Zu den Wahlen in Sachsen und Thüringen

Zu den Wahlen in Sachsen und Thüringen

Deutschland auf der Suche nach dem richtigen politischen Weg.
Was die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen politisch bedeuten

Zwar fanden gestern in Sachsen und Thüringen nur Regionalwahlen statt. Doch ihre, auf Beteiligung von rund drei Viertel der Wählerschaft gestützten Ergebnisse bundesweit wichtig. Ihre zentralen Ergebnisse sind: Die AfD ist zwar mit über 30 Prozent trotz aller Ausgrenzungsversuche sehr stark, findet aber keinen Partner zum Regieren; die CDU wurde nur in Sachsen knapp zur stärksten Partei und muss in Koalitionen weiterhin – zum eigenen Schaden – mitte-links Politik betreiben; die drei Berliner Regierungsparteien wurden mit zusammen rund 10 bis 13 Prozent zu einer kleinen Minderheit; die Linke wurde dadurch ruiniert, dass sie ihre migrationspolitischen Realisten zur Gründung des BSW als eigener Partei getrieben hat; und junge Wähler sind nicht mehr grün-links, sondern rechts. 

Anders als sonst entscheiden diese Wahlen keine politischen Streitfragen oder wirkten wie ein reinigendes Gewitter. Bestenfalls machten sie klar, worin die großen strategischen Fehlentscheidungen von Deutschlands Parteien während der letzten Jahre bestanden. Und sie lassen ahnen, zu wie üblen Folgen das Treibenlassen ignorierter Probleme noch führen wird. In zehn Punkten lässt sich zusammenfassen die politische Bedeutung der Wahlergebnisse zusammenfassen.

Erstens wurde bestätigt, dass die Ampelregierung Politik klar an den Wünschen der ostdeutschen Bevölkerung vorbei betreibt. Die Ampel-Parteien erreichten nämlich in Sachsen und Thüringen sogar zusammen weniger als ein Drittel jener Stimmenanteile, die jeweils AfD und CDU für sich allein errangen. So dramatisch wird es in Westdeutschland bei den kommenden Bundestagswahlen zwar nicht kommen. Doch wie seit Jahren zeigt sich im viel weniger stabilen Ostdeutschland, was an Wandel auch auf den Westen zukommen wird. 

Zweitens ist nun offensichtlich, wie nachteilig es sich für die Union auswirkt, dass sie durch die – von Linken, Sozialdemokraten und Grünen lautstark unterstützte – Migrationspolitik der eigenen Kanzlerin die AfD so groß werden ließ. In der Hoffnung, man könne vom Stimmkreuz für die AfD vor allem durch eine Verleumdung dieser Partei als nichts weiter als einer Horde von Nazis abhalten, wurde viel zu wenig zur Lösung des Migrationsproblem getan – und unternahm man gleich gar nichts, um immer mehr ehemalige Unionswähler samt früheren Nichtwählern vom Abwandern zur AfD aufzuhalten. Jetzt ist die Union weithin zu schwach für Koalitionen mit nur einer einzigen anderen Partei geworden. Deshalb verliert sie immer mehr ihr einst recht klares Profil und wird nun in Sachsen und in Thüringen in Koalitionen gezwungen, die vor fünf, sechs Jahren noch als ganz undenkbar gegolten hätten.

Drittens wurde die unkontrollierte Zuwanderung nach Deutschland nun endlich als „Mutter aller innenpolitischen Probleme“ erkannt. Korrekturen werden erst recht von inzwischen fast allen Parteien verlangt, seit immer neue Untaten durch Migranten sich nicht mehr medial als Einzelfälle abtun lassen, die bloß von Rechtsradikalen aufgebauscht werden. Sogar klar linke Deutsche, die für BSW stimmten, unterstützen nun stakr jene migrationspolitischen Ziele, mit denen sich jahrelang nur die AfD in die Öffentlichkeit wagte. Vor der kommenden Bundestagswahl wird sich das Migrationsthema jedenfalls noch weniger aus dem Wahlkampf heraushalten lassen als bei den jetzigen Landtagswahlen. Vielmehr wird sie zu einer Art Volksabstimmung über Deutschlands Migrationspolitik werden.

Viertens könnte nun auch die AfD erkennen, dass sie ihre Stärke allein ihren populären politischen Positionen verdankt, nicht aber vor allem jenen radikalen und gar demagogischen Tonfällen, mit denen so viele AfDler ihre Sache vertreten. Auch als Wahlsiegerin bleibt die AfD nämlich ohne Regierungsmacht, weil sie allzu viele Gründe dafür geliefert hat, dass niemand mit ihr ein Bündnis einzugehen gedenkt. Solange die AfD sich nicht zu einem glaubwürdigen Koalitionspartner der Union wandelt, wird sie jedenfalls für Anti-AfD-Bündnisse Anlass geben. Hoffnungen auf eine absolute Mehrheit sollte sie allmählich als wenig realistisch aufgeben.

Fünftens merkt die CDU, dass die von ihr zum Schutz vor linken Angriffen gegen rechts hochgezogenen „Brandmauern“ nunmehr zu Gefängnismauern geworden sind, mit denen Deutschlands Linke nun noch jahrelang die Union einschließen kann. Denn angesichts des Aufstiegs der AfD und Abstiegs der CDU bewirken diese Mauern im Wesentlichen, dass die Union künftig nur noch mit Parteien links von sich koalieren kann. Die starke rechte Bevölkerungsmehrheit in Deutschlands wird deshalb weiterhin nicht durch eine Mitte-rechts-Regierung repräsentiert werden, sondern durch die Politiken von Mitte-links Regierungen provoziert. Das aber vergrößert den Riss zwischen dem Volk und seiner Regierung, fördert populistische Polemik, stärkt die AfD und schwächt die Union.

Sechstens beginnen die nun Grünen zu ahnen, dass ihre Politikziele zunächst an der Wirklichkeit und sodann an den Wählerwünschen zerschellen, sobald sie von unverbindlichen Visionen zu konkreten Rechtsvorschriften werden. Vielleicht kommen deshalb grüne Wandlungsprozesse in Gang wie in den 1950er Jahren bei der SPD, als sie Bundestagswahlen immer wieder gegen die Union verloren hatte. Dann endlich machte sie ihren Frieden mit sozialer Marktwirtschaft, Westintegration und Wiederbewaffnung, stellte sich als „moralisch bessere“ CDU auf und übernahm wenige Jahre nach dem weichenstellenden Godesberger Parteitag von 1959 tatsächlich Regierungsmacht. Gehen die Grünen keinen solchen inhaltlichen Reformweg, dann werden sie verkümmern wie die FDP. Und auch die SPD sollte sich an den Gedanken machen, nur neuerliche Politikkorrekturen nach „Godesberger Art“ könnten sie wieder nach oben bringen.

Siebtens zeigt das rasche Aufkommen des BSW, wie verzweifelt ein Großteil der Wählerschaft mit den etablierten Parteien ist, von denen sie ihre Sichtweisen und Wünsche nicht aufgegriffen empfinden. Ganz untypisch für deutsche Parteistrukturen entstand, wie einst bei Macron zur Präsidentschaft tragenden Bewegung „La république en marche“ eine charismatische Einzelperson herum eine neue Partei. Die Migrations- und die Friedenspolitik waren jene Thema, um die herum im linken Gefilden eine Repräsentationslücke aufriss, welche vom BSW ebenso wirkungsvoll besetzt wurde wie vor einem Jahrzehnt die rechte Repräsentationslücke um Eurozonen- und Migrationspolitik von der AfD. Dass man offenbar sowohl als Linker wie auch als Rechter eine eher vernunft- als emotionsgeleitete Migrationspolitik wünschen kann, mag vielleicht dazu beitragen, dass auch in Deutschland die Migrationsthematik nicht länger als moralisch zu behandelnder Unterfall des Rassismusproblems behandelt, sondern als politisch zu lösende Herausforderung erkannt wird.

Achtens ist die Zeit vorbei, in der „jung“ und „links bzw. grün“ wie zusammengehörig wirkten. Wie schon bei der Europawahl schnitten unter den jungen Wählern AfD und CDU am besten ab. Junge Leute bekommen an den Schulen und in ihren Ausbildungsbetrieben die Wirklichkeit der multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft mit – und sie schätzen sie viel weniger als jene Minderheit, die in der linksgrünen Echokammer sozial- und geisteswissenschaftlicher Universitätsfächer ebenso an ihre Wunschwirklichkeit glaubt wie die SED-Anführer einst in Wandlitz. Büßt ein Komplex politischer Visionen aber erst einmal seine Attraktivität bei jungen Leuten ein, so gehen die Zeiten kultureller Hegemonie immer schneller vorbei. Die neue, woke Jugendbewegung hat ihren Höhepunkt wohl hinter sich.

Neuntens mag zwar die begonnene Umschichtung des deutschen Parteiensystems trotz der Transaktionskosten einer nun zu verändernden Bündnisbildung neue politische Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Doch die grundlegenden politischen Meinungsunterschiede bei der Wirtschafts-, Sozial-, Renten-, Energie-, Umwelt- und Militärpolitik dürften sich dabei so schnell nicht auflösen. Womöglich gelingt einem künftigen Bundeskanzler eine Befreiungsaktion wie einst dem SPD-Kanzler Schröder mit den Agenda 2010-Reformen. Sie machten vor gut zwanzig Jahren Deutschland vom „kranken Mann“ Europas zu wirtschaftlichen und politischen Kraftwerk dieses Kontinents. Doch auf allzu vielen Gebieten befindet sich Deutschland nun in einem üblen Zustand, etwa vom Bildungssystem über die technische Wettbewerbsfähigkeit bis zum wirkungsvoll geförderten Zusammenhalt als Staatsnation. Deshalb markieren Landtagswahlergebnisse von 2024 wohl eher den Beginn einer erst noch zu bewältigenden Politikkrise als deren Übergang zu neuer Normalität.

Zehntens sind das alles keine guten Nachrichten für Deutschlands Nachbarn und Partner in der EU. Weiterhin wird eine umsichtige, gemeinwohldienliche deutsche Führungsrolle wenn schon nicht ohnehin fehlen, so doch nicht durch gute Politikergebnise im eigenen Land beglaubigt sein. Daran sind deutsche Regionalwahlen zwar nicht schuld. Doch deren Ergebnisse sind weitere Alarmsignale für sie vieles, das in und mit Deutschland im Argen liegt.

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