Ein Austausch von Argumenten zur Einwanderungspolitik
Am 20. 12. 2016 stellte ich auf meiner Facebook-Seite einige systematische Gedanken zum größeren Kontext des Berliner Anschlags auf den Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zur Diskussion. Tags darauf machte ich sie auch unter dem Titel „Was zum Berliner Anschlag zu sagen ist“ auf meinem Blog nachlesbar (https://wjpatzelt.de/?p=1148). Gleich entspann sich mit Herrn Daniel Obermüller eine Diskussion, die vielleicht auch andere interessieren kann. Ich veröffentliche sie aber auch deshalb hier, weil sich mein Beitrag vom 22. 12. aus wohl technischen Gründen nicht als Kommentar auf Facebook stellen lässt. Und vielleicht kann nun der eine oder andere sehen, wie sich eine streitige und ohne Konsens endende Diskussion respektvoll und vernünftig führen lässt. Möge das ein Beispiel für viele sein!
Ausgangspunkt war mein oben verlinkter Text zum Berliner Anschlag. Gleich am 20. Dezember schrieb mit Daniel Obermüller:
1. Es besteht kein Nachweis für eine Kausalität zwischen der aktuellen (und in vielen Dinge auch meiner Meinung nach zu Recht kritisierten) Einwanderungspolitik und dem Anschlag von gestern oder den anderen von Ihnen genannten Begebenheiten. Es ist diesmal noch nicht einmal bekannt, wer der Täter ist und warum er das Attentat begangen hat. Und auch in den anderen Fällen ist nach meinem Kenntnisstand nicht klar, wann und auf welche Art die Täter ins Land gekommen sind.
2. Wenn ich Sie richtig verstehe, sollen die Taten der von Ihnen angeführten Täter Rückschlüsse auf eine verfehlte Einwanderungspolitik zulassen. Sind dann die diversen Familiendramen der letzten Monate ein Zeichen für verfehlte Familienpolitik?
3. Sie deuten an, dass die von Ihnen angeführten Taten neben der individuellen Bestrafung auch ein Umdenken in der Integrationspolitik verlangen würden. Ja, unsere Einwanderungs- und Integrationspolitik ist sicherlich stark verbesserungswürdig – aber nicht, weil solche Taten aus ihr hervorgehen würden, sondern weil sie lediglich ein Symptom bekämpft und keine nachhaltigen Lösungen bietet. Dabei lässt sie viel Leid unter den Menschen zu und spaltet auch noch die Gesellschaft.
Aber dass ein solcher Anschlag daraus resultieren soll, kann ich aus Ihren obigen Anmerkungen ebenso wenig nachempfinden wie aus eigenen Überlegungen herleiten. Hier, finde ich, „schulden“ Sie eine umfangreiche Begründung und plausible Argumente. Auch habe ich nicht in Erinnerung – gern können Sie mich ggf. korrigieren –, dass Sie z.B. eine andere Bildungspolitik infolge von Brandanschlägen auf Asylunterkünfte oder ähnlichen Vorfällen fordern. Warum genügt Ihnen dort augenscheinlich eine Individualstrafe?
4. Wieso glauben Sie, dass eine andere Einwanderungspolitik solche Anschläge verhindern könnte? Finden sich nicht regelmäßig Belege dafür, dass sich auch gebürtige Deutsche radikalisieren, um anschließend z.B. in Syrien für den IS zu kämpfen und danach für Anschläge zurückzukommen?
Auch verstehe ich nicht, wie eine „kontrollierte“ Einwanderung, den radikalisierten Täter abhalten soll.
Ich antwortete noch vor Mitternacht des gleichen Tages:
„Zu 1: Die Auflistung der – auch nur exemplarisch angeführten – Fälle von Köln, Würzburg und Freiburg zeigt klar, dass es während der Zeit fehlender Grenzkontrollen ins Land gekommene Menschen sind, welche die dortigen Übeltaten begangen haben. Wären sie nicht ins Land gekommen, hätten sie auch ihre Taten hier nicht begangen. Nach Deutschland gelangt zu sein, war zwar gewiss keine hinreichende Bedingung für ihr kriminelles Verhalten, sehr wohl aber eine notwendige Bedingung.
Zu 2: Falsches menschliches Handeln gibt es immer. Selten ist die Politik allein – wenn überhaupt – daran schuld. Doch wenn sich empirisch zeigt, dass viele Untaten von während der Zeit der offenen Grenzen ins Land gelangten Migranten begangen worden sind: Gibt es dann wirklich keinen Grund zur Vermutung, die Politik der offenen Grenzen habe etwas damit zu tun, dass diese Leute ihre Untaten in unserem Land begehen konnten? Oder lautet Ihr Argument: Auch Grenzkontrollen hätten die Zahl der ins Land gelangten und inzwischen als Gesetzesverletzer Aufgefallenen nicht verringern können? Dann sollten wir über die Qualität der Ausbildung deutscher Grenzbeamter nachdenken …
Zu 3: Die Verbindung ist ganz schlicht die, dass die deutsche Einwanderungs- und Integrationspolitik ohnehin in vieler Hinsicht fehlerhaft war – und die auffällige Häufung von durch Migranten erfolgende Straftaten nun auch solchen Leuten den dafür Blick schärft, die von solchen Fehlern solange nichts wissen wollten, wie die Debatte um die Risiken einer unkontrollierten Einwanderung eine ganz theoretische war.
Im Übrigen habe ich seit Beginn meiner Tätigkeit im Freistaat Sachsen im Jahr 1991 ein gut ausgebautes Schulfach „Gemeinschaftskunde“ gefordert, dafür auch viel Arbeitszeit eingesetzt, bin aber an der diesbezüglichen Ignoranz und Indolenz der sächsischen Kultusminister gescheitert. Und weil politische Bildung Persönlichkeitsbildung ist, nutzt es wenig, sie wie eine Feuerwehr zur kurzfristigen Brandbekämpfung – etwa nach Brandanschlägen – anzufordern. Es geht hier vielmehr um eine Langfristaufgabe, deren Erfüllung ich auch weiterhin in vielen öffentlichen Aussagen einfordere.
Zu 4: Ich kritisiere jene Politik, die wochenlang jeden ohne Feststellung seiner Personalien ins Land ließ. Lässt man aber weniger ins Land und stellt man außerdem durch Grenzkontrollen (entweder an der EU-Außengrenze oder an den Binnengrenzen des Schengenraums) so gut wie möglich sicher, dass sich unter den ins Land Einreisenden möglichst wenig schon strafauffällig Gewordene befinden, so senkt dies das Risiko, Kriminalität zu importieren. Falls Sie diesen Zusammenhang nicht sehen können, sollten Sie vielleicht die Einreisebestimmungen nach Australien oder in die USA nachschlagen und deren Begründung nachlesen.“
Darauf schrieb Daniel Obermüller am 22. Dezember:
Zu 1. Ich konnte dazu nichts finden, dass die dortigen Täter Menschen waren, die zu dem Zeitpunkt ins Land gekommen wären, als gerade unkontrollierte Einwanderung stattfand. Welche Quellen haben Sie dafür? Können diese Menschen nicht auch davor oder danach eingereist sein. War nicht z.B. der Freiburger Täter schon Jahre zuvor in Griechenland und damit innerhalb der EU auffällig geworden?
Im Übrigen hätten diese Menschen ansonsten womöglich ähnliche Taten an anderen Orten begangen. Wäre es besser gewesen, wenn die sexuellen Übergriffe auf Syrerinnen statt auf Kölnerinnen stattgefunden hätten?
Zu 2.Ein Teil Ihrer Frage beantwortet sich aus meinen Ausführungen zu 1. Daneben stellt sich für mich weiterhin die Frage, ob die offenen Grenzen nicht gleichzeitig eine große Anzahl guter, fleißiger in jedem Fall aber schutzbedürftiger Personen nach Deutschland gebracht haben. Auch all das wäre uns also vorenthalten geblieben. Wollen wir dementsprechend eine Kosten/Nutzen-Rechnung aufmachen? Ich lehne das, denke aber, dass das die logische Konsequenz Ihrer Argumentation wäre. Und folglich verweigere ich auch, ausschließlich die Risiken allein oder in der von Ihnen vorgenommen intensiven Art und Weise zur Rechtfertigung anzuerkennen. Missverstehen Sie mich nicht: Ich bin auch für eine kontrollierte und nach Möglichkeit organisierte Einwanderung, aber nicht, weil ich glaube, dass man Verrückte, Terroristen oder Straftäter deshalb davon abhalten kann, ihr Unwesen zutreiben. Es mag ein Teilaspekt sein, dass man den ein oder anderen erwischt, aber die totale Sicherheit ist eine Utopie und wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit schrecklichen Begleitumständen auf der Freiheitsebene verbunden.
Zu 3. Hinsichtlich dessen, dass die Gemeinschaftskunde in der Schule viel zu kurz kommt, sind wir uns vollkommen einig. Das gilt auch für Ethik in der Interpretation als neutrale, teils philosophische Einordnung von Menschen, Gesellschaft und Religion. Auch wird allzu oft Geschichte als historische Unterrichtung gehalten, anstatt damit Werte, politische Bildung und Lehren aus der Vergangenheit zu ermöglichen.
Allerdings müsste es daneben auch Maßnahmen der politischen Bildung für diejenigen geben, die bisher durch das Raster gefallen sind.
Wir bräuchten eine gesellschaftliche Grundstimmung, die kritisches Hinterfragen nicht als unangemessen und verletzend diskreditiert, sondern deren Bedeutung hervorhebt. Nur so kann man am Ende verhindern, dass eine „gehorsame“ Person nicht vielleicht auch dem Falschen hinterherläuft, weil sie dessen Polemik und Agitation nicht mehr hinterfragt.
All das beantwortet zudem nicht die Frage, wieso wir einerseits wegen der Taten einzelner Terrorristen ausländischer Herkunft ad hoc-Maßnahmen ergreifen und die Taten „deutscher“ Straftäter nur durch Individualstrafrecht bekämpfen sollen.
Alle Statistiken (die leider in den Medien meist nur erwähnt, aber nicht konkret zitiert werden) weisen unter den Flüchtlingen keine höhere Kriminalitätsrate auf als unter den Einheimischen.
Nun könnte man natürlich der allgemeinen Phrase folgen, dass man nur der Statistik vertrauen sollte, die man selbst gefälscht hat; aber sodann wäre das wohl das Ende empirischer Forschung und der Hoffnung, dadurch die Realität besser erfassen zu können. Die Alternative wäre noch, den Medien zu misstrauen, aber ich weigere mich zu glauben, dass wir staatlich in diesem Ausmaß gesteuert werden sollen.
Geht man folglich davon aus, dass diese Statistiken die Realität in den Grenzen des machbaren abbilden, so ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, wieso die beiden Sachverhalte unterschiedlich zu bewerten und zu behandeln sein sollten.
Zu 4. Ich nehme mir nicht die Einreisebestimmungen anderer Länder und deren Begründung zum Vorbild. Warum und Wozu? Soll ich ansonsten auch die Todesstrafe befürworten, weil diverse Bundesstaaten der USA sie anwenden? Nein, ich muss für mich selbst herausfinden, welche Maßstäbe und welche Argumente ich für entscheidungs- und handlungsrelevant halte.
Nach all dem ist für mich klar, dass jedenfalls die Taten Einzelner keine Rechtfertigung für eine schärfere Zugangsbeschränkung nach Deutschland oder Europa sein sollten. Dementsprechend sollte auch bei der Neugestaltung des Asyl- und Einwanderungsrechts dies nicht zur Prämisse erhoben oder dessen Systematik daran ausgerichtet werden. Das kann bestenfalls ein Nebeneffekt sein. Wichtiger sind m.E., dass die Sicherheit aller (!) Beteiligten, also auch der Asylsuchenden, gewährleistet ist. Ebenso muss jede Leistung wirtschaftlich und kulturell tragbar sein, damit Deutschland eine Insel der Hilfe und Zuflucht bleiben kann. Die Zuwanderung muss auch deshalb koordiniert und im Ergebnis kontrolliert erfolgen. Gleichzeitig müssen wir darum kämpfen, dass möglichst wenige Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen.
In diesem Zusammenhang möchte ich die von Ihnen hinterfragte Verantwortlichkeit aufgreifen. Natürlich habe ich keine individuelle Entscheidung getroffen, die den Syrienkrieg verursacht oder verschärft hätte, aber die westliche Welt, insbesondere auch wir Europäer, beuten (einige sicherlich vollkommen bewusst, andere unbewusst) den Rest der Welt aus. Dabei sind wir überheblich, ignorant, selbstgefällig und besserwisserisch. Wir schaffen dabei Armut und Unzufriedenheit und in Folge dessen einen Nährboden für Hass, Radikalismus und Gewalt.
Als weiteren Aspekt möchte ich in den Ring werfen, dass die von Ihnen kritisierte Politik der offenen Grenzen ohnehin der Vergangenheit angehört. Aktuell lassen wir die Leute entweder in der Türkei internieren oder in Griechenland im Elend hausen. All das scheint uns weniger wichtig, als ein in relativen Zahlen betrachtet geringes Risiko für uns selber einzugehen.
In der Gesamtschau finde ich deshalb sehr schade, dass Sie sich ausgerechnet jetzt und mit dieser Begründung dazu haben hinreißen haben lassen, nochmals Ihre Kritik an der Einwanderungspolitik zu erneuern. Ich hoffe, ich konnte jedenfalls meine Sicht verständlich machen, und Sie zumindest zum Nachdenken anregen. Es wäre schade, wenn Sie in dieser Sache Ihre analytischen und politischen Fähigkeiten auf die Unterstützung der Angstverbreitung verschwenden würden. Gerade jetzt wäre es wichtig, dass wir uns das Leben und unsere Werte nicht durch den Aufschrei nach Feindbildern und Sicherheit verbauen lassen.
Meine Antwort vom gleichen Tag war die folgende:
„Zu 1: Ich benutze im Internet Quellen wie SPON, FocusOnline, zeit.de usw., und ihnen meine ich entnommen zu haben, dass die von mir erwähnten Tatverdächtigen bzw. Täter zwischen 2014 und 2016 nach Deutschland gekommen sind. In dieser Zeit, und bis zum Frühjahr 2016, war es in Griechenland und Italien weitgehend Praxis, viele Geflüchtete ohne Fahndungsabgleich, ja oft auch unregistriert, in andere EU-Staaten weiterreisen zu lassen. Eben das ist eine Verfahrensweise, die einem US-Amerikaner oder Australier (um von Russen oder Chinesen ganz zu schweigen) nicht sonderlich vernünftig vorkommt. Mir auch nicht, weshalb ich sie kritisiere. Deswegen plädiere ich für einen wirkungsvollen Schutz der EU-Außengrenzen, und – falls der nicht hinzubekommen ist – für einen wirkungsvollen Eigenschutz der Binnengrenzen im Schengen-Raum. Tatsächlich war das Reisen in (West-) Europa ja auch vor dem Inkrafttreten des Schengen-Abkommens leicht möglich, und die damaligen Grenzkontrollen haben die Lebensqualität allenfalls stundenweise eingeschränkt. Falls nun in der Gegenwart eine Güterabwägung nötig würde, fiele sie bei mir zugunsten auch dauerhafter nationaler Grenzkontrollen aus, nicht aber zulasten der inneren Sicherheit. Andere können das gerne für sich anders entscheiden; und in einer Reihe von Wahlen wird sich dann zeigen, was in Europa zur mehrheitlich befolgten Politik wird. So läuft nun einmal pluralistische Demokratie.
Recht haben Sie damit, dass Leute, die bei uns kriminelle Handlungen begangen haben, diese auch in ihren Herkunftsländern oder sonst wo hätten begehen können. Deutschland ist aber weder die Weltpolizei, die verpflichtet wäre, überall auf der Welt Kriminalität zu bekämpfen, noch ein Resozialisierungsheim für alle möglicherweise Kriminalitätsgeneigten der Erde. Jeder Staat ist vielmehr für Recht und Ordnung auf genau seinem eigenen Territorium verantwortlich; und eben dafür zahlen die Bürger auch Steuern und lassen sich auf Gesetzesgehorsam verpflichten. Also ist es Sache der deutschen Regierung, in ihrem Zuständigkeitsbereich die Kriminalität in engen Grenzen zu halten – und zwar ganz unabhängig davon, ob eigene Bürger oder Zugewanderte kriminelle Akte begehen. Falls nun Syrien Gleiches auf eigenem Staatsgebiet nicht schafft, wie es leider Realität ist, dann ist das zwar schlimm, doch trotzdem kein Grund für Deutschland, sich für alle Syrer zuständig zu fühlen. Pflicht endet nämlich stets an den Grenzen des Könnens. Wir aber sind weder eine Großmacht noch gar eine Weltmacht, sondern haben für einen Einsatz außerhalb unseres Landes nur ziemlich begrenzte Mittel. Und auch innerstaatlich haben wir nur begrenzte, durch die Zuwanderung sehr stark beanspruchte Mittel, deren Grenzen sich rasch zweigen werden, sobald die europäische Niedrigzinsphase zu Ende geht und wir in die nächste Rezession schlittern.
Zu 2: Natürlich hat die Zuwanderung über Asyl- und Flüchtlingsrecht samt Familiennachzug auch viele gute und fleißige Leute nach Deutschland gebracht, die nicht nur ihr Lebensglück hier finden, sondern die auch unser Land gut brauchen kann. Nur ist es die Sache eines Einwanderungsgesetzes (!), die Interessen von Einwanderungswilligen mit den Interessen der Aufnahmegesellschaft zum Ausgleich zu bringen. Das Asyl- und Flüchtlingsrecht aber hat einen anderen Zweck: Bei ihm geht es nicht um den Nutzen des Aufnahmelandes, sondern allein um das Schutzbedürfnis der Geflüchteten.
Ein solches Schutzbedürfnis muss aber auch wirklich bestehen. Es nur zu behaupten, also in Tausenden von jungen Männern umstandslos die „Schwächsten der Schwachen“ zu erkennen, öffnet dem Missbrauch des Asyl- und Flüchtlingsrechts die Tür, führt zur Übernutzung von für wirklich Verfolgte vorgesehenen Ressourcen, und lässt den guten Willen der Aufnahmegesellschaft recht rasch erodieren. Das alles, in vielen europäischen Staaten zu besichtigen, sind keine guten Entwicklungen. Deshalb halte ich es für ratsam, auf wirkungsvolle Möglichkeiten einer Überprüfung der Schutzbedürftigkeit vor einer faktischen Ansiedelung (dank fehlender Abschiebbarkeit!) im Aufnahmeland auszugehen – und eben sicherzustellen, dass Leute ohne Bleiberecht in angemessen kurzer Frist wieder ausreisen. Dass man durch das Wegwerfen von Ausweisen das einfach umgehen kann, lädt nachweislich zum Missbrauch ein und kann bald nur noch ganz Naiven oder allzu Gutgläubigen als „alternativlos“ verkauft werden.
Und natürlich ist „totale Sicherheit“ unmöglich. Schließlich gibt es ja unter den Einheimischen stets auch Verbrecher in beträchtlicher Zahl. Ist es aber wirklich der Weisheit letzter Schluss, der Kriminalität von Einheimischen auch noch die von solchen Zuwanderern hinzuzufügen, die nicht die in einem ordnungsgemäßen Verfahren festgestellte Not nach Deutschland treibt, sondern vor allem die Aussicht darauf, nach selbstermächtigter Einwanderung ihr Leben an den Gesetzen des Landes vorbei zu führen – oder gar der Wunsch, hier die „Ungläubigen“ zu bekämpfen?
Zu 3: Da haben wir völligen Konsens. Prüfen Sie aber, ob Sie die Forderung nach einer „gesellschaftliche(n) Grundstimmung, die kritisches Hinterfragen nicht als unangemessen und verletzend diskreditiert“, auch auf das Denken und Reden von PEGIDA-Demonstranten oder AfD-Wähler beziehen wollen. Eine klare – und systematisch durchhaltbare – Position dazu ist höchst folgenreich für viele Anschlussdiskurse!
Und natürlich gilt das deutsche Recht, soweit auf Aus- wie Inländer anwendbar, für beide Gruppen von Menschen gleichermaßen. Der Unterschied ist nur: Wer in Deutschland lebt oder von Leuten abstammt, die sich seit einer bestimmten Anzahl von Jahren legal in Deutschland aufhalten (ganz gleich, was ihre Staatsangehörigkeit ist), ist nun einmal ein Deutscher. Also jemand, mit dem man – falls er oder sie im Land bleiben will – leben MUSS, und zwar ganz unabhängig davon, ob man das will (wie normalerweise) oder gerade nicht (wie im Fall von Pädophilen und Rassisten). Wer aber weder Deutscher ist noch in Deutschland lebt, den muss man durchaus nicht ohne guten Grund ins Land lassen. Gute Gründe sind aber nur persönliche Schutzbedürftigkeit (samt anschließender Aufnahme nach dem Asyl- oder Flüchtlingsrecht) sowie das Interesse der deutschen Gesellschaft an Einwanderern (dann aber Aufnahme nach einem Einwanderungsgesetz – das wir, leider, bisher nicht haben).
Im Übrigen: Selbst wenn unter den Zugewanderten die Kriminalität nicht größer ist als unter den Einheimischen, fügt die gleiche Kriminalitätsrate den ohnehin schon von den Einheimischen begangenen Verbrechen ja dennoch weitere Übeltaten hinzu. Deren Anzahl ist wiederum umso geringer, je weniger Zuwanderer es gibt. Also hat die absolute Höhe der Zuwanderung auch bei gleichen Kriminalitätsraten von Ansässigen und Zuwanderern sehr wohl einen Einfluss auf die Anzahl von nicht wünschenswerten Taten. Diese zusätzliche (!) Kriminalitätsbelastung kann man zwar für unerheblich oder für schlicht unvermeidlich erklären. Doch wenn ein nennenswerter Teil der Aufnahmegesellschaft das gerade nicht glaubt, hat das eben Einfluss auf das – sich freien Wahlen verdankende – Aufkommen und Mächtigwerden von Protestparteien. Also handelt es sich hier um keine Zusammenhänge der Art, auf die bloßes Zuschauen eine angemessene Reaktion wäre.
Zu 4: Hier stimmen wir weitestgehend überein.
Zur Schlussbemerkung: Ich habe mich nicht „hinreißen“ lassen, meine lange schon vorgetragene Kritik an unserer Einwanderungspolitik zu „erneuern“. Diese Kritik ist nämlich unverändert die gleiche geblieben, seit ich mich vor etwa drei Jahren mit diesem Politikfeld mehr als nur nebenbei zu befassen begonnen habe. Und ich sehe nun auch, dass mehr und mehr Leute die Zielsetzungen und Maßstäbe solcher Kritik begreifen sowie teilen. Gerade unübersehbare und im Gedächtnis nachwirkende Attentate wie das von Berlin – und zuvor die Anschläge in Frankreich – plausibilisieren diese Kritik auch immer mehr.
Weil also diese Kritik an unserer Einwanderungspolitik bereits VOR solchen Anschlägen gut begründet war, erfüllt es durchaus nicht den Tatbestand einer „Instrumentalisierung“ dieser Anschläge, wenn man auch (!) angesichts ihrer auf die von ihnen ganz unabhängig (!) lange schon vorgetragene Kritik zurückkommt. Vielmehr öffnen solche Anschläge nur mehr und mehr Leuten die Augen für Dinge, die falsch laufen. Sehr wohl verstehe ich, dass genau diese Wirkung von Anschlägen alle jene verdrießt, welche die Ziele und Maßstäbe solcher Kritik nicht teilen. Das ist auch ganz legitim. Doch nicht minder legitim ist der Versuch, systematische Argumente vor bislang geschlossene Augen zu führen, sobald diese durch Terroranschläge geöffnet wurden. Und mit dem „Aufbau von Feindbildern“ hat das durchaus nichts zu tun. Es geht schlicht um die Zurkenntnisnahme dessen, was der Fall ist – und was dann politisch mit gutem Willen eingehegt werden sollte.
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