Zerplatzende Illusionen
Wirtschaftsverträge schließt man zum wechselseitigen Vorteil. Wer dann einem Vertragspartner mit Wirtschaftskrieg kommt, der muss sich nicht wundern, wenn ihm derlei bald schadet. Besser überlegt man sich vorher, was man durch Sanktionen erreichen will. Und vor allem, ob genau dafür Wirtschaftssanktionen ein geeignetes Mittel sind – oder wie lange man sie wirklich durchhalten kann.
Hinter unserer Sanktionspolitik gegen Russland stehen wohl keine Überlegungen dieser Art, sondern bloß politische Reflexe. Wollte man wirklich Russlands Krieg ersticken – oder nur schönwetterpolitisch „ein Zeichen setzen“? Wie aussichtsreich lässt sich ein auf Sieg setzender Kriegsherr allein durch wirtschaftliche Nadelstiche von seinem Tun abbringen? Und merkte niemand, dass unser Lebensstil von Energie aus Russland abhängig war?
Jetzt brechen wieder einmal deutsche Illusionen zusammen. Krieg wäre kein Mittel der Politik mehr, Militärmacht sei für einen Wirtschaftsriesen entbehrlich, internationale Verflechtung sichere Frieden und Wohlstand. Das alles kann so sein – muss es aber nicht. Im Grunde praktizierte Deutschland eine Mischung aus gutem Willen, Arroganz und Feigheit: An unserem jetzigen Wesen könnte die ganze Welt genesen, unserer Wirtschaftsmacht wird niemand widerstehen, und notfalls sind wir lieber rot als tot. Jetzt sind die meisten Deutschen nicht einmal mehr seelisch für den Ernstfall eines Krieges so gewappnet, wie das die Ukrainer nachweislich und die Polen, Balten oder Finnen höchstwahrscheinlich sind.
Viele unserer Schwächen macht Russlands Krieg jetzt sichtbar. Weniger Furcht gäbe es vor einem kalten Winter, hätten wir uns nicht durch den gleichzeitigen Abschied von Kern- und Kohleenergie vom russischen Erdgas abhängig gemacht. Die durch steigende Energiepreise angetriebene Inflation ängstigte uns weniger, hätte nicht auch Deutschland durch die Aufweichung des Euro-Stabilitätspakts den Weg zur expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank bereitet. Unser Staat hätte mehr Geld zur Milderung von Folgen der Sanktionen, wenn nicht seine Migrationspolitik viele Hunderttausende in die sozialen Sicherungssysteme gesogen hätte, statt sie in unsere – doch nachwuchsbedürftige – Arbeitswelt zu drängen. Und Deutschlands Politiker könnten viel weniger Angst vor gesellschaftlichem Aufbegehren haben, wenn sie nicht schon jahrelang besorgte Bürger lieber geschulmeistert und ausgegrenzt hätten, als ihre Sichtweisen ernstzunehmen und über ihre Anliegen redlich zu diskutieren.
Das alles lässt sich nicht mehr korrigieren. Durch solche Übel müssen wir nun einfach durch. Wir können ihnen auch nicht unbeschadet ausweichen. Jetzt aus der EU-Solidarität auszuscheren, entlarvte unser jahrzehntelanges Lob des Multilateralismus als Versuch, Verantwortung möglichst abzuwälzen. Unsererseits die EU vom Sanktionskurs abzubringen, erwiese uns als den von Russland leicht erpressbaren Schwachpunkt des Westens. Ein „Einfrieren“ des Krieges zu fordern, zeigt nur an, wie wenig es uns wirklich juckt, wenn ein Staat Teile eines anderen Staates besetzt. Zum Zweck eines raschen Friedens die Ukraine zu Gebietsabtretungen zu drängen, ist der Stil einer Großmacht, die vom Selbstbestimmungsrecht der Völker nichts wissen will. Und als wichtigster Staat der EU so zu tun, als ginge uns ein Krieg in der Nachbarschaft nichts an, macht uns schlicht lächerlich.
Zum Nulltarif kann jeder Haltung zeigen. Sie unter Druck zu bewahren, ist etwas anderes. Hoffentlich verspielen wir nicht ganz das Vertrauen in deutsche Seriosität, das durch jahrelang illusionsgetriebene Politik ohnehin schon erschüttert ist.
Ursprünglich und etwas redigiert erschienen als „Wirtschaftliche Illusionen“ in Junge Freiheit 16/22, 2. September 2022, S. 10