„Debattenstil und Demokratie“

„Debattenstil und Demokratie“

Ein Gastbeitrag von Antje Hermenau

Erhebliche Veränderungen stehen den Deutschen ins Haus – ob gewollt oder ungewollt. Eine breite Debatte scheint mehr als sinnvoll. Doch stattdessen erleben wir Medien, die Mantras verkünden, Parlamente, in denen Feinziselierungen der Gesetzestechnik vorgetragen werden und Diskussionen an den Abendbrottischen der Familien, in denen politisch die Post abgeht. Miteinander verschränkt sind diese Debatten offenbar nicht.

Das Land kann sich nicht ändern, wenn sich der öffentliche Diskurs nicht ändert.
Durchhalteparolen haben auch keine Autorität mehr. Wir sind es offenbar nicht mehr gewohnt, gepflegt zu streiten, um eine vernünftige „Entweder-oder-Entscheidung“ abzuwägen und dann entschlossen auch mit Mehrheit zu treffen und durchzuhalten. In einer Demokratie ist der Kompromiss einer Mehrheitsentscheidung nicht überlegen, schon gar nicht „moralisch“. Wir sind
das nur so gewohnt. Auch die Politiker sind das so gewohnt. Nun sollen sie klar in Fragen Stellung beziehen und eine Entscheidung herbeiführen, die kein Kompromiss zulasten zukünftiger Steuerzahler durch neue Schulden ist und trotzdem die Bevölkerung zusammenhalten soll. Da muss man überzeugend begründen können, was man beschlossen hat. Man spürt, dass genau
davon mehr gebraucht würde und weiß inzwischen nicht mehr, woher es kommen soll. Manche Menschen sind so verzweifelt, dass sie sich Pegida-Parolen anhören.

Im politischen Zeitalter des „sowohl – als – auch“ konnten die Parteien in Deutschland damit auskommen, dass sie die Unterschiede betonten, sie gar als unversöhnlich überhöhten und dann bei Koalitionsverhandlungen dieser „sowohl – als – auch“ Logik frönten. Über neue Schulden wurde neue parteipolitische Errungenschaften sichergestellt. Seit der Schuldenbremse besteht der Trick
nun darin, neue soziale Leistungen erst einmal in bestehende Sozialsysteme einzubauen und nach ein paar Jahren unauffällig und klammheimlich in die Steuerfinanzierung zu übernehmen – wie z.B. die Rente mit 63, die die Rentenversicherer überfordert und wahrscheinlich 2016 in der Finanzierung aus Steuern durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses landen wird, wahrscheinlich parallel zu einer Anhebung der Rentenversicherungsbeiträge. Irgendwann muss man dann die Steuern erhöhen oder man versucht, die Schuldenbremse auszuhebeln. Die SPD läuft sich da schon warm. Verantwortliches Handeln ist all das nicht.

Natürlich gibt es Parteien und Politiker, die um Lösungen ringen, Argumente für ihre Vorschlag durchdenken und ruhig vortragen – fällt Ihnen gerade einer ein?

Viele wollen, dass sich in unserem Land einiges ändert. Ein kultiviertes „We agree to disagree“ wäre ein Anfang: sich hart in der Sache argumentativ nichts zu schenken, ohne persönlich ausfallend zu werden und mit einem gepflegten wohlwollenden Witz abschließen, damit alle mit einem Schmunzeln aus der Wortarena gehen können – das habe ich bei den vielen Diskussionen
mit britischen Kollegen kennen und schätzen gelernt. Das hätte ich gern für uns. Das hätte unsere Demokratie an Ernsthaftigkeit verdient.

Übrigens neigen auch die britischen Medien jenseits der yellow press eher dazu, mehr Informationen und Fakten in den Vordergrund zu stellen als wir, die wir oft journalistische Meinung an dieser Stelle lesen müssen.

Der Stil des Diskurses und die Tonlage der Debatte bei uns sollten sich ändern, Fakten wieder wichtiger werden als eigene Meinungen. Freimütige Bekenntnisse einzelner ersetzen noch lange keine fehlenden Erkenntnisse vieler.

 

Bildquelle: http://avalia-gruenderlounge.de/wp-content/uploads/2015/10/P1180129.jpg

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