Zum Grundsatzprogramm der Grünen

Zum Grundsatzprogramm der Grünen

Ziemlich geräuschlos haben die Grünen am letzten Wochenende ihr neues Grundsatzprogramm beschlossen. Was von ihm zu halten ist, habe ich am 28. November 2020 in der „Tagespost“ veröffentlicht (https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/gruener-wunschkatalog-fuer-eine-welt-ohne-mangel;art315,213891). Um einfacher Zugänglichkeit willen dokumentiere ich diesen Text auch nachstehend.

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In Parteiprogrammen spiegelt sich, welche Herausforderungen eine Partei als für sich wichtig erkannt hat. Die können inhaltlich sein wie Klimaschutz und Demokratiepolitik, doch auch im Bereich politischer Strategie und Taktik liegen. Letzteres prägt das neue Grundsatzprogramm der Grünen. Nicht länger ringen sie bei der Programmarbeit vor allem um ihr Selbstverständnis. Dessen haben sie sich inzwischen vergewissert. Sie werden dessen auch sicher bleiben, bis ihnen die im Herbst 2021 wahrscheinlich kommende Regierungsverantwortung auf Bundesebene wieder schwere Spannungen zwischen Regierungsgrünen und Basisbegeisterten beschert.

Strategisch haben die Grünen alles ihnen Mögliche und vieles sachlich Erforderliche getan, um sich der Union als wenn schon nicht alternativloser, so doch als vorzugsweiser Bündnispartner anzubieten. Die Bundeswehr soll nicht mehr entwaffnet, die gentechnische Forschung nicht mehr unterbunden werden. Einstige Forderungen nach mehr direkter Demokratie schrumpften auf eine unverbindliche Beratung durch „Bürgerräte“ zusammen. Und es wird eine sozial-ökologische Marktwirtschaft gefordert, also das so lange verpönte M-Wort ausdrücklich ins Programm geschrieben. Das war ein durchaus weiter Weg für viele Grüne. Ihn gegangen zu sein, hat die Begegnungsmöglichkeiten dieser ehemals klar linken Anti-Parteien-Partei mit vielen einstigen Gegnern sehr verändert. Bis hin zum Versöhnungskitsch klang denn auch, was die grüne Doppelspitze über ihr kommendes Mitregieren in die Kamera sagte. Welche Gefühlshürden man bei der zum Partner einer Vernunftehe werdenden Union noch vermutet, zeigte die weihnachtsähnliche Botschaft der engelsgleich strahlenden Vorsitzenden Baerbock: „Fürchtet Euch nicht!“

Doch das galt ebenso der eigenen Basis. Die wird im Bündnis mit der Union von ihren Führungskräften nämlich ebenso düpiert werden, wie es nach 1998 der Oberrealo Fischer mehrfach hielt – und zwar gemäß vernünftiger Einsicht in die Notwendigkeiten sachangemessenen Regierens. Gerade die programmatischen Siege oder Kompromisse, welche die Parteifundis der Parteiführung erneut abgerungen haben, schaffen vielerlei Scheuerstellen: einesteils mit dem Koalitionspartner, andernteils mit jener Wirklichkeit, für deren wohlgemute Umgestaltung das neue Grundsatzprogramm Wege weist.

Am festgeschriebenen Ziel, die Erderwärmung vom kleinen Deutschland aus auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, wird sich etwa jeder grüne Minister messen lassen müssen, und keiner wird dabei gut wegkommen. Beim Vorhaben, Tablets und Laptops samt Software für die Schüler- und Lehrerschaft kostenlos zu machen, wird es wiederum nicht lange dauern, bis man darin eine auf Dauer angelegte Subventionszusage für ohnehin reiche und marktbeherrschende Hard- beziehungsweise Softwarehersteller bemerkt. Ob das einer im Kern immer noch linken Partei guttun wird?

Und die bedingungslose Garantiesicherung „für jeden Menschen …, dessen eigene finanzielle Mittel nicht ausreichen“, wird sich in Verbindung mit der weiterhin großzügigen Zuwanderungspolitik der Grünen bald als sozialer Sprengstoff in einem Staat erweisen, in dem die länger schon im Land Lebenden nicht nur das eigene sowie das fortan hier lebende Prekariat zu versorgen haben, sondern auch noch die Pensionslasten unserer unterjüngten Gesellschaft und die Folgekosten einer europaweiten Wirtschaftsschwäche werden tragen müssen, die durchaus nicht nur pandemisch verursacht wurde. Man versteht da schon die Unlust von SPD und Linken, mit den Grünen ein Regierungsbündnis anzustreben: Opposition ist in so wolkenverhangenen Zeiten viel bequemer. Doch auch ihrerseits verloren die Grünen nicht viele Worte über eine linke Alternative zum bisherigen Kurs.

Insgesamt gleicht das Programm der Grünen dem Wunschkatalog für eine Welt, in der es weder an Geld noch an gutem Willen mangelt. Die Ansage der Grünen lautet:: Alles ist möglich, alles wird gut – wenn man uns nur machen lässt. Zwar wird die Führungsriege der Union den Grünen bei alledem so weit entgegenkommen, wie das angesichts der Risiken weiterer Stimmenverluste an die AfD oder einer Vertiefung innerparteilicher Spannungen gerade noch möglich ist. Doch die Funktionsweise der Welt, wie sie wirklich ist, wirkt sich für Leute in Regierungsverantwortung eben doch irgendwann als Korrektiv aus. Gerade jener rot-grünen Koalition, welche die der rot-grünen Bundesratsmehrheit nachgerade abgetrotzten Reformen der späten Kohl-Jahre wieder zurücknahm, blieb die Agenda 2010 nicht erspart – und zog den vermutlich anhaltenden Machtabstieg der SPD samt dem Aufkommen einer bundesweiten Linkspartei nach sich.

Bezahlt die Union nach 2021 die Zeche für eine erneut wirklichkeitsvergessene Politik, dann muss das die Grünen nicht anfechten. Gezwungen hat die Union ja schon in den letzten 15 Jahren niemand dazu, von vielen ihrer früheren Kernpositionen zugunsten einer Teilhabe am grünen Zeitgeist abzurücken. Dem Verfall der SPD zugunsten sowohl der Linken als auch der Grünen mag einst die dauerhafte Schwächung der Union gegenüber einer AfD entsprechen, in der sich die wenigen verbliebenen Realos vielleicht doch noch zum erfolgreichen Kampf gegen die sich immer weiter radikalisierenden Fundis aufgerafft haben.

Doch bislang weigert sich die AfD strikt, vom richtigen Weg der Grünen zu lernen. Der bestand darin, sich zunächst bereitwillig ins bundesdeutsche Parteiensystem einzufügen und sich dann schrittweise koalitionsfähig zu machen: zunächst hin zur ideologisch halbwegs nahestehenden, fortan ehemaligen Volkspartei in der linken Mitte, und später hin zur ideologisch so lange gegnerischen Noch-Volkspartei in der rechten Mitte. Und falls die Realo-Grünen es schaffen sollten, künftig CDU-gleich die Lust am Regieren über die Wünsch-dir-was-Haltung der weiterhin einflussreichen Fundi-Basis obsiegen zu lassen, dann könnte es durchaus so kommen, dass die Grünen bald nicht nur – wie jetzt schon – den politischen Diskurs dominieren, sondern auch alle Politik in der politischen Mitte.

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