Österreichs Präsidentenwahl und Europas Rechtspopulismus

Österreichs Präsidentenwahl und Europas Rechtspopulismus

In der Katholischen Sonntagszeitung / Neuen Bildpost erschien an diesem Wochenende mein nachstehendes Interview, in dem die österreichische Präsidentenwahl in den Kontext des aufgekommenen europäischen Rechtspopulismus gestellt wird:

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Herr Professor, in Österreich hat das Erstarken der rechtspopulistischen FPÖ beim ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl ein politisches Beben ausgelöst. Bundeskanzler Werner Faymann ist zurückgetreten. Können Sie erklären, was gerade in Wien passiert? Wie fragil und ernst ist die politische Lage vor der Stichwahl am 22. Mai?

Patzelt: In Österreich scheitert krachend der Versuch der politischen Mitte – hier von SPÖ und ÖVP – einen die tatsächlichen Problemlagen in Bereichen wie Migration oder Wirtschaft nicht aus freien Stücken, sondern nur gezwungenermaßen ernstnehmenden Kurs dadurch abzusichern, dass man einen Gegner ausgrenzt, der – wie die FPÖ – viele reale Probleme immerhin thematisiert. Dieses Fehlverhalten ist weit über Österreich hinaus aussagekräftig, denn im Großen versucht man derlei in Frankreich mit dem Front National, im Kleinen in Sachsen-Anhalt mit der AfD. Die Lehre wird immer sein: Wer ausgrenzt, der polarisiert; und wer polarisiert, der verliert, wenn er eher ideologischen Vorlieben als nüchternen Analysen folgt.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Wie überraschend kommt der Erfolg der FPÖ?

Patzelt: Klar war immer schon, dass es neben ÖVP und SPÖ als nicht gerade kleines „drittes Lager“ die ehedem Deutschnationalen gab – Nationalliberale, die das „juste Milieu“ der unter den Schwarzen und Roten aufgeteilten Alpenrepublik ablehnten. In Jörg Haider fand dieses Lager 1986 seinen „Moses“, und mit der Regierungsbeteiligung im Jahr 2000 gelang der Einzug ins „Gelobte Land“ Wiener Macht.

Trotz vieler anschließender Fehler blieb die FPÖ die Partei derer, welche die Folgen der Globalisierung und einer um Brüssel sowie Berlin gelagerten Europäisierung für die nationalstaatliche Politik mit Sorgen erfüllten. Österreichs monatelange Gefolgschaft für Deutschlands fehlerhafte Flüchtlingspolitik brachte dann besonders viel Wind unter die Flügel. Insofern war der jüngste FPÖ-Erfolg nicht überraschend.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Was macht die FPÖ so stark: allein die Schwäche der etablierten Regierungsparteien, der sozialdemokratischen SPÖ und der konservativen ÖVP?

Patzelt: Erstens, ähnlich wie in Deutschland, der Überdruss mit der wie alternativlos behandelten Großen Koalition.

Zweitens die Empfindung, dass mit der FPÖ und, in Mithaftung, mit Österreich oft unfair umgegangen wird. Das war so bei den Sanktionen, welche die EU-Staaten im Jahr 2000 wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ gegen Österreich verhängten, und das ist so bei jeder süffisanten deutschen Medienkritik an der FPÖ. Auch das ist ein Seitenstück zur deutschen Solidarisierung um die AfD. Drittens macht die FPÖ der Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa überhaupt stark. Von ihm ist sie ja nur ein kleiner, sich aber im Wesentlichen den gleichen Ursachen verdankender Teil.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Welche Rolle spielen Themen wie die Flüchtlingskrise, die Zuwanderungsfrage oder die Integration von Muslimen? Geht das politische Management Österreichs in diesen Bereichen wirklich so daneben?

Patzelt: Mancher Politiker in Deutschland denkt doch sogar laut darüber nach, etwa das österreichische Islam-Gesetz als Vorbild zu nehmen und hierzulande zu adaptieren! Das österreichische Islam-Gesetz ist tatsächlich zukunftsweisend. Es hat seinen Ursprung in der multiethnischen und multikulturellen k.u.k.-Monarchie. Allerdings betraf es im Reich ansässige Muslime, nicht solche, die in großen Zahlen einwandern. Solche Zuwanderung aber machte die FPÖ stark, zumal sie nur unter der Voraussetzung erträglich war, dass die Flüchtlinge Österreich gleich wieder in Richtung Deutschland verließen.

Die lange Fügsamkeit gegenüber dem deutschen Wunsch, flüchtlingspolitisch den Klassenprimus zu spielen, doch die Folgekosten allen anderen EU-Staaten quotenmäßig aufzubürden, verband dann vielerlei innenpolitische Empörung mit dem traditionellen Anti-Piefke- Affekt. Und weil die Kehrtwende des zurückgetretenen SPÖ-Kanzlers an Dreistigkeit sogar noch entsprechende Aktionen seiner deutschen Amtskollegin übertraf, war die Glaubwürdigkeit vollends dahin.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Das rechte Spektrum gedeiht fast in allen Ländern Europas, ob in Frankreich, Polen, Ungarn oder den Niederlanden. Auch in Deutschland hat die AfD weiterhin enormen Zulauf. Welche Parallelen kann man ziehen?

Patzelt: In allen diesen Ländern breitet sich das Gefühl aus, die europäische Sozialstaatlichkeit werde brüchig: Man spürt den sozialen Druck innerstaatlicher Globalisierungsfolgen und empfindet das Einwanderungsgeschehen als fremdbestimmt. Man fühlt eine Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhalts unter den Fliehkräften schwer einzuhegender Multiethnizität und Multikulturalität. Die veränderten Strukturen der Öffentlichkeit verschaffen den neuen Empörungsbewegungen besonders viel Resonanz.

Obendrein kommt es zum Verlust des Vertrauens in jene politischen und sozio-kulturellen Eliten, die bei vielen dieser Herausforderungen ohne direkte Einbeziehung der Bürgerschaft auszukommen versuchen, obwohl sie in Demokratien agieren. Das ist in Österreich nicht anders als sonst wo und erweist FPÖ und AfD als Symptome desselben Problemgefüges.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Was geschieht, wenn FPÖ-Kandidat Norbert Hofer am Sonntag in Österreich tatsächlich zum Bundespräsidenten gewählt wird? Mit welchen Folgen ist zu rechnen – für Österreich und für Europa?

Patzelt: Dann wird die EU jedenfalls nicht die arroganten Sanktionen des Jahrs 2000 wiederholen können. In Österreich wird man merken, dass es keine gute Idee ist, ein parlamentarisches Regierungssystem mit der Volkswahl des Staatsoberhaupts zu verbinden. Politisch-kulturell entsteht dann Mitteleuropa neu mit rechtspopulistischen Regierungen von Polen bis nach Ungarn.

Ein Land wie unseres, das dank der Integrationsleistung von CDU/ CSU jahrzehntelang die Verlockungen von Rechtspopulismus abwehren konnte, wird dann zur Ausnahme. Und vielleicht merken die grünsozialen und liberalchristlichen Eliten, dass ihr „Augen-zu-und-durch“ gegenüber jenen Problemen, die den Rechtspopulismus groß werden ließen, eine falsche Strategie war, die endlich aufzugeben ist.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Ist Europa einem wachsenden Druck von rechts ausgesetzt oder ist es bereits von einem gefährlichen Rechtsruck erfasst?

Patzelt: Das „sozialdemokratische Europa“, dessen Teil auch die christlichkonservativen und grünen Parteien geworden sind, ist ans Ende seiner Leistungsfähigkeit gekommen: demographisch, wirtschaftlich, militärisch, politisch. Es hat seine Kräfte überspannt – immer mehr Leute fühlen das. So wie vor 100 Jahren aus der Krise des liberalen Staates die kommunistischen und faschistischen Bewegungen, entsteht aus der Krise des sozialdemokratischen Europa jetzt der gemeineuropäische Rechtspopulismus.

Seine Erscheinungsformen wie die FPÖ oder die AfD als regionale oder nationale Phänomene zu behandeln, verharmlost die Problemdimensionen und wird nicht zielführend sein. Bei einem „Weiter so“ kann am Ende innenpolitische Polarisierung, zunehmende Regierungsinstabilität, schlechtes Regieren, der Verlust an kultureller Liberalität und ein Auseinanderdriften der EU stehen.

Katholische SonntagsZeitung/Neue Bildpost: Reagieren Politik und Gesellschaft angemessen, oder welcher Umgang ist aus Ihrer Sicht vonnöten?

Patzelt: Die bisherigen Versuche, die genannten Herausforderungen durch Kleinreden der Probleme und durch Ausgrenzung jeder Kassandra zu bestehen, die vor den Griechen im trojanischen Pferd warnt, stehen vor dem offenkundigen Scheitern. Ich rate deshalb zu einer gründlichen Analyse der Ursachen, warum das „sozialdemokratische Europa“ ans Ende seiner Kräfte gekommen ist – und kurzfristig dazu, die Einwanderung nach Europa nachhaltig zu drosseln sowie eine Idee von Europa zu kultivieren, die mehr als Offenheit und Toleranz, Demokratie und Humanität umfasst. Ein erster Schritt dorthin wäre es, von der „abendländischen Kultur“ nicht länger mit der allzu coolen Ironie des Nachgeborenen zu sprechen.

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Im Internet findet sich dieses Interview auch unter http://www.kath.net/news/55247

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Bildquelle: http://deutschland.newsfisher.io/deutschland-alles-wichtige-zur-osterreich-wahl-kampf-um-hofburg-wird-heute-entschieden-1463909507.html

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