AfD, PEGIDA und der Osten
Kurz nach der Bundestagswahl gab ich Frau Katharina Rögner vom epd (Evangelischer Pressedienst) das nachstehende schriftliche Interview. Zusammengefasst als Agenturmeldung weit verbreitet, tauchte es während der letzten Tage auszugsweise in vielen Artikeln auf. Hier findet es sich in Gänze:
Ist der Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl ein Problem des Ostens?
Nein, denn auch im Westen hat die AfD stark zugelegt – zumal dort, wo die Leute früher ihre Hoffnungen vor allem in die Unionsparteien gesetzt hatten. Doch die AfD ist im Osten aus drei Gründen besonders stark. Erstens: Seit der Wiedervereinigung ist das System- und Elitenvertrauen im Osten deutlich niedriger als im Westen; da kann sich also immer wieder schnell Empörungsstimmung ausbreiten. Zweitens: Ebenfalls seit der Wiedervereinigung ist die Parteibindung im Osten viel geringer als im Westen; deshalb können Protestparteien schnell großen Zulauf bekommen. Drittens ist da die unterschiedliche Wirkung von Merkels Migrationspolitik, also des großen Mobilisierungsthemas. Im Osten ist die Entstehung einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft nämlich noch viel weniger willkommen als im Westen; und weil keine andere Partei als die AfD sich strikt gegen eine solche Entwicklung aussprach, bekam diese im Osten eben besonders großen Zulauf.
Ist es angemessen, jetzt eine Debatte aufzumachen, ob der Osten und der Westen richtig zusammengewachsen sind?
Nein. Angeblich gehen ja auch in Bayern die Uhren anders, obwohl dieses Land – anders als die heutigen neuen Bundesländer – ununterbrochen seit 1871 Teil dessen war, was jetzt „Bundesrepublik Deutschland“ heißt. Außerdem geht eine solche Frage davon aus, dass „richtiges Zusammenwachsen“ im vollständigen Ähnlichwerden von Ost- und Westdeutschland bestünde. Was aber soll problematisch daran sein, dass man in Sachsen vieles anders empfindet als in Rheinland-Pfalz? Hamburger ticken doch auch anders als Bayern!
Welche Erklärungen sehen sie für den Aufstieg der Rechtspopulisten?
Weit verbreitet ist die Erklärung, dass in Deutschland rund ein Fünftel der Bevölkerung ein rechtsextremistisches Weltbild samt rassistischen Grundeinstellungen hätte, und mangelnder Widerstand gegen PEGIDA und AfD nun eben alle Hemmungen abgebaut habe, sich zu alledem zu bekennen. Viele Maßnahmen im „Kampf gegen rechts“ gründeten auf genau dieser Erklärung – und waren offenbar recht wirkungslos.
Ich erachtete diese Sichtweise immer schon als allenfalls in sehr begrenztem Umfang zutreffend. Richtig scheint mir hingegen die folgende zweistufige Erklärung zu sein.
Erstens hat die „sozialdemokratisierte“ CDU als eine selbsterklärte „Partei der Mitte“ viele Leute einfach nicht mehr angesprochen und erreicht, die sich nun einmal nicht als „mittig“ – und schon gar nicht als links – empfinden. So entstand eine Repräsentationslücke am rechten Rand. In der konnte sich zunächst am Thema „Euro“, sodann am Thema „Migration“ der deutsche Rechtspopulismus hochranken – und zwar gerade auch deshalb, weil nun einmal die etablierten Parteien und Medien nachgerade darauf versessen waren, Euro- und Migrationskritiker als „rechts“, ja als „rechtsextrem“ hinzustellen. Man bot Rechten also gleichsam auf dem Präsentierteller eine rechte Protestpartei als neue politische Heimat an.
Zweitens wurde der Rechtspopulismus ja länger schon in ganz Europa groß, weil nämlich die linken, grünen, liberalen und christdemokratischen Mainstream-Antworten auf neue Probleme in ihren Grenznutzenbereich geraten sind. Das meint: „Mehr Europa, mehr Offenheit, mehr Liberalität, mehr Markt“ scheint vielen Leuten keine plausible Krisenreaktion mehr zu sein, und für „weniger nationale Souveränität“ oder für „weniger Einfluss einer Bevölkerung auf die Politik ihres Landes“ gilt das erst recht. Deutschland war nur deshalb solange ein recht weißer Fleck auf der Landkarte des Rechtspopulismus, weil die Union als vernünftige Partei alles bis zum rechten Rand hin aufsog und gleichsam in sich selbst entsorgte – und weil die Gleichsetzung von „rechts“ und „nazistisch“ solange klappte, wie sie gegenüber der Lucke- oder Petry-AfD nicht ihre Glaubwürdigkeit vollends eingebüßt hatte.
Welchen Anteil hat Pegida am Wahlerfolg der AfD?
Dresdens PEGIDA war der erste deutsche Vulkanschlot für jenes rechtspopulistische Magma von Politik- und Elitenempörung, das unter ganz Deutschland, ja unter ganz Europa brodelt. Und als die AfD im Sommer 2015 vollends zur PEGIDA-Partei geworden war, entstand bei jeder Landtags- und Bundestagswahl ein weiterer Vulkanschlot. Weil freilich die Politik nicht geophysikalisch funktioniert, also von unseren Handlungen recht unabhängig, hätte sich gegen diese weiteren politischen Eruptionen sehr wohl etwas unternehmen lassen – und zwar ganz entlang den Ankündigungen der Kanzlerin vom Wahlabend: durch Hinhören auf besorgte Bürger, durch Ernstnehmen von deren Problemen, durch wirkungsvoll problemlösende Politik.
So aber wurde auf PEGIDA und die AfD gerade nicht reagiert. Vielmehr nannte man sie Zusammenrottungen von dummen Ostdeutschen und hasserfüllten Rassisten, was zwar für einen kleinen Teil von ihnen stimmte, um ihn herum aber eine große Masse von zu Unrecht Beschimpften in trotziger Solidarität vereinte. Einerseits fing mit PEGIDA also an, was mit dem Bundestagswahlerfolg der AfD zu einem gewissen Zwischenergebnis kam; und andererseits haben die falschen Reaktionen auf PEGIDA die ebenso kontraproduktiven Reaktionen auf die AfD vorgezeichnet. Weil Spitzenpolitiker und Medien nicht hören wollten, muss nun das ganze Land fühlen. Was für eine politische Meisterleistung!
Bildquelle: https://www.google.de/search?rlz=1C1NIKB_deDE570DE570&biw=1536&bih=760&tbs=isz%3Al&tbm=isch&sa=1&q=afd+ostdeutschland&oq=afd+ostdeutschland&gs_l=psy-ab.3..0i24k1l2.39181.47108.0.47308.25.22.2.0.0.0.157.2390.10j12.22.0….0…1.1.64.psy-ab..1.24.2396…0j0i13k1j0i67k1j0i8i30k1.0.dNt5lKplPXk#imgrc=5TG_St3KQJjGKM: