Soll man der Afd einen Saal überlassen?
Soll man der AfD einen Saal überlassen, um dort einen Parteitag abzuhalten? – Was vor sehr vielen Jahren noch als eine reine Testfrage für die Fähigkeit zu juristischer Spitzfindigkeit bei der Bearbeitung absonderlicher Fälle hätte gelten können, wurde vor nicht allzu vielen Jahren tatsächlich zum Fall für ein Verwaltungsgericht: Muss eine Stadt der NPD für eine gesetzlich vorgeschriebene Parteiveranstaltung einen Raum zur Verfügung stellen, wenn sich dafür kein Privater findet? Die entsprechende Stadt musste – und tat das dann auch.
Das Grundgesetz verlangt von Parteien, dass ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entspricht. Das Parteiengesetz verlangt deshalb, dass jede Partei in mindestens jedem zweiten Kalenderjahr einen Parteitag veranstaltet. Und die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verlangen, dass der Staat es den in seinem Hoheitsbereich befindlichen natürlichen und juristischen Personen ermöglicht, sich gemäß den sie betreffenden Rechtsvorschriften zu verhalten. Das wiederum heißt im hier betrachteten Fall: Wenn Privatpersonen es einer Partei unmöglich machen, einen rechtlich vorgeschriebenen Parteitag abzuhalten, hat der Staat dies subsidiär zu ermöglichen. Nötigenfalls hat er also eine in seinem Besitz befindliche Räumlichkeit der Partei für die Erfüllung dieser Rechtspflicht zur Verfügung zu stellen.
Das alles ist gerichtlich längst entschieden und rechtssystematisch ohnehin klar. Dennoch tat Berlins Regierender Bürgermeister unlängst so, als handele es sich dabei um eine dreist an ihn herangetragene Willkürforderung. Die wollte er mit dem Hinweis abschmettern, es wäre die Annahme „einigermaßen absurd“, dass „die Senatskanzlei dafür zuständig ist, Räumlichkeiten für Veranstaltungen für Parteien zur Verfügung zu stellen“. Doch absurd war nicht die Bitte der AfD um Staatshilfe bei der Erfüllung einer vom Staat auferlegter Pflicht. Absurd ist es vielmehr, ausgerechnet im Namen der Demokratie seitens der Zivilgesellschaft durch Drohungen gegenüber möglichen Vermietern an die AfD diese Partei in die Lage zu bringen, ohne staatliche Hilfe eine Pflicht nicht erfüllen zu können, die ihr gerade um der Demokratie willen auferlegt ist.
Niemand muss die AfD mögen; jeder darf allein schon ihr Bestehen missbilligen. Niemand muss die AfD fördern; jeder darf sie – solange gewaltfrei – politisch bekämpfen. Niemand muss auf Argumente der AfD hören; jeder darf ihr gegenüber Ohren und Verstand verschließen. Und natürlich darf jeder auch lautstark gegen die AfD und ihre Versammlungen demonstrieren. Doch wir vergehen uns gegen die Leitgedanken und Spielregeln pluralistischer Demokratie, wenn wir es zulassen, dass die AfD sich nicht auch ihrerseits am politischen Streit beteiligen kann – und wir vergehen uns sogar gegen aus guten Gründen bestehendes Recht, wenn wir es der Sache oder dem Grad nach unterschiedlich auf die AfD und auf andere Parteien anwenden.
Gewiss ist Faschismus keine akzeptable Meinung und erst recht keine hinnehmbare Haltung, sondern ein geschehenes und in der Gegenwart für alle Zukunft zu verhinderndes Verbrechen. Doch Verbrechen lebender Täter haben von Gerichten abgeurteilt, nicht der Selbstjustiz von Privatleuten überlassen zu werden. Und bei der Verfolgung oder Prävention von Verbrechen haben die Zeitgenossen sich sowohl reiner Willkür zu enthalten als auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, falls sie nicht den Zivilisationsgewinn realer Rechtsstaatlichkeit verspielen wollen.
All dem wird vieles am in Deutschland üblich gewordenen Umgang mit der AfD nicht gerecht. Dass man etliche Grundsätze von pluralistischem Wettbewerb – oder gar unserer Rechtsstaatlichkeit – ausgerechnet im Namen des Schutzes unserer Demokratie verrät, macht die Sache um keinen Deut besser. Wann kommt endlich die Zeit, in der mehr Leute als bislang erkennen und dann auch öffentlich sagen, dass sich eine Minderheit in unserem Land beim Kampf gegen politische Gegner verrannt hat, statt sich über einen Kampf mit falschen Mitteln klammheimlich zu freuen, falls es nur „den Richtigen trifft“!
Verzichten wir außerdem darauf, Fehler des einen politischen Lagers mit Fehlern des anderen politischen Lagers gleichsam zu verrechnen und so zu rechtfertigen. Gerade wenn wir – übrigens aus guten Gründen – politische Gegnerschaft praktizieren wollen, müssen wir die Möglichkeit fairen politischen Streits auch unter Inkaufnahme von Risiken gewährleisten. Andernfalls spaltet sich unsere Gesellschaft auf zwischen Freund und Feind, ja kann politisches Terrorisieren sich wechselseitig anfachen und am Ende ganze Landstriche an den Rand von Bürgerkrieg bringen. Also muss jener Grundsatz, der alle Freunde unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung verbindet, wirklich lauten: Wehret den Anfängen – und zwar gerade auch dort, wo aus gut Gemeintem schlecht Getanes wird!