Zur neuen Göttinger Rechtsextremismus-Studie
Die im Auftrag der Bundesbeauftragten für die neuen Bundesländer vom Göttinger Institut für Demokratieforschung vorgelegte Studie über „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland“ (http://www.demokratie-goettingen.de/content/uploads/2017/05/Studie-Rechtsextremismus-und-Fremdenfeindlichkeit-in-Ostdeutschland-Abschlussbericht.pdf) ist auf etliche Kritik gestoßen. Gleich nach ihrem Erscheinen von etlichen Journalisten nach meiner Einschätzung dieser Studie gefragt, habe ich mich in verschiedenen Medien zu ihr geäußert.
Einiges davon mache ich nachstehend leicht greifbar: ein Interview von gestern mit MDR aktuell, sowie Zitate aus Artikeln, die in der WELT und in BILD erschienen sind (siehe: http://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/audio-386882.html, https://www.welt.de/politik/deutschland/article164753972/Wer-ein-Problem-mit-Antifa-hat-wird-in-die-rechte-Ecke-gestellt.html, und http://www.bild.de/politik/inland/iris-gleicke/ost-beauftragte-51882080.bild.html).
Kernpunkte meiner Einschätzung der Göttinger Studie, über jene erfragten und dadurch thematisch beschränkten Medienaussagen hinaus, sind – knapp umrissen – die folgenden:
1. In Ordnung ist an dieser Studie:
(a) dass sie auf einem sorgfältig berichteten Forschungsstand aufbaut,
(b) dass durch qualitative Methodik Mikroanalysen des zu verstehenden und zu erklärenden Gegenstands ermöglicht werden,
c) dass umfangreich Daten präsentiert werden, gleich ob als Zahlen oder als Texte. Das erlaubt es, sich kritisch mit den Befunden und den auf sie gegründeten Folgerungen auseinanderzusetzen.
Solches zu ermöglichen, ist ein wichtiges Kriterium von Wissenschaftlichkeit. Ihm wird diese Studie gerecht.
2. Nicht in Ordnung bzw. verbesserungswürdig ist an dieser Studie:
(a) dass ein – legitimerweise – methodisch nicht auf Repräsentativität ausgehender Ansatz auf vergleichendes Vorgehen verzichtet, weshalb man aus dieser Studie gar nicht erfahren kann, ob das in Freital, Heidenau und Erfurt Festgestellte nur für diese drei Sozialräume gilt, oder womöglich auch dort, wo es zu keinen Gewalttaten oder Ausschreitungen von rechts gekommen ist – ja vielleicht sogar auch für Einstellungen und Verhaltensweisen im Westen. Wenn man wirklich über die Verursachung von Rechtsradikalismus in Ostdeutschland und über Zusammenhänge zwischen Rechtsradikalismus und (fremdenfeindliche) Gewalttätigkeit anhand von qualitativen Daten etwas aussagen will, wäre deshalb folgendes vergleichendes Auswahldesign angebracht gewesen: je zwei untersuchte Sozialräume in Ost- und Westdeutschland, davon jeweils einer mit und ohne aufgetretene rechtsradikale (fremdenfeindliche) Gewalt.
(b) dass die publizierten Kausalaussagen über die Verursachung von Rechtsradikalismus in den neuen Bundesländern somit nicht von den erhobenen Daten, sondern im Wesentlichen aus der ohnehin forschungsleitenden und nicht weiter hinterfragten Theorie abgeleitet werden, weshalb man sich die – im Grunde das „vorab schon Gewusste“ illustrierende – Datenerhebung nachgerade hätte sparen können. Im Grunde ist es so, dass die Autoren ihre Rahmentheorie (Heitmeyer, Decker, Brähler, Zick …) für schlechterdings richtig halten, also die von ihnen erhobenen Daten weder zum Theorietest noch, alternativ, zur Neubildung von „grounded theory“ zu nutzen gedachten. Das kann man so machen – ist aber gewiss nicht gezwungen, wissenschaftliche Erkenntnislust und den aus einer nicht ganz billigen Studie zu ziehenden Erkenntnisgewinn auf diese Weise zu beschränken.
(c) dass unklar ist, in welchem Ausmaß unter den befragten Experten sowie unter den Gruppendiskussionsteilnehmern „Rechte“ ihr eigenes Denken vor Augen führten (so anscheinend etliche Gruppendiskussionsteilnehmer), oder „Linke“ (anscheinend zahlenstark unter den befragten „alltagspraktischen Experten“) ihre Wahrnehmungen von „Rechten“ den Forschern mitteilten. Sofern die befragten „alltagspraktischen Experten“ ihre Einschätzungen auch noch anhand jener Begriffe formulierten, die von den Autoren ihrerseits forschungsleitend verwendet wurden (darunter gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rassismus usw.), konnte es gar nicht ausbleiben, dass die befragten Experten kaum umhin kamen, die Vorannahmen der Verfasser der Studie einfach zu bestätigen. Sofern solche Vorannahmen stimmen, ist gegen ein solches Vorgehen gewiss nichts einzuwenden, wird dann doch gezeigt, dass auch „normale Leute“ erfreulicherweise genau das denken, was auch Wissenschaftler für richtig halten.
Was aber, wenn die spannende Frage eben die wäre, ob denn Vorannahmen der forschungsleitenden Theorie wirklich mit den Tatsachen übereinstimmen? – Besser wäre es jedenfalls gewesen, man erführe deutlich mehr, als im Text angegeben, über die „alltagspraktischen Rollen“ und die politischen Grundeinstellungen sowohl der befragten „alltagspraktischen Experten“ als auch der Gruppendiskussionsteilnehmer. Dann nämlich könnte man sich als kritischer Leser auch selbst ein Bild davon machen, aus welcher Perspektive und somit mit welcher Selektivität und Normativität da jemand sprach, dessen in der Studie zitierte Aussage wichtiges Material der durchzuführenden bzw. nachzuvollziehenden Analyse ist. So aber muss man den Verfassern der Studie einfach glauben, dass sie alles unvoreingenommen gedeutet und zu einem tatsachengetreuen Bild zusammengefügt haben. Zwar ist Vertrauen gut, Kontrolle aber ist besser – gerade in der Wissenschaft.
Mich persönlich befremdet im Übrigen, dass zwar umfangreich Aussagen über „Rechtsradikalismus im Raum Dresden“ gemacht werden, dass aber jene sehr detaillierten – obendrein auch quantitativen und korrelationsanalytischen – Befunde, die sich im 660 Seiten-Buch von Patzelt/Klose über PEGIDA finden, so gut wie nirgendwo herangezogen werden. Das Buch selbst wird im Literaturverzeichnis der Göttinger fälschlicherweise als Klose/Patzelt zitiert; und an den wenigen Stellen im Text, bei denen es um die jenem Buch zugrunde liegenden Forschungen geht, werden diese abgetan als „konservativ-voreingenommen“. Als von dieser Aussage (Mit-) Gemeinter weiß ich, dass diese Einschätzung albern-abwegig ist und unsere Befunde schlicht verfehlt.
Lustigerweise kommen die Verfasser der Göttinger Studie am Schluss aber weitgehend zu denselben Erklärungsaussagen, die sich schon im Kapitel von Patzelt/Klose über die Ursachen des PEGIDA/AfD-Komplexes finden. Doch zu dergleichen Phänomenen schloss schon Christian Morgensterns Palmström „messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf“ – hier also: dass es bei Patzelt/Klose viel präzisere und gegenstandsnähere Analysen dessen gibt, was aus welchen Gründen „im Raum Dresden“ an Rechtem, Rechtpopulistischem, Rechtsradikalem und Rechtsextremem vorliegt.
Fazit: Zweifellos handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine wissenschaftliche Studie, doch um eine methodisch und vom Gesamtansatz her verbesserungswürdige; und unvoreingenommen scheinen sich die Forscher ihrem Gegenstand sowie dem zu ihm vorliegenden Forschungsstand auch nicht genähert zu haben. Beides ist angesichts eines sachlich wie politisch so wichtigen Themas wirklich schade – zumal die Göttinger Kollegen schon mehrfach unter Beweis gestellt haben, dass sie Besseres zustande zu bringen vermögen.