Der Abstieg der CDU: lange vorhersehbar, vermutlich anhaltend

Der Abstieg der CDU: lange vorhersehbar, vermutlich anhaltend

Mitunter hat es etwas persönlich Beunruhigendes, manchmal aber auch etwas analytisch Befriedigendes, wenn man auf eigene Texte aus früheren Jahren wie auf eine Flaschenpost trifft. Letzteres war für mich der Fall, als ich unlängst den nachstehenden Text aus dem Jahr 2011 zum „Niemandsland rechts von der CDU“ wiederfand, der unter dem Titel „Ohne uns“ am 31. Dezember 2011 – also lange vor dem Aufkommen der AfD – in „The European“ veröffentlicht wurde (https://www.theeuropean.de/werner-patzelt/3329-neue-partei-rechts-der-cdu-2).

Mir zeigt dieser Text, erst recht gemeinsam mit einem noch älteren, schon 2009 veröffentlichten Aufsatz über „Rechtsradikalismus in Sachsen und darüber hinaus“ (seit einigen Jahren leicht erreichbar über https://wjpatzelt.de/2016/11/05/rechtsradikalismus-in-sachsen-und-darueber-hinaus/), dass sich sehr wohl schon lange vor dem Aufstieg des deutschen Rechtspopulismus erkennen ließ, welche wenig wünschenswerte Entwicklung unser Land bei einem selbstgefälligen „Weiter so“ der es tragenden Parteien nehmen würde. Wie schade, dass so viele auf den höheren Führungsebenen der CDU das alles immer noch nicht begreifen können!

Zufrieden aber macht mich ganz persönlich, dass meine mehrere Jahre später vorgenommenen Analysen der inzwischen neu aufgetretenen politischen Bewegungen PEGIDA und AfD ganz in der Linie des von mir längst zuvor Erkannten, Verstandenen und Erklärten lagen – und gerade nicht, wie verleumderische Dummköpfe und unbelesene Mediennachbeter es seit 2015 behaupten, von irgendwelchen Sympathien mit aufkommenden rechtspopulistischen Protestbewegungen geprägt waren.

Hier nun also jener Artikel vom 31. Dezember 2011
https://www.theeuropean.de/werner-patzelt/3329-neue-partei-rechts-der-cdu-2

Recht unangreifbar hat sich die CDU in den letzten Jahren von links her gemacht. Lohnuntergrenzen, Verzicht auf Kernenergie, Befürwortung von Frauenquoten, Akzeptieren von Einwanderung usw. machen es schwer, ihr weiterhin die diffamierenden Etiketten „neoliberal“, „konservativ“, gar „rechts“ anzuheften. Und weil sich jene Kurskorrekturen auch gut vertreten lassen, ist solche Neuaufstellung in jeder Hinsicht zu loben.

Sie hat aber drei Mängel. Erstens geht die „Befestigung der linken Front“ nicht einher mit klarer Positionierung im rechten Spektrum. Zweitens vollzog sich die „Sozialdemokratisierung“ rein taktisch seitens der Parteiführung, doch nicht als eine aus dem Parteiinneren angeregte strategische Neuausrichtung. Drittens gibt es keine überwölbende Programmatik, welche den Geländegewinn links mit fortgesetzter Dominanz rechts verbände. Ordnungspolitik ist argumentativ nicht mit Patriotismus, Integrationspolitik in einer Einwanderungsgesellschaft nicht mit Konservatismus verbunden, das Festhalten an der christlichen Grundprägung unserer Kultur nicht mit Liberalismus. Um das faktisch konservative Leitkonzept der Nachhaltigkeit ließe sich zwar eine Synthese aus alledem schaffen. Aber die nötigen intellektuellen Anstrengungen sind nicht zu erkennen – und schon gar nicht jene Leute, die sie bewältigen könnten.

Das alles schafft die – aufrichtig oder nicht – beklagte „Lücke rechts der CDU“. Man kann sie klaffen lassen, indem man weiterhin „rechts“ mit „rechtsradikal“, gar mit „faschistoid“ verkoppelt. Das stigmatisiert verlässlich die so etikettierten Positionen und deren Wortführer. Doch Vaterlandsliebe, Stolz auf ein gutes Land und der Wunsch nach Beheimatung in einer tradierten Kultur gehören zu den Anliegen sehr vieler Bürger, die einfach nur gute Deutsche sein wollen. Sie hochfahrend auszugrenzen, treibt sie in Parteien- und Staatsverdrossenheit und bringt sie zum hilflosen Schwanken zwischen Nichtwählen bzw. Protestwählen. Am Schluss verbietet man ihre Partei, ändert aber nichts an ihrer inneren Entfremdung.

Gewiss mag man hoffen, die Union werde diese Lücke schließen. Sie müsste dann das Programm eines nicht nur aufgeklärten, sondern auch populären Patriotismus entwickeln, auf intellektuell tüchtige und persönlich integre Vertreter dieser Position hoffen sowie diese, gemeinsam mit den Wortführern der sozialdemokratisierten CDU, das Gesicht der Partei prägen lassen. Noch aber spricht wenig für eine solche Entwicklung vor der Gründung einer neuen Rechtspartei.

Zu ihr dürfte es nach Einleitung eines neuen NPD-Verbotsverfahrens kommen. Motivieren wird dazu die Einsicht, wie wenig es unserer Demokratie bekommt, wenn sich alle Parteien zwischen dem linken Rand und der rechten Mitte tummeln, die Rechten aber keine sie in den Verfassungsbogen einbindende Alternative wählen können. Auch wird die dann noch bestehende NPD die meisten Rechtsradikalen von dieser Neugründung fernhalten. Nur deren Absenz aber stiftet die Chance auf ein gewisses Anfangsvertrauen. Ohnehin werden sich vor allem politische Abenteurer nach Führungsaufgaben drängen und rechte Spinner bald einen Großteil der Aktivisten stellen. Gut zehn Prozent unserer Wählerschaft wird das nicht anfechten. Doppelt so viele mögen es sein, wenn sich populäre Anführer finden und die CDU eher auf Abgrenzung denn auf Integration setzt. Also unternimmt sie besser jetzt schon das Nötige, um von der Mitte bis zum rechten Rand jeden an sich zu binden, der gerne deutsch, doch keinesfalls links sein will.

Nachtrag vom Januar 2020

So, wie im letzten Satz empfohlen, kam es aber gerade nicht. Vor einem Jahr hegte ich zwar die Hoffnung, die Führung wenigstens der sächsischen CDU hätte begriffen, in welchem strategischen Dilemma sich die Union befindet, und sie mache sich daran, daraus jene Konsequenzen ziehen, die ich schon jahrelang meiner Partei empfehle. Bei solchem Aufhalten weiteren Machtverlusts wollte ich der sächsischen Union durch mein Engagement in der Wahlprogrammkommission gern helfen. Doch ich hatte ich mich sowohl hinsichtlich der vorherrschenden Lagebeurteilung an der Spitze der sächsischen CDU als auch bezüglich des politischen Willens getäuscht, die CDU im weiß-grünen Freistaat wirklich wieder zur dominierenden Partei zu machen. Nun ist jedenfalls auch für Sachsen klar: Die CDU will eine Partei nur noch der politischen Mitte sein; sie überlässt alle, die sich nicht als mittig empfinden, und schon gar nicht als links, einfach der AfD; und sie mästet auf diese Weise eine wohl nicht mehr kleinzubekommende Konkurrentin.

Mir gefällt dieser zur Selbstverstümmelung der CDU führende Kurs überhaupt nicht. Freuen kann sich über ihn vor allem die AfD, deren Aufkommen und Aufstieg sich weitgehend CDU-Fehlern verdankt. Leider werden genau diese Fehler inzwischen – ganz wesentlich unter dem Meinungsdruck von Linken und Grünen – von sehr vielen als Weichenstellungen zum bestmöglichen Kurs der Union verstanden. Doch der bestmögliche Kurs ist er nur für die politischen Mitbewerber der CDU: Die rechten Rivalen profitieren durch Wählergewinne in früherem CDU-Territorium, die linken Rivalen von einer dauerhaften Schwächung einer fortan von links wie rechts in die Zange genommenen Union, die so dauerhaft um ihre einstigen Dominanzmöglichkeiten gebracht bleibt.

An diesem Abstiegskurs aber wird sich wohl nur nach überhaupt nicht mehr wegzudeutenden Wahlniederlagen der CDU etwas ändern. Weil allerdings 2020 nur die einzige, von der CDU ohnehin nicht gewinnbare Landtagswahl in Hamburg ansteht, gibt es heuer keinerlei vorhersehbaren Anreize für die Union, doch noch zu begreifen, was mit ihr seit vielen Jahren schiefläuft. Ganz im Gegenteil glauben viele Unionspolitiker, sie könnten im Bündnis mit den Grünen – und mitunter auch den Sozialdemokraten – eine so überzeugende Politik vollführen, dass der zum Wahlkreuz für die AfD führende Politikprotest sich verflüchtigen werde. Ihnen gilt deshalb die Arbeit in „Kenia“-Bündnissen als wirkungsvollstes Mittel im Abwehrkampf der CDU gegen die AfD. Sie schreckt auch nicht das Beispiel der SPD: Obwohl die „Großen Koalitionen“ auf Bundesebene eine klar sozialdemokratische Handschrift tragen, profitiert die SPD von ihnen am allerwenigsten. Tatsächlich werden viele Wähler bei der Entscheidung zwischen „grünem Original“ und dessen Kenia-bewirkter „CDU-Kopie“ genau dann das Original wählen, wenn „Kenia-Politik“ in der erhofften Weise erfolgreich war – und die AfD, wenn auf dem „Kenia-Kurs“ viel weniger erreicht wurde, als in Aussicht gestellt war.

Allenfalls tiefgreifende Konflikte und Krisen in den von vielen in der Union inzwischen so sehr erwünschten Koalitionen mit den Grünen könnten dieselbe Wirkung haben wie weitere Wahlniederlagen der Union oder ein demoskopischer CDU-Niedergang in SPD-Dimensionen. Nichts von alledem halte ich für an sich gut. Derlei wird bestenfalls ein – leider mit sehr großen Kollateralschäden einhergehendes – Mittel zum eigentlich besser anderweitig zu erreichenden Zweck sein: dazu nämlich, die CDU zum strategischen Lernen aus vergangenen Fehlern zu bringen. Im Rückblick wird dann gefragt werden: Warum nicht gleich so? Und die Antwort dürfte sein: Wer nicht hören will, wird eben fühlen!

Ob es 2020 zum strategischen Lernen der CDU oder gar dazu kommt, vom politischen Sinkflug wieder in den Steigflug zu gelangen, können wir jetzt noch nicht wissen. Alle Erfahrung stimmt aber skeptisch. Und weil ohnehin unser Land und dessen Wohlergehen wichtiger sind als das Schicksal jeder einzelnen Partei, beobachten wir nun am besten aus bequemer Distanz die CDU bei ihrem – aus freien Stücken eingeschlagenen – Weg ins Schicksal der SPD: nämlich beim Verlieren ihrer Basis in der Bevölkerung, beim Zerriebenwerden zwischen ihren Gegnern von links und rechts, und beim Zunehmen der Ratlosigkeit, wie ihrem Abstieg zu einer rein historischen Größe vielleicht doch noch gewehrt werden könne. Nur glaube ich eben nicht, dass Deutschland mit einer schwachen CDU besser dran wäre als mit einer starken Union – und das macht mich auch als Analytiker nicht ganz so gelassen, wie zu klingen ich mich bemühe.

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