Migrationspolitik im Sondierungspapier
Man traut seinen Augen nicht, wenn man liest, was im Einigungspapier der Sondierungsgruppen von CDU, CSU und SPD auf S. 19-22 zur Migrationspolitik steht. Die dort in Aussicht gestellte Politik erfüllt klar die Forderungen der CSU, eines nennenswerten Teils der CDU sowie – igitt igitt – der AfD, ja bereits der PEGIDA-Demonstranten von 2014/15. Was damals also in großem Einvernehmen zwischen politischer Klasse und politischer Öffentlichkeit hingestellt wurde wie eine Ausgeburt politisch dummer, rechtswidriger, inhumaner, chauvinistischer und rassistischer Phobien soll nun anscheinend Regierungspolitik werden.
Warten wir aber ab, ob die SPD-Basis diese Vereinbarungen überhaupt akzeptieren wird – oder ob die neue „große“ Koalition doch noch ihren Geburtsvorgang nicht überlebt.
Falls diese Koalition allerdings kommt und die im Einigungspapier vereinbarte Migrationspolitik tatsächlich umsetzt, wäre zweierlei festzuhalten.
Erstens: Unsere Demokratie funktioniert wirklich – denn über das Ergebnis freier Wahlen (und zuvor von Parteien- und Programmkonkurrenz) wurde der politischen Klasse eine Politikkorrektur aufgezwungen, die ein Großteil der schon länger im Land Lebenden seit langem wollte, gegen die sich der größte Teil unserer Politikerschaft aber nicht nur mit Händen und Füßen, sondern auch mit Verunglimpfungen des politischen Gegners gewehrt hat.
Und zweitens: Wieviel politische Verbohrtheit und Ideologiefixierung prägt wohl wichtige Politiker, wenn sie nun – nach Verursachung riesigen politischen und menschlichen Schadens – eben doch eine Politik machen, die immer schon sachlich vernünftig gewesen wäre, von ihnen aber so lange als unmenschlich und in jeder Hinsicht unmöglich diffamiert wurde?
Und weil Hoffnung besser tut als Sarkasmus, hoffen wir nun eben, dass die GroKo auf SOLCHER Grundlage kommt und dann auch wirklich bei unserem zentralen innenpolitischen Problem genau das tut, was sie zu versprechen begonnen hat!
Hier ist der Link zum Einigungspapier: http://www.zeit.de/…/2…/Gesamtdokument-Stand-121-1-10-15.pdf
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Angefügt seien noch einige meiner Bemerkungen in jener intensiven Diskussion, die sich gestern nach Veröffentlichung dieses kleinen Textes auf meiner Facebook-Seite entspann:
Zum Schutz der Außen- und Binnengrenzen:
Aus gegebenem Anlass seien den geneigten Kommentatoren nun doch noch ausdrücklich die folgenden Passagen des Sondierungs-Abschlusspapiers zur Kenntnis gegeben:
S. 5: „Wir wollen … die Außengrenzen der EU wirksamer gemeinsam schützen …“
S. 20: „Zur Sicherung der Freizügigkeit innerhalb Europas gehört ein wirksamer Schutz der europäischen Außengrenzen. Dazu wollen wir Frontex zu einer echten Grenzschutzpolizei weiterentwickeln. Bis der Schutz der EU-Außengrenzen effektiv funktioniert, sind Binnengrenzkontrollen vertretbar.“
Gewiss folgt aus einer bekundeten Absicht noch lange nicht deren ernsthafte oder gar erfolgreiche Umsetzung in die Praxis. Wir wollen aber doch festhalten, dass die hier bekundeten Absichten sich sehr von den Behauptungen des Jahres 2015 unterscheiden, wonach man weder die EU-Außengrenzen sichern noch wirksame Binnengrenzkontrollen durchführen könne.
Im Übrigen sei bedacht, dass die Botschaft, Deutschland beende seine permissive Einwanderungspolitik (und zwar mit unangenehmen Folgen für jene, die sich dennoch ohne realen Verfolgungsgrund auf den Weg nach Deutschland machen), sich in den Auswanderungsstaaten wohl ebenso rasch herumsprechen wird wie 2015 die Nachricht, „Frau Merkel hat uns eingeladen und wird alles bezahlen!“. Vieles an Politik funktioniert nun einmal über das Setzen von Anreizen oder Signale der Abschreckung – wobei man, je nach politischer Perspektive, jede Einzelmaßnahme sachlich wie moralisch durchaus eher loben oder eher tadeln kann …
Zur Vertrauenswürdigkeit des „Sondierungspapiers“:
Dieses Papier ist nichts anderes als ein Absichtsbekundungstext. Verbindlicheres wird – falls er denn überhaupt zustande kommt – im Koalitionsvertrag stehen. Und abschließend zu beurteilen ist dann erst die Politik, die gemacht wird – oder auch nicht. Klar ist aber: Falls genau diese migrationspolitischen Absichtserklärungen nicht in praktische und funktionierende Politik umgesetzt werden, bleiben unsere migrations- und integrationspolitischen Probleme ungelöst – und bleibt die AfD auf Erfolgskurs. Und genau das ist ja mein Mantra: Wer eine starke AfD will, braucht nur eine unzulängliche Migrationspolitik zu machen; und wer die AfD zu schwächen wünscht, muss sich vor allem daran machen, das Migrations- und Integrationsproblem zu bewältigen. Genau so sage ich es seit dem Dezember 2014, nachlesbar etwa unter https://wjpatzelt.de/2017/12/11/pegida-einschaetzungen-im-rueckblick/
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Programmatische Konsequenzen sind im Sondierungspapier unübersehbar. Ob wir sie auch in der Praxis erleben werden, können wir jetzt noch nicht wissen. Doch bei Alkoholkranken ist man für jeden Tag dankbar, an dem sie nicht zur Flasche greifen … um den einschlägigen Gedanken bildlich auszudrücken.
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Nun, was im Papier steht, kann jeder nachvollziehen, der Deutsch kann. Was davon konkrete Politik werden wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Warum aber soll man sich nicht über Anzeichen der Abkehr von einem falschen Kurs freuen? Und jene ermuntern, die daran mitwirken, dass ein falscher Kurs korrigiert wird? Mir scheint: Viele freuen sich über falsche Politik so wie Krimigucker über einen üblen Mord – nur mit dem Unterschied, dass es im Krimi um Fiktion, bei der Politik aber um unsere Gesellschaft und ihre Zukunft geht!
Warum sollte man diesen neuen Politikansatz der GroKo überhaupt ernstnehmen?
Die Antwort ist: Wirksamer als alle Argumente sind in der Politik stets Verschiebungen der Machtverhältnisse. Eben zu denen kam es, weil die etablierten Parteien politischen Raum für eine neue Partei brachliegen ließen und diese Partei zum Ausdruck brachte, was der Großteil der politischen Klasse – warum auch immer – nicht ansprechen wollte, einem Großteil der Bevölkerung aber als dringlich zu bearbeitender Problemberg erschien. Fazit: Unsere Demokratie hat exakt so funktioniert, wie unsere politikwissenschaftlichen Lehrbücher ihre Funktionsweise beschreiben.
Zu einer richtigen Migrationspolitik
Bei Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen darf volkswirtschaftliches Kalkül keine Rolle spielen; bei Einwanderern muss es aber so sein. Und beide Arten von Migration sollte man besser nicht so sehr durcheinander bringen, wie das die deutsche politische Diskussion bislang tat.
Was ist unzulänglich – unsere Demokratie oder Merkels Politik?
Merkels Politik war an vielen Stellen falsch: übereilte Energiewende, Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht, „Eurorettung“ auf nicht nachhaltiger Grundlage, Migrationspolitik 2015f. Das wiederum schädigte das Vertrauen in unsere Demokratie; und durch ihr Mitwirken beim Herabsetzen von Kritikern ihrer Politik beschädigte Merkel auch noch den politischen Prozess in unserem Land. Doch dass sie nun in ihrer Macht geschwächt ist, geht gerade auf das Funktionieren (!) unserer Demokratie zurück; und wenn die Parteivorsitzende bzw. Kanzlerin in wohl gar nicht so ferner Zeit zurücktreten wird, dann deshalb, weil der demokratische Willensbildungs- und Wahlprozess sie unter solchen Entscheidungsdruck gesetzt hat. Im hoffentlich erkenntisträchtigen Bild: Auch ein Fernsehapparat ist nicht notwendigerweise deshalb schlecht, weil auf ihm ein schlechtes Programm läuft!
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Ich wüsste nicht, was an meiner Aussage falsch wäre, dass unsere Demokratie funktioniert. Dass Spitzenpolitiker dieser Demokratie politische Fehler machen, ist doch nicht den Institutionen unseres Landes anzulasten. Dass sie aufgrund von durch Wahlen herbeigeführten Machtverschiebungen dann zu Politikkorrekturen angehalten werden können, ist hingegen ein großes Verdienst unseres demokratischen Institutionensystems. Alles nun klar?
Bildquelle: https://www.google.de/search?rlz=1C1NIKB_deDE570DE570&biw=1536&bih=735&tbs=isz%3Al&tbm=isch&sa=1&ei=W9tZWrKqHeH06AT4kJOABQ&q=GroKo+migration&oq=GroKo+migration&gs_l=psy-ab.12…19328.20377.0.23228.5.5.0.0.0.0.145.571.1j4.5.0….0…1c.1.64.psy-ab..0.3.369…0i7i30k1.0.HI__Os-yh9U#imgrc=YlzbCR9IauTN-M: