Unaufhaltsamer Aufstieg der AfD?
Am 2. Juli, auf dem Höhepunkt des Streits zwischen CDU und CSU, erschien – allerdings gekürzt – im „Donaukurier“ (Nr. 150, S. 2) unter dem Titel „Desaströse Entwicklung“ eines meiner vielen Interviews zum Popularitäts- und Machtaufstieg der AfD. Gerade vor dem Hintergrund des womöglich scheiternden Versuchs der CSU, der AfD mit Erfolg eine andere Strategie entgegenzusetzen, als ihre Themen für an den Haaren herbeigezogen zu erklären und ihre Politiker als Nazis oder Rassisten anzugreifen, mag dieses Interview in seiner ungekürzten Fassung aufschlussreich sein. Die Fragen stellte Tobias Schmidt.
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Frage: Herr Patzelt, der AfD-Bundesparteitag ist Rechtsaußen Björn Höcke gefolgt, die Partei schlägt neben dem nationalen nun auch einen sozialistischen Kurs ein. Eine wichtige Richtungsentscheidung?
Patzelt: Ja. Obendrein macht sich die AfD auf den Weg zur „normalen“ Partei rechts der Union: volksverhetzende Reden unterblieben, und es wurde eine parteinahe Stiftung beschlossen, die der AfD künftig einen selbstbestimmten Dauereinfluss auf die politische Kultur sichert. Doch vor allem will man zur Partei der kleinen Leute werden: Die wirtschaftsliberalen Vorschläge zur Rentenpolitik von Parteichef Meuthen blieben ohne Echo; stattdessen folgte man dem Höcke-Kurs, nämlich das Soziale mit dem Nationalen zu verbinden. Das wird zukunftsträchtig sein.
Frage: Eine Weichenstellung weg von der radikalen Protest- und Anti-System-Partei zur Regierungspartei?
Patzelt: Womöglich. Denn wenn die AfD auf diesem Kurs bleibt und bei den kommenden Landtagswahlen wieder zweistellige Ergebnisse erzielt, dann war es das mit den Versuchen, die diese Partei wieder kleinzubekommen. Der Kurs, gerade um der sozial Schwachen willen den Nationalstaat gegen die Folgen von Globalisierung zu stärken, dürfte nämlich sehr wählerattraktiv sein. Außerdem gibt es für eine solche Verbindung rechter Staatspolitik mit linker Sozialpolitik in Deutschland derzeit keine parteipolitische Konkurrenz. Auch wirkt eine solche Doppelposition gerade auf die nicht-akademischen Wähler von SPD und Linkspartei überaus anziehend. Denen leuchtet nämlich ein, dass sich der Staat vor allem um die sozial Schwachen unter jenen kümmern soll, die schon länger im Lande leben.
Frage: Hartz-IV-Empfänger und Flüchtlinge werden gegeneinander ausgespielt?
Patzelt: Die Leistungsfähigkeit eines Sozialstaats beruht auf der Abgrenzung zwischen denen, die sich wechselseitig solidarisch verhalten, also frag- und klaglos Steuern und Sozialabgaben zahlen, und jenen, die man aus humanitären Gründen fall- und zeitweise mitversorgt. Viele Leute im Land halten es deshalb für sozial ungerecht, Zuwanderer mit jahre- oder lebenslanger Bedürftigkeitsperspektive in ähnlicher Weise sozialstaatlich zu unterstützen wie Angehörige der bundesdeutschen Bevölkerung, die das Pech hatten, arbeitslos zu werden. Eine solche Position vertritt derzeit aber nur die AfD in völliger Klarheit. Deshalb schafft diese Partei es mehr und mehr, nicht nur Rechte oder Fremdenfeinde an sich zu binden.
Frage: Sind die Volksparteien Union und SPD dagegen machtlos?
Patzelt: Beide haben jahrelang alle Appelle ignoriert, sich wirkungsvoll um die realen Anschlussprobleme von Migration ohne wirkliche Integration zu kümmern. Jetzt schlägt ihnen seitens der AfD-Sympathisanten Misstrauen und Verachtung entgegen. Man nimmt es ihnen nicht ab, sich nun aus Einsicht und nicht aus Angst vor der AfD-Konkurrenz um jene Sichtweisen, Probleme und Wünsche anzunehmen, die bislang für gegenstandlos oder rassistisch erklärt wurden. Diese desaströse Entwicklung war seit dem Aufkommen von Pegida absehbar, und nun scheint sie unumkehrbar geworden zu sein.
Frage: Die CSU hat immer wieder energisch versucht, die Asylpolitik massiv zu verschärfen…
Patzelt: Ja, doch sie scheiterte am Widerstand ihrer Koalitionspartner. Falls ihr jetziger Versuch ebenfalls misslingt, mittels einer veränderten Migrationspolitik verlorenes Bürgervertrauen zurückzugewinnen, werden wir uns ab dem kommenden Oktober daran gewöhnen müssen, dass die AfD fortan genauso zum deutschen Parteiensystem gehören wird wie seit langem die Grünen und die Linkspartei.
Frage: Der harte Kurs der CSU im Asylstreit war notwendig?
Patzelt: Ja; nur kommt er vielleicht zu spät. Hätte die Bundesregierung schon Ende 2015 den Kurs eingeschlagen, dessen Durchsetzung auf dem letzten EU-Gipfel unsere Kanzlerin so stolz macht, wäre die AfD niemals so stark geworden. Doch wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Frage: Laut aktuellen Umfragen steigt das Vertrauen in die Kanzlerin, während die CSU und ihr Spitzenpersonal Federn lassen müssen. Widerspricht das nicht Ihren Argumenten?
Patzelt: Erfahrungsgemäß spiegeln aktuelle Umfragen jeweils den Medientenor von vor zwei Wochen. Damals aber wurde in den Medien der CSU-Vorstoß zur Zurückweisung einzelner Flüchtlingsgruppen mehrheitlich als Zwergenaufstand dummer Bayern gegen die weltkluge Politik der Kanzlerin dargestellt. In zwei Wochen werden wir sehen, was die Leute – natürlich unter Medieneinfluss – von der jetzt sich abzeichnenden wirklichen Politik halten.
Frage: Sie erwarten nicht, dass der Asylstreit für die CSU zum Eigentor wird und die AfD davon profitieren kann?
Patzelt: Gerade dann, wenn die CSU keine Politikveränderung erreicht, kann sich die AfD erfolgreich als einzige Alternative zu „handlungsunfähigen Altparteien“ aufspielen.
Bildquelle: https://www.google.de/search?q=afd+csu&tbm=isch&source=lnt&tbs=isz:l&sa=X&ved=0ahUKEwjX6Zmx_KbcAhVrDsAKHfp6ApQQpwUIHg&biw=1536&bih=734&dpr=1.25#imgrc=z0kqErbo2ZaLJM: