Wie soll man politisch streiten?
Diesem Thema galten zwei meiner letzten Kolumnen im Feuilleton der „Sächsischen Zeitung“. Weil die dortigen Überlegungen vielleicht über den Einzugsbereich der „SZ“ hinaus interessant sein könnten, veröffentliche ich sie auch hier.
I. Wir Volk – ihr Volksverräter! Allein durch Selbstbestätigung unter Freunden wurde noch nie ein Gegner überzeugt.
Freitag, 20.01.2017
Es hat schon etwas, als Katholik vor Katholiken zu predigen, als Sozialdemokrat vor Sozialdemokraten. Vermeidet man dabei Streitpunkte und betont Verbindendes, so findet das Gesagte immer mehr Widerhall. Mitunter entsteht eine Wohlfühlspirale zwischen Redner und Publikum, werden Wonnen glückender Rhetorik zum Kollektivgenuss. Jedenfalls in der Gruppe der so Beglückten. Und gewiss unter Ausgrenzung der anderen, die anderes verbindet und andere Reden begeistern.
Was aber geschieht zwischen solchen Gruppen, die sich am je eigenen Besonders-Sein berauschen? Etwa so: Wir die Guten, Ihr die Bösen! Wir die besorgten Realisten, Ihr die versifften Ideologen! Wir die Reflektierten, Ihr die Pöbler! Wir das Volk, Ihr die Volksverräter! Dann wachsen wechselseitige Verachtung und Provokationslust, ja Verfeindung samt der Neigung zur Gewalt. Wäre es da nicht besser, verbal abzurüsten, sich auf sinnvolle Diskursregeln einzulassen, ihnen entlang das Gespräch zu suchen – und eben auch zwischen Leuten aus Gruppen, die einander nicht mögen?
Leider geht das nicht immer. Wenn ein Vernagelter auch noch aggressiv wird, ein Verbohrter stolz ist auf Dummheit, ein anderer den Diskurs nutzt als Falle für Gesprächsbereite: Dann muss man guten Willen fahren lassen. Nur ist damit noch nicht die Herausforderung bestanden, sich gegen Gruppen solcher Leute durchzusetzen. Wenn diese die freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv bekämpfen, kann man sie zwar verbieten – einen Verein ein Innenminister, eine Partei das Bundesverfassungsgericht. Und Inlandsgeheimdienst samt Polizei können aufklären oder eingreifen, wenn da im Verborgenen gegen die pluralistische Demokratie agiert wird.
Doch sollen wir, bis es soweit kommt, einfach unter uns bleiben? Über die Anderen klagen, gegen sie demonstrieren, nichts von deren Aussagen an uns herankommen lassen? Uns nur wechselseitig stärken im Glauben an die eigene Sache? Gehörte sich denn nicht auch der argumentierende Nahkampf mit Anführern der Gegner, das Ausgehen auf deren Niederlage vor Publikum, die Erschütterung des Glaubens und Zutrauens ihrer Anhänger? – Es wird schon sein, dass man bei solchen Kämpfen nicht jede Runde gewinnt und sich Schrammen holt. Doch allein durchs Reden mit Freunden wurde noch nie ein Gegner bezwungen.
II. Kitt oder Sprengsatz. Worte rechtfertigen im Nachhinein Verbrechen, zuvor vernageln sie den Verstand.
Freitag, 17.02.2017
Womöglich sind Städte unschuldig, weil sie nicht handeln. Das tun die in ihnen lebenden Menschen, darunter ihre Anführer. Womöglich sind auch Worte unschuldig, obwohl sie wie Gift wirken können – etwa wenn man „Neger“ von „Weißen“, „Biodeutsche“ von „Passdeutschen“ unterscheidet. Doch schuldig werden jene, die giftige Worte gebrauchen und in Reden einfügen, die Gefolgschaft stiften.
Denn aus Worten werden Haltungen, aus Reden Handlungen. Die verändern dann die Wirklichkeit. Im Kleinen geschieht das bei übler Nachrede, die etwa eine Kollegin zur Außenseiterin macht. Massenhaft vollzieht sich das bei Hassmails und Shitstorms, was inzwischen ehrenwerte Leute von politischer Tätigkeit abhält. Ins noch Schlimmere wächst das alles, wenn aus Hassreden über einen Fußballclub gewaltsame Angriffe auf dessen Anhänger werden – oder aus Kritik am Kapitalismus die Morde der RAF, aus Hetze gegen Ausländer die Morde des NSU. Und bei Massenverbrechen endet derlei, wenn aus gläubig gepredigter Klassenlehre die Vernichtung der Kulaken wird, aus gläubig gepredigter Rassenlehre der Völkermord an Herero und Nama, an Sinti und Roma, an Europäern jüdischer Abkunft.
Alles beginnt und endet mit Worten. Im Nachhinein rechtfertigen sie Verbrechen, im Vorhinein vernageln sie den Verstand, und zwischendrin formen sie Haltungen, in denen Unrecht für Recht, Schlechtes für Gutes, Dummes für Klugheit genommen wird. Oft wirken sie wie Grenzanlagen, oft wie Feldzeichen feindlicher Heere, oft wie Kommunikationsartillerie.
Doch Worte können auch verbinden und versöhnen, aufklären und läutern, aufrichten und beschützen. Wir selbst sind es, die Worte zum Kitt oder Sprengsatz unserer Gesellschaft machen. Wir haben die Wahl: Wollen wir mit unseren Worten andere erreichen oder abschrecken? Worte nutzen zum Beschimpfen, sie gar ersetzen durch Pfeifen und Gebrüll? Oder sie guten Willens verwenden für sorgfältiges Antworten auf Fragen, geduldiges Erläutern von Zusammenhängen, werbendes Aufzeigen sinnvoller Regeln und lohnender Ziele?
Letzteres wäre richtig. Solchen Worten muss man aber auch Umstände schaffen, in denen sie wirken können. Das meint: vorab dem anderen ernsthaft zuhören, seine Argumente verstehen wollen, das das auch zeigen. Warum nur halten es so viele derzeit ganz anders!
Bildquelle: https://www.google.de/search?q=politischer+Streit&client=firefox-b&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwjUpKW5-7DSAhWB1SwKHT-_DccQ_AUICSgC&biw=1536&bih=755#tbm=isch&q=politische+diskussion&*&imgrc=716E-M0pa1bM2M: