Atticus und seine Professoren
Letzte Woche erwarb sich Atticus e.V., ein „Verein für alle Menschen in und um Dresden“, große Verdienste um Deutschlands Diskussionskultur. Man machte nämlich durch Pressemitteilung auf einen unerträglichen Skandal aufmerksam.
Da hatte doch glatt jemand behauptet, es wären in Deutschland – zumal zwischen 1914 und der Gegenwart – politische Vorhaben auch schon manchmal mit religionsgleichem Glauben- und Vertrauenwollen angegangen worden. Und zwar nicht nur von Chefpolitikern, sondern ebenfalls von sie unterstützenden Leuten aus der Bevölkerung! Obendrein wurde ein besonders übler, ja verbrecherischer Chefpolitiker sogar noch namentlich als Zeuge für solchen – bei der Mobilisierungswirkung erfolgreichen, vom Ergebnis her katastrophalen – Missbrauch eines religionsgleichen Glauben- und Vertrauenwollens zitiert. Das aber sei eine fiese Verleumdung von Teilen der Bundesrepublikaner, denn nicht das mindeste hätte bei diesen so manches Zeitgenössische mit Geschichtlichem zu tun!
Dankenswerterweise fanden sich zwei sozialwissenschaftliche Professoren, die ihrerseits gerne bekräftigen wollten: Es ist wirklich gemein, hier irgendeine Kontinuität zu sehen, ja von ihr auch noch zu schreiben! Der eine – Karl-Siegbert Rehberg mit Namen und in Dresden tätig – plädierte immerhin bloß auf eine „polemische Verzerrungsabsicht“ und auf „schiefe Vergleiche“. Der andere – in Berlin lebend und Hajo Funke heißend – bezeugte die denunzierende „Sprache eines ethnozentrisch verrohten, demagogischen Gemüts“.
Der Besitzer dieses Gemüts und „Heger von Verzerrungsabsichten“ wandte sich daraufhin an die beiden Kollegen, und zwar schon am letzten Dienstag, dem 20. September. Er schickte an deren öffentliche Email-Anschriften die nachstehenden Zeilen. In diesen fand sich auch ein Link auf die ausführliche Auseinandersetzung des „ethnozentrisch verrohten Polemikers“ mit jener Pressemitteilung.
Und so lautete die Email:
„Sehr geehrte Kollegen, Sie haben gestern einige Bemerkungen über mich zu einer Pressemitteilung von Atticus e.V. über meine letzte Kolumne in der Sächsischen Zeitung beigesteuert. Meine Antwort auf diese Pressemitteilung finden Sie auf https://wjpatzelt.de/?p=965. Insbesondere lenke ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Ziffer [6] meiner Bemerkungen zum Text von Atticus e.V. – Mit besten Grüßen, Werner J. Patzelt“.
Jene Ziffer [6] liest sich so:
„[6] Sehr hoffe ich, dass die Kollegen Rehberg und Funke – die mich beide ja persönlich kennen – meine Kolumne gerade nicht gelesen hatten, bevor sie (in diesem Fall auf der Grundlage ihnen womöglich unzureichend kontextualisiert mitgeteilter Zitate) zu ihren Aussagen kamen. Andernfalls könnte ich nämlich nicht erkennen, dass sie den Weg von einem Nachvollziehen meines Textes bis hin zu ihren Vorwürfen intellektuell redlich gegangen wären.
Vom Kollegen Rehberg interessierte mich zu erfahren, welcher meiner tatsächlich durchgeführten Vergleiche denn „schief“ gewesen wäre. Oder meinte er – mir bloß unterstellte – Gleichsetzungen? Die sind nämlich allesamt schief, stammen aber nicht von mir. Und vom Kollegen Funke erführe ich gern, woran er denn halbwegs verlässlich erkennt, ausgerechnet mein „Gemüt“ wäre „ethnozentrisch verroht“ und „demagogisch“. Oder wären derlei Aussagen nun ihrerseits von den Verfassern der Pressemitteilung aus dem Zusammenhang gerissen?
Falls ich von den beiden Kollegen – denen ich diese Replik ausdrücklich zur Kenntnis geben werde – nichts Näheres erfahre, muss ich wohl annehmen, sie hätten ihre Aussagen „einfach so gemacht“, weshalb sie die Folgen auch nicht interessierten, oder sie vermöchten die Logik des Wegs von meiner Kolumne zur ihren Bewertungen nicht nachzuzeichnen. Beides ließe sie in meiner Achtung sinken. Geben sie aber präzise Gründe an, werde ich mich mit diesen sorgfältig – und öffentlich nachvollziehbar – auseinandersetzen; und vielleicht steht am Ende eines solchen Diskurses dann eine Klärung, die auch für andere hilfreich sein kann.“
Der Dresdner Kollege antwortete postwendend, wenngleich mit der Kerninformation, wohl habe er meine Kolumne vor seinen Bemerkungen gelesen und seine Aussagen „nicht einfach so gemacht“; doch für eine Beantwortung meiner Fragen hätte er einstweilen keine Zeit. Wie schön, dass er solche Zeit wenigstens für seine begründungslose Kommentierung meiner Kolumne fand!
Der Berliner Kollege meldete sich ohnehin nicht – obwohl meine Email an die auf seiner Webseite (https://hajofunke.wordpress.com) angegebene Kontaktanschrift gegangen war: buero@hajofunke.de.
Wie wird man nun das Verhalten zumal des Kollegen Funke zu deuten haben? Hat ihm wohl niemand gesagt, dass sich in seinem Postfach eine für ihn bestimmte Email befindet? Hatte er noch keine Zeit zur Führung des Nachweises, sein Dresdner Diskussionspartner aus manchen Gesprächsrunden habe tatsächlich ein „ethnozentrisch verrohtes, demagogisches Gemüt“? Oder ist ihm – nun vor Augen, was wirklich der Fall war und tatsächlich geschrieben wurde – die Sache inzwischen peinlich?
Wir können das alles erst wissen, wenn der Berliner Kollege sich geäußert hat. Wer die Möglichkeit hat, ihn zu kontaktieren und um eine Antwort auf meine Fragen zu bitten, möge das also tun. Vermeiden möchte ich jedenfalls, dass gerichtlich zu klären wäre, ob hier ein Missverständnis, eine unglückliche Formulierung oder die Absicht einer Verleumdung bzw. üblen Nachrede vorliegt. Mir wäre es am liebsten, wenn sich da ein Missverständnis aufklären oder eine unglückliche Formulierung geraderücken ließe. Falls der Satz aber klar sagt, was der Kollege Funke denkt, dann sollte er schon Gründe für seine Behauptung anführen. Andernfalls bewegte er sich im Bereich billigen Buhlens um Sympathie von Atticus e.V.
Dessen Mitglieder waren übrigens so lobenswert großherzig, in ihrer auf üble Nachrede hinauslaufenden Pressemitteilung auch das folgende Angebot zu machen: „Einem öffentlichen Diskurs wird, wenn dies Prof. Patzelt wünscht, Atticus e.V. selbstverständlich nicht aus dem Weg gehen“. Meinen Beitrag zu diesem Diskurs – von Atticus e.V. nachweislich zur Kenntnis genommen – gibt es seit einer Woche auf meinem Blog unter dem Titel „Ein Skandal um Nazivergleiche?“ (https://wjpatzelt.de/?p=965). Was es aber bislang nicht gibt, ist die Antwort von Atticus e.V.
Es ist eben doch leichter, eigene Feindbilder sowie Ansatzpunkte selbstgerechten Schimpfens in einen Text hineinzuprojizieren sowie eine wichtigtuerische Polemik zu verfassen, als sich mit präzisen Argumenten auseinanderzusetzen …
Bildquelle: https://www.facebook.com/atticusdresden/photos/a.1105710536168751.1073741825.1102810633125408/1106109386128866/?type=1&theater