Mit Populisten reden?
Gestern Nachmittag schrieb mir Herr André Nord, mit dem ich im Hauptstrang meiner Facebook-Seite schon mehrfach – und gerade auch in den letzten Tagen – heftig aneinander geraten bin, als „Besucherbeitrag“ auf meiner Facebook-Seite das Folgende:
„Lieber Herr Patzelt!
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sprechen Sie sich für einen Dialog mit Anhängern der AfD, der Pegida und den ‚Wutbürgern‘ aus und kritisieren die Parteien im Bundestag (das sind SPD, CDU, CSU, Linke, Grüne) dafür, dass diese sich mit den Sorgen, Ängsten und Wünschen der angesprochenen Wutbürger nicht auseinandersetzen. Sie sehen eine große Kluft zwischen dem Volk und den Repräsentanten. Sie bezeichnen sogar in Ihren Facebook-Beiträgen die Politiker als Feinde des Volkes.
Mit mir wollen Sie anscheinend auch nicht diskutieren, weil ich Ihnen, so vermute ich, zu arrogant bin. Ich frage Sie also ausdrücklich, habe ich das so richtig verstanden?
Wenn Sie sich nun so für den Dialog mit den Menschen vom rechten Rand einsetzen, würde es mich interessieren, wie Sie die Maßnahme des EU-Parlamentspräsidenten Schulz bewerten, der einen griechischen Parlamentsabgeordneten wegen rassistischer Äußerungen von einer Sitzung ausschloss. Hätte Herr Schulz nicht eher den Dialog suchen müssen und hätte er nicht eher auf den Rausschmiss verzichten sollen? Auf die Situation in Deutschland übertragen, stelle ich mir die Frage, ob Sie der Auffassung sind, dass die Politiker der oben genannten Parteien, insbesondere die Politiker der CDU und der CSU, auf die Wutbürger zugehen sollten, selbst wenn diese rassistische oder volksverhetzende Überzeugungen vertreten? Hier das Video, hoffentlich kann man es sehen: https://www.youtube.com/watch?v=DOnS92nTXRo.“
Weil mir dieses Schreiben eine gute Gelegenheit zu Klärungen über diesen Vorgang hinaus bietet, mache ich meine Antwort an dieser Stelle bekannt.
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Sehr geehrter Herr Nord,
Tatsächlich halte ich etliche Ihrer Kommentare auf meiner FB-Seite für arrogant, ignorant und schnöselig-dreist. Deshalb antwortete ich auf sie in der Regel mit einer Mischung aus Ironie, Sarkasmus und Abweisung. So halte ich es ja in allen solchen Fällen. Der Ton Ihres jetzigen Schreibens ist aber ein anderer; deshalb reagiere ich nun auch anders. Und falls wir fortan in dem jetzt angeschlagenen Ton verkehren können, würde mich das freuen. Vielleicht wirkt diese Diskurssequenz ja sogar beispielgebend für andere.
Damit nun zu Ihren Fragen. Sie haben mich in keiner Weise richtig verstanden. In Wirklichkeit spreche ich mich seit den Wahlerfolgen der NPD in den frühen 2000er Jahren und seit dem Aufkommen des deutschen Rechtspopulismus mit PEGIDA und AfD nämlich für Folgendes aus:
- Die etablierten Parteien, Journalisten und gesellschaftlichen Elitegruppen sollten genau hinhören, welche Sichtweisen, Sorgen, Ängste, Interessen und Wünsche protestierende Bürger bewegen – gleich, ob es sich (wie vor allem früher) um Proteste von links oder (wie inzwischen weit überwiegend) um Proteste von rechts handelt. Grund dieser Forderung ist, dass in einer repräsentativen Demokratie die politischen Eliten nun einmal auf Anliegen der Bevölkerung zu reagieren haben, was aber nur dann möglich ist, wenn man diese Anliegen zunächst einmal zur Kenntnis genommen hat.
- Die etablierten Parteien, Journalisten und gesellschaftlichen Elitegruppen sollten an den zur Kenntnis genommenen Sichtweisen, Sorgen, Ängsten, Interessen und Wünschen protestierender Bürger (gleich ob es sich um Linke, Rechte oder solche aus der Mitte handelt) das Eingebildete vom Realen, das Phobische vom Rationalen, das Unbegründete vom Begründeten unterscheiden.
- Mit dem jeweils ersteren (also: mit dem Eingebildeten, Phobischen, Unbegründeten) sollten sich die etablierten Parteien argumentativ-zurechtrückend, volkspädagogisch-aufklärerisch oder demokratiesichernd-bekämpfend auseinandersetzen. Das entspricht im Grunde dem, was derzeit als alleinige Reaktion auf Populismus aller Art empfohlen wird.
- Dem jeweils letzteren (also: dem Realen, Rationalen und Begründeten) sollten sich die etablierten Parteien aber konstruktiv-politisch zuwenden. Das heißt: Sie sollten sich um vermutlich wirksame sowie rational begründbare Lösungen realer Probleme bemühen, und sie sollten solche Anstrengungen auch klar kommunizieren, etwa so: „Ja, wir sehen die Probleme A-P und nehmen sie ernst; wir gehen davon die Probleme E-L mit Priorität an; und wir versuchen für sie die Lösungen V-Y“. In genau diesem Ratschlag unterscheide ich mich seit langem von dem, was – leider! – die allermeisten für einen angemessenen Umgang mit Populisten halten.
- Diese von mir seit fast zwanzig Jahren öffentlich vertretene Forderung läuft offensichtlich gerade nicht darauf hinaus, populistische Redeweisen nun selbst zu verwenden. Sie läuft vielmehr darauf hinaus, Populisten jene Themen schlicht wegzunehmen, anhand derer sie nachhaltige und sachlich begründete Unterstützung gewinnen können. Letztlich läuft meine Forderung auf den Nachweis hinaus, dass es – über fallweises Aufflackern hinaus – gerade keine populistischen Demonstrationen und keine neuen populistischen Parteien braucht, um die etablierte Politik zum ergebnisorientierten Angehen aufgelaufener Probleme zu bringen. Und meine Prognose ist: Genau dann, wenn man gemäß meiner Forderung handelt, gräbt man Populisten das Wasser ab; wenn man sich aber meiner Forderung verschließt, dann mästet man den Populismus. Und weil es ja auch gerade so mit PEGIDA/AfD und Donald Trump gekommen ist, sehe ich nicht den mindesten Grund, von meiner in den Ziffern 2 bis 4 ausformulierten Forderung abzurücken.
- Nur falls alles, was Populisten vorbringen, unbegründet, eingebildet und phobisch wäre, bräuchte es keine meiner Forderung entsprechenden Reaktionen seitens der etablierten Parteien. Nur dann könnte reines Beschweigen populistischer Themen mitsamt der Ausgrenzung ihrer Verfechter den Populismus kleinhalten. Der Blick auf die Zentralthemen heutiger Populisten (Anschlussprobleme von ungesteuerter Einwanderung sowie der Ausbreitung einer sich ernstnehmenden und in unserem Kulturkreis bislang nicht sonderlich heimischen Religion; Ausdünnung demokratischer Kontrolle supranationaler Politik; Reaktionsträgheit politischer Eliten ….) zeigt aber, dass wichtige der von Populisten aufgebrachten Probleme durchaus real sind, deren Thematisierung also rational begründet ist.
- Nie habe ich empfohlen, Populisten hinterherzulaufen. Immer habe ich empfohlen, dasjenige zu erkennen und selbst zu thematisieren, was Populisten aus guten Gründen bewegt – und zwar idealerweise ganz ohne jeden Verweis darauf, dass möglicherweise erst Populisten einen dazu gebracht haben, die Brisanz eines Themas zu erkennen. Nie habe ich empfohlen, Populisten gleichsam unterwürfig um die Gnade ihrer Redebereitschaft zu bitten. Immer habe ich empfohlen, einfach nicht wegzulaufen, wenn Populisten mit einem reden wollen, sondern sich – gerade weil man gut auf solche Debatten vorbereitet ist – auf derlei Diskussionen einzulassen, und zwar ganz in Verfolgung der in den Punkten 2 bis 4 umrissenen Absichten. Und nie habe ich empfohlen, „populistische Parolen nachzubeten“. Sondern immer habe ich empfohlen, schlicht selbst besser zu sein als jeder Populist: nämlich besser beim Analysieren von Problemen, bei der Ausarbeitung von Problemlösungen, bei der Durchsetzung von Problemlösungen.
- Sehr wohl sehe ich eine große Kluft zwischen dem Volk und seinen Vertretern. Sie war bereits das Thema meiner (im Übrigen mit dem „Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages“ ausgezeichneten) Habilitationsschrift über „Abgeordnete und Repräsentation“ aus dem Jahr 1990. Nie aber habe ich Politiker als „Feinde des Volkes“ bezeichnet; einen entsprechenden Quellennachweis haben Sie nicht vorgelegt und werden das auch künftig nicht können. Ganz im Gegenteil ging etwa bei meiner Habilitationsschrift ein Großteil der Journalisten- und Kollegenlkritik dahin, ich würde „die Politiker reinwaschen“ und das Handeln unserer Repräsentanten „schönreden“. Das aber war damals von der einen Seite her genauso falsch, wie das heute von der genau gegenteiligen Seite her Ihre Kritik ist.
- Ich setze mich für die Sicherung unseres gesellschaftlichen Zusammenhaltes durch Kommunikation natürlich nicht nur hinsichtlich der „Menschen vom rechten Rand“ ein, sondern ebenso hinsichtlich der „Menschen vom linken Rand“. Mit Genugtuung erinnere ich mich etwa daran, dass ich in den 1990er Jahren auf einer Parteikonferenz der sächsischen PDS das thematische Hauptreferat hielt, Texte im „Neuen Deutschland“ veröffentlichte und der Festredner bei einer Jubiläumsveranstaltung der Dresdner PDS war. Damals standen die Zeichen noch ganz auf „Ausgrenzung der SED-Nachfolgepartei“ – und gerade dagegen wandte ich mich gemeinsam mit Vertretern des Reformflügels der PDS. Mir scheint also, und zwar mit guten Gründen, dass ich meiner Grundhaltung stets treu geblieben bin: nämlich auf gesellschaftlichen Zusammenhalt durch Diskurse auszugehen, die redlich am Andersdenkenden interessiert sind sowie offen und fair geführt werden. Mit großer Befriedigung lese ich denn auch jene Zeitungskommentare seit Trumps Wahlsieg, die vom Scheitern einer reinen Ausgrenzungspolitik gegenüber Populisten handeln und auf genau das einspuren, was ich selbst seit Jahrzehnten empfehle.
- Die Verhaltensweise des Präsidenten des Europäischen Parlaments beim Ausschluss des sich rassistisch über Türken äußernden griechischen Abgeordneten war völlig richtig (siehe https://www.youtube.com/watch?v=DOnS92nTXRo). Wo nämlich Grenzen des Anstands sowie dessen überschritten sind, was zum Geltungsbereichs der Freiheit der Kunst gehört, muss man Grenzübertreter in jeweils angemessener Weise bestrafen. Die Zeit des Bestrafens ist aber nicht die Zeit des Dialogs. Doch politische Klugheit besteht darin, sich Dialoge auch gar nicht aufzwingen zu lassen, schon gar nicht zur Unzeit, sondern nötige Dialoge und Diskurse eben selbst herbeiführen – und zwar gerade auch über solche Themen, bei denen man ansonsten selbst zum Getriebenen werden kann. Eben das ist ja auch meine Kritik am Umgang unserer etablierten Parteien, Journalisten und gesellschaftlichen Elitegruppen mit so vielen Sichtweisen, Sorgen, Ängste, Interessen und Wünschen von Bürgern: Man nimmt dergleichen solange nicht ernst, bis sich Protest – durchaus auch Grenzen des Anstands verletzend – medienwirksam auf den Straßen und machtwirksam am Wahltag entlädt. Es so weit kommen zu lassen, ist schlicht dumm – und zwar auch dann, wenn zu solcher Dummheit sich ansonsten kluge Leute verstehen.
- Zu dem, was Rassismus ist und weshalb ein vernünftiger Mensch Rassismus zu verabscheuen hat, habe ich mich seit meinem „Höcke-Gutachten“ (siehe https://wjpatzelt.de/?p=731) vom Januar dieses Jahres immer wieder geäußert. Aus offensichtlich einmal mehr gegebenen Anlass zitiere ich deshalb abschließend, was ich gestern in meiner – mit Michael Bittner abwechselnd verfassten – Kolumne in der „Sächsischen Zeitung“ (11. 11. 2016, S. 7) geschrieben habe: „Recht hat mein Kolumnenpartner auch mit seinen Aussagen über den Rassismus. Der beginnt dort, wo man Menschen nicht danach beurteilt, was sie sagen oder tun, sondern danach, wie sie aussehen – ganz gleich, ob durch Kleidung oder Hautfarbe. Rassismus ist nämlich die Überordnung des für ‚typisch‘ Gehaltenen über jenes Individuelle, auf das man sich erst einmal neugierig einlassen muss, wenn man dem Anderen nicht Unrecht tun will. Also verharmlost den Rassismus, wer glaubt, der beginne erst mit der Abwertung des Anderen. Nein, Rassismus beginnt bereits mit der Hintanstellung der Einzigartigkeit von Menschen, mit der Unterordnung des an ihnen ganz Persönlichen unter einen realen oder phantasierten ‚Typ von Andersartigkeit‘. Lassen wir uns dazu nie wieder verleiten – ganz gleich, ob man ‚Menschentypen‘ biologisch oder kulturalistisch imaginiert!“
In der Hoffnung, dass damit endlich Klarheit geschaffen ist für Sie und jene, die ähnlich wie Sie denken, sowie mit freundlichen Grüßen
Werner J. Patzelt
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