Ein Jahr PEGIDA
Seit etlichen Jahren produziere ich für den Dresdner Privatsender dresdeneins.tv eine Reihe von Erklärstücken zu aktuellen oder grundsätzlichen politischen Themen. Der Name dieser Reihe ist derselbe wie jener dieses Blogs: „etc.pp – Patzelts Politik“.
Am Ende der letzten Woche haben wir ein Erklärstück über „Ein Jahr PEGIDA“ aufgenommen. Hier ist der Link: http://www.dresdeneins.tv/gesprae…/Ein_Jahr_PEGIDA-2681.html.
Wer meine Analyse zeitsparend lieber lesen als über 18 Minuten ansehen oder anhören will, findet den gesprochenen Text nachstehend dokumentiert.
Auch weiterhin wird die reale Entwicklung Pegidas erweisen, was an meiner „Leseweise“ Pegidas zutrifft – und was vielleicht auch nicht. Getäuscht habe ich mich bisher wohl allein hinsichtlich der Zähigkeit der Pegida-Demonstranten – und somit darin, wie tief wirklich geht, wovon die montäglichen Veranstaltungen nur ein Oberflächensymptom sind.
Schauen wir nun während der kommenden Wochen und Monate, wo bei den anderen Dimensionen des Pegida-Phänomens einerseits ich nicht genug von Pegida verstanden haben – und wo andererseits jene nicht, die so selbstsicher mit anderen Diagnosen und Therapievorschlägen als den meinen aufgewartet haben.
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Werner J. Patzelt
Ein Jahr PEGIDA
Ein Jahr lang gibt es nun PEGIDA. Es hat uns Dinge über unser Land gelehrt, die besser nicht so wären, wie sie sind.
Zu ihnen gehört, dass sich die deutsche Politik mit großer Fahrlässigkeit auf Riesenprojekte eingelassen hat, deren Anschlussprobleme anfangen, unser Land zu spalten.
Da soll eine Einwanderungsgesellschaft entstehen ohne klare Einwanderungs- und Integrationspolitik.
Da wünschen die einen unserem Land eine multikulturelle Gesellschaft; andere wollen sie verhindern. Doch welche Rolle soll die bereits bestehende deutsche Kultur in der Zukunft unserer Einwanderungsgesellschaft spielen? Darüber scheut man die Debatte – teils, weil man die Rede von einer deutschen Kultur ohnehin als peinlich empfindet, und teils, weil ein Begriff wie „Leitkultur“ als unanständig gilt.
Da deuten wir den Asylartikel des Grundgesetzes inzwischen dahingehend, dass er allen Menschen auf der Erde das Recht auf ein Asylverfahren in Deutschland garantiert, und öffnen so die Schleuse für selbstermächtigtes Einwandern nach Deutschland Doch in der Praxis schaffen wir es nicht, die Folgen einer solchen Politik offener Grenzen zu bewältigen.
Umfragen zeigen, dass inzwischen ein Großteil der Deutschen diese Politikprojekte ablehnt. Vor einem Jahr war das noch anders.
Damals entstand in Dresden aus unscheinbaren Anfängen eine Serie von Protestveranstaltungen. Deren zentrales Thema war: „Es gibt zu viel Einwanderung nach Deutschland und Europa, und zwar gerade auch von Leuten, die in ihren Heimatländern gar nicht politisch verfolgt werden. Das führt nicht nur zu Verteilungs- und sonstigen Konflikten in Deutschland, sondern auch zu einem Kulturwandel, den man nicht wollen sollte. Nämlich zu einer Art ‚kultureller Enteignung‘, sozusagen zum ‚Heimatverlust‘ derer, die gar nicht wegziehen“.
„Patriotismus“ nannten die Demonstrierenden ihre Reaktion auf das alles. „Abendland“ nannten sie, was sie unverändert behalten wollten. „Islamisierung“ war ihre Kurzformel für jene Art von kulturellem Wandel, den sie zutiefst ablehnten. „Europäer“ nannten sie sich, nicht einfach „Deutsche“, um zu zeigen, dass die vorgebrachten Probleme nicht nur solche unseres Landes wären. Und sie machten jene schwarz-rot-goldene Fahne zu ihrem zentralen Zeichen, die für Deutschlands Freiheitsgeschichte steht.
Weil sie niemand dazu aufgefordert hatte, sich so zu nennen und auf die Straße zu gehen, hieß man sie herablassend die „selbsternannten“ patriotischen Europäer – so, als ob man hierzulande erst einmal von einem anderen ernannt werden müsse, bevor man eine Meinung haben und äußern darf.
Diese Pegidianer waren eine Minderheit. Sie waren Ostdeutsche und traten auf im sogenannten „Tal der Ahnungslosen“. Also konnten sie von jenen Dingen gar nichts wissen, von denen sie sprachen. Folglich störten sie nur und sollten schnell wieder verschwinden.
Als sie das nicht taten, sondern – weiterhin eine Minderheit – mehr und mehr wurden, musste man nachhelfen. Es galt zu zeigen, dass sie nicht nur dumm und grob, sondern auch paranoid und gemeingefährlich wären. Und rassistisch, weil sie Fremdes fürchteten und lieber keine Fremden in ihren Wohngegenden hätten.
Sich auseinandersetzen mit dem, was solche Leute an Sichtweisen, Interessen oder Sorgen vorbrachten? Auf keinen Fall; dann würde man derlei ja ernst nehmen, sozusagen „salonfähig machen“. Sich fragen, ob denn jene Demonstrationen ein Symptom tieferliegender gesellschaftlicher, politischer, ja kultureller Probleme wären, die man vielleicht erkennen, verstehen, beheben sollte? Gewiss nicht, denn derlei Gelichter kann doch gar nicht recht haben!
Was also tun? Ausgrenzen. Zeigen, dass die Mehrheit anders denkt. Ihnen das Demonstrieren vermiesen. Sie mit Verachtung strafen. Irgendwann gar nichts mehr über sie sagen. Denn wenn man das Symptom einer Krankheit beseitigt hat, dann – ja was? Wird dann auch das verschwunden sein, das im Symptom nur zum Ausdruck kam?
Natürlich nicht. Und so zeigt sich ein zweites Merkmal unseres Landes, das besser nicht so wäre: Die Unlust nämlich, politischen Dingen auf den Grund zu gehen – statt sich, intellektuell unaufwendig, durch bloßes Politisieren an deren Oberfläche aufzuhalten.
Am Grund von PEGIDA aber findet man genau jenes Großprojekt einer Einwanderungsgesellschaft ohne selbsbewusste Leitkultur, auf das sich unser Land so fahrlässig eingelassen hat. Dass es im Wesentlichen guter Wille zur Humanität und Weltoffenheit war, der solche Fahrlässigkeit bewirkte: Eben das macht ein Miteinander von Pegidianern und ihren Gegnern so schwierig.
Und vor allem aber vergiftet diesen Umgang, dass jener gute Wille ein Teil unserer Reaktionen auf die Katastrophe des Nationalsozialismus ist. Also wird das Ringen um die Handhabung unserer Einwanderungs- und Integrationspolitik stets auch zu einem Streit um die Haltung zum Nationalsozialismus.
Die Faustformel lautet: Wer links ist, befürwortet den Wandel Deutschlands zu einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft; und einen solchen Wandel ungern sieht, ja überhaupt nicht haben will, der steht entweder rechts oder befindet sich in der Gesellschaft von Rechten.
So ist es denn auch mit PEGIDA. Alle bisherigen Umfragen zeigen, dass die allermeisten PEGIDA-Demonstranten rechts von der politischen Mitte stehen, gar nicht wenige sogar ganz rechts. Von Anfang an sah man bei den Demonstrationen stadtbekannte Rechte, ja Rechtsradikale. Sie wurden allenfalls anteilsmäßig weniger, als sich immer mehr normale Bürger zu den sogenannten „Abendspaziergängen“ einfanden. Als die zwischen Frühjahr und Frühherbst wegblieben und PEGIDA schrumpfen ließen, da konnte man im Mai rund ein Fünftel der Demonstranten aufgrund ihrer eigenen Aussagen als ganz rechts und obendrein gewaltgeneigt einstufen.
Also hatte es ganz plausible Gründe, dass lobenswertes Eintreten für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung rasch zum Kampf gegen PEGIDA wurde – sowohl auf der Straße in Dresden und einigen wenigen anderen Städten, als auch in den Medien und in Politikerreden quer über das ganze Land. Denn in Deutschlands Kultur gelten nur „links“ und „mittig“ als gut; alles Rechte hingegen ist schlecht.
Auf diese Weise aber ersparten sich Politik, Medien und Eliten eine Auseinandersetzung mit alledem, wovon PEGIDA ja nicht die Ursache, sondern nur ein Symptom ist. Nachgerade im Wortsinn wurde es zur „Zwangsvorstellung“ gemacht, dass alle Pegidianer Rechtsextremisten wären, und ein anständiger Mensch sich in keiner Weise mit ihnen gemein machen dürfe. Und zwar auch nicht durch genaues Hinsehen, Zuhören oder gar Verstehen dessen, worum es bei PEGIDA tatsächlich geht. Als ob man mit einer Herausforderung dann besser zurechtkäme, wenn man sie gerade nicht verstanden hat!
Dabei wäre es doch gar nicht schwer, bei PEGIDA mindestens drei Teile zu unterscheiden.
Erstens gibt es das Organisatorenteam mit einem Anführer, der beachtliches Durchhaltevermögen und Organisationsgeschick hat, sich volkstribunenartiges Auftreten angeeignet hat – der aber eine wenig ansehnliche Biographie dadurch verlängert, dass er sich intern rassistisch äußert und bei der Auswahl von PEGIDA-Rednern nicht nur keine glückliche Hand hat, sondern es auch unterlässt, klar volksaufhetzende Reden rechtzeitig abzubrechen und sich von ihnen deutlich zu distanzieren.
Zweitens gibt es die Auftritte von Pegidianern im Internet, etwa auf Facebook. Diese Texte strotzen von rassistischen, chauvinistischen, von gewälttätigen und auch schlichtweg dummen Aussagen. Es ist kein Wunder, dass PEGIDA-Gegner gerade diese Selbstdarstellung sehr gerne für das Ganze an PEGIDA nehmen. Nähere Untersuchungen zeigen allerdings, dass es eine Minderheit von vielleicht einem Drittel der Pegidianer ist, die in den sogenannten „sozialen Medien“ unterwegs sind. Sie bestehen vor allem aus den jüngeren, besonders rechten, überaus rassistischen und außergewöhnlich gewaltgeneigten Pegidianern.
Drittens sind da die Teilnehmer an den Demonstrationen, die wir inzwischen ziemlich gut kennen. Sie sind eine sehr vielfältige Gruppe. Außerdem war sie während der Massendemonstrationen im letzten Winter deutlich anders zusammengesetzt als bei den geschrumpften Demonstrationen im Sommer – und jetzt wieder am dem Jahrestag von PEGIDA.
Unübersehbar gibt es unter ihnen Rechtsextreme und Rechtsradikale. Noch mehr aber sind empörte Bürger, die innerlich mit der politisch-medialen Klasse unseres Staates, ja mit ihm selbst gebrochen haben – und zwar vor allem deshalb, weil er nicht ihren vulgärdemokratischen Vorstellungen entspricht. Und da sind weiterhin viele ganz normale Leute, die sich Sorgen um die Folgen unserer fehlerhaften Einwanderungspolitik machen. Sie sehen einfach kein anderes Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen, als durch ihre Präsenz die Zahl der Demonstrierenden weit über die mediale Aufmerksamkeitsschwelle zu heben.
Wie hätte man mit alledem umgehen sollen? Richtig wäre gewesen: Genau hinsehen, genau hinhören, begründete Anliegen von unbegründeten unterscheiden, untauglichen Vorschlägen für die Lösung unserer Probleme taugliche gegenüberstellen, redlich und wirkungsvoll auf die Beseitigung tatsächlicher Missstände ausgehen – und über das alles auch öffentlich reden, so dass die gerade die Demonstranten erfahren könnten, dass es eben doch keinen guten Grund gibt, sich zu verhärten oder zu radikalisieren.
Das alles tat man aber gerade nicht. Bis heute entlastet man sich mit dem Seufzer, man könne doch „mit PEGIDA nicht reden“ – weil Pegidianer sich dem verschlösssen oder, weil Rechtsextremisten, als Gesprächspartner schon gar nicht in Frage kämen. Doch wer verlangt denn derlei Unmögliches wirklich? Es haben die PEGIDA-Organisatoren doch keinerlei Verhandlungsmandat, weshalb mit ihnen zu sprechen ganz sinnlos ist. Und mit Tausenden von Demonstranten kann man ohnehin nicht reden, sondern ihnen allenfalls eine Rede halten. Das aber schlug unsere politische Klasse aus, als es noch möglich war.
Über Monate wurde nichts absehbar Wirkungsvolles unternommen. Ausgrenzen und verscheuchen war die Parole – gut gemeint, doch von der völlig falschen Lagebeurteilung ausgehend, es handele sich bei PEGIDA einfach um eine Horde von Rechtsradikalen.
Weil alles Gegendemonstrieren und Schimpfen auf PEGIDA nichts gebracht hat, sinnt man nun auf Wege, PEGIDA zu verbieten. Wie hilflos ist denn das! Auf welcher Grundlage will man denn so weit auszulegende Grundrechte wie das auf Redefreiheit und Versammlungsfreiheit einschränken? Wollen wir wirklich zu jener Art von DDR werden, als welche gar nicht wenige Pegidianer unseren Staat einschätzen?
Als erst recht nutzlos haben sich alle Forderungen erwiesen, doch nicht Leuten wie Lutz Bachmann „hinterzulaufen“. Das ist eine vernünftige Bitte nur unter der Voraussetzung, dass die Demonstranten wirklich wegen Bachmann oder seinen – oft ganz furchtbaren – Rednern kämen. Doch ein Großteil der Demonstranten kommt eher trotz Bachmann und Redner. Sie folgen nämlich keinem Führer, sondern nutzen ganz einfach eine Plattform, die Bachmann ihnen höchst verlässlich bietet, für ein sie immer motivierendes Gemeinschaftserlebnis so großen Stils, das politisch Reche in Deutschland sich außerhalb der PEGIDA-Demonstrationen nirgendwo bescheren können.
Also klingt für Pegidianer die Forderung, nicht zu den PEGIDA-Demonstrationen zu gehen, weil dort der schlimme Bachmann spricht und man neben Rechtsextremisten stehen wird, in etwa so: „Begebt Euch wieder in die politische Unbeachtlichkeit zurück!“ Und die Antwort lautet dann natürlich: „Ganz bestimmt nicht! Denn wir sind gekommen, um zu bleiben, und wir bleiben, um zu siegen“ – ganz gleich gegen wen oder in welcher Disziplin. Auf diese Weise stärken die Warnungen der Gaucks, Merkels und de Maizières nur die trotzige Solidarität der Pegidianer. Erst recht tun das die Herabwürdigungen, die der Bundesjustizministers, die Medien und die Gegendemonstranten reichlich zu leisten verstehen.
Unterm Strich haben wir es geschafft, durch falsche Reaktionen auf PEGIDA aus besorgten Bürgern zunächst empörte Bürger zu machen – und nun solche, die auch noch einen anderen Staat wollen.
Wer immer daran mitgewirkt hat durch Tun oder Lassen: Er sollte sich eher genieren, als auf Lob zu warten! Denn jetzt ist die Lage verfahren und gibt es keinerlei Hoffnung mehr auf Besserung vor einer schlimmen Zuspitzung.
Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut getan. Gestehen wir uns ruhig ein: Beim Umgang mit PEGIDA haben wir politisch viel zu wenig gekonnt.
Bildquelle: http://www.radioeins.de/content/dam/rbb/rad/bilder0/201510/62730054_pegida_11.jpg.jpg/rendition=62730054_pegida_169.jpg.jpg