Ein Debakel mit Ansage: die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern

Ein Debakel mit Ansage: die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern

Die gestrige Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zeitigte bei den einen Triumphgefühle, bei vielen anderen Katzenjammer. Für einen Beobachter des politischen Spiels, der sich aufs Lesen der „Zeichen an der Wand“ (Daniel 5, 1-30) versteht, geschah freilich nichts Unerwartetes.

Da ist rechts neben der CDU, und als deren Konkurrentin, nun wohl endgültig eine neue politische Partei mit demokratischer Legitimation großgeworden, was – Vorsicht: Ironie! – ein innenpolitisches Meisterstück der CDU-Vorsitzenden darstellt.

Da geschah aber viel mehr als nur die Schließung der Repräsentationslücke zwischen der Mitte und dem rechten Rand. Denn die bisherigen Wählerwanderungsanalysen zeigen: Die AfD hat nicht nur viele bisherige CDU-Wähler (und den größten Teil der früheren NPD-Wähler) angezogen, sondern besonders stark auch bisherige Nichtwähler – und in sehr bemerkenswertem Umfang auch Wähler von Linker und SPD. Das erzwingt eine Korrektur bisheriger Deutungen des Sinkens der Wahlbeteiligung im Sinn von „Den Leuten geht es zu gut!“ oder „Teile des Volks lassen die Demokratie im Stich!“. Seit dem Auftreten der AfD steigt nämlich die Wahlbeteiligung wieder, besonders deutlich jetzt in Mecklenburg-Vorpommern und zuvor in Sachsen-Anhalt. Anscheinend gehen viele genau dann nicht zur Wahl, wenn sie unter den konkurrierenden Parteien kein Politikangebot finden, das sie annehmen wollen. Insofern macht der Aufstieg der AfD mitsamt dem Anstieg der Wahlbeteiligung deutlich, dass die Repräsentationslücke unserer repräsentativen Demokratie noch viel umfassender war, als sie in der Rede von der „mangelnden Integrationskraft der Union hin zum rechten Rand“ erscheint: Das etablierte Parteiensystem deckte, in Verbindung mit dem ihm symbiotisch verbundenen Mediensystem, nicht mehr die reale Meinungs- und Interessenverteilung in der Bevölkerung ab.

Die übliche Korrektur eines solchen Zustands ist, unter den Bedingungen von Demokratie und freien Wahlen, stets das Aufkommen von Populismus. Es stellt sich dann eine – irgendwann nicht länger vernachlässigbare – Minderheit der Bevölkerung gegen die politische Klasse, und zwar im Gefühl von „wir hier unten“ gegen „die dort oben“. Es braucht dann freilich eine Partei und Parteiführer, die diesem Gefühl Ausdruck verleihen – und zwar gerade so, dass jene sich nicht für diese Partei fremdschämen müssen, die ihren Empfindungen und Interessen von dieser Partei und ihren Spitzenpolitikern politische Resonanz verschafft sehen.

Republikaner, DVU und NPD versagten in dieser Rolle völlig – die letzteren beiden, weil sie völlig klar den rechtsradikalen Schmuddelbereichen angehörten, und die Republikaner, weil sie erfolgreich als diesem Schmuddelbereich zugehörig hingestellt wurden. Obendrein korrigierten Union und SPD damals jene Asylpolitik, welche die Republikaner mästete.

Hingegen ist die AfD ist inzwischen, wenngleich nicht ohne parteischädigenden Streit und skandalöse bzw. skandalisierte (Sprech-) Handlungen einzelner AfD-Mandatsträger, zu einer solchen Partei geworden. Mittlerweile dient sie das Sammelbecken all jener, die mit der etablierten politisch-medialen Klasse unseres Landes unzufrieden sind, weil diese, so die – falsche oder richtige – Ansicht von AfD-Anhängern, unser Land in eine falsche Richtung und in eine ungute Zukunft führe. Eben deshalb vereinte sich auch die gesamte etablierte politisch-mediale Klasse im Abwehrkampf gegen diese wuchtige Infragestellung ihrer bisherigen politischen Leistungen, und zwar bis hin zur Beschädigung unserer repräsentativen Demokratie durch gedankenlose Ausgrenzerei und mit stiller Freude betrachteter Gewalttätigkeit gegen Plakate, Büros und Politiker der AfD.

Nicht zu Unrecht wird die AfD im Bereich des Rechtspopulismus verortet. Ohnehin schob die politisch-mediale Klasse – eine traditionelle Kampfstrategie anwendend – schon die liberale Lucke-AfD in die Ecke des Rechtspopulismus, was sich im Nachhinein als Auftrieb verschaffende Wahlwerbung unter politisch Rechtsstehenden erweist. Doch immer deutlicher wird, dass bei der AfD rechts- und linkspopulistisches Gedankengut ziemlich nahtlos ineinander übergehen. Eher rechts ist die Kritik am Wandel der Eurozone zu einer Transferunion sowie an einer Einwanderungspolitik, die – durch Tun oder Lassen – auf das Entstehen einer multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft in Deutschland ausgeht. Schon nicht mehr allein rechts ist die Kritik an der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland. Und klar links ist die Ablehnung westlicher Militärinterventionen, transatlantischer Freihandelsabkommen sowie der Globalisierung und ihrer sozialpolitischen Folgen.

Eben deshalb verfing die konventionelle deutsche Abwehrstrategie gegenüber dem Rechtsradikalismus (oder was dafür gehalten wird) im Fall der AfD nicht. Allzu sehr geht es nämlich sowohl am Sein dieser Partei als auch am Bewusstsein ihrer Sympathisanten und Wähler vorbei, sie schlicht als Bande von Rassisten, Rechtsradikalen, ja Neonazis auszugeben sowie zu behandeln. Solches eher gutgemeinte als gutgetane Verhalten stärkte nur in breiten Bevölkerungsschichten die Empörung über eine unter Druck geratene, sich nun aber nicht auf Selbstkritik einlassende, sondern in wehleidiger Selbstgerechtigkeit ergehende politische Klasse.

Hellsichtige Beobachter erkannten denn auch frühzeitig, dass diese ganz kontraproduktive Strategie schon in den politisch ebenso ungeschickten Reaktionen auf PEGIDA vorgezeichnet wurde. Tatsächlich war PEGIDA nur der über Dresden hinaus wenig standfeste Vorbote dessen, was sich nun nachhaltig über die AfD vollzieht: Macht wächst jenen zu, welche die deutsche Politik aus ihrer bislang als alternativlos behaupteten Bahn eines „Immer weiter so!“ auf wichtigen Politikfeldern zu verdrängen versprechen – bei einer Einwanderung vor allem im Interesse von Geflüchteten, nicht des Aufnahmelandes; beim Wandel Deutschlands zu einer multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft; bei immer mehr europäische Supranationalität; bei der Übernahme einer (auch militärisch abgestützten) Mitspielerrolle in der Weltpolitik; oder bei der Aufgabe traditioneller Familienstrukturen.

Das Verstehen dessen, was derzeit in Deutschland geschieht, ist ebenso ein vorangehender Prozess von Versuch und Irrtum wie das Schicksal der AfD und die Politik unseres Landes. Für Politikwissenschaftler sind das spannende Zeiten. Doch besser wäre es wohl, wir wären nicht in solche Spannungen geraten, die zu überwinden uns noch viel Kraft kosten wird.

 

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Zur Abrundung füge ich noch zwei Interviews von gestern bei:

1) In gleich mehreren deutschen Zeitungen (etwa: http://www.nwzonline.de/i…/debakel-mit_a_31,1,357251256.html) erschien das folgende Interview, das ich nach Bekanntwerden der Ergebnisse mit einem Berliner Journalisten führte:

Debakel mit Ansage

Frage: Herr Patzelt, die CDU landet hinter der AfD. Welches Signal geht von der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern aus?

Patzelt: Es ist ein Misstrauensvotum gegen Angela Merkel und die CDU. Die Union hat es zugelassen, dass rechts von ihr mit der AfD eine neue, unzweifelhaft demokratisch legitimierte Kraft entstanden ist. Auf diese Weise hat sich die CDU in die gleiche missliche Lage gebracht wie die SPD damals beim Aufkommen der Grünen und später der Linkspartei. Für die CDU ist besonders schlimm, dass es sich um ein Debakel mit Ansage handelt. Seit Jahren haben viele die Union davor gewarnt, den rechten Flügel des Wählerspektrums sich selbst zu überlassen.

Frage: Worauf führen Sie das starke Abschneiden der AfD zurück?

Patzelt: In Mecklenburg-Vorpommern ist die AfD eine breitbandige Protestpartei. Sie sammelt jene, die mit der politisch-medialen Klasse unzufrieden sind. Der Kristallisationspunkt ist die Einwanderungs-, Flüchtlings- und Integrationspolitik. Obendrein bündelt die AfD vielerlei sonstigen Missmut. Dabei geht es nicht nur um rechte, sondern auch um linke Grundempfindungen. Skepsis hinsichtlich der Sanktionspolitik gegenüber Russland und die Ablehnung von Freihandelsverträgen spielt ebenso eine Rolle wie Kritik an der Globalisierung. Auch hat die AfD mit Leif-Erik Holm einen vergleichsweise gemäßigten Spitzenkandidaten.

Frage: Welche bundespolitischen Auswirkungen wird die Wahl haben?

Patzelt: Richtig wäre es, wenn die CDU dieses Wahlergebnis selbstkritisch auswertete. Ein Jahr vor der Bundestagswahl wird es dazu aber wohl nicht kommen, denn inzwischen ist der Kurs der CDU nur noch unter großen Begleitschäden korrigierbar. Die Kanzlerin hat sich in der Flüchtlingspolitik festgelegt. Würde sie offen von ihrem Kurs abweichen, wäre das ein Verrat an vielen trotz aller Wendungen und Widersprüche Getreuen. Und Glaubwürdigkeit ist bei denen, die jetzt zur AfD übergegangen sind, ohnehin nicht mehr zu gewinnen. Die CDU hätte gut daran getan, die Warnungen der vorangegangenen Wahlen nicht selbstgefällig zu ignorieren. Doch Hochmut kommt vor dem Fall.

 

2) In etlichen Schweizer Zeitungen (u.a. in http://www.basellandschaftlichezeitung.ch/…/afd-ueberfluege…) erschien das nachstehende Interview vom gleichen Abend:

Der Dresdner Politikprofessor Werner J. Patzelt macht Kanzlerin Angela Merkel für den Höhenflug der AfD verantwortlich.

Werner J. Patzelt, ausgerechnet in Mecklenburg-Vorpommern, der politischen Heimat von Bundeskanzlerin Angela Merkel, fällt die CDU unter die 20-Prozent-Marke und wird von der Alternativen für Deutschland (AfD) überflügelt. Ist das ein Votum gegen die Kanzlerin?

Werner J. Patzelt: Das war für die CDU ein Debakel mit Ansage. Es rächt sich, dass die Union zu selbstgefällig war, um bis zum rechten Rand hin integrierend zu wirken. Die Uneinsichtigkeit beim sturen Festhalten an der fehlerhaften Flüchtlingspolitik der Kanzlerin hat dann als Kristallisationspunkt gewirkt, dass so viele Leute der Union innerlich gekündigt haben.

Frage: Welche Konsequenzen hat das historisch schlechteste Resultat für die CDU in Mecklenburg-Vorpommern für die Kanzlerin?

Werner J. Patzelt: Das gestrige Resultat ist die Quittung für – ironisch gesprochen – eine politische Meisterleistung: Die CDU-Vorsitzende hat es sehenden Auges geschafft, rechts der eigenen Partei eine demokratisch legitimierte Konkurrenzpartei gross werden zu lassen. Hochmut kommt vor dem Fall, lautet dazu das passende Sprichwort. Gleichwohl wird die Kanzlerin den Bettel nun nicht einfach hinwerfen können. Es gibt in der CDU nämlich niemanden, der ebenso erfolgreich als Kanzlerkandidat auftreten könnte wie Frau Merkel. Infolge dessen wäre ein Rückzug der Kanzlerin als Spitzenkandidatin bei der nächsten Bundestagswahl eine Art Fahnenflucht.

Frage: Sie gehen also davon aus, dass Angela Merkel für eine vierte Amtszeit kandidieren wird?

Werner J. Patzelt: Darauf würde ich wetten – aber ich kann auch nicht ins Herz von Frau Merkel blicken.

Frage: Die SPD hat ihren Spitzenplatz gefestigt, im Vergleich zu den letzten Wahlen aber ebenfalls verloren. Beide Parteien, die in Schwerin im Landtag und in Berlin auf Bundesebene die Regierung bilden, mussten also Federn lassen.

Werner J. Patzelt: Wir werden erst in den nächsten Tagen wissen, weshalb SPD, Linkspartei und CDU im Einzelnen verloren haben. Es macht vor allem einen Unterschied, ob wir ein allgemeines Durchsickern von Wählern nach rechts haben – also von der Linkspartei zur SPD, von der SPD zur CDU und von der CDU zur AfD – oder ob wir von allen Parteien ein Abwandern zur AfD registrieren. Im ersten Fall würden wir sagen: Durch die AfD wird eine Lücke am rechten Rand geschlossen. Im zweiten Fall: Es ist eine das bundesdeutsche politische System ablehnende Partei entstanden. Das wäre für die Politik in Deutschland natürlich wesentlich bedrohlicher.

Frage: Was ist Ihre Einschätzung?

Werner J. Patzelt: Die zentrale Empfindung der Wähler der AfD ist: Die politische Klasse ist abgehoben von der Bevölkerung, folglich gehört sie abgewählt. Das Flüchtlingsthema, das auch in Mecklenburg-Vorpommern den Wahlkampf dominierte, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Davor schon haben sich die Wähler von den etablierten Parteien entfremdet, etwa als die Euro-Zone schleichend in eine Transferunion verwandelt wurde.

Frage: Die AfD sitzt nun in 9 von 16 Landesparlamenten und wird durch den gestrigen Erfolg weiter gestärkt. Wie wird die Partei die Politik Deutschlands beeinflussen?

Werner J. Patzelt: Falls die AfD sich nicht durch Führungsstreit und törichte rechtsradikale Positionierungen selbst besiegt, ist davon auszugehen, dass die AfD in den Bundestag einziehen und sich dauerhaft als demokratisch legitimierte Partei rechts der Union etablieren wird. Dann geschieht unter Merkels Führung das, wovor der frühere bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauss stets gewarnt hatte: dass sich rechts der Union eine neue politische Kraft festsetzt.

Frage: Die AfD hat im Wahlkampf offen auch um bisherige Wähler der NPD geworben und damit am äussersten rechten Rand nach Wählern gefischt. Verleiht ihr das nicht per se das Etikett der Nichtwählbarkeit?

Werner J. Patzelt: Dazu eine Vorbemerkung: Die Linkspartei war immer wählbar, obwohl in ihren Reihen Kommunisten sind und Linksradikale die Partei wählen. Es ist nämlich ganz normal, dass eine Partei am Rand in ihrem politischen Spektrum bis weit in den Narrensaum hinein integriert. Die rechtsradikale NPD kommt in Mecklenburg-Vorpommern aber immer noch auf 3 Prozent Wähleranteil. Es ist nicht so, als ob die AfD einfach die Fortsetzung der NPD wäre.

Frage: Ein Wort zur SPD. Die Genossen holen mehr als 30 Prozent, die CDU rutscht unter 20. Stärkt das die Sozialdemokraten auch auf Bundesebene, wo die SPD fast aussichtslos hinter der Union rangiert?

Werner J. Patzelt: Die SPD wird sich jetzt Mut zusprechen. Aber bundesweit rangiert die CDU immer noch weit vor der SPD. Falls die AfD tatsächlich einen weitverbreiteten Protest gegen die bundesdeutsche Elite ausdrückt, wird die SPD davon ebenfalls betroffen sein.

 

Bildquelle: http://tagesschau.istmein.de/nachrichten/landtagswahl-in-mecklenburgvorpommern-afd-erreicht-fast-21-prozent

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