Vorausschau auf den 19. Deutschen Bundestag
In der letzten Ausgabe der „Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften“ veröffentlichte ich eine ausführliche Kritik der Arbeit des letzten deutschen Bundestages („Der 18. Deutsche Bundestag und die Repräsentationslücke. Eine kritische Bilanz“, in: ZSE 15, 2017, S. 245-285). Sie behandelte dessen unzulänglichen Leistungen bei der Regierungskontrolle und bei der kommunikativen Vernetzung von Bevölkerung und Volksvertretung, würdigte freilich auch dessen Bilanz bei der Gesetzgebung (versäumnisreich bei der Regelung von Zuwanderung und Integration) und der Regierungsbildung (gelungen bis hin zum vom Bundestag unbehelligten Durchregieren). In absehbarer Zeit werde ich diesen Text auch auf meinem Blog zugänglich machen und hier ankündigen.
Nicht als Rückblick, sondern als Vorausschau auf Eigentümlichkeiten des neuen Bundestages und auf Herausforderungen seiner Fraktionen bat mich die „Junge Freiheit“ um einen Leitartikel. Er erschien am 27. Oktober 2017 unter dem von der Redaktion gewählten Titel (samt Untertitel) „Eine neue Republik. Endlich wurde eine Repräsentationslücke geschlossen. Das kann unsere Demokratie nur beleben“. Diesen Text mache ich nun auch hier zugänglich.
Noch ein Wort für jene, die Veröffentlichungen in der „Jungen Freiheit“ für etwas Schlimmes halten. Mein Anspruch in der heutigen Lage eines aufbrandenden und sich verfestigenden Rechtspopulismus geht dahin, jenen mit vernünftigen Argumenten zu begegnen, die sich von rechts her in den politischen Meinungs- und Richtungsstreit einbringen und davon abgehalten werden sollten, sich womöglich gegen unsere politische Ordnung überhaupt zu wenden. Dazu müssen solche Leute meine Positionen aber schon auch – und hoffentlich unübersehbar – zur Kenntnis nehmen können. Und weil nun der übliche Leserkreis der „Jungen Freiheit“ nicht gerade Linke oder Linksliberale umfasst, ist genau diese Zeitung ein vorzügliches Medium zum Hineinwirken in rechte und konservative Diskurskreise.
Mir scheint, dass ich auf diese Weise mehr Einfluss auf Nicht-Linke und Nicht-Mittige auszuüben vermag, als ihn bloßes Reden über sie – statt zu ihnen – einbringen könnte. Wer die Kommunikation mit einem ungeliebten Teil des politischen Spektrums abbricht, muss sich jedenfalls nicht wundern, wenn er diesen Teil bald nicht mehr erreicht. Und wer sich demonstrativ von „schlimmen Anderen“ abwendet, mag zwar seinem Ego als „nur in den besseren Kreisen“ Verkehrender gerecht werden, leistet aber allzu wenig für jene pluralistische Demokratie, die nun einmal gerade vom farbenbunten Streit zwischen jeweils Andersdenkenden lebt. Und was hätten wir Verteidiger unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung eigentlich davon, wenn immer mehr Leute unserem Gemeinwesen innerlich kündigten, unentwegt auf Straßen demonstrierten und in der Wahlkabine Protestparteien starkmachten, nur weil sie den Eindruck gewonnen hätten, andernfalls wolle ihnen niemand zuhören oder die von ihnen empfundenen Probleme aufgreifen?
Im Übrigen habe ich zu jener Zeit, als die PDS noch als Paria-Partei behandelt wurde, öfters auf PDS-Veranstaltungen gesprochen und auch im „Neuen Deutschland“ publiziert. Mir war es damals egal, dass Mittige und Rechte sich darüber aufregten. Heute ist es mir ebenso egal, wenn sich Mittige und Linke spiegelbildlich genauso töricht verhalten wie die Parteigänger des damaligen „juste milieu“. Mir jedenfalls liegt das Leben in Schützengräben nicht; ich bin lieber Parlamentär oder Dolmetscher. Und je giftiger unsere innenpolitische Polarisierung wird, umso mehr braucht es auch gerade diese Rolle.
Hier nun also mein jüngster Artikel für die „Junge Freiheit“:
Anders als sein Vorgänger kann der neue Bundestag ein lebhaftes Parlament werden. Er muss neue Weichenstellungen vornehmen, und natürlich wird er heftig darüber streiten, was wohl gut wäre für Deutschland. Hoffnungsvoll sehen die einen blockadelösenden Jamaika-Zeiten entgegen, mit Sorgen andere den „Nazis im Reichstag“. Gewiss wird es nicht mehr jenes fügsame Parlament der Großen Koalition geben, dessen übergroße Regierungsmehrheit sogar aufbegehrende Abgeordnete verzwergen ließ. Auch keines, das der Kanzlerin ein oppositionsgefälliges Durchregieren erlaubt. Vergangenheit dürfte sein, dass wichtige Entscheidungen – Eurorettung, Migrationspolitik … – ohne scharfe Parlamentsdebatten fallen. Fortan werden zwei zahlen- und meinungsstarke Oppositionsparteien die Bundesregierung von links wie rechts in die Zange nehmen. Das dürfte die Regierung zu besseren Begründungen ihrer Positionen zwingen als der bequemen Behauptung, man handle alternativlos. Kommunikation mit politischen Gegnern und deren Gefolgschaft in der Bevölkerung wird dann wieder nötig, und das ist gut so. Nur aus Kommunikation entsteht ja Legitimation – und somit viel Besseres als jener wütende Systemprotest, den die politisch-journalistische Klasse während der letzten Wahlperiode mästete.
Unsere Demokratie hat am Wahltag gezeigt, dass sie dort zuverlässig funktioniert, wo man ihre Spielregeln kompromisslos einhält. Anders als in Alltagsgesprächen oder bei öffentlichen Veranstaltungen konnte in der Wahlkabine keinerlei Droh- und Ausgrenzungsgehabe verhindern, dass sich die Bürgerschaft frei artikulierte. Sehr viele taten das mit einem Wahlkreuz bei der AfD – gesetzt teils aus Empörung über die etablierten Parteien, teils voller Hoffnung auf eine Wiederkehr einst bewährter Politik. Jedenfalls wurde mit dem Einzug der AfD ins Bundesparlament, gar als drittstärkste politische Kraft, genau jene Repräsentationslücke geschlossen, die der letzte Bundestag hatte entstehen lassen: hin zu jenen Leuten, die sich außerhalb des Geheges politischer Korrektheit artikulieren, und hin zum rechten Rand. Nur Mittige und Linke hatte nämlich die Große Koalition vertreten wollen. Schon Konservative hatten es schwer in der CDU und galten der Kanzlerin, wenn in der CSU öffentlich wirkungsmächtig, als wenig mehr denn lästige Störenfriede aus einem so recht nicht zu Klugdeutschland passenden Landesteil. Wer also vom „juste milieu“ unserer mittigen und dabei linkslustigen politischen Klasse grundsätzlich abwich, und sei es nur entlang praktischer Erfahrungen mit in Sackgassen geratener Politik, den trafen Bannsprüche aus einer von „rechtslastig“ über „rassistisch“ bis „rechtsextrem“ reichende Stabreimkette.
Doch jetzt hilft kein politischer Exorzismus mehr. Im Parlament lässt sich der argumentative Nahkampf mit politischen Gegnern nicht länger vermeiden. Um dabei zu siegen, reichen aber Empörung und Polemik nicht aus. Die etablierten Parteien haben das am Wahlabend erlebt, in Sachsen mit Entsetzen. Doch Ähnliches steht auch der AfD im Bundestag bevor. Nur widerzuspiegeln, was in ihren Wählerkreisen da an bislang parlamentarisch unartikulierter Politikkritik und Politikerverachtung wabert, wird nicht genügen, um die neue Regierungskoalition „zu jagen“. Es muss schon mit Sachkunde und stimmigen Argumenten aufgebessert werden, was da politisch konkurrenzfähig werden will – und sich bald bei den kommenden Landtagswahlen evaluieren lassen muss. Tatsächlich setzt gerade ihr Wahlerfolg die AfD im Bundestag unter größeren Beobachtungs- und Leistungsdruck denn je. Sollte sie es schaffen, vom ihr bislang so bekömmlichen Wahlkampfmodus auf den parlamentarischen Betriebsmodus kompetenter Sachpolitik umzuschalten, dann könnte sie sich dauerhaft als Partei rechts der Union etablieren. Sie nähme dann jenen Platz ein, den die CDU – entgegen vielen Warnungen – aus argumentativer Bequemlichkeit, auch aus politischer Feigheit aufgegeben hat. Blamiert sich die AfD aber im Bundestag, dem „Resonanzboden des öffentlich Zumutbaren“, dann hat sie ihre besten Tage bald hinter sich. Eben das ist der Scheideweg, vor dem diese Partei jetzt steht, und den ihre ehemalige Vorsitzende so öffentlichkeitswirksam markierte.
Doch an einem Scheideweg steht auch unser Land insgesamt, und zwar nicht nur bei der Migrations- und Integrationspolitik, der Europa- und Sicherheitspolitik, der Energie- und Sozialpolitik. Wenn es nämlich gelänge, die Jamaika-Koalition, auf dies es wohl hinauslaufen wird, nicht nur zu bilden, sondern auch jahrelang arbeitsfähig zu halten, dann wäre für die politische Kultur unseres Landes sehr viel gewonnen. Bislang verhielten sich FDP und Grüne ja oft wie Hund und Katze, und zwischen den meisten Grünen und weiten Teilen der Union gab es ein Verhältnis tiefer wechselseitiger Verachtung. Könnten diese Parteien aber zu einem redlichen Arbeitsverhältnis gelangen und einander dasjenige gönnen, was der jeweiligen Anhängerschaft wichtig ist, so löste das die deutsche Innenpolitik aus vielerlei unguten Blockaden. Zweifellos nützte unserem Land die Verbindung einer realistischen Migrations- und Integrationspolitik mit einer wirklich nachhaltigen Energiepolitik sowie einer Steuerreform, die der gesellschaftlichen Mitte sowie allen Familien diente. Natürlich muss über das alles gestritten werden, im Großen wie im Kleinen, doch hoffentlich ohne jenen Überschuss an Hysterie, der in den letzten Jahren Deutschlands politisches Klima vergiftete. Das aber kann genau dann gut gehen, wenn sich alle an die bewährten Spielregeln des Parlamentarismus halten. Solches wird man von unseren Abgeordneten aber doch verlangen dürfen.
Bildquelle: https://www.google.de/search?q=19.+deutscher+bundestag&rlz=1C1NIKB_deDE570DE570&tbm=isch&source=lnt&tbs=isz:l&sa=X&ved=0ahUKEwjxhJL2zp_XAhXM2aQKHao9BQoQpwUIHQ&biw=1536&bih=711&dpr=1.25#imgrc=Kjg3zQF7OhUnmM: