Auch für die AfD gilt: Wer nicht hören will, wird fühlen!
Aus gegebenem Anlass – der sich ausweitenden Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz – erörtere ich nachstehend einige zentrale Fehler der AfD.
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Teil 1: Worum geht es?
Nach Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt findet sich nun – laut Nachrichtenlage – die AfD auch in Sachsen als extremismusverdächtiger Beobachtungsfall eingestuft. Das heißt: Der Verfassungsschutz darf sie mit geheimdienstlichen Mitteln hinsichtlich ihres Umgangs mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung kontrollieren.
Ich will hier nicht erörtern, ob und inwieweit die Ämter für Verfassungsschutz hier parteipolitisch funktionalisiert werden. Gerade wer dies – wie die meisten Mitglieder und Anhänger der AfD – so einschätzt, müsste sich ohnehin in ganz besonders umsichtiger Weise darum bemühen, genau so zu handeln, wie das offensichtlich richtig wäre, nämlich: als jemand, der als Mitglied einer Partei oder als Staatsbürger an seiner Unterstützung freiheitlicher Demokratie keinerlei Verdacht aufkommen lässt, und insgesamt in einer Weise redet sowie handelt, die auch jede unfaire Verleumdung haltlos sein lässt.
Doch so hat sich die AfD in den letzten Jahren gerade nicht verhalten. Vielmehr hat sie ihre Einstufung als extremismusverdächtig, die den meisten AfD-Gegnern sehr willkommen ist, durch eigenes Tun und Lassen selbst herbeigeführt. Alle Ratschläge, zum Besten unserer von verfassungstreuen Parteien getragenen Demokratie gerade nicht in einer mit guten Gründen vorwerfbarer Weise aufzutreten, hat Sachsens AfD in den Wind geschlagen. Und so gilt auch für sie nun zu Recht: Wer nicht hören will, der wird fühlen.
Die AfD für ihr Fehlverhalten zu kritisieren, steht gerade mir zu. Im Unterschied zu den meisten Kollegen meines Faches habe ich mich nämlich stets um einen fairen Umgang mit der AfD bemüht. Mehr noch: Ich habe sowohl in öffentlichen Äußerungen als in internen Vorträgen, desgleichen in einem 2015 für die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag verfassten Gutachten, ausdrücklich jenen Weg aufgezeigt, dem entlang die AfD zu einer zwar unwillkommenen und weithin abgelehnten, doch fraglos zu unserem normalen Parteienspektrum gehörenden Partei hätte werden können.
Im Folgenden werde ich zeigen, an welche meiner klaren Ratschläge sich die AfD – wider alle politische Vernunft – gerade nicht gehalten hat. Zwar freut es mich als CDU-Mitglied, wenn es der AfD als Rivalin der CDU politisch nicht gut geht. Doch noch mehr ärgert es mich als politischen Analytiker, wenn sich eine Partei aufgrund von ideologischer Verbohrtheit oder politischer Torheit aus freien Stücken solche Schäden zufügt, die doch vermeidbar wären. Und als politischen Bildner verdrießt es mich wirklich sehr, dass meine Bemühungen um die Förderung politischer Vernunft bei der AfD so erfolglos waren. Immerhin muss ich mir nicht vorwerfen lassen, falsche Entwicklungen nur kritisiert, nicht aber auch mit zielführenden Korrekturvorschlägen versehen zu haben.
Nachstehend kommentiere ich – in eckigen Klammern und kenntlich am kursiven Fettdruck – Auszüge aus zweien meiner für die AfD verfassten Texte. Beide sind längst in Gänze veröffentlicht. Der eine ist jenes – in ganz abwegiger Weise nicht nur von der ZEIT skandalisierte – Gutachten, dass ich im Januar 2015 für die 2014 neu in den Sächsischen Landtag gewählte AfD geschrieben habe (von mir veröffentlicht unter https://wjpatzelt.de/2020/02/01/patzelt-geheimgutachten-fuer-die-afd/). Sein Anlass war die Bitte der damaligen Fraktionsführung, ihr beim Erlernen ihrer Rolle als parlamentarischer Oppositionspartei zu helfen. Der andere ist meine Rede auf dem Berliner „Extremismuskongress“ der AfD im März 2017 (vollständig von mir veröffentlicht unter https://wjpatzelt.de/2017/03/19/afd-extremismuskongress-berlin/). Dort sollte ich – auf Einladung der AfD – sprechen über „Mögliche Trägergruppen von Extremismus: Autonome, Wutbürger, enthemmte Mitte“. Also handelte ich auch von jenen „Wutbürgern“ und „Leuten aus der enthemmten Mitte“, die bei der AfD ihre politische Heimat gefunden haben (dazu siehe auch die Berichterstattung in der ZEIT, verfasst von Thoralf Staudt: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-03/afd-extremismus-kongress-pazderski?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com).
Diese Rede wurde übrigens von manchen Linken, die sich – wie üblich – für tatsächlich Gesagtes gar nicht interessierten, als so abscheulich ausgegeben, dass man zu Dresden meinte, mir einige Wochen später mein Auto abfackeln zu sollen. Nicht nur Rechte begeben sich also auf dumme und kriminelle Abwege …
Teil 2: Kommentierte Auszüge aus einem Gutachten für die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag vom Januar 2015
Sein Titel war: „Der Sächsische Koalitionsvertrag von 2014 im Licht des AfD-Wahlprogramms. Ansatzpunkte parlamentarischer Oppositionsarbeit“; es findet sich vollständig veröffentlicht unter: https://wjpatzelt.de/2020/02/01/patzelt-geheimgutachten-fuer-die-afd/?preview_id=2750&preview_nonce=b2fb1acf42&preview=true
„Teil A, … II. … 3. …
Die AfD hat Interesse daran, von einer – in manchen Bereichen allzu schnell und wild gewachsenen – Protestpartei zu einer professionellen, seriöse politische Arbeit leistenden Partei zu werden [das scheint hinsichtlich der Mehrheit in der sächsischen AfD ein Irrtum meinerseits gewesen zu sein. Jedenfalls handelte diese Partei in den Folgejahren nicht so, wie es einem solchen Interesse dienlich gewesen wäre]. Das verlangt nicht nur nach Herstellung einer gerade in Konfliktlagen leistungsfähigen Führungsstruktur, sondern auch nach Trennung von Parteimitgliedern, die durch Worte oder Taten den Seriositäts- und Professionalitätsanspruch der AfD diskreditieren [Letzteres geschah jahrelang mehrfach, während eine Trennung von solchen Parteimitgliedern seitens der sächsischen AfD nicht nur nicht erreicht, sondern anscheinend auch gar nicht ernsthaft versucht wurde]. Sondern obendrein muss die AfD, ihrer zu erreichenden bzw. zu sichernden Machtstellung wegen, weiterhin folgendes Wählerpotential anziehen: im Besonderen die von der CDU in den letzten Jahren vernachlässigten Bürger zwischen rechter Mitte und rechtem Rand [der CDU riet ich schon lange vor dem Aufkommen der AfD, sich solche Leute nicht dauerhaft zu entfremden; und seit dem Aufkommen der AfD rate ich der CDU, nun erst recht wirksame Gegenmaßnahmen zu genau dieser, allein im Interesse der AfD liegenden Strategie zu ergreifen], im Allgemeinen jene Leute, denen der sozialliberal-grün-liberalkonservative Politikkonsens in politischer Klasse und Öffentlichkeit insgesamt zu links und zu „gutmenschenartig abgehoben“ vorkommt. Dabei muss die AfD sowohl eine Vereinnahmung durch die CDU als auch Versuche seitens der SPD unterlaufen, als rechtspopulistisch, ja rechtsradikal ins politische Abseits gedrängt zu werden [diesbezüglich ist Sachsens AfD eindeutig gescheitert – falls sie nicht ohnehin, anders als von mir 2014/15 eingeschätzt, genau im rechtspopulistischen bzw. rechtsradikalen Milieu ihren dauerhaften politischen Ort finden wollte]. Dafür bietet sich eine Verbindung dreier Strategien an:
- Gegenüber der CDU muss immer wieder betont werden, dass man vielfach klassische Unionspositionen vertritt, welche die CDU aber aufgegeben hat, um nach links rücken zu können. Dergestalt bietet sich die AfD als Alternative für frühere oder potentielle CDU-Wähler an und lässt die CDU gerade bei Abgrenzungsversuchen blass aussehen [dieser Strategie ist Sachsens AfD – wenn überhaupt – nur auf höchst widersprüchliche Weise gefolgt, denn über kaum eine andere Partei äußern sich nun schon jahrelang so viele Anführer, Mitglieder und Anhänger der AfD so hämisch und mitunter auch hetzerisch wie über die CDU].
- Gegenüber der SPD muss in plausibler Weise gezeigt werden, dass man vielfach traditionell sozialdemokratische, ja überhaupt linke Positionen vertritt. Auf diese Weise unterläuft man Versuche, als rechtsradikal ausgegrenzt zu werden [auch diesbezüglich waren keine nennenswerten Bemühungen seitens der sächsischen AfD zu erkennen. Statt dessen geriet die Betonung sozialer Anliegen in Verbindung mit völkischen Äußerungen zu einer unscharfen Position, die man als „national-sozialistisch“ bezeichnen kann].
- Gegenüber der – ihrerseits so vielfältigen und spannungsdurchzogenen – eigenen Partei und (möglichen) Wählerschaft muss in nachvollziehbarer Weise zum Ausdruck gebracht werden, dass man sehr wohl vielerlei Unbehagen mit den etablierten Parteien, mit lange Zeit unhinterfragt konsentierter Politik und überhaupt mit der Funktionsweise unserer politischen Institutionen im Mehr-Ebenen-Verbund des europäischen Politiksystems teilt. Doch zugleich muss in einladender Weise vor Augen geführt werden, dass auch gute und nicht ohne weiteres beseitigbare Gründe zu fragwürdigen Zuständen führen können; dass einfaches Denken zwar meist Klarheit schafft, den zu bewältigenden Problemen aber oft nicht gerecht wird; und dass eine Alternative zum Bestehenden sich auf die realen Gegebenheiten erst einmal einlassen muss, wenn man diese wirklich verändern will [nichts lag Sachsens AfD anscheinend ferner, als genau diesen Rat zu befolgen. Vielmehr versuchten viele ihrer Anführer, Mitglieder und Anhänger sich nachgerade in einem Überbietungswettbewerb darin, wer sich radikaler und quasi-revolutionärer zu den bestehenden Zuständen, zu laufenden Entwicklungen und zu den für dies alles verantwortlichen Politikerinnen und Politikern äußern könne. Jene „teaching function“, die Walter Bagehot – bis heute ein Klassiker der Parlamentarismustheorie – im 19. Jh. den Parlamenten und Parlamentariern zuwies, haben die Abgeordneten der AfD jedenfalls nicht gespielt. Ob sie das so wollten nicht: Sie begnügten sich jedenfalls mit einer Rolle als Verstärker, Vereinfacher und Zuspitzer].
Weil sowohl die tatsächlich verfolgten Gegenstrategien von CDU und SPD noch unklar sind [Achtung: Dieses Gutachten entstand im Januar 2015 und somit ein halbes Jahr, bevor sich die AfD auf dem Essener Parteitag als „PEGIDA-Partei“ aufzustellen begann, und lange bevor das Einwanderungsgeschehen von 2015/16 zum Treibsatz spektakulärer AfD-Wahlerfolge wurde] als auch Ungewissheit darüber besteht, welche Wähler die AfD tatsächlich gewinnen oder verlieren kann, falls sie sich entschlossen als „staatstragende Partei rechts von der CDU“ aufstellt, kann der Kurs der AfD in den nächsten Jahren schwerlich ein anderer sein als ein „Lernen aus Versuch und Irrtum“ [bilanzierend ist festzustellen: Es waren am politischen Verhalten von Sachsens AfD während der letzten Jahre wirklich vielerlei Irrtümer erkennen; doch nie sind Versuche der sächsischen AfD aufgefallen, aus eigenen Irrtümern zu lernen. Deshalb ist die AfD heute dem Kampf gegen sie inhaltlich hilflos ausgeliefert. Dass – wie es sich für einen Rechtsstaat gehört – die Gerichte wenigstens nacheilend immer wieder für ein Grundniveau an verfahrensmäßiger Fairness im Umgang mit der AfD sorgen, ändert an dieser politischen Lage der AfD überhaupt nichts]. Ihn [d.h. den von mir empfohlenen Kurs] zu steuern, verlangt besonders viel an Führungskraft und Führungskunst [doch sowohl an entsprechender Führungskraft als auch an Führungskunst fehlte es Sachsens AfD während der letzten Jahre, und vermutlich mangelte es auch schon an entsprechendem Führungswillen]. Er [d.h.: der von mir empfohlene Kurs] kann besonders leicht scheitern, wenn in Parlamentsfraktionen und Parteigliederungen keine Einigkeit über jene taktischen Kalküle zu schaffen ist, denen ein solcher Kurs zu folgen hat, wenn er überhaupt einer des Lernens sein soll [der von außen erkennbare Konsens in den Reihen von Sachsens AfD bestand nun aber augenscheinlich darin, sich um Kritik an ihr nicht zu scheren, sondern sich zu verhärten und in eine innerparteilich radikalisierende Überbietungsspirale zu begeben].
IV. Konkrete Folgerungen für die AfD aus ihrer Rolle als Opposition
Zwar ist die AfD als Partei mit europapolitischer Thematik entstanden und erhielt ihre ersten Mandate im Europaparlament. Doch ihre öffentliche Wahrnehmung wird während der nächsten Jahre sehr stark von ihren Landtagsfraktionen geprägt werden. Durch Bewährung oder Versagen bei der Landtagsarbeit, durch Aufsteigen oder Ausbleiben angesehener Politiker auf Landesebene, wird das Schicksal der AfD entschieden werden – zumindest soweit, wie derlei in den Händen der Partei selbst liegt [den Eindruck, sich bei der Arbeit im Parlament zu bewähren, hat Sachsens AfD während der letzten Jahre aber durchaus nicht vermittelt]. Das zu setzende Ziel muss für die sächsische AfD jedenfalls sein, nach der laufenden Wahlperiode wieder in den Landtag gewählt zu werden – und zuvor allen anderen Landesverbänden ein gutes Beispiel seriöser AfD-Politik zu geben [erreicht wurde zwar das Doppelziel, sowohl wieder in den Landtag gewählt zu werden als auch die CDU vor sich herzutreiben. Doch ein Beispiel für seriöse Politik hat die AfD in Sachsen keineswegs gegeben. Deshalb ist sie für ihre vielen Gegner für alle absehbare Zukunft zu einer teils verhassten, teils verachteten Partei geworden. Gewiss vermag die AfD weiterhin zu emotionalisieren, auch politischen Protest zu mobilisieren und der CDU zu schaden. Doch als politischer Partner hat sie sich unmöglich gemacht – und bleibt zugleich ganz ohne Aussicht, je eine eigene Mandatsmehrheit im Landtag zu erringen. Alles in allem hat sich die AfD durch jahrelanges Handeln, das sich um aus der Funktionslogik unseres politischen Systems abgeleitete Ratschläge nicht scheren wollte, selbst ins politische Abseits begeben].
Die Rolle, welche den AfD-Fraktionen in den Landtagen zukommt, ist derzeit überall die der Opposition. Also wird sich die AfD in der Rolle der parlamentarischen Opposition entweder zu einer professionellen und respektierten Partei entwickeln – oder genau daran scheitern [als Opposition trat die AfD sehr wohl auf, doch nicht als eine in glaubwürdiger Weise verfassungsloyale und fachlich oder persönlich respektable Opposition. Also ist Sachsens AfD auch bei der Erfüllung der legitimen Alternativfunktion parlamentarischer Opposition klar gescheitert].
…. Teil C ….
Durchschlagkräftig wird derlei [nämlich der Versuch, sich mit guten Argumenten gegen den Vorwurf zu wehren, eine „unseriöse“ bzw. „rechtspopulistische“ Partei zu sein] aber nur dann sein, wenn die AfD es auch noch schafft, als „rechtsradikal“ oder „rechtsextremistisch“ etikettierbare Mitglieder von halbwegs wichtigen Parteifunktionen fernzuhalten sowie sicherzustellen, dass kein Parteimitglied mit entsprechend ausdeutbaren Äußerungen auffällt [gerade das aber hat Sachsens AfD nicht geschafft, ja vermutlich auch gar nicht wirklich angestrebt]. Und beim politisch plausiblen Versuch, das Gewicht der AfD durch ein Ansaugen des Pegida-Potentials zu steigern, ist gerade in dieser Hinsicht vorsichtig zu verfahren, obendrein mit der Bereitschaft zu – falls nötig – raschen und klaren Abgrenzungen. Gewiss ist ein solcher Kurs nicht ohne Risiken. … [Es wäre aber wichtig gewesen, es mit einem solchen Kurs wenigstens zu versuchen, denn sich in der von der CDU geöffneten „Repräsentationslücke“ am rechten Rand festzusetzen, war] nicht nur eine große machtpolitische Chance der AfD, sondern auch eine wichtige, mit großer Verantwortung beladene politische Aufgabe. Denn der „rechte Rand“ soll ja gerade nicht in den Extremismus abdriften, darf dann aber eben auch nicht in der Konfrontation einer „rechten Partei“ mit den übrigen – aus Außenseiterperspektive oft „Systemparteien“ genannten – Parteien ab- und ausgegrenzt werden. Vielmehr muss es darum gehen, diesen Rand mittels einer fraglos auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden und zumindest mit der CDU koalitionsfähigen Partei in unsere Demokratie einzubinden [dieses Ziel, ohnehin von der CDU abgelehnt, hat sich Sachsens AfD aber nie gesetzt. Vielmehr steigerte sie sich in immer verachtungsvollere Äußerungen über die CDU hinein. Am Ende wurde die AfD also nicht nur seitens anderer Parteien, der Zivilgesellschaft und der Medien isoliert, was zur Entstehungszeit der AfD durchaus noch ungerecht war. Sondern Sachsens AfD hat sich während der letzten Jahre selbst isoliert, und zwar teils absichtlich, teils fahrlässig aus selbstberauschter politischer Torheit. Insofern geschieht ihr schon auch recht mit vielem, was ihr derzeit widerfährt].„
Teil 3: Kommentierter Auszug aus meiner Rede auf dem Berliner „Extremismuskongress“ der AfD am 18. März 2017
Ihr Thema war „Mögliche Trägergruppen von Extremismus:
Autonome, Wutbürger, enthemmte Mitte“; sie findet sich vollständig veröffentlicht unter https://wjpatzelt.de/2017/03/19/afd-extremismuskongress-berlin/.
„Die folgenden, oft wiederkehrenden Merkmale der Trägergruppen von Extremismus wurden in vergleichenden Untersuchungen ausfindig gemacht:
- Erstens ist da ein Selbstverständnis dahingehend, dass man sehr wohl in der Lage sei, in politischen Dingen ganz zweifelsfrei „die Wahrheit“ ausfindig zu machen. Das kann der „wahre Volkswille“ sein, auch die anzustrebende „höhere Entwicklungsstufe“ von Menschen oder von Gesellschaften, oder ganz schlicht „der wirkliche Zustand unserer Demokratie“ [genau dieses Selbstverständnis hegt ein Großteil der AfD-Mitglieder und AfD-Sympathisanten].
- Weil man also ohnehin „die Wahrheit“ kennt, braucht man sich – zweitens – nicht auf Diskussionen mit Andersdenken einzulassen, denn wer „die Wahrheit“ nicht kennt, ist dumm oder schlecht. Also gibt es keinen vernünftigen Grund, Andersdenkende zu akzeptieren; allenfalls ertragen muss man sie. Nie soll man ihnen eine Bühne bieten, denn auf der würden sie ja doch nur Falsches anstelle des Richtigen verbreiten. Also gilt: Lasst die Andersdenkenden nicht zu Wort kommen, verhindert ihre Veranstaltungen – und wenn das nicht geht, dann stört sie wenigstens! [Weil – anders als ihre Gegnerschaft – die AfD nicht über die kommunikative Hegemonie im Land verfügt, kann sie diese Ausgrenzungsstrategie nicht nutzen. Ihre Mitglieder und Anhänger begnügen sich deshalb mit Weghören, Murren und diskursiver Rechthaberei. Das ist aber auch nicht vorbildlich – und lässt vermuten, die AfD würde es durchaus nicht anders halten als ihre Gegner, wenn sie selbst die kommunikative Hegemonie besäße sowie ihre eigenen Kriterien politischer Korrektheit durchsetzen könnte.]
- Diese beiden Überzeugungen, man selbst habe Recht und Andersdenkende brauche es deshalb nicht, finden – drittens – leicht einen gemeinsamen Nenner. Der lautet: Andersartiges ist bedrohlich – und nötigenfalls zu bekämpfen. Der Andersartige kann der mit einer „anderen Wahrheit“ sein, etwa mit anderem Glauben oder mit anderen Politikvorstellungen. Der Andersartige kann auch der mit anderen Interessen sein – etwa dem, für ein Anliegen zu demonstrieren, das man selbst scharf ablehnt. Und der Andersartige kann einfach anders aussehen – nach Hautfarbe, Bekleidung oder durch Verhalten. In allen diesen Fällen identifiziert man eine an solchen Merkmalen identifizierte Gruppe als bedrohlich und verhält sich dann zu ihren Angehörigen feindlich [Solche Wahrnehmungen und Handlungsweisen teilen vieler AfD-Mitglieder und AfD-Sympathisanten mit jenen Linken oder Grünen, denen sie „gegnerschaftlich verbunden“ sind. Deshalb kritisiere ich stets gleichermaßen alle politischen Gruppierungen, die sich nicht an die Spielregeln einer freiheitlichen Demokratie und des für sie typischen pluralistischen Parteienstreits halten]. Oft wirkt es dabei plausibel, dass der Andersartige weniger wert sei als man selbst. Und wenn ihm durch eigenes Tun oder Lassen geschadet wird, dann ist das eben so und nicht weiter schlimm. „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nennt man das inzwischen; und „menschenbezogene Gruppenfeindlichkeit“ wäre vielleicht auch kein irreführender Begriff. Natürlich ist „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nicht weniger verachtenswert, wenn sie gerade nicht – wie sehr oft – rassistisch oder sozialdarwinistisch grundiert ist, sondern schlicht und einfach politische Ursachen hat [… und eben das ist in den giftigen Auseinandersetzung von AfD-Mitgliedern und AfD-Sympathisanten mit „Systemlingen“, oder der von Linken und Grünen mit der AfD, ganz ohne Zweifel der Fall].
Ob gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zur Gewalttätigkeit führt oder sich allein im Reden, Schreiben und Zustimmen ergeht, hängt ganz von den jeweiligen Umständen ab. Ferner hat es den Anschein, als spielten Persönlichkeitsdefekte – wie auch immer entstanden – eine wichtige Rolle beim Übergang von gruppenbezogen menschenfeindlicher Gesinnung hin zum gewalttätigen Handeln gegen abgelehnte Andersartige. Außerdem gibt es guten Grund zur Vermutung, es lasse sich allein schon durch unwidersprochene Worte eine Stimmung, gar ein lokales oder regionales Meinungsklima aufbauen, in dem politisch motivierte Gewalttaten wahrscheinlicher sind, als sie das ohne vorherige Kultivierung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wären [klar vor Augen stehen bei alledem vielerlei kommunikative Praxen auch – doch freilich nicht nur – von AfD-Mitgliedern oder von AfD-Sympathisanten im Internet, bei internen Veranstaltungen oder bei Demonstrationen].
Deshalb muss man solchen Anfängen unbedingt wehren. Daraus aber ergibt sich dann auch eine ganz besondere Verantwortung politischer Parteien für jenen Teil des politischen Spektrums, aus dem heraus gerade ihnen Vertrauen entgegengebracht wird [das wiederum heißt ganz unmissverständlich: Es ist die AfD in ganz besonderer Weise für ein vernunftgeleitetes Einwirken auf den „rechten Rand“ unserer Gesellschaft zuständig – und sie ist das erst recht, seit die CDU diese Aufgabe nicht länger erfüllen will]. Gleiches gilt natürlich auch für Parteien, die sich als solche aus der Mitte der Gesellschaft und für die Mitte der Gesellschaft verstehen. Denn keineswegs ist es so, als ob Extremismus als Haltung der beschriebenen Art eine Sache allein gesellschaftlicher Randgruppen wäre. Sogar sehr oft entsteht sie in der „Mitte“ der Gesellschaft [insofern sind Hinweise darauf, bei einer Organisation oder Partei befänden sich vor allem solche Leute, die nach sozialer Schicht und nach Bildungsstand „aus der Mitte der Gesellschaft stammen“, in keiner Weise Belege dafür, in dieser Organisation oder Partei betätige man sich nicht extremistisch, also: nicht aktiv als Gegner unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung]. Harmlos ist es noch, wenn der eine ein philosophischer Sonderling wird, der andere ein esoterischer Spinner. Doch Gefahr zieht auf, wenn jemand zum hochemotionalen ideologischen Radikalen heranwächst; und Gefahr ist da, wenn sich da jemand – zumal gemeinsam mit anderen – in tätige Feindschaft zur ihn umgebenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung begibt [das aber tun – wissentlich oder nicht – jene, die dem AfD-Vorsitzenden Meuthen Vorwürfe deshalb machen, weil er seine Partei öffenlich zur glaubwürdigen Bekundung von Treue zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung unseres Staates aufgerufen hat].“
Teil 4: Was lehrt das alles?
Erstens: Es wäre für unser Land besser gewesen, die Union hätte nie jene Repräsentationslücke aufreißen lassen, in der sich nun die AfD mit ihren Parlamentsfraktionen festgesetzt hat.
Zweitens: Nachdem die AfD von dieser politischen Torheit der Union profitieren konnte, wäre es für die AfD selbst besser gewesen, wenn sie sich eindeutig als eine verfassungstreue und politisch vernünftige Partei aufgestellt hätte. Das wäre eine solche gewesen, die einesteils von ihr wahrgenommene Politikfehler klar kritisierte – und andernteils jenen eine ansehnliche politische Heimat geboten hätte, die zwar von der Union enttäuscht sind, doch sich auf keinerlei Rassismus oder Faschismus einlassen wollen.
Drittens: Gegen Ideologievernarrtheit und Torheit ist auch mit jahrelang wiederholten und sachlich schwer anfechtbaren Argumenten nicht anzukommen.
Und viertens: Wer in der Politik Vernunft voranbringen will, wird zwar wahrscheinlich scheitern; wer das aber gar nicht erst versucht, macht es sich allzu bequem in seiner Rolle als politisch kundiger Intellektueller. Insofern erkenne ich zwar, dass ich mit meinen politischen Ratschlägen allseits erfolglos war – bin aber sehr zufrieden damit, dass ich sie stets klar vorgetragen habe und weder ängstlich schwieg noch mich je opportunistisch am gern Gehörten ausrichtete.