Gemischte Gefühle: Trumps Antrittsrede 2025

Gemischte Gefühle: Trumps Antrittsrede 2025

Nicht wenige werden die Antrittsrede von Präsident Trump mit Begeisterung gehört haben. Die Videos aus der Rotunde des Kongresses zeigen das. Andere waren peinlich berührt oder verhohlen empört. Demonstrativ blieben sie immer wieder sitzen, während sich die anderen zum Jubeln erhoben. Ich selbst begleitete diese Rede mit gemischten Gefühlen – ebenso wie jene vor acht Jahren (siehe https://wjpatzelt.de/2017/01/20/sorgen-wegen-trump/).

Wie teilt man gemischte Gefühle? Beginnt man mit den guten oder mit den schlechten, endet also die Darstellung dunkel oder hell? Ich versuche es mit einem „einerseits – andererseits“.

Einerseits ist es schon gut, wenn ein politischer Anführer klare Ansagen macht. Die Kriegsbotschaft Winston Churchills vor dem britischen Unterhaus am 13. Mai 1940  versprach nichts weiter als – so die populäre, doch ungenaue Wiedergabe – „Blut, Schweiß und Tränen“. Und Trumps zentrale Aussage war gestern, dass nun das „goldene Zeitalters Amerikas“ anbreche – und zwar dank seiner Politik, die mit allen großen Fehlern der Vergangenheit aufräume. 

Andererseits klang Trump für einen geschichtskundigen Deutschen wieder einmal wie Kaiser Wilhelm II. am 24. Februar 1892 bei der Enthüllung eines Denkmals in Bremen: „Zu Großem sind wir doch bestimmt, und herrlichen Tagen führe ich Euch entgegen!“ Überhaupt wirkt Trump Mal um Mal wie ein politischer Wiedergänger von Wilhelm II., nämlich selbstverliebt, trunken von der empfundenen Größe seines Landes, herablassend gegenüber dem Rest der Welt.

Auch ist es einerseits schon gut, wenn ein machtvoller politischer Anführer eine höhere Autorität über sich weiß und das auch so sagt. Tatsächlich spielte Gott eine unüberhörbare Rolle in Trumps Rede. Ohnehin war die Amtseinführung wie in den USA immer von anfänglichen und abschließenden Gebeten umrahmt – vorgetragen nach der Art teils von Kultbeamten, teils von Schauspielern. Für viele Amerikaner sind jene Teile ihrer Zivilreligion, die sich ums „In God we trust“ lagern, von wirklich großer innerer Bedeutung – und zwar unabhängig davon, ob der Gott des Alten Testaments, des Neuen Testaments oder des Korans gemeint ist, oder der „deus sive natura“ eines Agnostikers.

Andererseits fragt man sich bei einem Mann vom moralischen Schlag Donald Trumps schon auch, wo denn seine Bezugnahmen auf Gott zwischen Schauspielerei und bloß prunkender Demut liegen. Von echt empfundener Demut gegenüber Gott war ohnehin nichts zu spüren. Und nachgerade blasphemisch fühlte sich sein – womöglich aber dennoch so gemeinter – Satz an, Gott habe ihm vor wenigen Monaten das Leben gerettet, damit er Amerika zu neuer Größe führe und sich selbst als Friedensfürst nach innen und außen bewähre. Vertrauen wir am besten auf die Richtigkeit von Jesu Satz in Matthäus 7, 16: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Viele Früchte von Trumps erster Amtszeit waren aber ziemlich giftig. Ob er sein Amt jetzt, anders als damals auch innerlich vorbereitet, wohl besser führen wird?

Zu gemischten Gefühlen trug obendrein Trumps Satz bei, künftig werde es in der amerikanischen Rechts- und Verwaltungspraxis nur noch zwei Geschlechter geben: männlich oder weiblich. Das wirkte so provokativ, dass ein deutscher Journalist bei der Übertragung von Trumps Amtseinführung auf Phönix meinte feststellen zu müssen, derlei verstieße gegen Amerikas Verfassung, nach der doch Männer und Frauen gleich wären. Was irritiert hier eigentlich mehr? Dass Trump eine jahrtausendealte Selbstverständlichkeit ausdrücklich formulierte, dass einem selbst das als irgendwie bemerkenswert auffällt – oder dass für Journalistenohren derlei nach einer rechts- und gar verfassungswidrigen Kampfansage klingt?

Doch nicht nur hier griff Trump streitlustig und durchsetzungswillig Glaubensgrundsätze jenes grünlinks-woken Akademiker- und Journalistenestablishments an, das sich bislang der kulturellen und intellektuellen Hegemonie im Westen erfreute. Bei seiner ersten Amtszeit wirkten Trumps entsprechende Aussagen wie die Berserkerei eines Mannes, der nur durch einen „historischen Unfall“ ins Präsidentenamt gelangt war. Doch nach Trumps Rückkehr empfindet man solche Kampfansagen eher wie Raketeneinschläge in bisherige Bunker politischer Korrektheit. Die einen freut das, die anderen reagieren indigniert oder gar verängstigt. Bis ins Mienenspiel der gestern stehend Applaudierenden oder demonstrativ auf ihren Stühlen Verbleibenden konnte man das sehen.

Gemischte Gefühle also allenthalben – und nicht zuletzt unter Europas Politikerschaft. Derzeit fällt ihr anscheinend wirklich nicht viel mehr ein, als Trumps „Amerika First“ sorgenvolle Beschwörungen von Europas Einigkeit entgegenzusetzen. Sollte man Trump aber nicht besser in einer Haltung von „Make Europe Great Again“ begegnen? Und zwar so, dass sich diese Aufforderung nicht im bequemen „Haltungzeigen“ erschöpft, sondern zu echten Reformen im Bildungswesen, bei der Freisetzung von Wirtschaftskräften und zur Bewahrung europäischer Identität führt …

Doch leider ist kein europäischer Politiker in Sicht, der Trumps Visionen und Tatkraft besäße, ohne jenes Präsidenten Charakterschwächen zu teilen. Es zeigt sich auch keiner, der – wie einst Churchill – die für den Neuaufstieg Europas notwendigen Kräfte dadurch entfesseln wollte, dass er zunächst einmal nur Anstrengungen verspricht. Auf einen Vergleich der Begeisterungskraft des amerikanischen Präsidenten mit denen des künftigen deutschen Bundeskanzlers verzichtet man ohnehin lieber, falls man nicht in Melancholie verfallen will. Vielleicht gilt für die kommenden Jahre ja wirklich Goethes Gedichtanfang: „Amerika, du hast es besser!“ 

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