„Patzelts PEGIDA“. Eine Antwort auf Gerd Schwerhoff
„Patzelts Pegida“ – das gehört zum Titel eines Beitrags, den mein Kollege Gerd Schwerhoff, Historiker mit Schwerpunkt in der Älteren Neuzeit, am 31. März im Internet publiziert hat. Unter dem Titel „Patzelts Pegida oder Bachmanns Pegida? – Zur Beurteilung einer Schmähgemeinschaft“ hat er sich anlässlich der Veranstaltung unserer Philosophischen Fakultät zu PEGIDA vom 15. März geäußert. Unter folgendem Link ist dieser Beitrag zu finden:
Was aus meiner Warte zu diesem Text gesagt werden sollte, lässt sich im Folgenden nachlesen. Der Einfachheit halber zitiere ich, in der Reihenfolge des Originaltextes sowie mit dessen Zwischenüberschriften, einfach jene Passagen, bei denen mir eine Auseinandersetzung nötig zu sein scheint, und füge ihnen dann meine Kommentare bei.
Auf eine Kommentierung der Hauptüberschrift verzichte ich, weil ich den Kollegen Schwerhoff gut genug kenne um zu wissen, dass ihm da wohl keine Verleumdungsabsicht die Finger durch die Tasten geführt haben wird, sondern allein die – von mir geteilte – Lust am Stabreim.
Das Kernproblem des ganzen Textes wird schon vom Untertitel angezeigt: „Zur Beurteilung einer Schmähgemeinschaft“. Für Schwerhoff scheint festzustehen, dass PEGIDA eine „Schmähgemeinschaft“ ist – eben das, und sonst nichts.
Viele Argumente Schwerhoffs sind schlüssig, falls PEGIDA tatsächlich nichts anderes ist als eine „Schmähgemeinschaft“. Verhält es sich aber wirklich so? Was ist denn eine „Schmähgemeinschaft“ genau, und woran erkennt man sie über alle vernünftigen Zweifel hinaus? Woher weiß der Kollege auch so gewiss, dass „Pegidianer“ nichts als eine „Schmähgemeinschaft“ bilden? Wie oft hat er wohl mit PEGIDA-Demonstranten gesprochen, um herauszufinden, was sie wirklich bewegt? Oder braucht es derlei Sachverhaltsvergewisserung gar nicht, weil es ohnehin keine Wirklichkeit gibt, sondern nur Wirklichkeitskonstruktionen? Weshalb sollte man dann aber gerade Schwerhoffs Wirklichkeitskonstruktion ihren Alternativen vorziehen? – Fragen über Fragen löst also schon die Überschrift aus. Und das ist im Grunde ja sogar gut, macht sie doch neugierig auf den Text.
Der fängt dann so an: „‘In der Debatte hat die pluralistische Gesellschaft ihre eigenen Prinzipien ein Stück weit verraten.‘ Das war die starke Schlussthese von Werner Patzelt auf einer Veranstaltung im ‘Kleinen Haus‘ des Staatsschauspiels Dresden.“
Stimmt. Diese These habe ich weiter entfaltet in einem unlängst erschienenen Artikel für den Berliner „Hauptstadtbrief“; siehe http://www.derhauptstadtbrief.de/cms/index.php/107-der-hauptstadtbrief-128/784-o-wie-schoen-sitzt-es-sich-auf-dem-hohen-ross. Er ist unter der Überschrift „Pegidas Kritiker und die Arroganz der Macht“ auch auf meinem Politikblog wjpatzelt.de nachzulesen (https://wjpatzelt.de/?p=283).
Natürlich muss man, um diese These nachvollziehen können, auch ahnen, wie ich selbst Pluralismus verstehe. Das ist leicht, denn mein Verständnis von Pluralismus ist das ganz und gar konventionelle der deutschen Politikwissenschaft sowie des politischen Diskurses in unserem Land: Es gibt ein Menschenrecht auf Vielfalt und Streit; Grenzen setzt da nur der für friedliches Zusammenleben nötige Minimalkonsens, welcher – der Freiheit und Vielfalt willen – so eng wie möglich gefasst sein muss; und dieser Minimalkonsens besteht aus Wert-, Verfahrens- und Ordnungskonsens. Zum Wertkonsens gehören ganz wesentlich die Menschenrechte, und Kern des Verfahrenskonsenses ist die Gewaltfreiheit.
Wer eine systematische Darstellung all dessen sucht, wird sie in meiner „Einführung in die Politikwissenschaft“ finden, desgleichen auf meinen Vorlesungsfolien über „Monismus und Pluralismus“, auf die sich im Internet unschwer durch Googeln gelangen lässt. Und wer alledem gleich im politischen aufgeladenen Kontext nachgehen will, der sei auf den folgenden Text aus meinem Politikblog wjpatzelt.de hingewiesen: „Bücher verbrennen – und was derlei lehrt“ (https://wjpatzelt.de/?p=224). Das ist übrigens ein Text, der sich auch als Subtext von sehr vielen meiner Auseinandersetzungen mit PEGIDA und den PEGIDA-Kritikern lesen lässt …
Weiter nun mit Schwerhoffs Text:
„Neben der Kritik von Patzelt an der „vorschnellen Verteufelung“ von Pegida, die im Eingangszitat gipfelte, muss hier auch die Einschätzung von Wolfgang Donsbach genannt werden zum Leitmotiv der „Lügenpresse“-Rufe, die die Demonstrationen bis heute begleiten. Zwar attestierte er den Akteuren durchaus eine verzerrte Wahrnehmung der Medienberichterstattung, hält ihre Kritik aber nicht für völlig unbegründet: „Der größte Teil des Dresdner Image-Schadens“, so zitiert ihn die Sächsische Zeitung, „ist nicht durch die Pegida-Demonstrationen entstanden, sondern durch die Art der Berichterstattung“. Diese beiden Äußerungen erscheinen mir ebenso problematisch wie symptomatisch für den Stand der Debatte, wie ich im Folgenden begründen möchte.“
Ich halte weder meine Aussage noch die von Wolfgang Donsbach für in irgendeiner Weise „problematisch“. Vielmehr stimmen beide Aussagen mit den Tatsachen überein, und gerade so sollte es sich mit Aussagen professioneller Wissenschaftler auch verhalten. „Symptomatisch“ ist hingegen, dass eben solche empirisch wahren Aussagen in der Debatte um PEGIDA als „problematisch“ hingestellt und gehandhabt werden. Warum das so ist, habe ich in meinem – oben mit Quellenangaben versehenen – Artikel aus dem „Hauptstadtbrief“ dargestellt. Auch in Schwerhoffs wie ein Glaubenssatz behandelter Rede von PEGIDA als nichts weiter als einer „Schmähgemeinschaft“ wird das dort Kritisierte einmal mehr kenntlich. – Von der gleichen Attitüde ist übrigens auch folgender Artikel meines Göttinger Kollegen Samuel Salzborn geprägt, der deshalb parallel zu Schwerhoffs Text die Lektüre lohnt: „Demokratieferne Rebellionen“, in: Deutsche Polizei 3/2015, S. 24-27, im Internet auffindbar unter http://www.docdroid.net/ww6o/dp-03-15-prof-salzborn.pdf.html.
„Unsicherheiten in der Bewertung“
Nach dieser Überschrift befasst sich Schwerhoff dann knapp mit den – weitgehend übereinstimmenden – empirischen Befunden zu PEGIDA und fährt dann fort:
„Dieses Bild als legitime soziale Bewegung hat bis heute in Teilen der Öffentlichkeit Bestand und steht auch hinter den beiden zitierten Einschätzungen der Kollegen Donsbach und Patzelt: Zu trennen sei zwischen den unappetitlichen Gründerfiguren a la Lutz Bachmann, von denen man sich natürlich distanzieren müsse, und der breiten Masse der Pegida als Ausdruck der berechtigten Sorgen „normaler“ Bürger.“
Im Wesentlichen stimme ich hier dem Kollegen Schwerhoff zu – auch wenn ich meine, dass Eigenschaftswörter wie „unappetitlich“, wenn auf Menschen bezogen, eher ins Vokabular von Menschenfressern als von Politikanalytikern gehören. Angemerkt sei außerdem, dass ich im populären „Bachmann-Bashing“ auch vielerlei selbstgerechte Überheblichkeit erkenne, so in etwa, wie sie im Lukasevangelium (18, 11) von Jesus an jenem Pharisäer aufgezeigt wird, der da im Tempel spricht: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher – oder auch wie dieser da“.
Doch sehr anderer Ansicht bin ich bei der Einschätzung von PEGIDA als einer „sozialen Bewegung“. Als letztere bezeichnet man einen „kollektiven Akteur“, der – in verschiedenen Organisationsformen, auf unterschiedliche Mobilisierungsweise und mittels mannigfaltiger Handlungsstrategien – auf eine Veränderung gesellschaftlicher Wirklichkeit ausgeht. Mir scheint, dass PEGIDA nichts anderes ist als ein „Konglomerat geographisch fragmentierter, periodischer Demonstrationen“ mit – je nach soziokulturellem Kontext und aktuellen Anlass – sehr unterschiedlichem Mobilisierungsgrad.
Dieser Unterschied zwischen PEGIDA als „sozialer Bewegung“ und PEGIDA als „periodischer Demonstration“ ist nicht nur analytisch, sondern auch politisch wichtig. Eine „Bewegung“ kann man nämlich bekämpfen, etwa durch Ächtung ihrer Anführer und Mitglieder sowie durch Unterlaufen ihrer Strategien. Wo es aber keine Anführer, Mitglieder oder Strategien gibt, sondern nur Organisatoren und um diese sich fallweise zusammenfindende Demonstranten, dort ist die Frage viel schwieriger zu beantworten, wie man mit einer solche Erscheinung wohl umgehen soll. Sie besteht ja in einem disparaten Demonstrations- und Empörungsverlangen, das sich kontextbezogen sowie um auswechselbare Anlässe oder Organisatoren herum in konkretes Demonstrieren umsetzt und dann, gerade auch über die Reaktionen hierauf, politisch-klimatisch verändernden Folgeeffekte zeitigt. Nicht die Organisatoren oder das Organisierte – also die „Oberflächenerscheinungen“ – sind in einem solchen Fall in erster Linie bedeutsam, sondern wichtig sind die – in der „Tiefenstruktur“ liegenden – Gründe, aus denen sich da überhaupt etwas organisieren und auf eine gewisse Dauer stellen lässt.
Nimmt man in einer solche Lage nur die Oberflächenerscheinungen ernst, nicht aber die Tiefenstrukturen, dann geht es politischen Abwehrversuchen so, wie einst Herakles mit der Hydra: Schlägt man den einen Kopf ab, so wächst ein anderer nach. Mit einem anderen Bild verdeutlicht: Es nutzt da wenig, die im öffentlichen Raum sichtbar werdende „Spitze eines Eisbergs“ sozusagen durch hohe Erregungstemperatur um sie herum abschmelzen zu wollen. Eben das wurde aber, mit nicht sonderlich überzeugendem Erfolg, in Dresden bei PEGIDA versucht.
Viel wichtiger und hilfreicher für unser Gemeinwesen wäre es, gerade der Entstehung des Eisbergs nachzugehen – und zwar in der Absicht, lieber die Ursachen solchen Demonstrationsverlangens gegenstandslos zu machen, als die Demonstrationen für grundlos und deren Teilnehmer für gemein oder für dumm zu erklären. „Pegidioten“ werden sie vielfach genannt – zwar nicht von Schwerhoff, sehr wohl aber auf PEGIDA-gegnerischen Seiten. Zu den Ursachen des „PEGIDA-Phänomens“ aber gehört nun einmal vieles, was in den Augen zumal von Akademikern und Intellektuellen gerade keine Probleme nach sich ziehen sollte: nämlich Europas (und auch Deutschlands) ungeregeltes Einwanderungsgeschehen, verbunden mit großer – oft gar noch wie eine soziale Norm behandelter – Ratlosigkeit darüber, ob es wohl so etwas wie eine aufrechtzuerhaltende europäische bzw. deutsche Kultur gäbe bzw. geben solle, sofern eine solche Kultur über wertvolle Grundsätze wie Offenheit, Vielfalt, Toleranz, Hilfsbereitschaft usw. hinausreichen würde.
Schon seit Wochen weise ich nun auf die intellektuelle Aufgabe hin, diese Tiefenschichten des deutschen PEGIDA-Phänomens zu verstehen. Wer sich daran macht, wird aber schnell erkennen, dass dieses Phänomen lange schon in anderen europäischen Staaten als „Rechtspopulismus“ bekannt ist, ja dort seit Längerem seine Umsetzung in Parlamentsparteien gefunden hat. Dem politischen Klima und der Regierungsstabilität taten diese rechtspopulistischen Parteien nirgendwo gut. Also wäre es eine lohnenswerte politische Aufgabe, die solchen Rechtspopulismus bewirkenden, ja ihn inzwischen nachgerade mästenden Probleme (Einwanderung, Integration, Kulturwandel, Verteilungskonflikte …) durch Politikerhandeln in den Griff zu bekommen.
Andere – und vermutlich auch Gerd Schwerhoff – hingegen meinen, ein „Wegkämpfen von PEGIDA aus dem öffentlichen Raum“ würde auch irgendwie die PEGIDA zugrunde liegenden Probleme lösen. Das glaube ich gerade nicht. Es hat ja auch in Frankreich bzw. den Niederlanden der nur an den Symptomen, nicht aber an den Ursachen ansetzende Kampf gegen den Front National oder die Partij voor de Vrojheid das jeweilige Ziel nicht erreicht, sondern – weil nämlich die zulaufbewirkenden Probleme nicht angepackt wurden – die bekämpften Parteien nur dauerhaft stark gemacht. Derlei will ich für unser Land aber nicht, und deshalb komme ich zu anderen Politikempfehlungen als viele andere Intellektuelle, selbst wenn ich mit diesen im zu erreichenden Ziel ziemlich übereinstimme.
Weil die Zukunft ohnehin bald auch in Deutschland zeigen wird, wer mit seinen Ratschlägen richtigliegt, erübrigt sich einstweilen der weitere Austausch bloßer Argumente. Bis zum Beweis des Gegenteils von der Richtigkeit meiner eigenen Einschätzung überzeugt, setze ich jedenfalls gegen die in Akademikerkreisen verbreitete Mehrheitsmeinung die folgende, zugegebenermaßen überscharf formulierte These: Wer PEGIDA nicht als Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher Probleme versteht, sondern einfach als eine weitere „soziale Bewegung“ auffasst, der verharmlost das, worum es bei PEGIDA geht – und wird zu keiner politischen Strategie gelangen, die unserem Gemeinwesen nachhaltig nützt.
Nach der oben zitierten Passage fährt Schwerhoff fort:
„Wie immer als begnadeter Zuspitzer auftretend, formulierte Werner Patzelt ….“
Diesem „epitheton ornans“ will ich zwar aus (Ab-)Gründen menschlicher Schwäche nicht widersprechen, es aber gewiss ergänzen: Noch viel besser als im Zuspitzen bin ich beim Differenzieren, Kontextualisieren und Analysieren! Und falls die Ergebnisse dieser drei letzteren intellektuellen Arbeitsschritte dann auch noch in klare Formulierungen münden, dürfte ich meine Aufgabe als öffentlicher Intellektueller wohl ordentlich erfüllt haben. Also will ich, freilich mit jener Erweiterung, die Einschätzung meines Kollegen wohlwollend zur Kenntnis nehmen.
Beginnen wir nun erneut mit Schwerhoffs Satz:
„Wie immer als begnadeter Zuspitzer auftretend, formulierte Werner Patzelt bei der Diskussion im „Kleinen Haus“, die Figuren an der Spitze wie Bachmann seien ebenso austauschbar wie die Parolen – entscheidend ist nach dieser Interpretation das, was sich unter dieser Oberfläche verbirgt.“
In der Tat: Gerade so meine ich das! Gar nichts halte ich von der These, Bachmann sei eine Art neuer „Führer“, der aus Dresden oder gar Deutschland ein neues Hameln machen könnte. Meinen Beobachtungen und Eindrücken nach genügt Bachmann sich mit einigem Selbstgefallen darin, wöchentlich möglichst große Demonstrationen zu organisieren; mit höchst wechselndem Erfolg halbwegs anhörbare Redner zu finden; und auf Ausstrahlungseffekte des Dresdner Geschehens anderswo zu hoffen. Fähigkeit zur konzeptionell-programmatischen Bündelung der Denkweisen und Empörungsbereitschaften der PEGIDA-Demonstranten hat er seit Monaten nicht erkennen lassen. Noch weniger Geschick hat er darin an den Tag gelegt, die ja nicht unbeträchtliche Wucht der Dresdner Demonstrationen so ins politische System wirken zu lassen, dass – über eine bloße Thematisierungsleistung hinaus – irgendwelche Ziele erreicht würden. Im Grunde weiß Bachmann wohl gar nicht, wie es weitergehen soll. Ich vermute sogar, dass er allmählich Sorgen ob jener Zeit zu verdrängen hat, an dem Enttäuschung über sein mangelndes politisches Führungsgeschick nicht nur aufkeimen, sondern auch laut werden wird.
Meinerseits beginne ich mir Sorgen darüber zu machen, wie und wohin sich wohl der Zorn und die Engagementbereitschaft wochenlang treuer PEGIDA-Demonstranten wenden wird, sobald sie einmal begriffen haben, wie ungeschickt Bachmann die durch ihre Ausdauer doch eröffneten politischen Gestaltungschancen vergeben hat – und dass es Sommer geworden ist, ohne dass sich aus PEGIDA-Sicht irgendetwas zum Besseren gewendet hätte.
Achtung: Das ist eine ganz und gar technische Kritik an den PEGIDA-Organisatoren, wie sie auch mein Lehrmeister Machiavelli üben würde, d.h. eine Kritik am politisch-handwerklichen Können von Leuten, die – zeitweilig – eine politische Rolle spielen und mancherlei Hoffnungen auf eigenes Können oder politische Tatkraft geweckt haben. Allerdings rechne ich auch hier mit Missverständnissen – und zwar nicht deshalb, weil ich mich missverständlich ausgedrückt hätte, sondern weil mancher eben missverstehen will.
Damit nun zurück Schwerhoffs Text, der ans eben erörterte Zitat wie folgt anschließt:
„Empirische Beobachtungen und Befragungen zum Pegida-Phänomen sind natürlich prinzipiell, das sei ausdrücklich festgestellt, ebenso wenig verwerflich wie Gespräche mit Pegida-Mitläufern.“
Wieder hat Schwerhoff völlig recht. Doch in welchen Umständen befinden wir uns eigentlich, wenn solche Selbstverständlichkeiten einer ausdrücklichen Formulierung zu bedürfen scheinen? Irgendwas läuft wohl gründlich falsch im Diskurs sowohl um die richtige Rolle von Wissenschaft als auch um sinnvolle Gepflogenheiten repräsentativer Demokratie.
Nachdem Schwerhoff die weitere Selbstverständlichkeit ausgeführt hat, dass es vor allem auf die Schlussfolgerungen aus Befunden ankommt, fährt er fort:
Es ist „verschiedentlich darauf hingewiesen worden …, dass der Befund einer sozialen Mitte keineswegs gleichsam automatisch mit politischem Radikalismus unverträglich ist, dass etwa der Nationalsozialismus auf einer Art Radikalismus der Mitte basiert.“
Das ist völlig unbestritten. Nur würde ich gern auch noch den Radikalismus vom Extremismus unterscheiden, weil ich im bloß radikalen Denken und Handeln nicht gleich schon eine Gefahr für Pluralismus und Freiheit erkennen kann. Radikalismus mag man inhaltlich ablehnen; doch allein schon seine Existenz bekämpfen zu wollen, geht in einer pluralistischen Demokratie zu weit. Solcher bedingungslose Abwehrkampf ist nur beim Extremismus nötig. Den wiederum verstehe ich genau so, wie ihn das Bundesverfassungsgericht 1952 beim SRP-Verbot vorgedacht hat: Extremist ist, wer aktiv die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft , die ihrerseits von den Menschenrechten über das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip bis zum Pluralismus samt Recht auf Opposition reicht. Und nun folgt das Wesentliche: Für die Feststellung solcher rundum abzulehnender Gegnerschaft ist es völlig gleichgültig, ob Feindschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus der Mitte der Gesellschaft stammt, aus der Oberschicht oder aus der Unterschicht, oder vom linken, vom rechten oder von einem sonstigen Ende des politischen Spektrums. Gerade dies ist meine eigene – und wohl auch Schwerhoffs – an mehreren Stellen ausgeführte Position, etwa in meiner „Einführung in die Politikwissenschaft“. Für recht putzig halte ich es deshalb, dass nun so mancher meint, mich in dieser Sache belehren zu sollen. Danke für den dabei an den Tag gelegten guten Willen; doch ein Mathematiklehrer weiß in der Regel schon auch selbst, wie der Satz des Pythagoras lautet und wie mit ihm umzugehen ist!
Nach einigen zur hier verhandelten Sache nichts beitragenden Sätzen geht es so weiter:
„… die Pegida-Debatte ist auch und sehr wesentlich eine Diskussion über die Grenzen des Sagbaren im öffentlichen Raum. Einerseits erscheint es als Binsenweisheit, dass eine Demokratie von der öffentlichen Auseinandersetzung darüber lebt, was dem Gemeinwesen nützt. Um überhaupt politische Kontroversen austragen zu können, müssen gegensätzliche Meinungen und Einschätzungen im öffentlichen Raum artikuliert werden dürfen, auch und gerade Minderheitsmeinungen. Wenn bestimmte Meinungen und Positionen dort keinen Raum finden und in eine vorpolitische Sphäre gebannt bleiben, kann ein gefährliches Vakuum entstehen, eine Diskrepanz zwischen politischem System und Lebenswelt, die ein Legitimitätsdefizit des Systems begründen kann.“
Genau so ist es! Und die Faustregel pluralistischer Demokratie lautet diesbezüglich: „Der Bereich dessen, worüber gestritten werden darf, muss möglichst groß gehalten werden, jener des streitfrei zu Stellenden hingegen möglichst klein“. Tatsächlich wird die PEGIDA-Diskussion auch genau darum geführt, was man in Deutschland sagen, ja denken darf, ohne als Außenseiter ausgegrenzt zu werden.
Doch wie so manch anderen macht auch mich im auf PEGIDA bezogenen Streit um die „Grenzen des Sagbaren“ zweierlei besorgt. Das erste ist, wie weit inzwischen der Bereich dessen ausgedehnt wird, worüber nicht gestritten werden dürfe, und mit wie starken Emotionen – und auch Vokabeln – um die entsprechenden Grenzlinien gekämpft wird. Und das zweite ist die jeden Selbstzweifel abweisende, nachgerade hochfahrende Haltung derer, die nach folgender Regel möglichst enge „Grenzen des Sagbaren“ durchzusetzen versuchen: „Das, was wir sagen, ist zweifelsfrei in Ordnung; also muss Unrecht haben, wer uns widerspricht. Ein solcher agiert außerhalb der Grenzen des Sagbaren und verdient deshalb auch kein Gespräch, sondern Verachtung und Ausgrenzung“. Eben diese Haltung beleuchtet aus – in erkenntnisträchtiger Weise die Gegenwart verfremdender – historischer Perspektive mein oben (mit Quellenangabe) erwähnter Text über Bücherverbrennungen.
Auf einen exemplifizierenden weiteren Satz folgt bei Schwerhoff:
„Also keine Tabus? Doch! Die Ausgrenzung – wenn man so will: Tabuisierung! – bestimmter Formen von persönlicher Herabwürdigung, von Rassismus und Antihumanismus gehört genuin zur politischen Kultur einer lebendigen Demokratie; dabei sind die Grenzen zwischen dem Erlaubten und dem Tabuisierten ihrerseits natürlich wieder Gegenstand von Kontroversen und müssen immer wieder neu ausgehandelt werden.“
Auch hier stimme ich Schwerhoff völlig zu. Tatsächlich können – nach Wegfall gemeinsamer Glaubensgrundlagen und in Absenz philosophisch-ideologischer Vorgaben – Grundwerte, die man als „unverfügbar“ behandeln will, nur durch Tabuisierung gesichert werden. Selten gelingt das auf Dauer, meist aber für längere Zeit. (Näheres dazu findet sich u.a. in meiner „Einführung in die Politikwissenschaft“, und zwar einesteils im Abschnitt über die Sicherung der Grundlagen des materiellen Rechtsstaates, andernteils in jenem über [kommunikative] Macht).
Und natürlich müssen die Grenzen – nicht der Kern – des zu Tabuisierenden immer wieder ausgehandelt werden. Das aber hieße im konkreten Fall, diskursiv um plausible Antworten auf die folgenden Fragen zu ringen: Welche Haltungen, Aussagen und Forderungen von PEGIDA-Anhängern sind wirklich rassistisch und antihuman, welchen anderen aber wird derlei nur – mit mehr oder weniger Plausibilität – zugeschrieben? Wo verletzt PEGIDA tatsächlich zu sichernde Tabus, wo aber werden nur mancherlei Steckenpferde von PEGIDA-Gegnern scheu gemacht? Eben ein solcher Diskurs wird aber von vielen schon seinerseits wie ein Tabubruch behandelt.
Tatsächlich meine auch ich, dass die „Grenzen des Sagbaren“ im Wesentlichen dort liegen, wo Schwerhoff sie verortet. Doch gerade wer diese Grenzen sichern will, muss dann auch präzise – und zugleich von praktisch-politischer Vernunft geprägte – Begriffe von Rassismus und Antihumanismus verwenden. Nun ist Schwerhoff nicht vorzuwerfen, dass er in seinem kurzen Text diesbezüglich keine erläuternden Betrachtungen vornimmt. Doch vieles in seiner Behandlung der ihm so unsympathischen „Schmähgemeinschaft“ klingt danach, als sei ohnehin – und weiterer Differenzierung durchaus nicht bedürfend – völlig klar, wer denn bei PEGIDA konkret ein Rassist sowie antihuman eingestellt sei, so dass es da im Konkreten sowieso nichts zu verhandeln gäbe. Ist aber – jene Einzelpersonen (!) vor Augen, die zu PEGIDA gehen – wirklich alles so eindeutig?
Etliche Sätze weiter beginnt ein neuer Abschnitt Schwerhoffs nach der folgenden Überschrift so:
„Wenn Sprache als Waffe gegen Minderheiten gerichtet wird“
„Nicht alles darf folglich gesagt werden. Dabei liegt die Grenze dort, wo die Sprache und ihre Bilder gewalttätig und als Waffe gegen Minderheiten gerichtet werden.“
Wieder bin ich sehr einverstanden. Ich frage mich nur, ob mein Kollege bedacht haben mag, dass doch – und ihre Gegner freut es – gerade auch die PEGIDA-Demonstranten eine Minderheit sind, und zwar sogar in Dresden als ihrer Hochburg. Will Schwerhoff also wirklich fordern, dass „die Sprache und ihre Bilder“ nicht gewalttätig „als Waffe“ gegen PEGIDA-Leute gerichtet werden dürften? Was sagt er dann aber dazu, dass genau dies geschieht – von Spitzenpolitikern bis hin zu den Einträgen auf Facebook-Seiten wie denen von PEGIDA#watch oder NOPEGIDA? Und weil dem ganzen Artikel ja durchaus nicht zu entnehmen ist, dass Schwerhoff PEGIDA irgendwie verteidigen will, erweist sich sein Argumentieren zwar als systematisch angelegt, doch als parteiisch in der Durchführung. Natürlich darf ein Wissenschaftler Partei ergreifen. Er möge sich dann aber nicht darüber täuschen, ob ihn wirklich ein argumentativ entfalteter allgemeiner Wertmaßstab auf seine Position geführt hat – oder ob er sich, von argumentativ gerade nicht durchsäuerten Setzungen geleitet, vielleicht in Spannung zu dem begeben hat, was er ansonsten – und zwar ganz richtigerweise – vertritt.
Bei Schwerhoff geht es dann wie folgt weiter:
„Angst vor der Massierung zu vieler männlicher Asylbewerber in der Nähe der eigenen Wohnung zu formulieren, wie es während der genannten Diskussion geschah, mag vielen, die die Pflicht zur Humanität und zur Gastfreundschaft betonen, übertrieben oder verzerrend erscheinen, darf aber nicht tabuisiert werden, selbst dann nicht, wenn sich dahinter Stereotype über „die“ Ausländer, oder jedenfalls „die“ Muslime, die uns problematisch und grenzwertig erscheinen mögen, verbergen. Diese Stereotype müssen vielmehr diskursiviert, diskutiert und öffentlich in Frage gestellt werden. Wenn aber diese Zuschreibungen dann in rassistischer Weise mit herabwürdigenden Etiketten verbunden werden („Gelumpe“, „Fotze“ etc.), dann ist die Grenze des öffentlich Tolerierbaren überschritten und entschiedener Widerstand gefordert.“
Mit diesen Aussagen bin ich völlig einverstanden, habe ich derlei doch stets selbst vertreten. Schwerhoff fährt dann fort:
„Pegida ist nun aber, von ihren montäglichen Erscheinungsformen her, keine bloße Bewegung besorgter Bürger, sondern eine Schmähgemeinschaft, eine sich immer wieder neu zusammenfindende Gruppe, für die herabwürdigende Parolen und Beleidigungen konstitutiv sind. Die ebenso scharfen wie diffusen Parolen geben gewissermaßen dieser Aktionsgemeinschaft erst ihre eigentliche Gestalt. Sie bilden den emotionalen Kitt, der Zusammenhalt stiftet, ebenso wie durch sie die Feindbilder beschworen werden (Presse, Politiker und Ausländer), gegen die es sich abzugrenzen gilt.“
In diesem Absatz scheint mir Richtiges mit Falschem ziemlich vermengt zu sein. Richtig ist nach meinen ziemlich ausführlichen und aus unmittelbarer Nähe erfolgten Beobachtungen, dass viele PEGIDA-Demonstranten immer wieder eine – um Schwerhoffs Begriff kurz selbst zu verwenden – „Schmähgemeinschaft“ eingehen. Am schlimmsten war dies anlässlich der volksaufhetzenden Rede eines Leipziger Deutschfranzosen bei der letzten Demonstration im Dezember 2014, deren Herabsetzungen und Beleidigungen bei vielen Anwesenden großen Beifall auslösten – und bei einigen sogar am Ende noch den Ruf „Zugabe!“.
Doch es war – erstens – nicht nur in dieser Situation auch viel „Fremdschämen“ zu beobachten, fand also gerade keine wirklich alle Anwesenden einbeziehende „Vergemeinschaftung“ statt. Zweitens sind nach alledem, was die vorliegenden empirischen Studien zu den PEGIDA-Demonstranten gezeigt haben, „herabwürdigende Parolen und Beleidigungen“ durchaus nicht „konstitutiv“ für jenes Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich unzweifelhaft bei den PEGIDA-Demonstrationen einstellt. Konstitutiv ist vielmehr der Wille, für Anderes zu stehen, als es die als feindlich empfundene Politiker- und Journalistenschaft tut; die Absicht, sich auch durch Gegendemonstrationen, Pfeifkonzerte und versuchte Straßenblockaden nicht kleinkriegen zu lassen; und der – dem eigenen Empfinden nach: mit einer schweigenden Mehrheit geteilte – Unmut darüber, dass unser Land in Sachen Einwanderung und Kulturwandel einen anderen Weg zu nehmen scheint, als ihn die Demonstranten für richtig erachten.
In tatsächlichen Schmähungen wie den Rufen von der „Lügenpresse“ und den „Volksverrätern“ entlädt sich das alles und stiftet dabei ein Gefühl von gemeinsamer Macht. Auf dessen mehrfaches Neuerleben sich vorzufreuen, ist für viele sehr wohl einer der Motivationsgründe fürs wiederkehrende Kommen. Doch Schwerhoff, vielleicht zu sehr auf die Erkenntnismöglichkeiten von Ferndiagnosen setzend, verwechselt in seiner Ausdeutung das Konstitutive mit dem Konstituierten, Voraussetzungen mit Folgen, Kerngehalt und Äußerungsform. Sehr richtig erkennt Schwerhoff zwar diesen wichtigen „emotionalen Kitt“ von PEGIDA; irrigerweise aber hält er die Produktion dieses Kitts auch schon für die „eigentliche Gestalt“ PEGIDAs.
Weiter geht es bei Schwerhoff dann so:
„Der scheinbar unschuldige Ruf „Wir sind das Volk“, von der Bürgerbewegung 1989 entwendet, markiert zugleich den Anspruch, dass die eigene Haltung die eigentliche Einstellung der „schweigenden Mehrheit“ repräsentiere und gleichsam die Mitte der Gesellschaft markiere.“
Das klingt besser, als es analytisch ist. Denn seinen „Sitz im Leben“ hat der Ruf „Wir sind das Volk!“ bei PEGIDA nicht dort, wo es sozusagen um demokratie- oder repräsentationstheoretische Ansprüche geht, also um Behauptungen, für die „Mitte der Gesellschaft“ oder für eine „schweigende Mehrheit“ zu sprechen. Sondern in der Regel erklingt der Ruf, wenn zuvor die politische Klasse kritisiert wurde – und bedeutet dann im Erleben derer, die ihn rufen, im Wesentlichen das Folgende: „Nicht Ihr Politiker habt festzulegen, was wir wollen und sagen dürfen, sondern in einer Demokratie sind WIR so frei, das selbst zu bestimmen; also verhaltet Euch nicht wie die DDR-Politiker – denn solche Leute zu verjagen, hatte das Volk schon einmal die Kraft!“ Dieser Sichtweise kann man durchaus widersprechen; doch wer sie nicht versteht, der versteht eben auch PEGIDA nicht – was doch gerade für jene ein erstrebenswertes Ziel sein müsste, die PEGIDA wirkungsvoll bekämpfen wollen …
Auch in einem weiteren nicht unwichtigen Punkt verkennt Schwerhoff, und zwar gleich im Folgesatz, die realen Wirkungszusammenhänge:
„Dabei spielt Pegida insofern virtuos auf der Klaviatur der Mediengesellschaft, als sie dieser virtuellen Öffentlichkeit immer wieder harmlose Elemente präsentiert, die die Friedlichkeit und Toleranz der Bewegung erweisen sollen: das in der montäglichen Präsenzkultur keine Rolle spielende 19 Punkte Programm gehören ebenso in diesen Zusammenhang wie das Absingen von Weihnachtsliedern.“
Letzteres aber war nichts als eine Peinlichkeit, wie bislang noch jeder bestätigte, der dabei gewesen war. Diese Peinlichkeit erntete in den Medien – die angeblich so „virtuos“ bespielt werden – denn auch zu Recht nur Spott und Häme. Ebenso wenig virtuos war der Umgang mit zunächst den „19 Punkten“, dann mit den „6 Punkten“, später mit den „10 Dresdner Thesen“ sowie schließlich mit der „Dresdner Charta für Muslime“. Kaum etwas davon schaffte es in die Öffentlichkeit – und zwar vor allem deshalb nicht, weil die PEGIDA-Organisatoren sich eben gerade nicht aufs Handwerk der Öffentlichkeitsarbeit verstehen. Und es verstärkt die Zweifel an der Tragfähigkeit vieler anderer, unmittelbar PEGIDA betreffender Teile von Schwerhoffs Text, wenn er gerade in derlei politisch-medialer Inkompetenz (!) besondere „Virtuosität“ erkennen will. Wie so viele scheint auch mein Kollege hier nicht von den Fakten her ein das Gesamtphänomen stimmig präsentierendes Bild erarbeiten zu wollen, sondern die Fakten lieber so zu deuten und zu ordnen, dass sie in ein bereits vorgefertigtes Bild von PEGIDA hineinpassen können.
Wie auch immer – weiter geht es bei Schwerhoff so:
„Das Deprimierende an der gegenwärtigen Lage ist nun, dass Pegida mit dieser Strategie erhebliche diskursive Geländegewinne erzielt hat. Man spricht nicht nur mit Angehörigen der Bewegung, sondern geht ideologisch erheblich auf sie zu.“
Erstens hat PEGIDA nicht „mit dieser Strategie“ seine diskursiven Geländegewinne erzielt, sondern einfach damit, dass diese Demonstrationen (samt den Reaktionen auf sie!) solche Probleme eben ins allgemeine Gespräch brachten, die unsere Einwanderungsgesellschaft nun einmal wirklich hat – und die sich angesichts des Medienhypes um PEGIDA nun auch nicht mehr als Obsessionen Ewiggestriger hinstellen, kleinschweigen oder schicklich umkleiden ließen.
Zweitens heißt es PEGIDA doch gewaltig zu überschätzen, wenn man so tut, als sei eine in Deutschland nun wirklich fassbare Xenophobie und Islamisierungsfurcht vor allem – oder gar erst – aufgrund von PEGIDA entstanden. In Wirklichkeit gab es das alles schon lange, und zwar weniger genährt von faschistischen Nachwirkungen als vielmehr – mit den ersteren aber durchaus zusammenwirkend – vom realen Einwanderungsgeschehen. Das alles bekam in der Kommunikation um PEGIDA nur einen gewaltig verstärkenden Resonanzraum.
Und dass – drittens – bei den komplexen Problemstrukturen, um die es beim PEGIDA-Themenfächer geht (Einwanderung, „Islamisierung“, Verteilungsgerechtigkeit, Europa- und Russlandpolitik usw.), die politische Diskussion sich nicht einfach nach „Pro-PEGIDA“ und „Anti-PEGIDA“ sortiert sowie dabei tunlichst jede Betrachtungsweise und Argumentationsfigur vermeidet, die ein Pegidianer je herangezogen hat, sondern viel differenzierter verläuft: Das kann man nur mit wirklich sehr großer Neigung zum grob Holzschnittartigen als „ideologisches Zugehen auf PEGIDA“ darstellen!
Nach einigen – mich nicht sehr überzeugenden – Beispielen für seine These, „Schmähungen zahl(t)en sich aus“, stellt Schwerhoff fest:
„Dass die Verschiebung der Diskursgrenzen ganz handfeste reale Auswirkungen hat, dass es nicht nur um bloße Symbole geht, lässt sich an der steigenden Zahl der Übergriffe auf Ausländer in den letzten Monaten ablesen, wobei die Änderung des alltäglichen Klimas, von der viele Bekannte berichten, dadurch noch nicht einmal abgebildet wird“.
Ja, Veränderungen in den Diskursen zeitigen Veränderungen soziokultureller und politischer Wirklichkeit – manchmal zum Besseren, manchmal zum Schlechteren, und freilich auch so gut wie immer mit den Massenmedien als einem dazwischentretenden Faktor. Worin die realen Veränderungen in Sachen Ausländerfeindlichkeit konkret bestehen und welches Ausmaß sie tatsächlich haben, das sollte – über Hörensagen im Bekanntenkreis oder journalistisches Zusammentragen von Expertenmeinungen hinaus – bald auch einmal systematisch erforscht werden. Hoffen wir, dass sich dafür demnächst Forschungsmittel finden – und die Ergebnisse dann eher nach der methodischen Solidität der Studie als nach der politischen Erwünschtheit der Befunde eingeschätzt werden!
Im nun folgenden Schlussabschnitt kommt Schwerhoff konkret zu meiner eigenen Rolle im Umgang mit PEGIDA. Sein Fazit findet sich in schon in der Überschrift, auf die dann gleich der nächste zitierte Satz folgt.
Affirmative „Übersetzung“ überschreitet das „Verstehen“
„Wissenschaftliche Ergebnisse und Interpretationen sollten nun nicht dazu dienen, diese [d.h.: mancherlei zuvor erwähnte und kritisierte] Tendenzen mit einer szientistischen Aura zu versehen.“
Gut gebrüllt, Löwe, und ich stimme da gerne ein! Doch durchaus stutzig macht schon einmal das Wort „szientistisch“. Weil Schwerhoff natürlich das eigentlich ebenso passende Wort „wissenschaftlich“ kennt, es aber ausdrücklich nicht benutzt, wird er damit schon etwas Konkretes beabsichtigt haben. Tatsächlich meint „Szientismus“ in einer häufigen Wortbedeutung „praktisch verantwortungslose Wissenschaftsgläubigkeit“. Wir merken also, woher der Wind zu wehen beginnt …
Nun weiter: Auf welche Weise können wohl Ergebnisse normaler wissenschaftlicher Arbeit dazu dienen, dass irgendetwas mit einer „die wissenschaftliche Autorität praktisch missbrauchenden Aura“ versehen wird? Hält man es mit der Logik, kommen dafür nur zwei Akteure in Frage. Entweder missverstehen manche Interpreten schlechterdings, was ein Wissenschaftler wirklich sagen will – oder gibt ein Wissenschaftler einfach seine persönliche Meinung als Forschungsergebnis aus. Er gehört dann seinem Gegenstand nicht nur, wie das Habermas einst formulierte, „durch den Forschungsprozess hindurch“ an, sondern … macht sich mit ihm gemein! Das darf man dann loben, wenn es ein guter Gegenstand ist (wie der Kampf gegen eine Diktatur), muss es aber tadeln, wenn der Gegenstand in sich selbst schon schlecht ist (wie unzweifelhaft eine faschistisch-rassistische Bewegung).
Eben Letzteres will der werte Kollege denn auch im Folgesatz ausdrücken:
„Wer die öffentliche Performanz, die skandalösen Parolen ebenso wie die Personen der Führungsfiguren, zu einem bloßen Oberflächenphänomen erklärt, hinter dem die eigentlich ernst zu nehmende bürgerliche Mitte lauert, der droht ungewollte Steigbügeldienste für Pegida zu leisten.“
Da ist er nun endlich gestellt, der schlimme Verharmloser vom anderen Institut – freilich sanft, denn die Steigbügeldienste sind ja „ungewollt“, und so ganz werden sie gar nicht geleistet, sondern „drohen“ nur geleistet zu werden. Im Grunde also verhält sich da jemand vielleicht doch nur wie ein tumber Tor – und noch nicht wie ein kryptofaschistoider Freiheitsfeind.
Für den Beschuldigten keimt also Hoffnung auf: Liegt das „Versehen einer schlechten Sache mit einer szientistischen Aura“ wohl doch mehr an gleichwelchen Interpreten – und weniger beim PEGIDA-Beobachter, der einfach sagt, was der Fall ist? Nein, so einen Freispruch gibt es dann doch nicht: Dieser PEGIDA-Erklärer ist ja einer, der „die öffentliche Performanz, die skandalösen Parolen ebenso wie die Personen der Führungsfiguren, zu einem bloßen Oberflächenphänomen erklärt, hinter dem die eigentlich ernst zu nehmende bürgerliche Mitte lauert“! Und das erfüllt nun einmal den Tatbestand der Verharmlosung.
Wenn es denn auf der Faktenebene wirklich so wäre! Denn was ich tatsächlich zu PEGIDA mit meiner Unterscheidung von Oberflächenphänomen und Tiefenstruktur meine, ist ja – wie oben gezeigt – etwas ganz anderes, als das, was Schwerhoff mir unterstellt. Und dass aus der „bürgerlichen Mitte“ nur Gutes, Wahres und Schönes käme, habe ich nun wirklich nie und nirgends behauptet. Gerade diesbezüglich wäre es hilfreich, meinen oben erwähnten Text über die Bücherverbrennungen der Nazis noch einmal zu lesen …
Schwerhoffs nächster Satz klingt dann so:
„Werner Patzelt wird häufiger, und in abwertender Weise, als „Pegida-Versteher“ tituliert. Er hat sich dieses Epitheton in der genannten Diskussion emphatisch anverwandelt mit der Erklärung, „Verstehen“ sei schließlich die selbstverständliche Aufgabe des Wissenschaftlers. Im Umkehrschluss verweigerten sich alle Wissenschaftler, die Pegida nicht verstehen wollten, der Wirklichkeit. Das ist schlechterdings nicht bestreitbar.“
Wie schön, dass wir bei diesem wichtigen Punkt einer Meinung sind! Doch was ist das nur für eine Debattenkultur, in welcher überhaupt problematisiert wird, dass ein Wissenschaftler seinen Gegenstand auch versteht – und der Gegenstand (hier: die PEGIDA-Demonstranten) sich obendrein auch seinerseits vom Analytiker verstanden fühlt? Die zutreffende Antwort legt eine kontrafaktische Gegenfrage nahe: Wie „hochproblematisch“ wäre es eigentlich, wenn Cäsar nach der Lektüre eines Aufsatzes über die Motive seiner Eroberung Galliens erklärte, der Verfasser habe ihn verstanden? Müsste man dem Verfasser dann wohl die Verharmlosung oder billigende Unterstützung eines Angriffskrieges vorwerfen?
Mit dem nächsten Satz Schwerhoffs sind wir dann wieder bei der für die Beurteilung meiner Rolle ausschlaggebenden Frage, wer da etwas unterstellt Schlechtes gleichsam adelnd mit einer „szientistischen Aura“ versieht – ein empirischer Forscher oder dessen Interpreten:
„Tatsächlich aber hat das Etikett des „Pegida-Verstehers“ natürlich einen anderen Subtext, weil hier „verstehen“ mit „Verständnis haben“, ergo mit „Affirmation“ gleich gesetzt wird. Die problematische Seite von Patzelts Interpretationen ist nicht das „Verstehen“, sondern das „Übersetzen“ von Pegida.“
Ja, genau das ist jener Subtext, mit dem die für die Sozial- und Geisteswissenschaften zentrale analytische Operation des „Verstehens“ ins Vorwerfbare projiziert wird! Und somit lautet hier die wichtige Frage: Ist das wohl mein eigener Subtext – oder ist das ein mir nur unterschobener Subtext? Klären wir die Antwortmöglichkeiten anhand eines ziemlich bekannten Beispiels:
Verhält sich wohl jemand, der – wie einst Hannah Arendt – die Rolle Adolf Eichmanns beim Holocaust zu verstehen und seiner Leserschaft zu erklären versuchte (also „übersetzte“, was Eichmann über sich und seine Rolle sagte), wirklich „affirmativ“ zum Holocaust? So weit wollten seinerzeit selbst Hannah Arendts Kritiker nicht gehen, obwohl sie ihr scharf eine „Verharmlosung“ Eichmanns und seiner Rolle vorwarfen. Anscheinend war jedem die Absurdität eines Versuchs klar, ausgerechnet eine vor den Nazis geflohene jüdische Deutsche einer „Affirmation“ des deutschen Judenmords zu bezichtigen.
Aber einen hierzulande seit fast 25 Jahren öffentlich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Pluralismus lehrenden Politikwissenschaftler einer „affirmativen Haltung“ zu einer Bewegung zu bezichtigen, die man zugleich als rundum rassistisch und antihuman, ja auch als rechtsradikal und antidemokratisch darstellt – das geht?
Anscheinend schon, und mit einiger Wirkung. Tatsächlich wollten vor einiger Zeit Studierende einen Gastvortrag von mir in Münster (wie zuvor schon in Karlsruhe) mit der Behauptung hintertreiben, ich sei „der Pressesprecher von PEGIDA“ – denn ohne inneres Einvernehmen würden die „Pegidioten“ sich von mir doch nicht so gut verstanden und „übersetzt“ fühlen. Kaum anders klang es in Schriftsätzen, die Dresdner Studierende und Wissenschaftliche Mitarbeiter am Dresdner Institut für Politikwissenschaft über mich verbreiteten. Ich bin der Ansicht: Dergleichen ist eine Unverschämtheit. Mich lehrt sie ziemlich viel über den, der sie begeht.
Nun unterstellt mir Schwerhoff nicht jenen Subtext, sondern erörtert nur, dass dieser meinen Aussagen unterschoben werden kann. Er formuliert das im nächsten Satz so:
„Im Prozess der Übersetzung transformiert sich Pegida von einer Erscheinung mit massiven rassistischen und undemokratischen Grundtönen hin zu einer scheinbar demokratischen Bewegung besorgter Bürger. Eine solch dramatische Akzentverschiebung überschreitet die Grenze des bloßen „Verstehens“ deutlich.“
Doch weil Schwerhoff zuvor klar mir zugeschrieben hat, ich würde „die öffentliche Performanz, die skandalösen Parolen ebenso wie die Personen der Führungsfiguren [von PEGIDA] zu einem bloßen Oberflächenphänomen“ erklären, „hinter dem die eigentlich ernst zu nehmende [und also ‚ganz harmlose‘] bürgerliche Mitte lauert“, wird hier durchaus insinuiert, mir sei eben diese Grenzüberschreitung vorzuwerfen. „Patzelts Pegida“ ist dann eben doch nichts anderes als „Bachmanns Pegida“ – nur eben besser verstanden, nett übersetzt und wohlklingend beschrieben.
Gilt dafür wohl ausnahmsweise: „Man wird doch wohl noch sagen dürfen …“? Wem – warum auch immer – an Unterstellungen und Verleumdung gelegen ist, der mag das bejahen. Für wen aber die Wahrheit eine Rolle spielt, der sollte sich solches wohl verkneifen – oder, falls nötig, die Sache im Nachhinein richtigstellen. Und dabei sind wir noch gar nicht an die „Grenzen des Sagbaren“ gelangt, sondern bloß an die des Anstands. Anscheinend aber mag der „Aufstand der Anständigen“ niemanden dulden, der sich nicht einreiht in die Akademikereinheitsfront der Tugendhaften und sich selbst Gerechten.
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