Populismus, Kirche, Islamisierung, Atheismus. Antwort auf Paul Meier
Während so gut wie alle meine linken Kritiker in dauerhaftes Schweigen zu verfallen pflegen, sobald ich mich mit ihnen auseinandergesetzt habe, nahm Herr Paul Meier meinen auf mancherlei kritische Einwände reagierenden Beitrag vom 18. Januar (https://wjpatzelt.de/?p=1198) am 19. und 20. Januar zum Anlass von drei langen – und zweifellos ganz akzeptabel langen – Erwiderungen. Dieses Verhalten verdient Respekt, und zwar natürlich auch dann, wenn Dissens in der Sache bestehen bleibt. Der Zweck einer Debatte ist ja nicht die Umpolung des Gesprächspartners, sondern die Klärung eines aus unterschiedlichen Warten betrachteten Gegenstands. Wenn am Ende der Debatte – teilweiser – Konsens steht, ist das zwar schön, doch nicht der alternativlose Zweck einer Auseinandersetzung.
Und nun gehe ich die einzelnen Punkte der dreigeteilten Replik von Herrn Meier knapp durch.
Populismus
Ich stimme Herrn Meier völlig in dem zu, was er über den tatsächlichen Gebrauch von Begriffen wie Populismus und Rassismus schreibt. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass man denen das Feld überlassen sollte, die analytisch wichtige Begriffe wie Populismus und Rassismus einfach als Schimpfwörter oder Angriffswaffen benutzen. Will man hier dagegenhalten, muss man freilich vernünftige Begriffe von Populismus und Rassismus schon erst einmal klären und dann allzeit offensiv verwenden. Im bestmöglichen Fall verzieht sich rein denunziatorischer Begriffsgebrauch eines Tages wie der Pulverdampf auf dem Schlachtfeld nach geschlagenem Gefecht. Wohl dem, der dann gewonnen hat! Doch wer gewinnen will, muss zunächst einmal in den Kampf. Und genau so halte ich es, wenn ich unvernünftigen Begriffen – etwa: von Populismus und Rassismus – vernünftige Begriffe entgegensetze (siehe https://wjpatzelt.de/?p=1102 und https://wjpatzelt.de/?p=839).
Partnerschaftliches Kirche/Staat-Verhältnis in Deutschland vs. Laizismus
Es gibt ganz einfach unterschiedliche Einschätzungen des bestmöglichen Staat/Religion-Verhältnisses, und solche Meinungsverschiedenheiten sind auch ganz in Ordnung. Meinerseits vertrete ich – endlich einmal – die Mehrheitsposition von Politik und Zivilgesellschaft in Deutschland, und zwar deshalb, weil mir scheint, dass wirklich gute Gründe für sie sprechen. Jedenfalls hat das laizistische Frankreich sogar noch größere Probleme beim Umgang mit bekennenden Muslimen als unser Land. Umgekehrt findet sich gerade in den USA, wo Kirchen und Staat ebenso streng getrennt sind wie in Frankreich, eine so enge Verbindung von Religion und Politik, dass sie in Frankreich geradezu skandalös wäre. Beispielsweise gälten Gebete, reichlich gesprochen bei Donald Trumps Inauguration, bei der Amtseinführung eines französischen Präsidenten schlicht als Verstoß gegen die laizistische Verfassung.
Im Übrigen hält die Aussage durchaus nicht den Tatsachen stand, der deutsche Staat würde von den christlichen Kirchen „kontrolliert“. Weder kontrolliert das Erzbistum Köln, die weltweit wohl reichste Diözese, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen noch die Evangelische Landeskirche den Freistaat Sachsen, und EKD samt Katholischer Bischofskonferenz haben schon gar nicht die Bundesregierung in der Hand. Richtig ist allerdings, dass religiöse Menschen ihre Religiosität auch als Politiker, Beamte oder Richter nicht ablegen, was man ihrem Handeln dann auch oft anmerkt. Doch auf religiöse Prägung seines Handelns müssen selbst öffentlich Bedienstete solange nicht verzichten, wie sie sich an die Gesetze halten und diese in keiner Weise beugen. Eben in der Verbindbarkeit von frei gewählter Religion – oder von frei gewählter Religionslosigkeit – mit der Rolle als Staatsbürger besteht ja die aktive Religionsfreiheit (die „Freiheit zur Religion“). Die passive Religionsfreiheit aber (die „Freiheit von Religion“) findet ihre Grenzen in der aktiven Religionsfreiheit anderer. Angemerkt sei ferner, dass politische Spitzenämter bei uns nach politischen Mehrheitsverteilungen vergeben werden, immer öfter freilich auch Gendergesichtspunkten, doch – wenigstens außerhalb von CDU/CSU – nicht nach einem Religions- oder Atheistenproporz. Und je geringer man sich die Rolle von Religion in Politik und Gesellschaft wünscht, umso irrelevanter müssen dann doch religions- oder atheismusproportionale Wünsche werden.
Staatsleistungen an die Kirchen
Auch diesbezüglich gibt es unterschiedliche Beurteilungen, was ebenfalls in Ordnung ist. Wiederum vertrete ich die – normhistorisch und rechtsdogmatisch gut begründete – Mehrheitsposition der Kollegen vom Öffentlichen Recht und Staatskirchenrecht. Gewiss aber wird der Streit noch lange weitergehen. Meinerseits habe ich im Übrigen nicht das Mindeste gegen die längst vorgesehene Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen durch eine plausible Neuregelung.
Islamisierung
Das – durchaus nicht von allen Deutschen – mit diesem Begriff bezeichnete Veränderungsgeschehen in der öffentlichen und privaten Kultur unseres Landes geht durchaus nicht ohne Schwierigkeiten und Risiken ab. Diese kleinzureden, war – und ist – ein großer Fehler. Sich nur mit gutem Willen, doch ohne Vor- und Umsicht, politikgestalterisch auf diese Herausforderungen einzulassen, ist ebenfalls ein großer Fehler. Auf guten Willen bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu verzichten, würde aber erst recht zu keinem guten Ende führen und wäre der allergrößte Fehler.
Leider haben wir uns hier schon vor Jahrzehnten allzu sorglos auf ein Gesellschaftsexperiment eingelassen, im Vergleich zu dem das Wagnis einer friedlichen Nutzung der Kernenergie ziemlich gut im Griff zu halten war. Jeder weiß nun aber, wie große Wallungen und Verwerfungen sogar das energiepolitische Gesellschaftsexperiment ausgelöst hat und wie folgenreich seine politischen Konsequenzen sind. Also ist die Annahme kindisch, mit der Ausbreitung des Islam in Deutschland – und überhaupt mit der unternommenen Umgestaltung unseres Landes zu einem Einwanderungsland – würden weniger scharfe Auseinandersetzungen um das „Wie“, ja auch um das „Ob“ einhergehen.
Im Grunde spielen wir nun einen frühere Konflikttyp („Wer ruiniert Deutschlands Zukunft?“) bloß mit veränderter Rollenverteilung nach. Wer nämlich früher gegen Establishment und politisch-mediale Klasse aufbegehrte, ist dies alles nun selbst – und wehrt sich gegen Gegner, die das selbst Aufgebaute in erschüttern wollen. Und erneut versucht man auf beiden Seiten der Front, möglichst viele junge Leute auf die eigene Seite zu ziehen. Vermutlich spielt die befürchtete „Islamisierung“ für das Aufkommen und die Stabilisierung der AfD nun so ziemlich die gleiche Katalysatorenrolle, wie sie einst der befürchtete „Atomstaat“ für das Aufkommen und die Stabilisierung der Grünen hatte.
Atheismus
Kern von Atheismus ist die Überzeugung, dass kein Gott existiert und deshalb solche Verhaltensweisen sehr unvernünftig sind, die von einer Existenz Gottes ausgehen. Der starke Punkt am Atheismus ist, dass sich die Existenz Gottes in keiner Weise wissenschaftlich nachweisen lässt. Kann man aber umgekehrt die Existenz Gottes wissenschaftlich widerlegen? Falls man es nicht mit Kindereien halten will wie der, dass die vielen Astronauten und Raumsonden inzwischen doch Gott entdeckt haben müssten, wenn es ihn gäbe, ist auch die Falsifikation der Behauptung, es existiere Gott, nicht möglich. Aussagen aber, die man weder verifizieren noch falsifizieren kann, sind schlicht unwissenschaftlich. Das heißt freilich nicht, dass sie falsch sind – sondern nur, dass man bei ihnen mit dem Handwerkszeug und Denkwerkzeug der Wissenschaft nicht weiterkommt. Solche Aussagen liegen dann schlicht im Gegenstandsbereich des Glaubens, der irgendetwas zwischen (ganz) richtig und (ganz) falsch sein kann – und obendrein keinerlei verallgemeinerbaren Kriterien dafür besitzt, wann er wohl richtig, wann aber falsch wäre.
Wenn also jemand etwas wissenschaftlich nicht Nachgewiesenes für in der Wirklichkeit gegeben nimmt (etwa die Existenz Gottes), dann tut er das auf der Grundlage eines reinen Glaubensaktes. Und wenn jemand etwas wissenschaftlich nicht Widerlegtes für in der Wirklichkeit eben auch nicht gegeben nimmt (also trotz fehlender Falsifikation der Aussage, es gäbe Gott, absichtlich von einer Nicht-Existenz Gottes ausgeht), dann tut er das ebenso auf der Grundlage eines reinen Glaubensaktes. Beide Glaubensakte sind ganz legitim – und können beide (!) von den Tatsachen wegführen.
Aus soziologischer Perspektive erkennt man wiederum leicht: In einer Gesellschaft wie der ostdeutschen, in der die allermeisten glauben, dass es keinen Gott gibt, wirkt der Glaube an Gott wie irgendetwas zwischen kurios und gesellschaftsgefährdend. Hingegen wirkt in einer Gesellschaft wie der Ägyptens, in der die allermeisten an die Existenz Gottes glauben, umgekehrt der Glaube an die Nichtexistenz Gottes wie irgendetwas zwischen kurios und gesellschaftsgefährdend. Dieses Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Umständen und gesellschaftlich dominierenden Denkweisen brachte ein großer Deutscher einmal auf die Formel, das Sein bestimme das Bewusstsein. Freilich erkennt man das nur aus jenem übergeordneten Blickwinkel, bei dessen Einnahme man nicht um eine konkrete Frage streitet (etwa: „Existiert Gott – oder nicht?“), sondern neugierig untersucht, unter welchen Umständen welche Antwort auf eine konkrete Frage wohl einleuchtet oder sich durchsetzt (also: unter welchen Umständen jemand zum Glauben eher an die Existenz Gottes oder an die Nicht-Existenz Gottes neigt).
Aus dieser Warte erkennt man somit: Atheisten lehnen jenen Glaubensakt ab, der etwas wissenschaftlich Unbeweisbares – nämlich eine Existenz Gottes – als Tatsache ausgibt; und der blinde Fleck des atheistischen Denkens liegt genau dort, wo (so gut wie regelmäßig!) übersehen wird, dass die Entscheidung, etwas für nicht-existent zu halten, weil seine Existenz nicht bewiesen ist, ebenso einen Glaubensakt darstellt – nur eben einen, der in die entgegengesetzte Richtung zielt.
Jeder soll nach seiner Façon selig werden – oder es immerhin versuchen
Ja, das ist gewiss ist kein schlechter Rat! Leider bewährt sich aber nicht jede Entscheidung in der Praxis, die man gemäß der eigenen Façon trifft. Man kann also sehr wohl nach der eigenen Façon handeln, sollte aber nicht allzu stark darauf zählen, dass einen das auch „selig“ machen wird. Dieses Fehlen eines zwingenden Zusammenhangs zwischen „Handeln nach eigener Façon“ und „Glücklichwerden“ ist umso bedauernswerter, als es wenig bringt, dem anderen eine von einem selbst für richtig gehaltene Entscheidung einfach aufzuzwingen. Denn der Unmusikalische wird eben nicht durch Musik selig (ganz gleich, wie viel er für sie bezahlt), und dem Areligiösen gibt die Religion nun einmal nichts (ganz gleich, wie reich sie einen anderen macht). Die Aufgabe eines guten Staatswesens besteht somit genau darin, jedem (doch ohne Erfolgsgarantie!) die Chance zu geben, nach genau der eigenen Façon selig werden zu können (oder eben auch nicht!) – der Religiöse auf die eine Weise, der Atheist auf die andere Weise.
Wer freilich von den beiden die ganze Wirklichkeit kompletter erkennt und seine Façon des Seligwerdens auf eine breitere, mit den Tatsachen besser übereinstimmende Weise gegründet hat, das lässt sich hinsichtlich der Zentralfrage aller Religion – „Gibt es (so etwas wie) Gott?“ – wohl erst nach dem physischen Tod wissen. Gibt es nämlich keinen Gott, dann endet die Illusion, es gäbe ihn, schlicht mit dem Verlöschen des Bewusstseins – idealerweise, nachdem ein diesbezüglich ganz irreführender Glaube beim Leben immerhin hilfreich war, und schlimmstenfalls, wenn der irreführende Glaube zu Neurosen und einem unglücklichen Leben geführt hat. Gibt es aber Gott, dann werden auch Atheisten nach ihrem Tod ganz unweigerlich von seiner Existenz erfahren. Also bleibt zu bilanzieren, dass – wenn schon nicht das Leben – immerhin das Sterben für Atheisten viel interessanter sein kann als für Gläubige. Und das sei ihnen auch von Herzen gegönnt.
Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d3/Ariane_Sherine_and_Richard_Dawkins_at_the_Atheist_Bus_Campaign_launch.jpg