Volksveto, Volkseinwand
Ein Dresdner Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte hat vor einiger Zeit meinungsstark, doch uninformiert und im Ergebnis ganz abwegig den Vorschlag des sächsischen Ministerpräsidenten kommentiert, in Sachsen ein fakultatives gesetzesaufhebendes Referendum einzuführen. Worum es wirklich geht, habe ich in einem Beitrag für die Forums-Seite der Leipziger Volkszeitung (LVZ) vom letzten Dienstag (9. Juli 2019) beschrieben.
Vollständiger Dokumentation willen sei angemerkt, dass kurz nach jenem sachlich irreführenden Beitrag eine leitende Redakteurin der Sächsischen Zeitung mich bat, einen die Gegenposition vertretenden Artikel zu schreiben. Der wurde von mir auch prompt der Sächsischen Zeitung zugesandt. Doch seither meldete sich – trotz zweifacher persönlicher Nachfrage per Email – dort jene leitende Redakteurin nicht mehr, welche jenen Text erbeten hatte. Und die Dresdner Neuesten Nachrichten, denen ich den nunmehr in der LVZ publizierten Text ebenfalls angeboten hatte, meinten: Die Debatte um das Volksveto sei doch ohnehin vorbei; allenfalls bei es aufgreifenden Aktivitäten im neuen Landtag wolle man darauf zurückkommen. Ob die Leserschaft der Dresdner Zeitungen also wirklich in der wünschenswerten sachlichen Breite über eine wichtige verfassungspolitische Innovation informiert wird?
Jedenfalls trage ich das mir Mögliche dazu bei und veröffentliche nachstehend meinen in der LVZ erschienenen Text zu diesem wünschenswerten Instrument direkter Demokratie. Weitere einschlägige Texte finden sich auf diesem Blog unter der Kategorie „Volksabstimmungen“.
Hier also mein Text aus der LVZ vom 9. Juli:
Mancherlei Verwirrung stiftete der Vorschlag, dem Staatsvolk nicht nur am Wahltag das letzte Wort zu geben, sondern auch zwischen den Wahlen, nämlich bei der Gesetzgebung. „Gesetzesaufhebendes Referendum“ nennt man das, auch „Volksveto“, bei Sachsens CDU abgeschwächt „Volkseinwand“. Tatsächlich können jetzt schon Gesetze nicht nur vom Landtag, sondern auch durch Volksentscheid beschlossen werden. Allerdings muss dann aus dem Volk ein eigener Gesetzentwurf vorgelegt werden. Wäre es aber nicht eine gute zusätzliche Möglichkeit direkter Demokratie, wenn der Landtag erst einmal seine gesetzgeberische Arbeit erledigte und das Volk anschließend das beschlossene Gesetz zurückweisen könnte – gerade so, wie man das Angebot eines Händlers ablehnt, wenn das unterbreitete Geschäft missfällt?
Genau das ist der Grundgedanke beim Volksveto. In der Schweiz eine Selbstverständlichkeit, funktioniert es so: Das Parlament beschließt – nach öffentlicher Debatte und erforderlicher Kompromissfindung – ein Gesetz; dann kann eine „Antragsinitiative“ in nicht zu langer Frist eine nicht zu geringe Zahl von Unterschriften „gegen das Gesetz“ zu sammeln versuchen; gelingt das, so findet eine Volksabstimmung über dieses Gesetz statt, und zwar mit der einfachen Frage, ob es in Kraft treten soll. Verfassungsmäßig lässt sich regeln, wie ein Gesetz für so dringlich erklärt werden kann, dass es auch vor seiner möglichen Anfechtung durch ein Volksveto in Kraft tritt. Das Haushaltsgesetz wäre vom Volksveto ohnehin auszunehmen.
Klugerweise wird man ein Volksveto nur dann anstreben, wenn ein Gesetz so unplausibel wirkt, dass eine reelle Chance besteht, die nötigen Unterschriften zu sammeln und bei der Volksabstimmung zu gewinnen. Parlamentsmehrheit und Regierung würden sich aber besser als bislang um plausible Gesetze bemühen, wenn sie um das mögliche Risiko eines Referendums wüssten. Machtarrogantes Anregieren gegen eine sich schon während des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens artikulierende (außer-) parlamentarische Opposition zahlte sich dann nicht mehr aus. Und ein auf derlei „Vorauswirkung“ setzendes Instrument direkter Demokratie müsste dann auch gar nicht oft angewendet werden, um dennoch eine andauernd ernsthaftere Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten sicherzustellen.
Wird durch ein solches Volksveto „das politisches System lahmgelegt“? Nein. Werden alle gestaltenden Vorhaben „auf Eis gelegt, bis das Staatsvolk sich seine Meinung gebildet hat“? Auch nicht. Reichen Volksantrag und Volksbegehren wohl schon aus, um Bürgerwünsche aktiv in die Politik einzubringen? Falls das Volk einfach hinnehmen soll, was die gewählte Parlamentsmehrheit will, dann leben wir gewiss in der bestmöglichen repräsentativen Demokratie. Wer aber mehr Volksrechte wünscht, muss wenigstens die Volksgesetzgebung durch Senkung der Antragsquoren leichter nutzbar machen. Und wer es für unfair hält, dem entscheidungswilligen Staatsvolk stets auch die Ausarbeitung von Gesetzen aufzuerlegen, wird zudem für das Volksveto eintreten.
Ist das populistisch? Nein. Vielmehr verbindet man punktgenau die Repräsentation mit der Demokratie. Auch muss das Staatsvolk dann nicht länger eine Protestpartei solange mästen, bis diese eine selbstgefällige Parlamentsmehrheit aufzubrechen vermag. Obendrein entfiele die demagogische Behauptung, das Volk hätte nur am Wahltag etwas zu sagen – und dann keine verbindliche Stimme mehr. Vielmehr gehörte den Repräsentanten stets das erste Wort – dem Staatsvolk aber das letzte Wort, falls man wünscht, es zu ergreifen.
Legt man so „die Axt an unser parlamentarisches System“? Schweizer Politikwissenschaftler grinsten wohl bei dieser Frage und bemerkten dann spöttisch, man wende sich in Deutschland weiterhin mit treuherziger Untertanenmentalität auch gegen Reformen, die risikofrei zu mehr direkter Demokratie führten. Lassen wir also von unnötigem Strukturkonservatismus ab – erst beim Denken, dann beim Handeln!