetorik wird emotionale Wucht aufgebaut, die sich aber auf keinem sinnvollen Weg entladen kann. Denn weder schaffen es die Wortführer von Pegida, mit ihnen inhaltlich nahestehenden Parteien – wie etwa der AfD – zusammenzuwirken, noch sind sie in der Lage, über Vorwürfe und Klischees hinaus selbst zu sagen, was genau zu tun wäre, um die von ihnen angesprochenen Probleme in den Griff zu bekommen. Sie bieten keinerlei Anknüpfungspunkte für einen das Land zusammenhaltenden politischen Diskurs, sondern sind sich selbst im mutwilligen Polemikwettbewerb genug. Auf diese Weise aber verraten sie den guten Glauben und den guten Willen vieler, die nun monatelang zu den Pegida-Demonstrationen in der Hoffnung gegangen sind, sie könnten politisch etwas bewirken – und zwar Anderes und Besseres als bloß eine Polarisierung unserer Gesellschaft.
(6) Ohnehin nähren die Organisatoren von Pegida sowie gar nicht wenige Pegida-Demonstranten eine sie in die Sackgasse führende Fehlvorstellung: nämlich die, unser Staat wäre so etwas wie die DDR vor der Friedlichen Revolution. Das ist aber keineswegs so. Zwar verschließen sich viele aus den Kreisen unserer diversen Eliten immer noch einer umfassenden Betrachtung der Umstände, Begleiterscheinungen und Folgen unserer fehlerhaften Einwanderungs- und Integrationspolitik, und es mischt sich auch vielerlei Arroganz mit solcher Ignoranz. Doch im Gegensatz zur DDR ist unser System auf periodischen freien Wahlen aufgebaut, was den Regierenden immer wieder verlässlich arrogante Ignoranz und ignorante Arroganz austreibt – dann nämlich, wenn die Umfragewerte sinken, die „Sonntagsfrage“ Schlimmes in Aussicht stellt und die Parteibasis mehr als nur grummelt. Alles das beobachten wir seit einiger Zeit. Außerdem kommt es inzwischen zu deutlichen, wenn auch erst ansatzweisen Politikkorrekturen bei der Einwanderungs- und Integrationspolitik. Also bringen sich Pegida-Organisatoren und Pegida-Demonstranten in die Sackgasse ganz ungerechtfertigter und im Wesentlichen wirkungsloser Systemfeindschaft, wenn sie weiterhin eine Art „89er-Komplex“ nähren – und vergiften, als Nebenwirkung einer solchen Haltung, auch ihrerseits unsere politische Kultur aufs gründlichste.
Bildquelle: http://image.stern.de/6498580/16×9-1200-675/aee5e7a47ce38ed00e32b1bfd3a9a254/aF/pegida.jpg