Wie weiter mit der AfD?
Das nachstehende Interview erschien am 15. Januar 2024 auf focus-online (https://www.focus.de/politik/trotz-afd-hochs-wir-werden-keinen-ministerpraesidenten-hoecke-bekommen_id_259577136.html?fbclid=IwAR0wf_E8a7Hh1RPuofpuWI1kk-UBT89nJv82lSw7-A0VhFHnrRNPad1qz1w). Es tritt also ein, wovor ich nun seit 2015 gewarnt habe; siehe auch mein im Jahr 2019 erschienenes Buch „CDU, AfD und die politische Torheit“ (Weltbuch-Verlag) sowie meine mit dem Schlagwort „AfD“ versehenen Beiträge auf diesem Blog.
Laut den aktuellen Umfragen könnte die AfD dieses Jahr bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen als Sieger hervorgehen. Wie besorgt sind Sie über die starken Zuwächse einer Partei, die in Thüringen und Sachsen als gesichert rechtsextremistisch gilt?
Wovor genau man sich hinsichtlich der AfD unbedingt ängstigen müsste, wüssten wir dann, wenn jene Gutachten veröffentlicht würden, auf welche die Landesämter für Verfassungsschutz ihre Zuschreibungen vom gesicherten Rechtsextremismus der AfD stützen. Es ist höchst ärgerlich, dass uns Bürgerinnen und Bürgern diese Informationen vorenthalten werden. Solange ich aber nicht halbwegs weiß, auf welche Weise genau die AfD aktiv sowie mit einiger Erfolgsaussicht auf die Beseitigung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgeht, was ja das rechtliche Kriterium für die Feststellung von Extremismus ist, habe ich zu viel Vertrauen in die Stabilität unserer Demokratie und in die Treue unserer Behörden zur Verfassung, als dass ich mir jetzt schon andere als rein parteipolitische Sorgen machen wollte.
Wie erklären Sie sich diese immer weiter steigenden Umfragewerte?
Um einen kritisch gemeinten Begriff aus den 1970er Jahren aufzugreifen: Union, SPD und Grüne erscheinen vielen in Deutschland als die „plurale Fassung einer Einheitspartei“. Der stellten sich damals die außerparlamentarische Opposition und einige linke sowie rechte Parteien entgegen. Heute versteht sich die AfD als die Alternative zur von ihr imaginierten „Einheitspartei“. Und weil die Politik von Union und SPD seit Jahren stark grün geprägt ist, führt die derzeitige Unpopularität grüner Politikvorhaben, vor allem bei der Energie- und Migrationspolitik, zur Bündelung aller Gegenkräfte bei der AfD als jener Partei, die sich ausdrücklich als „Anti-Grünen-Partei“ versteht.
Wie ernst muss man die Umfragewerte nehmen, und wie wahrscheinlich ist es, dass die AfD diese wirklich auch in Stimmen verwandelt kann?
Alle Hoffnungen der Vergangenheit, ein Absinken der AfD bei der „Sonntagsfrage“ um ein, zwei Prozentpunkte wäre Vorbote eines sicheren „Abschmierens“ der AfD, haben sich als trügerisch erwiesen. Und solange die Ampelregierung so unbeliebt bleibt, wie sie binnen kurzem geworden ist, sowie die CDU sich nicht glaubwürdig vom AfD-mästenden Merkel-Kurs distanziert, ändert sich ohnehin nichts an der Alternativfunktion der AfD hinsichtlich aller etablierten Parteien. Ich rate außerdem von der Hoffnung ab, die nun gegründete „Wagenknecht-Partei“ wäre das seit langem gesuchte Wundermittel gegen die AfD. Wir haben es inzwischen nämlich mit einer überzeugungsfesten und mittelfristig stabilen Abwendung vom politischen Establishment zu tun.
In Thüringen könnte die AfD mit Björn Höcke bald einen Ministerpräsidenten stellen, der als Nazi gilt und offen völkisches Gedankengut vertritt. Welche Folgen hätte das für die Demokratie?
Solange die Umfragen in etwa so bleiben, wie sie bislang sind, werden wir keinen Ministerpräsidenten Höcke bekommen, sondern eine Anti-AfD-Koalition von CDU, Linken und SPD. Kurzfristig wird das viele trösten, schon mittelfristig aber der CDU sehr schaden. Der AfD wird die Anti-Höcke-Koalition ebenso nützen wie überhaupt die bisherige Praxis, diese Partei lieber durch Ausgrenzung mit einer Art kommunikativem Schutzraum zu umgeben, als sich auf ernstgemeinte Diskussionen um jene Positionen einzulassen, welche die AfD auch bei öffentlichen Auseinandersetzungen mit ihren Gegnern vertritt. Zu genau solchen Debatten aber käme es unweigerlich, wenn Höcke zum Ministerpräsidenten gewählt würde und im Thüringer Landtag Rede und Antwort stehen müsste.
Als Ministerpräsident hätte er sich außerdem im Rahmen der Gesetze zu bewegen. Die aber sind so in unser Rechtssystem eingebunden, dass eine Regierung nur dann deren Deutung und Anwendung beeinflussen kann, wenn sie – wie etwa Angela Merkels Bundesregierungen – den größten Teil der öffentlichen Meinungsmacher auf ihrer Seite hat. Derlei wird bei einem Ministerpräsidenten Höcke gewiss nicht der Fall sein. Und in letzter Instanz gilt bei jedem Versuch, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, immer noch das Widerstandsrecht laut Artikel 20,4 des Grundgesetzes. Käme es dabei zu einer Art regionalem Bürgerkrieg, dann hätten an ihm alle jene Schuld, die durch ihr Tun oder Lassen zu genau der politischen Polarisierung beigetragen haben, die am Ende zur Alternative „Höcke-Diktatur oder bewaffneter Widerstand“ führte.
Was halten Sie von den immer lauter werdenden Verbotsdiskussionen um die Partei?
Ich finde, dass wir nun lange genug Verbotsdiskussionen geführt haben. Entweder ermannt sich die Bundesregierung nun endlich und stellt beim Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag, oder es tut dies zumindest der ostdeutsche CDU-Angeordnete Wanderwitz. Der erklärt nämlich unentwegt, er hätte die für den Start eines Verbotsverfahrens ausreichende Anzahl von Bundestagsabgeordneten beisammen. Also auf zur Tat! Dann läge der Fall endlich beim Bundesverfassungsgericht, von dem man idealerweise auch noch eine vorläufige Eilentscheidung beantragen sollte.
Wer aber die Traute zu einem derartigen Verfahren nicht hat, der sollte sich die Gründe seines Zögerns klarmachen und dann aus ihnen höchst praktische Folgerungen ziehen. Falls man die inhaltlichen Belege für eine behauptete Verfassungswidrigkeit der AfD für zu schwach hält, dann sollte man damit aufhören, überhaupt die Forderung nach einem Parteiverbot in die öffentliche Diskussion zu bringen; diese bewirkt dann nämlich nur eine diskursive Brunnenvergiftung. Wer umgekehrt glaubt, die AfD sei inzwischen zu stark geworden, als dass ein Parteiverbotsverfahren vom Staatsvolk als legitim hingenommen würde, der sollte zur genau gleichen Schlussfolgerung kommen – und dann auch mit der Reue darüber anfangen, dass er womöglich selbst jene politische Auseinandersetzung mit der AfD so lange gescheut oder behindert hat, die allein diese Partei schwächen könnte. Und wohlgemerkt: Über eine Partei und deren Positionen oder Personen zu schimpfen, ist etwas sehr anderes als eine ernstgemeinte politische Auseinandersetzung!
Ein halbes Jahr bleibt den Demokraten noch, um die Institutionen zu festigen. Welche Szenarien wären möglich, die einen Sieg der AfD bei den Landtagswahlen verhindern würden?
Vorab halte ich die Feststellung für erforderlich, dass unsere Institutionen gerade nicht der Festigkeit entbehren. Üblicherweise beklagen wir doch ganz im ganz im Gegenteil verkrustete Strukturen. Sie werden deshalb auch noch stärkere AfD-Fraktionen in deutschen Parlamenten überdauern. Sodann ist nicht zu erwarten, dass SPD und Grüne in den kommenden Monaten ihre Energie-, Migrations- oder Sozialpolitiken verändern wollten oder könnten, die doch ihrerseits jene Empörung hervorbringen, welche im Osten klar über ein Drittel der Wählerschaft zum Kreuz bei der AfD geneigt macht. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass die CDU ernsthafte oder gar glaubwürdige Anstrengungen unternehmen wird, zur AfD abgewanderte Wähler zurückzugewinnen. Ganz im Gegenteil wird die CDU durch den Verlust der Maaßen-Anhängerschaft noch weitere Einbußen an Unterstützung erleiden. Deshalb gibt es auch keine Möglichkeiten mehr zur aktiven Verhinderung von AfD-Wahlsiegen im Osten. Politikfehler von CDU, SPD und Grünen haben die AfD dort so stark werden lassen, dass sie nur noch sich selbst besiegen kann – durch parteiinterne Skandale, oder durch plausibel skandalisierbare öffentliche Aussagen.