Klarstellungen zu Otte & WerteUnion
Am 24. Januar hörte ich, dass die AfD möglicherweise dem Vorsitzenden der WerteUnion die Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten anträgt. Am 25. Januar erfuhr ich, dass der Bundesvorsitzende der WerteUnion dieses Angebot annimmt. Sogleich schrieb ich die folgende Email an den Vorstand der WerteUnion:
Sehr geehrte Mitglieder des Bundesvorstands der WerteUnion,
Soeben erfahre ich, dass der Bundesvorsitzende der WerteUnion, Prof. Dr. Max Otte, die ihm von der AfD angetragene Nominierung für das Amt des Bundespräsidenten angenommen hat.
Zwar ist eine solche Nominierung grundsätzlich eine große Ehre. Sie ist es aber nicht unter allen Umständen. Sie ist das nicht, wenn die Nominierung nur den Sinn hat, die politische Heimat des Nominierten zu schädigen. Und sie ist schon gar keine Ehre, wenn man erkennbar bloß als politische Schachfigur benutzt wird – und das auch noch entlang von Spielzügen, die der eigenen Partei in keiner Weise nützen können.
Angesichts dieser Zusammenhänge verstehe ich nicht, warum sich jemand mit der Statur Prof. Ottes auf diese Weise persönlich beschädigen lässt, und das auch noch ohne Nutzen für die Sache der CDU. Soweit sich der Bundesvorstand der WerteUnion bemüht hat, seinen Vorsitzenden von diesem Weg in eine politische Sackgasse abzubringen, bedauere ich sehr die Erfolglosigkeit dieses Versuchs. Falls ein solcher Versuch hingegen unterblieben ist, erkenne ich hinter solcher Fahrlässigkeit keine politische Vernunft.
Das jetzt schon eingetretene Ergebnis dieser ohnehin erfolglos bleibenden Kandidatur ist der völlige Einflussverlust der WerteUnion bei der schwierigen Aufgabe, die CDU wieder auf einen politischen Erfolgskurs zu bringen. Dabei bieten sich gerade jetzt Chancen auf eine gewisse Programm- oder Kurskorrektur der CDU. Genau zur Herbeiführung und Nutzung einer solchen Chance wurde einst die WerteUnion gegründet. Doch nun fühlen sich alle jene in ihrem Urteil bestärkt, welche die WerteUnion ohnehin nur als Hilfstruppe der AfD ausgegeben haben.
Einer WerteUnion, die man nicht mehr gegen solche Zuschreibungen verteidigen kann, und die von ihrem Vorsitzenden um alle innerparteilichen Gestaltungsmöglichkeiten gebracht worden ist, will ich nicht mehr angehören. Tatsächlich läuft dieser Gang der Ereignisse allen Ratschlägen entgegen, die ich öffentlich sowie intern gegeben habe – und nicht zuletzt auch dem Bundesvorstand der WerteUnion.
Mich bedrückt, dass ich mit meinem Austritt wohl manchen persönlich verletze. Doch mir war es immer wichtiger, gemäß meinen Überzeugungen zu handeln, als mich nach davon wegführenden Wünschen anderer zu richten. Und natürlich stehe ich der CDU, unserer gemeinsamen Partei, weiterhin gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Werner J. Patzelt
Weil ich seit drei Jahren immer wieder ausdrücklich als Mitglied der WerteUnion angekündigt werde, veröffentlichte ich diese Email sogleich auch auf meiner Facebook-Seite. Die vielen eingegangenen Kommentare veranlassen mich zu den folgenden Klarstellungen:
- 1. Ging es nach mir, hätten CDU und CSU einen Gegenkandidaten zum amtierenden Bundespräsidenten aufgestellt. Dergleichen wäre keine Majestätsbeleidigung gewesen, sondern einfach ein alternatives Personalangebot. Es macht auch nichts, wenn man dabei nur als Zählkandidat auftritt. Bei einer Wahl kann nun einmal nicht jeder gewinnen. Wichtig ist, dass eine Mehrzahl von Positionen verkörpert wird, damit sich zwischen diesen dann auswählen lässt. Dazu müsste man – zumal als größte Oppositionspartei – aber eine plausible Gegenposition und einen Zählkandidaten haben, der sie glaubwürdig verkörpert. Weder besitzt die Union derzeit eine solche Position noch hat sie sich um einen geeigneten Zählkandidaten bemüht, und also hat sie sich ohne Gegenwehr ins Schicksal gefügt, einen durchaus parteiintern kritisierten Bundespräsidenten mitzuwählen. Für dieses unzulängliche Politikmanagement kritisiere ich die CDU.
- 2. Es ist keineswegs vorwerfbar, dass die AfD einen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aufstellt. Es muss sich aber ein CDU-Mitglied, das für die schärfste Konkurrenzpartei der CDU kandidiert, wegen der Beschlusslage der Partei und wegen der absehbaren medialen Reaktionen durchaus ein parteischädigendes Verhalten vorwerfen lassen. Im Übrigen war absehbar, dass Herr Otte mit dieser Kandidatur ausgerechnet jene Gruppe schädigt, deren Vorsitzender er ist, nämlich die WerteUnion. Dafür kritisiere ich ihn.
- 3. Herrn Ottes Anliegen, zur Überwindung der Spaltung Deutschlands dadurch beizutragen, dass er sich als CDU-Mitglied zum AfD-Kandidaten machen lässt, ist nach menschlichem Ermessen nicht verwirklichbar. Weder hat Prof. Otte eine Chance, selbst gewählt zu werden, um dann als Bundespräsident gesellschaftlich befriedender als das jetzige Staatsoberhaupt zu wirken. Noch wird sich die Union durch Herrn Ottes Kandidatur dazu drängen lassen, doch noch einen eigenen Kandidaten aufzustellen – es sei denn, die Massenmedien würden genau das für sinnvoll erklären. Derlei ist aber nicht zu erwarten. Menschlich mag es respektabel sein, sich für ein nicht erreichbares Ziel so viel Übles einzuhandeln, wie es Max Otte derzeit widerfährt. Wäre ein solches Risiko für das Ansehen der eigenen Person oder für das Schicksal der WerteUnion um des Fortbestands unserer Demokratie willen erforderlich, dann könnte man Herrn Otte für seinen Schritt womöglich loben. Doch Deutschland ist durch die Wiederwahl des Bundespräsidenten Steinmeier durchaus nicht in Gefahr – die WerteUnion durch jene Kandidatur hingegen wohl ruiniert.
- 4. Falls Herr Otte einen Wechsel von der CDU hin zur AfD im Sinn hätte, wäre sein überraschender Schachzug durchaus clever gewesen, denn durch keine andere Handlung hätte er mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Weil ich aber die Aufgabe der WerteUnion stets dahingehend verstanden und vertreten habe, die CDU wieder auf einen Kurs zu bringen, der eine Protestwahl zugunsten der AfD entbehrlich macht, würde ich einen solchen Schritt von Herrn Otte in keiner Weise billigen.
- 5. Die Pflicht des Vorsitzenden der WerteUnion wäre es gewesen, seine Gruppierung zusammenzuhalten, inhaltlich überzeugend aufzustellen sowie zu einem respektablen Gesprächspartner der Unionsführung zu machen. Diesbezüglich hat der – jetzt sein Amt ruhen lassende – Bundesvorsitzende pflichtwidrig gehandelt. Sollte ihn die AfD nach seiner absehbaren Nicht-Wahl zum Bundespräsidenten fallen lassen, wäre das eine Art ausgleichende Gerechtigkeit. Im Übrigen lehne ich es grundsätulich ab, politische Kritik mit moralischen Vorwürfen zu vermischen, und das gilt ausdrücklich auch hinsichtlich des respektablen Intellektuellen Max Otte.
- 6. Das in jeder Hinsicht törichte Verhalten von CDU und FDP in Thüringen hat mit dem hier zu besprechenden Fall nichts wirklich Triftiges zu tun – außer: dass strategisches Denken und Handeln anscheinend nicht zu den größten Stärken dieser Parteien gehören.
- 7. Falls die AfD sich zum Angebot der Präsidentschaftskandidatur an Herrn Otte entschlossen hat, um der WerteUnion als ihrer strategischen Konkurrenz zu schaden, ist dies gut gelungen. Die WerteUnion dürfte nämlich jetzt politisch tot sein.
- 8. Falls die AfD Herrn Otte die Präsidentschaftskandidatur angetragen hat, um der neuen CDU-Führung zu schaden, kann erst die Zukunft zeigen, ob die solchermaßen bei der CDU entfachte Diskussion einen solchen Zweck erfüllt:
- 8a. Einerseits kann die CDU jetzt die WerteUnion für ohnehin erledigt erklären und entgeht dann allen anstrengenden innerparteilichen Debatten um die mehrfach behauptete Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zu WerteUnion und CDU. Vielmehr kann man den „innerpartlichen Kampf gegen rechts“ für gewonnen erklären und sich eine Siegespalme besorgen. In diesem Fall hätte die AfD der neuen CDU-Führung genutzt.
- 8b. Andererseits verzichtet die CDU ohne die WerteUnion womöglich auf künftige Versuche, keine weiteren Wähler mehr an die AfD zu verlieren. Dann hätte die von der AfD herbeigeführte Otte-Kandidatur der CDU dauerhaft geschadet, wäre also – aus Warte der AfD – sehr clever gewesen.
- 9. Manche in der AfD scheinen jetzt schon einen Etappensieg auf dem Weg zu ihrem Ziel zu feiern, der CDU dasselbe Schicksal zu bescheren, welches einst in Italien die Democrazia Cristiana erlitten hat. Um davon strategisch-dauerhaft zu profitieren, müsste sich die AfD freilich zu einer Partei entwickeln, mit der andere Parteien zusammenwirken könnten. Das aber will ein Großteil der AfD gar nicht – und ein inzwischen immer größer gewordener Teil der AfD-Mitglieder ist anscheinend auch nicht mehr fähig, sich als normaler Teil unseres Parteienspektrums zu verstehen oder zu verhalten. Also halte ich es für ein realistisches Risiko, dass die AfD zwar die CDU ruinieren, doch nichts Konstruktives oder gar Mehrheitsfähiges an deren Stelle zu setzen vermag. Dann aber würde eine grün-sozialdemokratische Politik, mit oder ohne Beteiligung einer klein gewordenen CDU, lange Zeit alternativlos.
- 10. Zur AfD, zu den Ursachen ihrer Entstehung und zu ihrer Entwicklung muss ich mich hier nicht äußern. Ich habe das ausführlich in der Vergangenheit getan, sowohl auf meinem Blog wjpatzelt.de als auch in meinem anfangs 2019 erschienenen Buch „CDU, AfD und die politische Torheit“. An beiden Stellen kann jeder selbst nachlesen, was meine eigene – also nicht bloß mir zugeschriebene – Position ist. Wer dort nachliest, der wird dann erkennen: Allen meinen Ratschlägen, sich als eine normale Oppositionspartei aufzustellen und von Verbalradikalismus sowie Extremismus fernzuhalten, ist die AfD mehrheitlich gerade nicht gefolgt. Das ist auch der Grund dafür, dass ich es aufgegeben habe, der AfD Ratschläge zu geben, Gutachten zu schreiben oder Vorträge zu halten. Und seit die AfD ihrerseits begriffen hat, dass ich ihr nie nahestand, sondern mich bloß – und anders als die allermeisten – als ein fairer Politikexperte verhalten habe, lud sie mich ohnehin nicht mehr ein.
- 11. Auch über Kritikwürdiges an den Inhalten und Verhaltensweisen der CDU muss ich mich hier ebenfalls nicht äußern. Das alles ist immer wieder ziemlich aktuell auf meinem Blog wjpatzelt.de nachzulesen. Dort finden sich auch regelmäßig Vorschläge dazu, was die Union aus welchen Gründen und zu welchen Zwecken auf welche Weise besser machen könnte.
- 12. Meine Entscheidung, die WerteUnion zu verlassen, hat nichts damit zu tun, dass die WerteUnion von jeher innerhalb der Union angefeindet wurde. Wer so etwas nicht aushält, darf ein politisches Mauerblümchen bleiben oder sich ein Beispiel an Opportunisten nehmen. Beides ist meine Sache nicht. Vielmehr gehe ich gelassen und geradlinig genau den Weg weiter, den ich in der CDU – meiner Partei seit 1994 – immer gegangen bin: Ich äußere Urteile, die nicht durch parteipolitisches Wunschdenken verzerrt sind; ich erteile Ratschläge auch ungefragt oder zum Verdruss derer, die sie nicht hören wollen; und ich bin hilfsbereit, wann immer meine Mitwirkung erbeten wird.
- 13. Weil ich außerdem längst schon „etwas geworden“ bin, muss ich auch weder in der CDU noch dank der CDU „etwas werden“, kann mir bei alledem also völlige Unabhängigkeit leisten. Auf dieser Grundlage habe ich vor drei Jahren die Einladung angenommen, Mitglied der WerteUnion zu werden, weil ich meinte, auf diese Weise der Union bei der Stabilisierung ihrer Wählerschaft helfen zu können. In völliger Unabhängigkeit habe die WerteUnion nun wieder verlassen, weil es der Schritt von Herrn Otte der WerteUnion fortan unmöglich macht, ihr Ziel zu erreichen. Und natürlich erfolgt mein Austritt ohne jeglichen Groll gegenüber den Mitgliedern der WerteUnion, mit denen ich nun fast drei Jahre lang versucht habe, jenem Niedergang der Union entgegenzuwirken, der unzulänglicher Politik und ungut ansetzender Parteipolitik geschuldet ist.