Prozessionen gegen die AfD

Prozessionen gegen die AfD

erschienen am 22. Januar 2024 als weitere meiner wöchentlichen „Montagsanalysen“ auf NIUS (siehe https://www.nius.de/Analyse/die-politik-verschleppt-probleme-zivilreligioese-proteste-gegen-rechts-aendern-gar-nichts/525f0f49-653c-47c3-83b7-93799b8aaa83)

Da nimmt der Bundeskanzler an einer „Demonstration gegen rechts“ teil. Da gehen Regierungsmitglieder und Prominente gern zu solchen Kundgebungen. Da berichten Journalisten stolz, quer übers Land hätten das Hunderttausende getan. Schön so – oder jedenfalls beruhigend, wie wenn gegen Antisemitismus oder Klimawandel protestiert wird.

Kommt hier aber wirklich niemandem das Gefühl, irgend etwas sei an einer solchen Gleichsetzung so recht nicht stimmig? Doch was genau mag da falsch sein?

Wenn gegen den Klimawandel protestiert wird, dann doch nicht so, als wolle man sich gegen den Wechsel der Jahreszeiten wehren. Die gehören einfach zur Natur. Der Klimawandel aber wird, so scheint es, von Menschen verursacht. Also demonstriert man gegen jene, die das nicht begreifen wollen oder sich selbst am Klimawandel schuldig machen. Der Protest trifft also Schuldige oder solche, die man dafür hält. Und wer gegen Antisemitismus demonstriert, der warnt traditionell vor Nicht-Linken, neuerdings aber – etwas zaghaft freilich – auch vor Muslimen, die Hass auf Juden nach Deutschland bringen oder ihn hier kultivieren. Dann protestiert man gegen eine Geisteshaltung, die niemand haben sollte.

Durchaus ähnlich ist das bei den „Demonstrationen gegen rechts“. Da eint die Überzeugung: Rechts zu sein, gehört sich nicht! Also braucht es soziale Ächtung, Verbote, schlimmstenfalls einschüchternde Gewalt. Konkret wird bei Anti-AfD-Protesten bekundet: Wir wollen Euch AfDler nicht, und heimliche Wählerstimmen für diese Partei zeugen von Charakterlosigkeit! 

Gewiss darf man das so halten. Freilich könnten ungute Empfindungen aufziehen, sobald man an ähnliche Demonstrationen gegen Woke oder Muslime dächte. Doch heile wird das alles wieder durch die Klarstellung, dass Wokeismus gut ist, Rechtssein hingegen schlecht, und dass Muslime zu Deutschland gehören, AfDler hingegen bis 2013 nie zu Deutschland gehörten und seitdem unsere politische Kultur ruiniert haben. Also gibt es keinen guten Grund für Anti-Wokeismus-Proteste oder Anti-Islam-Proteste, sehr wohl aber für Anti-AfD-Demonstrationen. Kognitiver oder emotionaler Dissonanz ist solchermaßen abgeholfen. 

Dann bleibt trotzdem die Frage, was Regierungsmitglieder auf solchen Demonstrationen zu suchen haben. Sie bekleiden doch ihre einflussreichen Ämter zu keinem anderen Zweck, als mehrheitliche und inhaltlich einwandfreie Bevölkerungswünsche politisch umzusetzen. Sie haben ganz konkrete Möglichkeiten, dem Aufkommen von Antisemitismus oder Rechtsextremismus zu wehren. Ist es da nicht etwas billig, sich bloß in Protestzüge einzureihen, bei denen das gefordert wird, was man selbst doch tun könnte? Ist es nicht arbeitsscheu, symbolisches Handeln an die Stelle real problemlösender Politik zu setzen?

Diese Frage macht klar, was an Politikerprotesten gegen die AfD so komisch ist. Fiel denn die AfD vor gut zehn Jahren vom Himmel wie eine der biblischen Plagen Ägyptens? Wurde sie seit 2016 groß wie eine der europäischen Pestepidemien, deren Ursachen man ebenso wenig kannte wie verlässliche Heilmittel? Ist die Entstehung der AfD nicht ebenso wie ihr Aufstieg zur stärksten Partei Ostdeutschland eine Folge gerade von Politikerhandeln? Ist die AfD wohl das Ergebnis einer Politik, die großen Bevölkerungsteilen missfiel wie einst die Aufweichung stabilitätsorientierter Eurozonenpolitik, oder die weiterhin missfällt wie Deutschlands großmannssüchtige Migrations- und Energiepolitik? Ist die Stärke der AfD wirklich keine Konsequenz des Kneifens etablierter Politiker vor persönlichen Auseinandersetzungen mit AfD-Anführern vor einem wahlentscheidend großen Publikum? Verdankt sich das Aufblühen einer radikalisierten AfD denn nicht jenem kommunikativen Schutzraum, den man AfD-Leuten fürs wechselseitige Beklatschen immer markigerer Töne aufgesetzten Volkszorns gesichert hat? Sollten Politiker nicht besser gegen sich selbst protestieren als den Mitverursachern so übler Entwicklungen, oder gegen ihr jahrelanges bequemes Zuschauerverhalten als wirkungslose Haltungszeiger? 

Vielleicht tun die Politiker auf den Anti-AfD-Kundgebungen letzteres sehr wohl, doch unbemerkt so lange, wie der quasi-religiöse Charakter von „Protesten gegen rechts“ übersehen wird. Was nämlich unternahm man zwischen Antike und vor-säkularisierter Gegenwart, wenn das Eintreten von Gutem unsicher war, oder großes Übel nicht nur dräute, sondern schon über einen gekommen war? Bei Bedrohung durch die Pest fand man sich zusammen für Bittgänge, Selbstanklagen vor Gott und ganz reale Selbstbestrafungen, die vom Fasten bis zum Flagellantentum reichen konnten. Und um gute Ernten kam man ein durch Flurumzüge, geleitet durch Priester wechselnder Religionen. Wo man sich selbst nicht mehr zu helfen weiß, müssen eben metaphysische Mächte angerufen werden.

Anscheinend deshalb hegen heute so viele das Gefühl, der Gang zu einer Anti-rechts-Kundgebung wäre eine erlöserisch-gute Tat – etwa so, wie der jährliche Besuch eines Weihnachtsgottesdienstes. Der bezeugt Solidarität mit Wohlgesinnten, verschafft gute Gefühle, schadet ohnehin nicht, nützt vielleicht. Und zum Seitenstück eines Bittgangs, angeleitet von hoher Geistlichkeit, wird so mancher zivilliturgische Protestzug, an dem Partei- und Staatsführer teilnehmen – mit oder ohne politische Predigt oder zivilreligiösem Gesang. 

Doch von wem erwartet man sich eigentlich Hilfe dank solcher Rituale? Gott scheint das bei den Anti-AfD-Demonstrationen quer über Deutschland nicht zu sein. Eher geht es um ein wohliges Eintauchen in lokales Massenverhalten, dank dessen sich die eigene Verantwortung bestens aufgehoben findet, und zwar in dieses Wortes dreifacher Bedeutung: bewahrt, auf ein höheres Niveau gebracht – und irgendwie auch abgetan. Allzu viele teilen da womöglich die daseinsentlastende Empfindung, durch symbolisches Handeln habe man seine instrumentellen Pflichten auch schon für alle praktischen Zwecke erfüllt.

Ob es aber nicht besser wäre, sich einer politischen Herausforderung wie der durch rechten Populismus, Radikalismus oder gar Extremismus ganz real zu stellen, nämlich mit politischen Mitteln, deren Wirksamkeit auch noch in einschüchterungsfreien Wahlkabinen anhielte? Also durch plausibleres Regierungshandeln und durch eine überzeugendere inhaltliche Auseinandersetzung seitens der etablierten Politikerschaft mit der AfD? Oder, falls das angesichts eines trotzig-aktiven Kampfes von AfDlern gegen unsere freiheitliche Ordnung erforderlich wäre, durch die reale Herbeiführung eines Verfahrens zur Verwirkung persönlicher Grundrechte nach Art. 19,3 des Grundgesetzes, oder durch die Beantragung eines Parteiverbots nach Art. 21,3 unserer Verfassung?

Doch leider wird, statt derlei wirklich zu versuchen, über das alles nur diskutiert. Zudem wird eine Politik wie alternativlos fortgesetzt, die seit vielen Jahren das Verlangen nach Alternativparteien mästet. Und also werden nun politische Bittprozessionen veranstaltet, auf denen man die Abwehr des befürchteten Übels nur symbolpolitisch simuliert, nicht aber realpolitisch angeht. Oder stellt sich mancher darauf ein, die jetzigen Anti-AfD-Proteste im Fall von weiteren AfD-Wahlsiegen zu Demonstrationen für einen Bürgerkrieg umzufunktionieren? Dann wäre es wirklich an der Zeit, den Anfängen zu wehren …

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