Interview: „Die AfD ist kein Objekt für den Verfassungsschutz“
Heute – 7. Januar – erschien in der „Thüringer Allgemeinen“ auf S. 3 unter dem Titel „Die AfD ist kein Objekt für den Verfassungsschutz“ das folgende Interview, das ich deren Redakteur Frank Schauka gegeben habe:
Schauka: Herr Professor Patzelt, was würde eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz rechtfertigen? Gibt es Äußerungen von AfD-Politikern oder verdächtigte Vorgänge, in der Öffentlichkeit oder partiintern?
Patzelt: Die öffentlichen Äußerungen von AfD-Politikern und viele – auch interne – Vorgänge in der AfD sind Gegenstand sehr intensiver massenmedialer Beobachtung und Diskussion.
Dabei geht es sehr oft um behaupteten Rechtsextremismus. Im Übrigen sind mir bislang keine Hinweise darauf bekannt geworden, dass hinter dem öffentlich zugänglichen Erscheinungsbild der AfD im Verborgenen die „eigentliche“ AfD-Politik betrieben würde, die es deshalb mit
nachrichtendienstlichen Mitteln aufzuklären gelte. Deshalb meine ich, dass eine Beobachtung der AfD durch die Ämter für Verfassungsschutz nicht erforderlich ist. Es reicht die kritische Begleitung durch die Massenmedien sowie jene Dokumentationsarbeit, welche die Parteienforschung ohnehin leistet.
Obendrein ist der bundesdeutsche Verfassungsschutz – anders als das DDR-Ministerium für Staatssicherheit – nicht „Schild und Schwert“ einer führenden Partei oder des Politikkonsenses staatstragender Parteien, sondern Schild allein der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Zu der gehört es aber, auch – gegebenenfalls sogar radikale – Alternativvorstellungen zur aktuellen Politik zu ertragen. Wer also Forderungen nach einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz stellt, sollte zunächst einmal klar sagen, was denn an den Positionen der AfD oder ihrer Politiker rechtsextremistisch wäre und eine Befassung des Inlandsgeheimdienstes rechtfertigte.
Schauka: Wie würde sich eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz auf das vorhandene und potenzielle Wählerklientel der AfD auswirken? Eher abschreckend, eher anziehend oder sogar radikalisierend?
Patzelt: Mir scheint, dass eine öffentlich bekannt werdende geheimdienstliche Beobachtung der AfD auf weit verbreitetes Unverständnis träfe. Folge wäre eine sich verfestigende Solidarisierung potentieller AfD-Anhänger mit dieser Partei, die umso nachhaltiger wirksam wäre, je glaubwürdiger sich die AfD-Führung von allem Rechtsradikalismus in ihren Reihen abgrenzte – und ohnehin von allem Rechtsextremismus. Solidarisierung meint dabei nicht Radikalisierung, sehr wohl aber eine sich vertiefende Entfremdung gegenüber einem politischen System, das allem Anschein nach den Verfassungsschutz zu rein parteipolitischen Zwecken einsetzte.
Schauka: Welche Entwicklung hat 2015 die AfD auf Bundesebene bzw. in Thüringen genommen?
Patzelt: Auf Bundesebene wurde in einem intensiven Machtkampf geklärt, dass die AfD sich nicht als „bessere CDU“ aufstellen wird, sondern als eine solche Partei, die jene von der CDU seit längerem vernachlässigten Positionen thematisiert, welche in Deutschland gemeinhin als rechts bzw. allzu rechts gelten. Diese reichen von der Stärkung traditioneller Familienstrukturen bis hin zur Vorstellung, Deutschland solle die Zusammensetzung seines Staatsvolkes nach eigenen Interessen steuern und seinen Charakter als „Staat der Deutschen“ umsichtig bewahren. Dadurch geriet die AfD unvermeidlich in eine Art Zwei-Fronten-Krieg.
Einesteils wird sie von allen anderen Parteien, einschließlich der CDU, wie eine „NPD light“ behandelt – und somit als eine Partei, die sie ausdrücklich nicht sein will. Andernteils zieht die AfD, nicht zuletzt wegen solcher Etikettierung, auch Mitglieder an, die wohl ebensogut in der NPD sein könnten oder mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht viel anzufangen vermögen – und die, öffentlich sichtbar werdend, die AfD tatsächlich als das erscheinen lassen, was sie nicht sein will. Wie dieser doppelseitige Abwehrkampf ausgehen wird, ist noch nicht abzusehen.
Schauka: Welche weitere Entwicklung der AfD erwarten Sie und welche Rolle könnte Thüringens AfD-Chef Björn Höcke spielen?
Patzelt: Exemplarisch wird genau dieser Zwei-Fronten-Kampf um die Rolle der AfD im bundesdeutschen Parteiengefüge derzeit in Thüringen ausgetragen, nämlich um den im Landesverband stark unterstützten, doch bundesweit zur Hauptzielscheibe der AfD-Kritik gewordenen Fraktionsvorsitzenden Höcke. Wie sich Höcke in diesem Konflikt weiterhin verhält, wird deshalb das Schicksal der AfD mitentscheiden. Wenn er es künftig schafft, in glaubwürdiger Weise vorwerfbare und missverständliche Äußerungen zu vermeiden, kann er zu einem der Zugpferde der AfD werden. Wenn er das nicht schafft, wird es zur Neuauflage des letztjährigen Richtungskampfs in der AfD kommen, was die Erfolgsaussichten dieser Partei bei den kommenden fünf Landtagswahlen erheblich beeinträchtigen dürfte und den bisherigen Erfolgskurs der AfD stoppen könnte. Eben deshalb werden die politischen und journalistischen Gegner der AfD all ihr politisches Skandalisierungsinteresse auf Politiker wie Höcke richten.
Schauka: Wie stark und wo im des politischen Spektrum sehen Sie die Thüringer AfD bzw. die Bundes-AfD zu Beginn des Bundestagswahljahres 2017?
Patzelt: Die Bundes-AfD ist zu genau jener Partei geworden, deren Aufkommen Politiker wie Franz Josef Strauß immer verhindern wollten, der die von Angela Merkel umgeformte CDU aber den benötigten Entfaltungsspielraum gegeben hat: eine demokratisch legitimierte Partei rechts von der Union.
Falls die AfD es schaffen sollte, dabei nicht der Sogkraft des rechtsradikalen und rechtsextremen Narrensaums zu erliegen, und falls die CDU weiterhin eher die Wähler der SPD als jene der AfD gewinnen will, wird die AfD am Ende dieses Jahres in mindestens drei bis vier weiteren Landesparlamenten vertreten sein und auf diese Weise so viel an parlamentarische Sachkompetenz verschaffender Infrastruktur hinzugewonnen haben, dass sie mit Zuversicht in den kommenden Bundestagswahlkampf gehen kann. Und falls bis dahin die Einwanderung nach Deutschland nicht deutlich reduziert wurde sowie die nunmehr gewaltigen Integrationsherausforderungen unseres „Einwanderungslandes ohne Einwanderungspolitik“ sich als überaus kostspielig herausstellen, wird das die Wahlaussichten einer nicht-rechtsradikalen AfD – doch nur einer nichts-rechtsradikalen AfD – noch weiter verbessern.
Bildquelle: http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-08/verfassungsschutz/wide__1300x731