Die üble Lage der CDU
Am 17. März erschien unter dem Titel „“Glanzlos, mutlos, orientierungslos“ meine nachstehende Analyse zur Lage der CDU in der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“. Ich dokumentiere ihn auch hier. Die Originalveröffentlichung ist zugänglich unter https://paz.de/artikel/glanzlos-mutlos-orientierungslos-a4300.html .
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Wie gut, dass der „Maskenskandal“ vor den jüngsten Landtagswahlen öffentlich wurde! Denn nun ist klar, dass bloß Einzelne das Vertrauen in die CDU geschädigt haben. Von ihnen trennt man sich, und dann geht es mit Zuversicht in die kommenden Wahlkämpfe. Hat nicht die CDU in der Corona-Krise durch ihre beherzte Politik Zehntausende von Leben gerettet? Na also!
Nein. Denn als einzig Tröstliches kann von CDU-Freunden vermerkt werden, dass nach dem Wahldebakel kein Unionspolitiker öffentlich so argumentiert hat. Selbst wenn jener Skandal in jedem der beiden Wahlländer die CDU gleich um einen ganzen Prozentpunkt gebracht hätte, blieben die anderen Stimmenverluste jämmerlich genug. Beschämend billig waren auch die meisten Erklärungsversuche für den CDU-Niedergang im Südwesten. Weder war es originell noch ging es der Sache auf den Grund, dass auf die Unzufriedenheit mit Corona-Maßnahmen der Bundesregierung sowie auf die Popularität der beiden im Amt bestätigten Regierungschefs hingewiesen wurde. Gewiss sind beides wichtige Ursachen des CDU-Desasters. Doch die viel wichtigeren, da nicht kurz- oder mittelfristig zu behebenden, Versagensgründe wurden gestern sorgsam beschwiegen. Das sind die politische Kurzsichtigkeit, die programmatische Unbelehrbarkeit sowie die inhaltlichen Fehler der CDU.
Deren Landesführungen tun immer noch so, als wäre Wählervertrauen ein gut verzinstes Guthaben, von dem man nach Belieben abheben kann, weil es nötigenfalls „durch bundespolitischen Rückenwind“ wieder aufgefüllt wird. Doch derzeit wird für vergangenes Fehlverhalten bezahlt. „Pfadabhängigkeit“ nennt man das. In Baden-Württemberg musste nämlich 2005 der wenig beeindruckende Günther Oettinger den bodenständig-vertrauenswürdigen Erwin Teufel unbedingt in Pension schicken; und als er selbst zum Problemfall geworden war, ließ ihm 2010 die CDU den Möchtegern-Konservativen Stefan Mappus nachfolgen. Der küsste beim Stuttgarter Bahnhofsbau das wohlsituierte Wutbürgertum wach. Doch da war der Rückhalt der CDU im Land ohnehin schon ausgedünnt. Und in Rheinland-Pfalz musste 1988 das Duo Wilhelm & Wagner unbedingt den populären Ministerpräsidenten Bernhard Vogel stürzen. Seither ist dort nur noch die SPD „nah bei de Leut“ (Kurz Beck), während die CDU einen Herausforderer nach dem anderen verschleißt. Verschuldet wurde der Niedergang jeweils durch eine karrieristische Vergiftung des innerparteilichen Klimas samt dauerhafter Schwächung des inneren Zusammenhalts. Bis heute hat sich keine der beiden Landesparteien davon erholt. Ob die CDU diesen Weg inzwischen auch auf Bundesebene geht?
Nicht doch! Sie hat ja nun einen neuen, unumstrittenen Vorsitzenden. Der verwaltet nicht bloß manches Merkel-Erbe, sondern hat bislang auch davon abgesehen, sich chemotherapeutisch am vermeintlichen Krebsgeschwür der WerteUnion zu versuchen. Auch genoss er am Wahlabend gleichsam Welpenschutz. Aber er kann natürlich nicht jene großen Fehler ungeschehen machen, welche die Bundes-CDU während des letzten Jahrzehnts begangen hat. Genau für sie bezahlten zwei ihrer Landesverbände am letzten Sonntag. Zwei weiteren droht das im Herbst, und der ganzen Partei bei der kommenden Bundestagswahl. Vielleicht motiviert die absehbare Niederlage dazu, sie – wieder einmal – einen CSU-Mann einfahren zu lassen.
Der Kern des jetzigen Elends der CDU ist das Missverständnis des Großteils ihrer Anführer, ihre großen Sympathiewerte hätten je der Partei und nicht ganz persönlich der Kanzlerin gegolten. Die nämlich war schon nach einigen Jahren im Amt zum Liebling der mehrheitlich grün-roten Journalistenschaft geworden. Sie hatte sich das redlich verdient, indem sie ihre Politik stets nacheilend an dem ausrichtete, was die Meinungsmacher für richtig hielten. Höhepunkte dessen waren der Atomausstieg und die Zuwanderungspolitik. Solches Wohlverhalten bescherte Angela Merkel den Ruf, eine Mischung aus politischem Mozart, Mutter Theresa und wandelnder Weisheit zu sein. Seit aber – aufgrund ihres nahenden Abschieds – niemand mehr um ihre Gunst buhlen muss, nimmt die Zahl derer ab, welche der Kaiserin immer wieder neuen politischen Kleider lautstark rühmen. Doch ohne derlei Frohbotschaft wirkt die CDU wegen der Mediokrität ihres parlamentarischen Personals recht glanzlos. Obendrein wurde sie entkernt von einer langjährigen Vorsitzenden, die je nach Tagesform „ein bisschen“ sozial, liberal oder – igitt – konservativ sein mag, doch seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr überzeugend zu erklären versteht, wofür Bundesdeutschlands einst prägende Partei verlässlich steht. Die Kanzlerin kennt man jetzt sehr wohl, doch die CDU nicht mehr wirklich. Und beliebt ist Angela Merkel vor allem bei den Grünen und Roten, die ihre Partei aber niemals wählen werden.
Ohne Merkels Mediengunst wird die Union nun wieder zum hässlichen Entlein deutscher Politik. Übel sei ihre Moral, was nach Don Kohleone unseligen Angedenkens nun die Maskenprofiteure bestätigt hätten. Schlimm wäre ihre Fahrlässigkeit bei der Rettung von Weltklima und Menschheit. Und ganz verachtenswert sei ihre Bockigkeit bei der Exkommunikation von AfDlern. Arbeitet sie mit manchen denn nicht kommunalpolitisch zusammen, obwohl doch strenge Trennstriche mehrfach beeidet wurden? Kein Wunder, dass am Wahlabend bei Grünen und Linken stolz, zufrieden und lautstark erklang: Bewiesen ist nun, dass es die CDU zum Regieren in Deutschland nicht länger braucht. Und falls sich Grüne, SPD und FDP aufeinander einlassen, benötigt man auch gar nicht mehr die wählerabschreckende Linke, um die Union in die Opposition zu zwingen – jetzt am Neckar, bald an der Spree. Tatsächlich fehlte den Grünen und der SPD ihr zentrales Mobilisierungsthema, wenn sie im Wahlkampf nicht auf Regierungsmacht ohne die Union ausgingen, sondern nicht mehr versprächen, als im Dienst eines künftigen CDU-Kanzlers möglichst aufmüpfig zu sein.
Jedenfalls ist die CDU vom Stabilitätsanker unseres Parteiensystems zum politischen Spielball geworden. Mit dem kickt nun die FDP, die man politisch auszuhungern gedachte, gemeinsam mit der durch Merkels Aufstieg geschädigten SPD sowie den Grünen, welche die Affenliebe von CDU-Funktionären in etwa so erwidern wie manche jungen Frauen die Avancen reicher alter Männer. So kommt es eben, wenn eine einst auch rechts stimmengewinnende Partei nur noch in der Mitte stehen will: Sie verliert ihre eigenständige Mehrheits- und Koalitionsfähigkeit, weshalb sie bald schon nach der Pfeife derer zu tanzen hat, die seit Willy Brandts Zeiten sich die „neue Mitte“ nicht nur nennen, sondern sie – in Gestalt vieler Großstadt-Grüner – auch sind. Anschließend nötige CDU-Verrenkungen entfremden ihr aber viele Wählerinnen und Wähler auf Dauer. Dann droht das Verzwergungsschicksal der SPD.
Der gegenüber stellte sich die Merkel-CDU als die pragmatischste SPD auf, die es je gab. Jedenfalls leistete die CDU gegen SPD-Wünsche nur noch hinhaltenden Widerstand. So brachte sie die Sozialdemokraten zwar um ihre plausibelsten Politikinhalte, da aus Forderungen inzwischen Tatsachen wurden, und trieb die SPD weithin in den Selbstruin einer auf Identitätspolitik fixierten Minderheitenpartei. Eine solche Strategie scheitert aber überall dort, wo ein sich traditionell gebender sozialdemokratischer Regierungschef gar noch mit dem Vorzug von Weiblichkeit auftritt. Und wie viel hat man sich im Konrad-Adenauer-Haus, beraten von allerlei Umfrage-Gurus, nicht darauf zugute gehalten, dass die CDU nach dem Abwurf von Traditionsballast mit ihren neuen umwelt-, gesellschafts- und genderpolitischen Programminhalten nun auch im Wählerreservoir der Grünen wildern könne! Die Wahlen würden ja in der Mitte gewonnen, also bei der grünen Wählerschaft, die man jetzt eben an die Union binden müsse. Krachend ist das in Baden-Württemberg gescheitert – und zwar nicht nur an Winfried Kretschmann, sondern an der Richtigkeit einer alten Wahlkampfweisheit: Wenn jemand zwischen dem Original und einer Kopie wählen kann, wählt er das Original!
Doch diesen Satz verbrauchte die CDU nachgerade inflationär an der AfD. CDU-Spitzenpolitiker taten mit ihm gerade so, als würde man ihnen ernsthaft den Kurs der Höckes und Maiers empfehlen. Dort freilich, wo es nicht um demagogische Selbstberauschung geht, sondern um Politikinhalte, besetzt die AfD tatsächlich etliche Originalpositionen der CDU. Die werden wirklich gewählt. Nur hat sie die Union leider hasenfüßig der AfD überlassen, sobald der Ruf erschallte, man klänge wie die AfD. Richtige Inhalte werden aber nicht dadurch falsch, dass auch der politische Gegner sie vertritt. Falsch ist es nur, dass man sie – wie die CDU unter Journalistendruck – dem Gegner überhaupt zum Alleingebrauch überlässt.
Dieser Gegner hat zwar in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bis zu einem Drittel der vor fünf Jahren gewonnenen Stimmen verloren. Doch das geschah, weil diesmal das Migrationsthema von der politischen Tagesordnung abgesetzt war, die Stuttgarter AfD-Fraktion jahrelang ein schauderliches Spektakel aufführte und die verblendete Selbstradikalisierung der ostdeutschen AfD im Westen die Reihen derer immer mehr dezimierte, welche einst die AfD als Gegengewicht zur Merkel-CDU begrüßten. Unter solchen Umständen wird zum größten Horror der Union eine AfD, in der die Realos obsiegen, die sich im Reden und Tun mäßigt sowie sich der Union öffentlichkeitswirksam als Koalitionspartner anbietet. Wer darauf nämlich seitens der CDU in den nächsten Jahren eingehen wollte, beginge politischen Selbstmord. Doch wer mit den Grünen zusammengeht, bewirkt nun einmal eine weitere Wählerwanderung weg von der CDU – und zwar nicht hin, wie derzeit, zu den Nichtwählern, sondern hin zu einer AfD, die sich als die CDU Kohls oder Erhards zu inszenieren verstünde. Deshalb sollte sich die CDU keinesfalls damit trösten, dass die AfD anteilsmäßig noch mehr verloren hat als sie. Denn dass es die AfD als innerlich zerstrittene und allenthalben geächtete Partei überhaupt noch fast zweistellig gibt, ist jenes „Zeichen an der Wand“, das die Union in diesem Wahljahr besser nicht übersieht.