Zur Erfurter Regierungsbildung, Teil 1
ursprünglich erschienen in: Junge Freiheit, Nr. 8/20, 14. Februar 2020, S. 2
Im Erfurter Drama verknüpfen sich viele Handlungsstränge. Sie führen zu bundesweiten Herausforderungen deutscher Innenpolitik. Deshalb wurden von Erfurt aus die politischen Verhältnisse ganz Deutschlands ins Wanken gebracht. Dahin ist die Autorität einer Bundeskanzlerin, die wider alle Amtskompetenz verlangte, das Ergebnis einer geheimen Abstimmung von Landtagsabgeordneten „rückgängig“ zu machen. Und dahin ist Kramp-Karrenbauers Zukunft als CDU-Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidatin nach ihrem Versuch, Parteibeschlüsse gegen das freie Mandat von Abgeordneten durchzusetzen.
Erstens erkennen wir, dass Teile unseres politischen Personals in einer Liga spielen, die ihr persönliches Niveau überfordert. Denn entweder begreift man als CDU und FDP in Thüringen, dass ein verabredetes Zusammenwirken mit der AfD zum Zweck der Verhinderung eines populären Ministerpräsidenten der Linken ein medial und politisch durchgesetztes Tabu deutscher Politik bricht, also gar nicht anders kann, als eine politische Großkrise auszulösen. Dann muss man, falls bewusst auf eine solche Krise zugesteuert wurde, nach deren Einsetzen beim vorbedachten Plan bleiben und darf nicht davonlaufen, nur weil der zu erwartende Sturm ausbricht. Oder es ging gar nicht um Grundsätzliches, sondern man wollte durch sein Abstimmungsverhalten nur Ramelows Minderheitskoalition ärgern. Dann aber hätten CDU und FDP ausreichend viele Stimmenthaltungen sicherstellen müssen, damit aus dem Spiel gerade kein Ernst würde. Das freilich unterblieb. Wenn es also nicht um einen strategisch gewollten und dann nicht durchgehaltenen Tabubruch ging, dann haben Kinder gezündelt – und waren erschrocken, als echter Sprengstoff hochging.
Zweitens handelt das Erfurter Lehrstück vom zentralen Gebot deutscher Innenpolitik: „Nie darf eine nicht-linke Parlamentsmehrheit gegen die Linke verwendet werden, falls diese Mehrheit die AfD einschließt!“ Seit freilich, vorangetrieben unter Mediendruck, die sozialdemokratisierende Vergrünung der CDU zunächst den Aufstieg und dann die Verfestigung der AfD ermöglicht hat, ist Deutschland rechts der Mitte zwischen zwei politisch ins Gewicht fallenden Parteien aufgespalten. Das heißt für die CDU: Sofern sie nicht – mittlerweile auszuschließen – eine absolute Mehrheit erringt oder – selten genug – mit FDP oder Freien Wählern eine politisch bequeme Mehrheitskoalition bilden kann, hat die Union mit Grünen und Sozialdemokraten zusammenzugehen oder eine Minderheitsregierung ihrer Rivalen zu unterstützen. Also verheißt das Erfurter Lehrstück: Linke, Sozialdemokraten und Grüne werden fortan Deutschland wohl immer regieren oder mitregieren, während eine klare Politik rechts der Mitte auf absehbare Zeit ausgeschlossen ist. Das aber wird die AfD zu Lasten der CDU weiter stärken.
Die Folge dessen werden – drittens – in Deutschlands verfestigtem Sechs-Parteien-System dauerhafte innenpolitische Feindseligkeiten sein. Anders als einst die Grünen und die PDS wird nämlich die AfD auf absehbare Zeit als Mitspielerin nicht akzeptiert werden. Eine tiefe Kluft wurde vielmehr geschaffen von Politikern, Medien und Zivilgesellschaft zwischen der AfD als sozusagen „fraglos faschistischer“ Partei sowie den übrigen, den „anständigen“ Parteien. Am Rand dieser Kluft zerreißt es nun die CDU. Ausgerechnet die den alten CDU-Idealen in Jesuitentreue ergebene WerteUnion wird als der im Inneren der Partei wühlende, böse Feind behandelt. Anscheinend hofft eine Mehrheit in der Union, vor allem durch die Herabsetzung von Konservativen oder von Leuten rechts der Mitte würde sie der CDU nutzen. Mancher versteigt sich sogar zur Illusion, immer weniger Konservative und Leute rechts der Mitte würden ihr Wahlkreuz bei der AfD setzen, falls man ihnen nur scharf genug sagte: „Niemals wird die AfD politischen Einfluss ausüben, und also sind Eure Stimmen für diese Partei verschenkt!“ Doch was, wenn – dank realem Koalitionsverhalten der Union – die Wahlparole der AfD verfängt, dass jede Stimme für die CDU unweigerlich eine Stimme für Grüne, Sozialdemokraten und Linke sei? Dass also die einzige Alternative zum allenthalben regierenden Allparteienbündnis die AfD wäre? – Dann erleidet die CDU das Verzwergungsschicksal der SPD.
Viertens zeigen sich nun die selbstschädigenden Folgen der Torheit jener Politiker, Mitglieder und Sympathisanten der AfD, die durch leichtfertiges Verwenden oder Bejubeln rechtsdemagogischer, auch rechtsradikaler Rede- und Denkweisen der AfD insgesamt den Ruf, ja in Teilen wohl gar die Haltung einer Partei beschert haben, die sich nicht nur gegen unsere politische Kultur, sondern auch gegen die Praxis unserer Verfassungsordnung wendet sowie in geistiger Verwandtschaft zum deutschen Faschismus steht. Dieser Partei irgendwie nahezukommen, ist jetzt toxisch und politisch tödlich geworden. Das wird zwar weder den Ex-CDUlern in der AfD noch der Satzung oder den Programmschriften der AfD gerecht. Doch politisches Vertrauen muss praktisch erarbeitet, muss verdient werden. Diesbezüglich hat ausgerechnet der Thüringer Landesvorsitzende seiner Partei mehr geschadet als genutzt. Eben das verurteilte eine in Erfurt womöglich gewollte Kooperation von CDU und FDP mit der AfD von vornherein zum Scheitern und machte ein unbeabsichtigtes Zusammenwirken zum politischen Super-Gau.